Tz. 35

Stand: EL 105 – ET: 03/2022

Gelegentlich werden gegen die Entstrickungsbesteuerung verfassungsrechtliche Bedenken hervorgebracht (s ausführlich, die Verfassungskonformität begründend Müller, Die Besteuerung stiller Reserven bei Ausl-Bezug im Spannungsfeld zwischen Verfassung, Abkommens- und Europarecht, (Diss), Baden-Baden 2012; hierzu s auch Oppel, ISR 2016, 298, 302; s Kessens, in Sch/F, § 12 KStG Rz 66; s Schnitger, Die Entstrickung im StR, IFSt Schrift Nr 487 [2013], 97ff; s von Freeden, in R/H/N, 1. Aufl, § 12 KStG Rn 43 u 132). Anknüpfungspunkt ist etwa die Überlegung, dass es bei der Entstrickung zu einer stlichen (fiktiven) Realisation kommt, ohne dass dem betroffenen Stpfl eine Gegenleistung zufließt (Leistungsfähigkeitsprinzip, Art 3 GG). Hinzu kommt, dass es im vergleichbaren Inl-Fall zu keiner Besteuerung kommt (Art 3 GG).

Allerdings sind die vd Sachverhalte schon nicht vergleichbar bzw wäre uE eine Besteuerung beim Ausschluss oder der Beschränkung dt Besteuerungsrechte im Hinblick auf zB im Ausl nicht gleichfalls vorhandene Vollzugsmöglichkeiten gerechtfertigt. IRd Vergleichbarkeitsprüfung muss uE auch berücksichtigt werden, dass es im Ausl regelmäßig aufgrund der dortigen St-Verstrickung zu einem Step-up der betroffenen WG kommt. In D ergibt sich dies spiegelbildlich aus §§ 4 Abs 1 S 8, 6 Abs 1 Nr 5a EStG (hierzu s Tz 72) und innerhalb der EU s Art 5 Abs 5 ATAD-RL. Insoweit werden aus der Entstrickungsbesteuerung folgende Liquiditätsnachteile im Zuzugsstaat ausgeglichen. Dieser Zusammenhang zwischen Entstrickung und Step-up muss uE auch iRd Art 3 GG berücksichtigt werden (zur Bedeutung des Step-ups für die europarechtliche Beurteilung s Tz 42).

 

Tz. 35a

Stand: EL 105 – ET: 03/2022

Derzeit nicht ganz eindeutig scheint uns aber, inwieweit der BFH möglicherweise die unterschiedliche Behandlung von EU-/EWR-Sachverhalten einerseits und Drittstaatssachverhalten andererseits mit Blick auf Art 3 GG krit sehen könnte. So kommen in letztgenannten Konstellationen die die Besteuerung streckenden Vorschriften der §§ 4g, 36 Abs 5 EStG nicht zur Anwendung. In einer Entsch zur Besteuerung der Einlagenrückgewähr einer Drittstaatengesellschaft hat der BFH ausgeführt, dass eine Ungleichbehandlung von EU/EWR- und Drittstaatssachverhalten einen Verstoß gegen Art 3 GG darstellen kann (s BFH v 13.07.2016, IStR 2016, 899; hierzu s Benecke/Staats, IStR 2016, 893; s Meilicke/Scholz, DB 2017, 871). Hieraus könnte man verallgemeinernd die Konsequenz ziehen, dass immer dann, wenn D aufgr europarechtlicher Vorgaben verpflichtet ist, den Anwendungsbereich seines StR auf EU-/EWR-Sachverhalte auszuweiten – etwa aufgr der Niederlassungsfreiheit – Art. 3 GG dann die Ausweitung auch auf Drittstaatssachverhalte verlangt. Es sei denn, eine Nichtgeltung in Drittstaatsfällen könnte besonders gerechtfertigt werden. Anders als der BFH wird man aber uE gerade in den europarechtlichen Vorgaben, wie zB dem AUEV, eine Rechtfertigung für eine differenzierende Herangehensweise des St-Ges-Gebers sehen können. Gleiches gilt zB auch bei der Umsetzung von europäischen RL. Wenn beispielsweise die MT-RiLi eine Nichtbesteuerung von Dividenden in EU-/EWR-Sachverhalten unter bestimmten Voraussetzungen verbietet, gilt dies naturgem nicht wegen Art 3 GG auch für Drittstaatssachverhalte. Auch der europäische Ges-Geber sieht ja entspr unterschiedliche Behandlungen vor, wie etwa bei der Entstrickungsregelung in Art 5 ATAD-RL, s Tz 46bff).

 

Tz. 35b

Stand: EL 105 – ET: 03/2022

Das aus Art 14 GG hergeleitete Verbot konfiskatorischer St (s hierzu allg BVerfG v 25.09.1992, 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91; BStBl II 1993, 413) ist uE nicht verletzt. Man wird im Hinblick auf den St-Satz von 15 % bzw ca 30 % bei Berücksichtigung des SolZ und der GewSt der Entstrickungsbesteuerung schon von Vornherein keine erdrosselnde Wirkung entnehmen können (s auch Müller, aaO, 126 unter uE zutr Hinw auf den VSt-Beschl des BVerfG v 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121). Wie auch allgn in sonstigen Besteuerungsfällen können in Extremfällen, wie der drohenden Insolvenz durch mangelnde Liquidität zur St-Zahlung, die vorhandenen Instrumente des allgemeinen StR (Erl aus Billigkeitsgründen gem §§ 263, 227 AO, Stundung gem § 222 AO) einen Verfassungsverstoß vermeiden (s Müller, S 126). Im Übrigen werden in vielen Fällen die Wirkungen der Entstrickung durch die §§ 4g, 36 Abs 5 EStG abgemildert (hierzu s Tz 600ff).

Für die Verfassungsmäßigkeit der Entstrickungsbesteuerung spricht zudem die ATAD-RL, die in Art 5 eine Entstrickungsbesteuerung verbindlich vorschreibt (zur ATAD-RL s Tz 46bff; zur Bedeutung einer EU-RL für die Verfassungskonformität nationalen StR s Mitschke, FR 2016, 412 und 834; s Glahe, FR 2016, 829 sowie Kokott, Das StR der EU (2018), § 2 Rz 92).

 

Tz. 36

Stand: EL 105 – ET: 03/2022

Das rückwirkend durch das JStG 2010 eingeführte Regelbsp des § 12 Abs 1 Satz 2 (s Tz 26) verstößt uE nicht gegen ein verfassungsrechtliches Rückwirkungsverbot (aA ua Kolbe, in H/H/R, § 12 K...

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