Leitsatz (amtlich)

Die Mindestbemessungsgrenze für Beiträge hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger, die freiwillige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind (§ 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V), ist verfassungsgemäß.

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Vorlegungsbeschluss vom 30.11.1995; Aktenzeichen L 1 Kr 20/94)

 

Tenor

§ 240 Absatz 4 Satz 2 Halbsatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung des Artikels 1 Nummer 137 Buchstabe c des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (Bundesgesetzblatt I Seite 2266) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Tatbestand

A.

Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob die in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Bemessung der Beiträge freiwillig Versicherter, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gesetzlich festgesetzte besondere Mindesteinnahmengrenze verfassungsgemäß ist.

I.

1. Die gesetzliche Krankenversicherung umfasst Personen, die kraft Gesetzes (vgl. § 5 SGB V) oder auf Grund freiwilligen Beitritts (vgl. § 9 SGB V) versichert sind (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IV). Hauptberuflich selbständig Erwerbstätige gemäß § 5 Abs. 5 SGB V sind – von Ausnahmen abgesehen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB V) – nicht versicherungspflichtig. Sie können der gesetzlichen Krankenversicherung aber als freiwillig Versicherte angehören; das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) hat inzwischen das Recht Selbständiger zum Beitritt erheblich eingeschränkt (vgl. § 9 SGB V). Eine selbständige Erwerbstätigkeit wird hauptberuflich ausgeübt, wenn sie nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 159; vgl. auch BSGE 79, 133 ≪137≫).

2. Eine Mindestbemessungsgrenze für beitragspflichtige Einnahmen freiwillig Versicherter gibt es in der gesetzlichen Krankenversicherung seit 1. Juli 1977 (vgl. § 180 Abs. 4 RVO i.d.F. des Art. 1 § 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen KrankenversicherungKrankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz – KVKG≫ vom 27. Juni 1977, BGBl I S. 1069). Das als Art. 1 des Gesundheits-Reformgesetzes verkündete SGB V stellte das Beitragsrecht der freiwillig Versicherten ab 1989 auf eine neue Grundlage. Die maßgebliche Bestimmung des § 240 SGB V lautete damals:

Beitragspflichtige Einnahmen freiwilliger Mitglieder

(1) Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, daß die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt.

(2) Die Satzung der Krankenkasse muß mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind…

(3) …

(4) Als beitragspflichtige Einnahmen gilt für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße.

(5) …

In der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP würde zu der Vorschrift ausgeführt (vgl. BTDrucks 11/2237, S. 225 zu Art. 1 § 249 Abs. 1):

Die Vorschrift ermöglicht es allen Krankenkassen, das Beitragsrecht für freiwillige Mitglieder autonom in der Satzung zu regeln. Dieses Recht hatten bisher nur die Ersatzkassen. Damit können sachgerechte Sonderregelungen insbesondere für Selbständige und einkommenslose freiwillig versicherte Ehegatten getroffen werden. Bei der Beitragsgestaltung ist die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen, d.h. alle Einnahmen… sind ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung der Beitragsbemessung zugrunde zu legen…

Durch Art. 1 Nr. 137 Buchstabe c des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266; im Folgenden: GSG) wurde § 240 Abs. 4 SGB V mit Wirkung ab 1. Januar 1993 geändert. Die Bestimmung lautete nunmehr:

Als beitragspflichtige Einnahmen gilt für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden.

Im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. war die Mindesteinnahmengrenze des Satzes 2 Halbsatz 2 noch nicht enthalten (vgl. BTDrucks 12/3608, S. 28). Sie wurde erst auf Grund der Beratungen des Bundestagsausschusses für Gesundheit (15. Ausschuss) gesetzlich verankert (vgl. BTDrucks 12/3930, S. 68; 12/3937, S. 17). Damit reagierte der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die Vorschrift sollte insbesondere Zweifelsfragen bei der Beitragsbemessung für Selbständige durch die gesetzliche Festlegung eines Mindestbeitrags für diesen Personenkreis klären (vgl. BTDrucks 12/3937, S. 17). Das Bundessozialgericht hatte entschieden (vgl. BSGE 71, 137; vgl. auch schon BSGE 70, 13), dass es gegen höherrangiges Recht verstoße, wenn eine Krankenkasse durch Satzung die fiktiven Mindesteinnahmen des § 240 Abs. 4 SGB V erhöht.

3. Die nachfolgenden Änderungen des § 240 SGB V haben den zur Prüfung gestellten Teil der Regelung nicht betroffen. Eine für die Anwendung des § 240 Abs. 4 SGB V wesentliche Änderung hat sich allerdings durch die Vereinheitlichung der Rechengrößen in der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben. Nach § 309 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a des Gesetzes zur Rechtsangleichung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2657) gilt seit 1. Januar 2001 die so genannte Bezugsgröße West (vgl. § 18 Abs. 1 SGB IV) auch für die neuen Länder. Sie liegt im Jahre 2001 bei 4.480 DM. Daraus errechnen sich fiktive Mindesteinnahmen gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V von derzeit 3.360 DM. Bei einem durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz von 13,5 % ergibt sich damit ein Mindestbeitrag von 453,60 DM monatlich. Für Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld vor Ablauf von sechs Wochen kommt ein erhöhter Beitragssatz zur Anwendung (vgl. § 242 SGB V).

II.

1. Die 1949 geborene Klägerin des Ausgangsverfahrens erkrankte 1952 an Kinderlähmung und erlitt – ebenfalls im Kindesalter – einen Unfall, bei dem sie sich eine Schädel- und Oberschenkelfraktur zuzog. Sie ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt; ihr wurde ein Nachteilsausgleich wegen außergewöhnlicher Gehbehinderung zuerkannt. Im Jahre 1975 erwarb sie die Berechtigung zum Führen eines Taxis und war in der Folgezeit als Taxifahrerin versicherungspflichtig beschäftigt.

Seit 1983 betreibt die Klägerin mit einem Fahrzeug hauptberuflich ein selbständiges Taxigewerbe. Sie ist seitdem bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer Allgemeinen Ortskrankenkasse, als freiwilliges Mitglied mit einem Krankengeldanspruch ab dem 15. Tage der Arbeitsunfähigkeit krankenversichert. In den Jahren 1989 bis 1992 setzte die Beklagte den Beitrag nach dem Durchschnittseinkommen angestellter Taxifahrer fest. Nach dem In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes legte sie mit Wirkung zum 1. März 1993 den monatlichen Beitrag nach der Mindestbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V (1993: 2.782,50 DM) und nach einem wegen des Krankengeldanspruchs erhöhten Beitragssatz auf 518,94 DM fest. Durch Änderungsbescheide wurden die Beiträge in den folgenden Jahren an die geänderten Bezugsgrößen (1994: 3.920 DM; 1995: 4.060 DM) angepasst.

Widerspruch und Klage zum Sozialgericht blieben ohne Erfolg. Gegen dessen Urteil hat die Klägerin beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die der Beitragsbemessung zugrunde liegende Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V sei verfassungswidrig, da sie Selbständige in der gesetzlichen Krankenversicherung benachteilige. Während die Pflichtmitglieder nur nach ihrem Einkommen zu Beiträgen herangezogen würden, müsse sie als freiwilliges Mitglied Mindestbeiträge entrichten.

2. Das Landessozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt,

ob § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes insoweit vereinbar ist, als bei Nachweis niedrigerer Einnahmen mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße pro Kalendertag anzusetzen ist.

Die Berufung sei zulässig, aber unbegründet, wenn § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V angewandt werde. Die Beklagte habe die Beiträge auf der Grundlage dieser Vorschrift zutreffend festgesetzt. Für das Jahr 1993 komme es zwar für die Entscheidung nicht auf die zur Prüfung gestellte Bestimmung an, da die Einnahmen der Klägerin über der Mindesteinnahmengrenze gelegen hätten. Im Jahre 1994 hätten die Einnahmen diese Grenze aber unterschritten. Dies sei auch für 1995 zu erwarten.

Das Gericht weise die Berufung aber nicht zurück, da nach seiner Überzeugung § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V verfassungswidrig sei. Die danach für hauptberuflich Selbständige geltende erhöhte Mindesteinnahmengrenze verletze Art. 3 Abs. 1 GG. Sie sei nach Entstehungsgeschichte, Normzusammenhang und Regelungsgehalt sachlich nicht gerechtfertigt. Die Vorschrift belaste diese Gruppe übermäßig im Vergleich zu anderen freiwilligen Mitgliedern, insbesondere nebenberuflich Selbständigen, für die nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V eine niedrigere Mindestbeitragsgrenze maßgeblich sei. Die unterschiedliche Belastung sei durch Unterschiede in der Leistungsfähigkeit nicht gerechtfertigt.

III.

Zur Vorlage haben das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung sowie der 12. Senat des Bundessozialgerichts Stellung genommen. Beide halten die Vorschrift, insbesondere unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSGE 79, 133), für verfassungsgemäß.

 

Entscheidungsgründe

B.

§ 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Er verletzt weder Art. 3 Abs. 1 GG (I) noch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (II).

I.

Die zur Prüfung vorgelegte Norm verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

1. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er allerdings grundsätzlich berechtigt, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfGE 87, 234 ≪255≫; 100, 59 ≪90≫; stRspr).

2. § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V bewirkt, dass hauptberuflich Selbständige bei Einnahmen unterhalb der in dieser Vorschrift vorgesehenen Mindestbemessungsgrenze mit einem höheren Mindestbeitrag herangezogen werden als die sonstigen freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, bei denen der Gesetzgeber die Mindestbemessungsgrenze niedriger angesetzt hat (§ 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Bei geringen Einnahmen besteht demnach eine mit dem Abstand zur Grenze des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V größer werdende relative Beitragsmehrbelastung der Gruppe der hauptberuflich Selbständigen. Der Unterschied in der Mindestbelastung ist erheblich. Geht man von der für 2001 maßgeblichen Bezugsgröße (4.480 DM) und dem seit 1. Juli 2000 geltenden durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz von 13,5 % aus, so beträgt der monatliche Mindestbeitrag bei Anwendung des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V 201,60 DM. Der Mindestbeitrag der hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen liegt demgegenüber bei 453,60 DM. Unterschiede ergeben sich aber auch bei einem Vergleich mit pflichtversicherten Arbeitnehmern, für die eine Mindestbemessungsgrenze nicht existiert.

3. Diese unterschiedliche Behandlung ist allerdings sachlich gerechtfertigt.

a) Dies gilt zunächst im Verhältnis zu sonstigen freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Festsetzung einer besonderen, „qualifizierten” Mindestbemessungsgrenze in § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V für hauptberuflich Selbständige hat ihren hinreichenden Grund in einer Besonderheit, die sich so bei keiner der sehr unterschiedlichen Gruppen im Anwendungsbereich des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V findet. Die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Einnahmen Selbständiger werden auf einer wesentlich anderen, für die Versicherten grundsätzlich günstigeren Bemessungsgrundlage als die Beiträge der sonstigen freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung berechnet.

aa) Beitragpflichtig ist bei Selbständigen das Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 SGB IV. Arbeitseinkommen ist nach dieser Vorschrift der nach den Allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Gewinn aus selbständiger Tätigkeit (vgl. BSGE 79, 133 ≪138 f.≫). Zur Ermittlung dieses Wertes werden – sofern nicht im Einzelfall bilanziert wird – von den betrieblichen Einnahmen alle betrieblich veranlassten Ausgaben in Abzug gebracht (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG; vgl. auch Heinicke in: Schmidt ≪Hrsg.≫, EStG, 19. Aufl. 2000, § 4 Rn. 520). Beispielsweise können Selbständige den Wertverlust einkommens- und damit beitragsmindernd geltend machen, den langlebige Wirtschaftsgüter während der Dauer ihres Einsatzes zur Gewinnerzielung erleiden (vgl. schon BSG SozR 2200 § 180 RVO Nr. 20). Es gilt also das so genannte Nettoprinzip.

Dagegen werden die Beiträge der sonstigen freiwillig Versicherten im Wesentlichen nach den Bruttoeinnahmen bemessen (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB V; vgl. BSGE 78, 224 ≪226≫); auf das zu versteuernde Einkommen kommt es nicht an. Insbesondere Werbungskosten (vgl. § 9 EStG), die das zu versteuernde Einkommen mindern können, werden bei der Beitragsbemessung nicht berücksichtigt (vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, SozR 2200 § 385 Nr. 15). Es gilt das so genannte Bruttoprinzip.

An diesen Unterschied durfte der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V anknüpfen. Es dient der Herstellung der Beitragsgerechtigkeit, wenn er den der Gruppe der Selbständigen aus den günstigen Grundlagen der Beitragsbemessung erwachsenden Vorteil typisierend durch Festsetzung einer besonderen Mindestbemessungsgrenze ausgleicht (vgl. auch BSGE 79, 133 ≪145≫).

bb) Die Regelung wird überdies von dem legitimen Ziel bestimmt zu verhindern, dass das mit der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit verbundene Unternehmerrisiko über die Beitragsbemessung partiell auf die Solidargemeinschaft überwälzt werden kann. Gleiches gilt für die Auswirkung der grundsätzlich freien Entscheidung des Selbständigen über das Ausmaß des Arbeitseinsatzes auf seine beitragspflichtigen Einnahmen. Der Gesetzgeber darf dafür Sorge tragen, dass die Solidargemeinschaft für den Versicherungsschutz dieser Gruppe bei geringem wirtschaftlichen Erfolg nicht über Gebühr belastet wird.

cc) Die Bemessung nach fiktiven Mindesteinnahmen vermeidet zudem, dass sich praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens auf die Beitragsansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung uneingeschränkt auswirken (vgl. zu solchen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Einkommens von Selbständigen im Unterhaltsrecht BGH, FamRZ 1998, S. 357 ≪359≫). Unsicherheiten können sich insbesondere bei der Erfassung der Betriebseinnahmen und bei der Abgrenzung von betrieblich veranlassten und anderen Ausgaben ergeben (vgl. Klose, NZS 1992, S. 129 ≪134≫). Auch die Ermittlung der erforderlichen Daten erfolgt – anders als bei den Pflichtversicherten (vgl. § 28 e bis § 28 g SGB IV) – ohne Indienstnahme Dritter ausschließlich beim Beitragspflichtigen selbst. Der Gesetzgeber konnte sich aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit und der Verwaltungspraktikabilität für eine Mindesteinnahmengrenze entscheiden, um eine von solchen Unsicherheiten unbelastete Festsetzung der Beiträge jedenfalls bei verhältnismäßig geringen Arbeitseinkommen zu ermöglichen. Dabei durfte er auch berücksichtigen, dass den Krankenversicherungsträgern nur die Feststellung der Höhe der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer durch die Finanzverwaltung zur Verfügung steht und diese Feststellung von ihnen materiell nicht überprüft werden kann.

dd) Die zur Prüfung vorgelegte Norm verletzt auch nicht Art. 3 Abs. 1 GG, soweit haupt- und nebenberuflich Selbständige unterschiedlich behandelt werden. Beide Gruppen unterscheiden sich nach Lebenswirklichkeit und Krankenversicherungsschutz mit der Folge, dass die Höhe des Mindestbeitrags nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V bei nebenberuflich Selbständigen für den zu leistenden Gesamtbeitrag regelmäßig von untergeordneter Bedeutung ist. Diese bilden keine homogene Gruppe. Soweit sie abhängig Beschäftigte sind, deren Arbeitsentgelt die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet, wirkt sich der Mindestbeitrag des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht aus. Erhalten freiwillig Krankenversicherte Unterhalt oder Versorgungsbezüge und verfügen sie über Einnahmen aus nebenberuflich selbständiger Tätigkeit, kann zwar eine Beitragsberechnung nach den fiktiven Mindesteinnahmen dieser Vorschrift nicht völlig ausgeschlossen werden. Dann setzt sich aber für diese Gruppe der Gesamtbeitrag ebenso wie für die Pflichtversicherten mit Mehrfachbezügen (vgl. beispielsweise §§ 226, 237 und 238 SGB V) aus verschiedenen beitragspflichtigen Einnahmen zusammen; im Ergebnis kommt auch hier regelmäßig die allgemeine Mindestbeitragsgrenze des § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht zum Tragen.

b) Auch die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung der Selbständigen und der Pflichtversicherten ist gerechtfertigt. Hier gelten im Wesentlichen dieselben Erwägungen wie im Vergleich zur Gruppe der freiwillig Versicherten, deren Mindestbemessungsgrenze sich nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V bestimmt. Die Anknüpfung der Mindestbeitragsbemessung für Selbständige an die Bezugsgröße des § 18 SGB IV ist geeignet, deren Beiträge bei geringen Einnahmen an die durchschnittliche Beitragsbelastung der abhängig Beschäftigten anzunähern (vgl. auch § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Diese erzielen bei Ausübung einer hauptberuflichen Beschäftigung überwiegend ein Arbeitsentgelt, das mindestens in der Höhe der Mindesteinnahmengrenze oder über dieser liegt (vgl. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ≪Hrsg.≫, VDR Statistik Versicherte 1998/1999, Band 135, 2001, S. 143 f.). Damit werden nach der zur Prüfung gestellten Vorschrift die Beiträge der Selbständigen wenigstens auf Grund von Einnahmen in solcher Höhe bemessen, aus denen auch abhängig Beschäftigte ihre Beiträge entrichten.

c) Die Mindesteinnahmengrenze des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V ist auch der Höhe nach gerechtfertigt. Bei deren Bestimmung hat der Gesetzgeber den Einschätzungsspielraum nicht überschritten, über den er verfügt, wenn er eine typisierende Regelung in der Gestalt eines sozialversicherungsrechtlichen Grenzwertes schafft. Die Anknüpfung an die so genannte Bezugsgröße ist sachgerecht gewählt. Diese ist nach § 18 Abs. 1 SGB IV das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung; es umfasst auch die Arbeitsentgelte teilzeitbeschäftigter Versicherter. Werden die fiktiven Mindesteinnahmen eines hauptberuflich Selbständigen – wie in § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V – mit drei Vierteln dieses Durchschnittsentgelts bestimmt, schließt eine solche Regelung diesen Personenkreis nicht von der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Da die soziale Krankenversicherung eine individuelle Risikoprüfung nicht kennt, erhalten insbesondere ältere sowie gesundheitlich beeinträchtigte Personen, aber auch solche, die Angehörige mit Berechtigung zur Familienversicherung haben, selbst bei Anwendung der Mindestbemessungsgrenze beitragsgünstigen Versicherungsschutz (vgl. BSGE 79, 133 ≪143≫). Andererseits ist sichergestellt, dass die grundsätzlich versicherungsfreien Selbständigen, wenn sie sich für eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung entscheiden, einen angemessenen Beitrag zur Absicherung ihres Krankheitsrisikos leisten.

d) Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht gehalten, die Beitragsbelastung der Selbständigen mit geringen Arbeitseinkommen, wie etwa von Kleingewerbetreibenden, Existenzgründern oder Berufsanfängern, durch eine Härteklausel zu mildern.

Er hat auch bei dieser Gruppe grundsätzlich die durch das Gesamteinkommen geprägte Leistungsfähigkeit des Einzelnen als maßgebliches Kriterium für die Beitragsbemessung gewählt und nur um die Mindesteinnahmenregelung ergänzt. Ihn verfassungsrechtlich zu verpflichten, unterhalb dieser Bemessungsgrenze zu differenzieren (vgl. schon §§ 226, 240, 250 f. SGB V), würde den Erlass typisierender Vorschriften ausschließen, die bei der Ordnung der Sozialversicherung als Massenverwaltung im Beitragsrecht unverzichtbar sind. Mit weiteren typisierenden Merkmalen wäre der einzelne Härtefall zudem schwerlich zu fassen; sie würden neue Fragen der Gleichbehandlung aufwerfen. Dies würde erst recht bei Einräumung eines Einzelfallermessens der Verwaltung gelten. Die Aufnahme einer Härteklausel in das Gesundheitsstrukturgesetz begründete auch die Gefahr, dass die von legitimen gesetzgeberischen Erwägungen getragene Mindesteinnahmengrenze weitgehend wirkungslos bliebe.

Es ist verfassungsrechtlich auch nicht geboten, im Beitragsrecht eine Härteklausel vorzusehen, die hauptberuflich Selbständigen mit geringem Arbeitseinkommen die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wirtschaftlich ermöglicht. Der Gesetzgeber darf Personen, die zur Aufbringung von Mindestbeiträgen auf der Grundlage des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V nicht in der Lage sind, auf das subsidiäre System der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts durch Leistungen auf Grund des Bundessozialhilfegesetzes verweisen.

II.

Auch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ist durch die zur Prüfung gestellte Regelung nicht verletzt.

1. Die Einführung der Mindestbeitragsgrenze in § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz greift mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlichrechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestaltet dieses zum Nachteil für die bereits versicherten Selbständigen um (vgl. auch BVerfGE 97, 271 ≪287 f.≫; 102, 68 ≪96 f.≫). Die Regelung passt deren Beiträge nicht etwa nur an gestiegene Aufwendungen in der gesetzlichen Krankenversicherung an, sondern ändert die beitragsrechtliche Bemessungsgrundlage zu ihren Lasten. Solche Regelungen, die mit Wirkung für die Zukunft in bestehende Rechtspositionen eingreifen, entfalten eine unechte Rückwirkung. Sie sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪389≫; 101, 239 ≪263≫).

2. Diesen Anforderungen genügt die zur Prüfung gestellte Vorschrift. Die mit ihr verfolgten öffentlichen Belange überwiegen das Interesse des Einzelnen am Fortbestand des bisherigen Rechts. Der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen gehalten, die Beitragsbemessung derjenigen von der Anwendung des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V auszunehmen oder schrittweise an die neue Rechtslage anzupassen, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesundheitsstrukturgesetzes bereits als Selbständige Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung waren.

a) Das Vertrauen der Versicherten, insbesondere der älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, auf den Fortbestand einer günstigen Rechtslage ist in der Regel hoch einzuschätzen (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪389≫; m.w.N.).

Allerdings ist dieses Vertrauen nur eingeschränkt schutzwürdig, da die ihm zugrunde liegende Rechtslage nicht für die Zukunft gesichert erscheinen konnte. Die gesetzlichen Krankenkassen haben in den 80er Jahren versucht, von den freiwilligen Mitgliedern und insbesondere der Gruppe der Selbständigen durch entsprechende Satzungsregelungen höhere Mindestbeiträge zu erlangen (vgl. BSG SozR 2200 § 180 Nr. 49; BSGE 70, 149; 71, 137; Gerlach in: Hauck/Noftz ≪Hrsg.≫, SGB V, Bd. 2, K § 240 Rn. 54 ≪Bearbeitungsstand: August 2000≫). Diese Versuche, eine größere Beitragsgerechtigkeit durchzusetzen, wurden zwar von der Rechtsprechung wegen fehlender gesetzlicher Ermächtigung für rechtswidrig erklärt (vgl. oben A I 2). Die Betroffenen konnten aber nicht ausschließen, dass der Gesetzgeber dem Anliegen der Kassen Rechnung tragen würde, das allein auf der Grundlage des Satzungsrechts zu verfolgen war.

b) Jedenfalls überwiegen im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung die mit der Regelung verfolgten öffentlichen Belange. Dies gilt – wie oben dargestellt – in besonderem Maße für die Herstellung der Beitragsgerechtigkeit. Auch trägt die Regelung als Teil eines im Gesundheitsstrukturgesetz enthaltenen Bündels von Maßnahmen zur Erhöhung der Beitragseinnahmen und damit zur Erhaltung der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung bei (vgl. BVerfGE 82, 209 ≪230≫; BVerfG, NJW 2001, S. 1779 ≪1780≫). Diese Gemeinwohlziele zur Geltung zu bringen, wäre dem Gesetzgeber nicht oder nicht in genügendem Maße gelungen, hätte er die von der Neuregelung des § 240 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V bei deren In-Kraft-Treten betroffenen Versicherten verschont. Seit dem Gesundheits-Reformgesetz haben Selbständige im Grundsatz keinen originären Zugang mehr zur gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. oben A I 1). Daher hätte eine solche Übergangsvorschrift die Anwendbarkeit der Mindestbemessungsgrenze auf die große Mehrheit der Selbständigen für die Zukunft ausgeschlossen.

 

Unterschriften

Papier, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem, Bryde

 

Fundstellen

Haufe-Index 1251229

BVerfGE, 392

DB 2001, 1507

DStR 2001, 1448

DStZ 2001, 607

NJW 2001, 2786

NWB 2001, 2587

ZAP 2001, 1016

MDR 2001, 996

SGb 2001, 625

BGBl. I 2001, 1879

SozSi 2001, 322

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