Entscheidungsstichwort (Thema)

Bürgschaftsleistungen eines Freiberuflers als Betriebsausgabe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Zugehörigkeit einer Schuld – hier einer Bürgschaftsverbindlichkeit – wird ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt. Deshalb gehören Schulden, unabhängig von der Art der Gewinnermittlung entweder zum notwendigen Betriebsvermögen oder zum (notwendigen) Privatvermögen.

2. Soweit die Gerichte Bürgschaftsleistungen gem. § 4 Abs. 4 EStG bei Freiberuflern nicht als beruflich veranlaßt angesehen haben, weil derartige Leistungen im Regelfall nicht deren Berufsbild entsprechen und der einkommensteuerrechtliche Begriff der Betriebsausgaben und des notwendigen Betriebsvermögens nicht umfangreicher sein kann als der durch das jeweilige freiberufliche Berufsbild geprägte einkommensteuerrechtliche Begriff des Betriebes eines freien Berufes, ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

3. Wenn einkommensteuerrechtlich Aufwendungen im Zusammenhang mit sog. Geldgeschäften bei Freiberuflern lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände der Einkunftsart der selbständigen Berufstätigkeit zugerechnet werden, so wird hierdurch weder nach der gesetzlichen Regelung noch nach den tatsächlichen Auswirkungen in die freie Berufsausübung eingegriffen (hier: von Rechtsanwälten als unabhängiges Organ der Rechtspflege umfassend in Rechtsangelegenheiten aller Art zu beraten).

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 1, 3-4, § 5 Abs. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 16.07.1987; Aktenzeichen IV R 12/85)

FG Münster (Urteil vom 27.09.1984; Aktenzeichen IX 2706/82 F)

 

Gründe

Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

1. a) Die im Einkommensteuerrecht umstrittene Frage, ob und ggf. in welchem Umfang bei der Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschuß-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG auch gewillkürtes Betriebsvermögen gebildet werden kann (vgl. Kirchhof/ Söhn, EStG, § 4 A 164, 175, B 17 ff.), stellt sich hier nicht; denn die Zugehörigkeit einer Schuld – hier einer Bürgschaftsverbindlichkeit – wird ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt. Deshalb gehören Schulden, unabhängig von der Art der Gewinnermittlung (§§ 4 Abs. 1, 4 Abs. 3, 5 Abs. 1 EStG) entweder zum notwendigen Betriebsvermögen oder zum (notwendigen) Privatvermögen (vgl. BFH, BStBl. II 1985, 510 ≪512≫). Gegen diesen Grundsatz bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

b) Soweit die Gerichte in Übereinstimmung mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Bürgschaftsleistungen gemäß § 4 Abs. 4 EStG deshalb nicht als beruflich veranlaßt gesehen haben, weil derartige Leistungen im Regelfall nicht dem Berufsbild der freien Berufe entsprechen und der einkommensteuerrechtliche Begriff der Betriebsausgaben und des notwendigen Betriebsvermögens nicht umfangreicher sein kann als der durch das jeweilige freiberufliche Berufsbild geprägte einkommensteuerrechtliche Begriff des Betriebes eines freien Berufes (vgl. BFH, BStBl. II 1984, 129 ≪131≫; 1985, 517 ≪518≫; Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 4 B 20), ist dies ebenfalls von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

c) § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG knüpft bei der Abgrenzung und der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit u.a. an das Berufsbild des Rechtsanwalts an, wie es in der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959 (BGBl. I S. 565) und dem hierzu entwickelten Standesrecht umschrieben ist. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, alle Einzelheiten der Berufsausübung im Gesetz zu regeln (vgl. BVerfGE 54, 237 ≪246 f.≫).

d) Abgabenrechtliche Vorschriften sind nur dann an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, wenn sie infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes stehen und – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen (vgl. BVerfGE 16, 147 ≪162 f.≫; 38, 61 ≪79≫). Rechtliche Normierungen können Art. 12 Abs. 1 GG freilich auch dann berühren, wenn sie nicht „gezielt” in die Berufsfreiheit eingreifen, sondern in ihrer tatsächlichen Auswirkung geeignet sind, diese zu beeinträchtigen (BVerfGE 46, 120 ≪137 f.≫; 47, 1≪21≫). In aller Regel fehlt es bei den allgemeinen Steuergesetzen an diesen Voraussetzungen.

Wenn im Einkommensteuerrecht Aufwendungen im Zusammenhang mit sog. Geldgeschäften bei Freiberuflern lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände der Einkunftsart der selbständigen Berufstätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zugerechnet werden, so wird hierdurch weder nach der gesetzlichen Regelung noch nach den tatsächlichen Auswirkungen in die freie Berufsausübung der Rechtsanwälte eingegriffen, als unabhängiges Organ der Rechtspflege umfassend in Rechtsangelegenheiten aller Art zu beraten (§ 3 Abs.1 BRAO; BVerfGE 38, 105 ≪119≫).

e) Die Abgrenzung der einzelnen Einkunftsarten voneinander und die Annahme der Voraussetzungen für den Abzug der Bürgschaftsleistungen als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten betrifft im übrigen eine Frage des einfachen Rechts, die grundsätzlich nicht der verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. BVerfGE 21, 209 ≪216≫). Die engere, auf den freien Beruf abgestellte Abgrenzung des Betriebsvermögens vom (notwendigen) Privatvermögen ist auch nicht sachfremd, da die Gerichte im Ausgangsverfahren der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend auf den objektiven Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit im Einzelfall abstellen (vgl. Nichtannahmebeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Mai 1969 – 1 BvR 228/69 –, HFR 1969, 346, 347).

Im konkreten Fall sind auch keine sonstigen unhaltbaren, sachfremden Erwägungen erkennbar (vgl. BVerfGE 70, 93 ≪97≫). Der Gegenstand der in Konkurs geratenen GmbH, an welcher sich der Beschwerdeführer zu 3) beteiligt hatte, lag offensichtlich auf allgemeinem wirtschaftlichem Gebiet. Wenn die Gerichte besondere Umstände nicht haben feststellen können, die – ausnahmsweise – eine hinreichende Verknüpfung der Bürgschaftszahlungen mit der von den Beschwerdeführern ausgeübten anwaltlichen Tätigkeit begründen konnten, so ist dies von Verfassungs wegen unbedenklich. Finanzgericht und Bundesfinanzhof haben bei ihrer Würdigung erkennbar nicht auf eine mögliche Standeswidrigkeit abgestellt.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1556547

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