Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliches Bekanntwerden von Tatsachen. grobes Verschulden des steuerlichen Beraters

 

Leitsatz (redaktionell)

Daß der Steuerpflichtige sich im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ein grobes Verschulden eines von ihm zur Erfüllung seiner steuerlichen Verpflichtungen hinzugezogenen Angehörigen der steuerberatenden Berufe am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; insbesondere ist das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht verletzt.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 17.11.1983; Aktenzeichen VIII R 117/80)

 

Gründe

Die von den Gerichten des Ausgangsverfahrens in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung (vgl. die Nachweise bei Tipke/Kruse, AO, 11. Aufl., § 173, Tz. 31, S. 52/9) vertretene Auffassung, der Steuerpflichtige müsse sich im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ein grobes Verschulden eines von ihm zur Erfüllung seiner steuerlichen Verpflichtungen hinzugezogenen Angehörigen der steuerberatenden Berufe am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen wie eigenes Verschulden zurechnen lassen, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie verletzt die Beschwerdeführerin insbesondere nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO verleiht im Widerstreit der Prinzipien der Rechtssicherheit und der materialen Gerechtigkeit in Ausnahmefällen letzterer den Vorrang. Es unterliegt daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Gerichte des Ausgangsverfahrens die Durchbrechung des Grundsatzes der Bestandskraft von Steuerbescheiden an enge Voraussetzungen knüpfen und bei der Zurechnung des groben Verschuldens eines zur Fertigung der Steuererklärungen hinzugezogenen Angehörigen der steuerberatenden Berufe auf die auch im Steuerrecht Anwendung findenden bürgerlich-rechtlichen Grundsätze zurückgreifen, um ein Ausufern der Durchbrechung der Bestandskraft zu vermeiden. Das – von §§ 110 Abs. 1 Satz 2 und 152 Abs. 1 Satz 3 AO abweichende – Fehlen einer ausdrücklichen Vorschrift über die Zurechnung des Verschuldens in § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zwingt von Verfassungs wegen nicht zu der Annahme, die Zurechnung widerspreche dem Willen des Gesetzgebers. Im Hinblick auf die heute weit verbreitete Einschaltung von Angehörigen der steuerberatenden Berufe bei der Erstellung von Steuererklärungen ginge die Begrenzung der nachträglichen Änderung von Steuerbescheiden durch § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO weitgehend ins Leere, wenn dem Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden seines Beraters nicht zugerechnet werden könnte. Daß dies dem Willen des Gesetzgebers nicht entspräche, liegt nahe.

Die Würdigung des Versäumnisses des Steuerbevollmächtigten des verstorbenen Ehemannes der Beschwerdeführerin als grobes Verschulden ist als Anwendung einfachen Rechts grundsätzlich den Fachgerichten vorbehalten und läßt keine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts und des Umfangs seines Schutzbereichs erkennen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; st. Rspr.). Es ist insbesondere frei von Willkür, wenn die Gerichte das mehrjährige Unterlassen des Steuerbevollmächtigten, sich nach der von der Arbeitgeberin des Ehemannes der Beschwerdeführerin gewählten Art der Zukunftssicherung zu erkundigen, als grob pflichtwidrig erachtet haben.

Eine Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht erkennbar.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1619403

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