Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitgeberleistungen für Vorsorgeaufwendungen der Vorstandsmitglieder einer AG steuerpflichtig

 

Leitsatz (redaktionell)

Daß die von einer Aktiengesellschaft gezahlten Zuschüsse zur Kranken- bzw. Rentenversicherung ihrer nicht versicherungspflichtigen Vorstandsmitglieder nicht als steuerfrei gem. § 3 Nr. 62 EStG anerkannt werden, lässt keine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung mit sonstigen leitenden Angestellten erkennen.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 3 Nr. 62, § 19 Abs. 1 Nr. 1; AVG § 3 Abs. 1a

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 05.02.1988; Aktenzeichen VI B 58/86)

BFH (Beschluss vom 05.02.1988; Aktenzeichen VI R 65/86)

Niedersächsisches FG (Urteil vom 18.03.1986; Aktenzeichen V 282/85)

 

Gründe

1. Soweit sich die Beschwerdeführer gegen den Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1988 – VI R 65/86 – wenden, mit dem die Revision der Beschwerdeführer als unzulässig verworfen wurde, fehlt es an einem Sachvortrag, der mit hinreichender Deutlichkeit zumindest die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsähnlichen Rechten aufzeigt (vgl. BVerfGE 28, 17 ≪19≫; st. Rspr.).

2. Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zwar auch insoweit zulässig, als der Rechtsweg für die Veranlagungszeiträume 1985 und 1986 nicht erschöpft wurde (vgl. BVerfGE 56, 363 ≪380≫; 68, 376 ≪380 f.≫ m.w.N.), die angegriffenen Entscheidungen der Finanzbehörden und der Finanzgerichte lassen jedoch ebensowenig wie die ihnen zugrunde liegende Regelung des § 3 Nr. 62 Einkommensteuergesetz (EStG) einen Verfassungsverstoß erkennen.

Aus § 3 Nr. 62 EStG ergibt sich, daß unter bestimmten Voraussetzungen insbesondere Leistungen des Arbeitgebers zur Renten- und Krankenversicherung für seinen Arbeitnehmer dann nicht zu den steuerpflichtigen Einkünften nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG gerechnet werden, wenn diese Leistungen „auf Grund gesetzlicher Verpflichtung” erfolgen (§ 3 Nr. 62 Satz 1 EStG) oder wenn es sich um Zuschüsse zur Altersversorgung des Arbeitnehmers handelt, vorausgesetzt, daß „der Arbeitnehmer von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden ist” (§ 3 Nr. 62 Satz 2 EStG). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt sich nach den maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.

Für die Streitjahre legt § 3 Abs. 1 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) fest, daß Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nicht zu den versicherungspflichtigen Angestellten gehören. Daraus folgt sowohl für den Bereich der Rentenversicherung als auch für den Bereich der Krankenversicherung, daß Vorstandsmitglieder dem Grunde nach nicht versicherungspflichtig sind (vgl. BSGE 36, 258 ≪259≫; 49, 22 ≪24 f.≫). Sie können daher weder im Sinne des § 3 Nr. 62 Satz 2 EStG von der Versicherungspflicht befreit sein noch kommt in Betracht, daß der Arbeitgeber zu einer Beitragsleistung auf Grund gesetzlicher Bestimmungen verpflichtet ist.

Wenn danach dem Beschwerdeführer als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft die für ihn gezahlten Zuschüsse des Arbeitgebers zu seiner Kranken- bzw. Rentenversicherung nicht als steuerfrei nach § 3 Nr. 62 EStG anerkannt wurden, läßt dies eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung mit sonstigen leitenden Angestellten nicht erkennen.

Mit § 3 Abs. 1 a AVG hat der Gesetzgeber typisierend zwischen leitenden Angestellten einer „großen” Gesellschaft (= Aktiengesellschaft) und einer „kleinen” Gesellschaft (= GmbH) unterschieden. Nur die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft wurden als nicht sozial schutzbedürftig angesehen, weil sie wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung durch Individualverträge eine bessere Absicherung hätten, als dies die Rentenversicherung bieten könne. Die Regelung hat somit ihren Sinn nicht in der Unterscheidung zwischen Arbeitgeberfunktion und Arbeitnehmereigenschaft, sondern in dem angenommenen sozialen Sicherungsbedürfnis (vgl. BSGE 36, 164 ≪166 f.≫; 36, 258 ≪260≫). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der Gesetzgeber befugt, diese typisierende Betrachtung auch für das Steuerrecht zu übernehmen.

Der Steuergesetzgeber ist durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht gehalten, um die Gleichbehandlung aller denkbaren Einzelfälle besorgt zu sein. Vielmehr ist er berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er typisierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit in Einzelfällen unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfG, Senatsbeschluß vom 8. Oktober 1991 – 1 BvL 50/86 –, NJW 1992, S. 423, 424 m.w.N.).

Hiervon ausgehend läßt sich nicht bestreiten, daß den Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft üblicherweise ganz andere Möglichkeiten bei der vertraglichen Ausgestaltung ihrer Arbeitsverträge eröffnet sind, als das bei anderen leitenden Angestellten generell angenommen werden kann. Wenn der Gesetzgeber diese Erfahrung zum Anlaß genommen hat, diesem Personenkreis sowohl die soziale Schutzbedürftigkeit im Sozialversicherungsrecht als auch dementsprechend die Steuerfreiheit für die sie betreffenden Zukunftsleistungen ihrer Arbeitgeber zu versagen, ist dies auf Grund der aufgezeigten sozialpolitischen Gründe hinreichend gerechtfertigt (vgl. etwa BVerfGE 81, 108 ≪117≫ m.w.N.).

Der Steuergesetzgeber hat damit auch nicht die Grenzen einer zulässigen Typisierung überschritten, denn es ist weder ersichtlich noch von den Beschwerdeführern vorgetragen, daß die Annahme eines weiten Spielraums zur Ausgestaltung individueller Vorsorgeregelungen für eine Vielzahl von Fällen nicht zuträfe (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪95 f.≫; BVerfGE, a.a.O., S. 425 m.w.N.).

Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, der Beschwerdeführer sei als Vorstandsmitglied wirtschaftlich nicht leistungsfähiger als andere leitende Angestellte, die die gleichen Einkünfte hätten, die aber, da sie nicht Vorstandsmitglieder seien, die Regelung des § 3 Nr. 62 EStG grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen könnten, wird übersehen, daß § 3 Nr. 62 EStG keine Entscheidung darüber enthält, inwieweit Vorsorgeaufwendungen insgesamt von der Besteuerung ausgenommen werden. Dies ist vielmehr eine Frage der Berücksichtigung von Sonderausgaben nach § 10 EStG. Bezogen auf den § 3 Nr. 62 EStG, gegen den sich ausschließlich das Vorbringen der Beschwerdeführer richtet, bedarf es daher keiner Entscheidung, ob und in welchem Umfang das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. etwa BVerfGE 81, 228 ≪236≫ m.w.N.) verlangt, Vorsorgeaufwendungen von pflichtversicherten und nicht pflichtversicherten Steuerpflichtigen als zwangsläufigen Aufwand zur Sicherung ihrer sozialen Existenz von der Steuer freizustellen.

Ob schließlich der Gesetzgeber mit § 3 Nr. 62 EStG insoweit die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, ist von Verfassungs wegen nicht zu entscheiden (vgl. BVerfGE 81, 108 ≪117 f.≫ m.w.N.).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1512208

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