Zusammenfassung

 
Überblick

Ausländische Arbeitnehmer, die im Inland weder einen Wohnsitz (§ 8 AO) noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 9 AO), gleichwohl aber ihr wesentliches Einkommen in Deutschland erzielen (Grenzpendler), fallen auf Antrag unter die unbeschränkte Steuerpflicht (= fiktive unbeschränkte Steuerpflicht), soweit sie inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG beziehen. Sie sind mit ihren inländischen Einkünften den inländischen Staatsangehörigen hinsichtlich der Einkommensbesteuerung in vollem Umfang gleichgestellt. Diese sog. Grenzpendlerbesteuerung umfasst keine ausländischen ­Einkünfte. Anders als die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 und 2 EStG ist die Besteuerung der Welteinkünfte ausgeschlossen. Von dem Begriff "Grenzpendler" zu unterscheiden ist die "Grenzgängereigenschaft", die ihre Rechtsgrundlage in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) hat und der Vermeidung der Doppelbesteuerung der im Inland erzielten Arbeitseinkünfte dient. Die folgenden Ausführungen sind deshalb ohne Bedeutung, wenn ein Grenzpendler gleichzeitig die Grenzgängereigenschaft eines DBA erfüllt.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Die gesetzlichen Regelungen finden sich in § 1 Abs. 3 und § 1a EStG, geändert durch das Zollkodexanpassungsgesetz v. 22.12.2014, BStBl 2015 I S. 58. Verwaltungsanweisungen zur Grenzpendlereigenschaft enthält R 1a EStR. Die Ländergruppeneinteilung ergibt sich aus dem BMF, Schreiben v. 20.10.2016, IV C 8 – S 2285/07/0005:016, BStBl 2016 I S. 1183, zuletzt geändert durch BMF, Schreiben v. 11.11.2020, IV C 8 -S 2285/19/10001 :002, BStBl 2020 I S. 1212. Die Besonderheiten bei der stufenweisen Einführung des ELStAM-Verfahrens für beschränkt steuerpflichtige ausländische Arbeitnehmer regelt das BMF, Schreiben v. 7.11.2019, IV C 5 – S 2361/19/100017, BStBl 2019 I S. 1087.

1 Einkommensteuerpflicht von Grenzpendlern aus dem Ausland

1.1 Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht

Ziel der Regelung ist es, beschränkt Steuerpflichtige, die ihr wesentliches Einkommen im Inland erzielen, wie unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Inländer zu behandeln. Die Abgrenzung der Grenzpendlereigenschaft orientiert sich deshalb ausschließlich an den Einkommensverhältnissen. Es kommt nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige arbeitstäglich zwischen ausländischem Wohnort und inländischem Arbeitsort pendelt. Das Gesetz stellt für die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht folgende Grenzen auf[1]:

  • Begünstigt sind Steuerpflichtige, deren Summe der Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen (relative Wesentlichkeitsgrenze), oder
  • falls diese Grenze nicht erreicht ist, wenn die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag (2023: 10.908 EUR) im Kalenderjahr nicht übersteigen (absolute Wesentlichkeitsgrenze).

Bei der Berechnung der Einkommensgrenze von 90 % bleiben Einkünfte, die nach den Bestimmungen eines DBA im Inland der Höhe nach nur beschränkt besteuert werden dürfen, außer Ansatz.[2] Ebenfalls außer Ansatz bleiben im Ausland nicht steuerpflichtige Einkünfte, wenn vergleichbare Einkünfte auch im Inland steuerfrei sind. Ausländische Bezüge, die, wie z. B. das niederländische Arbeitslosengeld[3], im jeweiligen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind, müssen dagegen weiterhin in die Ermittlung der Einkommensgrenzen einbezogen werden.[4] Diese Regelung ergibt sich durch eine geänderte Fassung des § 1 Abs. 3 EStG als Ergebnis der EuGH-Rechtsprechung.[5] Der BFH hat diese Rechtsauslegung bestätigt. Niederländische Arbeitslosengeldzahlungen sind als ausländische, nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte in die Berechnung der Einkunftsgrenzen einzubeziehen.[6] Die der Abgeltungsteuer unterliegenden (inländischen und ausländischen) Kapitalerträge sind in die Berechnung der für die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht maßgebenden Einkunftsgrenzen einzubeziehen.[7]

Erfüllt der Steuerpflichtige die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht, sind die ermäßigt zu besteuernden Auslandseinkünfte gleichwohl in dessen Einkommensteuerveranlagung einzubeziehen. Im Übrigen ist der Betrag von 10.908 EUR in bestimmten Ländern entsprechend der für Unterhaltszahlungen geltenden Ländergruppeneinteilung zu kürzen.[8]

Bei der Einkommensteuerveranlagung 2023 beträgt die Einkunftsgrenze 2.727 EUR, 5.454 EUR bzw. 8.181 EUR, je nachdem, in welchem ausländischen Staat der Grenzpendler seinen Wohnsitz hat.[9]

Ermittlungszeitraum bzgl. der 90 %- bzw. der 10.908-EUR-Grenze ist das Kalenderjahr. Beginnt oder endet die Einkommensteuerpflicht im Laufe des Kalenderjahres, sind deshalb auch die Einkünfte in die Berechnung einzubeziehen, die der Steuerpflichtige vor Beginn bzw. nach Beendigung der inländischen Tätigkeit erzielt hat. Die Einkünfte sind – auch soweit sie auf das Ausland entfallen – nach inländischem Steuerrecht zu ermitteln.[10] Aus Vereinfachungsgründen können in Fällen außerhalb der EU/EWR ausnahmsweise die von der ausländischen Steuerverwaltung bescheinigten Beträge übernommen werden.[11] Bei einkommenslosen Ehegatten reicht eine Nichtveranlag...

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