Entscheidungsstichwort (Thema)

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Höchstbetrag des Real-Splittings im Jahre 1983 verfassungsgemäß

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der erst und nur dann zulässig ist, wenn ein anders nicht mehr zu behebender Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden soll. Es entspricht daher der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, daß vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren.

2. Der im Jahre 1983 geltende Höchstbetrag für das gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zulässige, begrenzte Real-Splitting lag über den als Maßstab für die betragsmäßige Eingrenzung derartiger Unterhaltsleistungen in Betracht kommenden Regelsätzen der Sozialhilfe und war verfassungsgemäß.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BVerfGG § 90 Abs. 2; EStG 1983 § 10 Abs. 1 Nr. 1

 

Gründe

1. Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der erst und nur dann zulässig ist, wenn ein anders nicht mehr zu behebender Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden soll. Teilt das mit der Sache befaßte Gericht die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, so wird es von sich aus die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 GG einholen. Unterbleibt diese Vorlage, so ist dem Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde nach Rechtswegerschöpfung unbenommen.

Nur eine solche einschränkende Auslegung entspricht dem Grundgedanken des § 90 Abs. 2 BVerfGG und dem Zweck der Verfassungsbeschwerde. Im Hinblick auf den umfassenden Rechtsschutz durch die Gerichte soll sie nicht einen wahlweisen Rechtsbehelf neben den sonstigen Rechtswegen gewähren, sondern erst und nur dann zulässig sein, wenn sie trotz Erschöpfung der regelmäßigen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung einer Grundrechtsverletzung erforderlich wird (vgl. BVerfGE 1, 97 ≪103≫).

Es entspricht der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, daß vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren (vgl. BVerfGE 47, 144 ≪145≫: 68, 376 ≪380≫). Das Bundesverfassungsgericht kann gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG zwar ausnahmsweise vor Erschöpfung des Rechtsweges entscheiden. Über die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen hinaus hat das Bundesverfassungsgericht für eng begrenzte Fälle unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ebenfalls im Einzelfall eine Vorabentscheidung zugelassen (vgl. BVerfGE 22, 349 ≪355≪; 68,376 ≪380≫). Danach kann eine Rechtswegerschöpfung entbehrlich sein, wenn im Hinblick auf eine gefestigte jüngere und einheitliche Rechtsprechung auch im konkreten Einzelfall keine von dieser Rechtsprechung abweichende Erkenntnis zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 9, 3 ≪7≫; 61, 319 ≪341≫).

Das Bundesverfassungsgericht ist aber auch bei Vorliegen einer dieser Voraussetzungen nicht verpflichtet, vorab zu entscheiden. Wortlaut und Sinn des § 90 Abs. 2 BVerfGG gebieten vielmehr, daß das Bundesverfassungsgericht auch andere für oder gegen eine Sofortentscheidung sprechende Umstände gegeneinander abwägt (vgl. BVerfGE 8. 222 ≪227, 228≫).

Ein wesentlicher Aspekt im Rahmen dieser Abwägung ist, daß bei der Vielzahl anhängiger Verfahren, die wichtige verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen, sich die über § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG erreichbare zeitliche Bevorzugung nur rechtfertigen läßt, wenn sie unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der übrigen Verfahren offensichtlich geboten ist (vgl. BVerfGE 8, 38 ≪40≫).

2. Zu dem von der Verfassungsbeschwerde verfolgten, allerdings im Verwaltungsverfahren bisher nicht geltend gemachten Begehren, auch dauernd getrennt lebenden Ehegatten den für zusammenveranlagte Ehegatten anwendbaren Splitting-Tarif zu eröffnen, hat das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung 61, 319 ≪345≫ klargestellt, daß dies verfassungsrechtlich nicht geboten sei. Bezüglich der weiteren Problematik, in welchem Umfang tatsächlich geleistete freiwillige Unterhaltszahlungen beim Unterhaltsverpflichteten abgezogen werden können. hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 67, 290 ≪297≫) festgestellt, daß entsprechend dem aus Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmenden Gebot der Steuergerechtigkeit, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten sei (vgl, auch BVerfGE 61, 319 ≪343≫; 66, 214 ≪222≫). Danach können auch solche Ausgaben einkommensteuerhch von Bedeutung sein, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung– also im privaten Bereich – anfallen und für den Steuerpflichtigen unvermeidbar sind. Für die steuerliche Berücksichtigung solcher unabweisbaren, zwingenden Unterhaltsverpflichtungen dürfen keine realitätsfremden Grenzen gezogen werden. Als Maßstab für die betragsmäßige Eingrenzung derartiger Unterhaltsleistungen kommen die Regelsätze der Sozialhilfe in Betracht.

Der im Jahre 1983 geltende Höchstbetrag von 9000,– DM für das gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zulässige begrenzte Real-Splitting lag erkennbar über diesem Regelsatz. Die genauere, an der erwähnten jüngeren Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung orientierte Ermittlung des Umfangs berücksichtigungsfähiger Unterhaltszahlungen, sowie die Entwicklung geeigneter Kriterien und Maßstäbe obliegen auch den Fachgerichten im Rahmen der vom Beschwerdeführer anzuregenden verfassungsrechtlichen Überprüfung der seiner Einkommensteuerveranlagung zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmungen.

Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung betont, daß die fachgerichtliche Vorprüfung ihm ein in regelmäßig mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreiten und die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere der oberen Bundesgerichte vermitteln solle.

Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte und auch unter Beachtung der Tatsache, daß das Einkommensteuergesetz feste Freibeträge (vgl. § 33a Abs. 1 EStG) bzw. Höchstbeträge (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG) enthält, könne von der Notwendigkeit, den Rechtsweg zuvor auszuschöpfen, nicht abgesehen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1567794

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