Sachverhalt

Bei den verbundenen deutschen Verfahren (Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 10.7.2012, XI R 22/10 und XI R 39/10), ging es um Fragen zum Anwendungsbereich des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Personenbeförderungsleistungen im Nahverkehr.

In den Verfahren betreiben die Kläger Unternehmen mit sog. Funkmietwagen. In Deutschland gibt es eine Vielzahl an Unternehmen dieser Art. Anders als Taxen verfügen Funkmietwagenunternehmen über keine sog. Taxilizenz. In den Verfahren war fraglich, ob nicht doch der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG, der nach dem nationalen Umsatzsteuerrecht nur für den Betrieb von Taxen zur Anwendung kommt, aus Gründen der Wettbewerbsneutralität auch auf Umsätze mit Funkmietwagen anzuwenden ist. Der BFH fragte den EuGH, ob die Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der 6. EG-Richtlinie und Art. 98 Abs. 1 i.V.m. Anhang III Kategorie 5 MwStSystRL unter Beachtung des Neutralitätsprinzips einer nationalen Regelung entgegen stehen, die für die Beförderung von Personen im Verkehr mit Taxen im Nahverkehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorsieht, wohingegen für die Beförderung von Personen mit sog. Mietwagen im Nahverkehr der Regelsteuersatz gilt.

In dem einen Verfahren betreibt der Kläger ein Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung, verfügt jedoch über keine sog. Taxilizenz verfügt. Aus diesem Grund darf er (u. a. nach § 49 Abs. 4 Satz 1 PBefG) Fahrgäste nicht während einer Fahrt aufnehmen, sondern Beförderungsaufträge nur an ihrem Betriebssitz oder ihrer Wohnung entgegennehmen. Anders als beim Verkehr mit Taxen gibt es aber auch keine Beförderungspflicht, keine Betriebspflicht nach § 21 PBefG und keine Tarifvorschriften. Das Entgelt wird jeweils frei vereinbart.

In dem anderen Fall betreibt der Kläger ebenfalls ein Mietwagenunternehmen ohne Taxierlaubnis nach § 47 PBefG. Er führt jedoch Krankenfahrten mit hierfür nicht besonders eingerichteten Fahrzeugen im Auftrag einer Krankenkasse durch. Dazu erkannte er gegenüber der Krankenkasse A den zwischen dieser und dem Taxi- und Mietwagenunternehmerverband V geschlossenen Vertrag zur Durchführung von Krankenfahrten für Versicherte der Krankenkasse A mittels Taxiunternehmen an. Er verpflichtete sich, alle in diesem Vertrag vereinbarten Bedingungen zu erfüllen. Gegenstand des Vertrages ist nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 die Beteiligung der im Verband organisierten Taxiunternehmen an der Durchführung von planbaren Krankenfahrten, die für die Versicherten der Krankenkasse A im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig werden.

In beiden Fällen beantragten die Kläger die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in Höhe von 7 % nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG. Nach dieser Vorschrift wird der Verkehr mit Taxen steuerlich begünstigt, nicht aber der Verkehr mit Mietwagen. Die Finanzämter lehnten daher die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ab. Die Finanzgerichte folgten deren Auffassung. Den Einwand der Kläger, dass aus Gründen der Gleichbehandlung, insbesondere aus Wettbewerbsgesichtspunkten, der ermäßigte Steuersatz auch für den Verkehr mit Mietwagen zur Anwendung kommen müsse, ließen sie nicht gelten.

Der BFH erinnerte in seinen Vorlagebeschlüssen zunächst daran, dass das BVerfG eine unterschiedliche Behandlung des Taxi- und Mietwagenverkehrs in Bezug auf den Umsatzsteuersatz verfassungskonform einstuft, da beide Formen der Personenbeförderung durch das PBefG eindeutig voneinander abgegrenzt werden. Insbesondere bestehe kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und auch nicht gegen das in Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Grundrecht der Berufsfreiheit (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 85, 238, NJW 1992, 1815).

Gleichwohl hatte der BFH Zweifel daran, ob diese unterschiedliche Behandlung dem europäischen Grundsatz der steuerlichen Neutralität entspricht. Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen i. S. des Anhangs H der Richtlinie mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen. Als Voraussetzung gilt, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt. Von dieser Möglichkeit hat Deutschland Gebrauch gemacht, indem nicht jegliche "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks" dem ermäßigten Steuersatz unterworfen wird, sondern nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG nur die Beförderung durch Verkehrsmittel des öffentlichen Nahverkehrs, zu dem nach dem Willen des Gesetzgebers Kraftdroschken bzw. Taxen, nicht aber Mietwagen gehören.

Nach Auffassung des BFH in den Vorabentscheidungsersuchen verbietet es der Grundsatz der Neutralität insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln, sodass solche Waren oder Dienstleistungen einem einheitlichen Steuersatz zu ...

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