Leitsatz

Die Finanzbehörde kann im Einspruchsverfahren gegen einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid, der nach Unanfechtbarkeit des Erstbescheids erlassen wurde, gemäß § 367 Abs. 2 AO 1977 die Steuer auch über die im Änderungsbescheid festgesetzte Steuer hinaus erhöhen, wenn die Verböserung ihre Grundlage in dem Änderungsbescheid hat.

 

Normenkette

§§ 173 Abs. 1 Nr. 1, 367 Abs. 2 AO

 

Sachverhalt

Das FA hatte die ESt durch einen bestandskräftigen Bescheid (Erstbescheid) festgesetzt. Bei einer Ap stellte es steuererhöhende Tatsachen sowohl hinsichtlich der gewerblichen Einkünfte (Ansatz einer privaten Kfz-Nutzung) als auch bei den Einkünften aus VuV (ungerechtfertigter Werbungskostenüberschuss) fest. In dem Änderungsbescheid erhöhte das FA die Steuerfestsetzung aber nur wegen der Änderungen bei den gewerblichen Einkünften und ließ die Erhöhung bei den Einkünften aus VuV versehentlich unberücksichtigt. Die Kläger legten gegen den Änderungsbescheid Einspruch ein und wandten sich gegen die Erhöhung der gewerblichen Einkünfte. Im Einspruchsverfahren bemerkte das FA, dass es in dem Änderungsbescheid den Werbungskostenüberschuss aus VuV entgegen dem Ergebnis der Ap nicht gestrichen hatte. Es wies die Kläger darauf hin, dass es deshalb beabsichtigte, den Änderungsbescheid zu ihrem Nachteil abzuändern, d.h. die Steuer entsprechend zu erhöhen. Da die Kläger ihren Einspruch aufrechterhielten, setzte das FA die Steuer in der Einspruchsentscheidung um den bisher zu Unrecht abgesetzten Werbungskostenüberschuss herauf. Hinsichtlich der gewerblichen Einkünfte wurde dem Einspruch abgeholfen.

 

Entscheidung

Der BFH stimmte der Vorgehensweise des FA zu. Da das FA die Kläger auf die Verböserungsmöglichkeit hingewiesen hatte und diese ihren Einspruch gleichwohl aufrechterhalten hatten, konnte das FA in der Einspruchsentscheidung den Bescheid auch zum Nachteil der Kläger ändern. Dies gilt auch im Einspruchsverfahren gegen einen Änderungsbescheid. Dieses Einspruchsverfahren ist quasi ein verlängertes Änderungsverfahren mit der Folge, dass die dem Änderungsbescheid zu Grunde liegenden Tatsachen auch zu einer höheren Steuer führen können, als sie das FA in dem Änderungsbescheid festgesetzt hatte. Die Änderung ist nicht durch die in dem Änderungsbescheid festgesetzte Steuer beschränkt. Das FA kann die Steuer vielmehr nochmals heraufsetzen. Im Streitfall hatte allerdings die Revision im Ergebnis gleichwohl Erfolg, weil der BFH im Gegensatz zum FG den Werbungskostenüberschuss aus VuV anerkannte. Die bestandskräftige Erstfestsetzung durfte allerdings nicht unterschritten werden (§ 351 Abs. 1 AO).

 

Hinweis

Im gerichtlichen Verfahren gilt das sog. Verböserungsverbot. Das bedeutet, dass das FG die Rechtsposition des Klägers im Vergleich zum Zustand vor Klageerhebung nicht verschlechtern darf. Das Einspruchsverfahren dient dagegen der erneuten Überprüfung der Sache in vollem Umfang und kann deshalb, wenn sich bei der Veranlagung zu Unrecht berücksichtigte Abzugsposten ergeben, auch zu einer nachteiligen Einspruchsentscheidung führen; das Verböserungsverbot gilt hier grundsätzlich nicht. Dies ist auch bei der Anfechtung eines Änderungsbescheids zu beachten. Im Einspruchsverfahren gegen einen Änderungsbescheid befindet sich das FA praktisch in der gleichen Position wie im Stadium bei Erlass des Änderungsbescheids, d.h. es kann die Steuer so festsetzen, wie es sie schon beim Erlass des Änderungsbescheids hätte festsetzen können. Es kann sie somit im Einspruchsverfahren noch gegenüber dem Änderungsbescheid erhöhen (verbösern). Allerdings gilt auch hier, dass das FA nur dann verbösern darf, wenn es den Einspruchsführer zuvor darauf hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (§ 367 Abs. 2 AO). Der Steuerpflichtige kann dann eine Verböserung dadurch verhindern, dass er den Einspruch zurücknimmt. Bei einem Hinweis auf die Verböserungsmöglichkeit ist daher sehr sorgfältig zu prüfen, ob die vom FA dafür angeführten Gründe vom Einspruchsführer ausgeräumt werden können.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 24.10.2000, IX R 62/97

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