Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger anstelle der sog. Halbwaisenrente die höhere Vollwaisenrente zusteht.

Der 1974 geborene Kläger bezieht nach seinem 1975 verstorbenen Vater (Versicherter) Halbwaisenrente von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA). Am 28. Juli 1981 starb auch seine Mutter. Sein damaliger Vormund, der beigeladene Kreisausschuß des Kreises St. - Jugendamt - stellte keinen Antrag auf Gewährung der Vollwaisenrente. Durch Beschluß des Amtsgerichts (AG) Elmshorn vom 27. August 1982 wurde der Kläger mit Wirkung vom 15. September 1982 adoptiert. Die Adoptiveltern beantragten im Oktober 1982 bei der Beklagten Vollwaisenrente aus der Versicherung der verstorbenen leiblichen Mutter sowie die Umwandlung der Halbwaisenrente in eine Vollwaisenrente. Nachdem die Beklagte bescheidmäßig festgestellt hatte, daß die Vollwaisenrente aus der Versicherung der leiblichen Mutter bestehe, aber ruhe, lehnte sie mit dem streitigen Bescheid vom 7. April 1983 und Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1983 die Umwandlung der Halbwaisenrente nach dem Versicherten in eine Vollwaisenrente ab. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 26. April 1984 unter Aufhebung der streitigen Bescheide verpflichtet, dem Kläger Vollwaisenrente ab 1. Oktober 1982 zu gewähren; das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit der angefochtenen Entscheidung vom 3. September 1985 zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für die Umwandlung der Halbwaisen - in die höhere Vollwaisenrente (§ 1269 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) seien vor der Annahme des Klägers durch die Adoptiveltern mit dem Tod der leiblichen Mutter erfüllt gewesen und somit nach § 1755 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch die spätere Adoption unberührt geblieben. Zwar sei gemäß § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO die erhöhte Rente erst ab Beginn des Antragsmonats zu gewähren. Dieser Antrag sei aber keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Waisenrentenanspruchs. Selbst wenn dem Antrag materiell-rechtliche Bedeutung beigemessen werde, verschiebe sich bei verspätetem Antrag nur die Auszahlung der Rente zu Ungunsten des Berechtigten. Anspruchsberechtigung und Leistungsbeginn seien indessen insbesondere bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen wie Rentenzahlungen zu unterscheiden. Der Leistungsbeginn betreffe die monatlich eintretende Fälligkeit der einzelnen Rentenzahlungen, er beruhe jedoch nicht die Entstehung des Rentenanspruchs als Stammrecht. Für die Vollwaisenrente lägen sämtliche materiell-rechtlichen Voraussetzungen mit dem Tode des zweiten Elternteiles vor. Für diese Auffassung spreche auch, daß es sich bei der Waisenrente um eine einheitliche, auf einem Versicherungsfall beruhende Rente handele, bei der nur der Höhe nach zwischen Halb- und Vollwaisen unterschieden werde. Da dem ursprünglichen Halbwaisenrentenanspruch ein verfahrensrechtlicher Antrag zugrunde gelegen habe, sei die Annahme inkonsequent, die den Erhöhungstatbestand auslösende Antragstellung wirke anspruchsbegründend betreffe also die Entstehung der einheitlichen Waisenrente.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Nur wenn der Rentenbeginn vor dem Wirksamwerden der Adoption liege, sei der Anspruch auf die erhöhte Rente einer Vollwaise bis zur Annahme als Kind entstanden und bleibe nach § 1755 Abs. 1 Satz 2 BGB von der Adoption unberührt. Nach § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO habe der Leistungsantrag nicht allein verfahrensrechtliche Bedeutung, sondern sei materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs i.S. des § 40 Abs. 1 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB 1). In diesen Fällen, also auch bei Umwandlung der Waisenrente in die erhöhte Rente einer Vollwaise, entstehe der Anspruch erst durch den Antrag, und zwar rückwirkend mit Beginn des Antragsmonats, sofern der Antrag nach Ablauf des Monats, in dem "die sonstigen Voraussetzungen erfüllt" seien, gestellt werde. Selbst wenn man dem Erhöhungsantrag mit dem LSG materiell-rechtliche Bedeutung nur für den Rentenbeginn beimesse, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Dem Anspruch auf Waisenrente liege ein einheitliches Stammrecht zugrunde. Die Vollwaiseneigenschaft könne daher Rechtswirkungen nur hinsichtlich der Höhe der aus diesem Stammrecht fließenden Einzelleistungsansprüche entfalten; der Erhöhungstatbestand stelle keinen neuen Versicherungsfall dar und begründe kein neues Stammrecht. Die Einzelleistungsansprüche auf die erhöhte Rente entstünden daher erst mit Antragstellung. Die Wirkung des Antrags nach § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO sei deshalb nicht auf die Fälligkeit beschränkt.

Die Beklagte beantragt

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. September 1985 sowie das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 26. April 1984 aufzuheben und die Klageabzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, daß dem Kläger mit Wirkung vom 1. Oktober 1982 Vollwaisenrente aus der Versicherung seines leiblichen Vaters zusteht.

Nach § 1267 Abs. 1 Satz 1 RVO - jetzt in der Fassung des Adoptionsanpassungsgesetzes vom 24. Juni 1985 (BGBl. I 1144) - erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Waisenrente. § 1269 Satz 1 RVO bestimmt, daß die Waisenrente bei Halbwaisen ein Zehntel, bei Vollwaisen ein Fünftel der nach § 1253 Abs. 2 RVO berechneten Versichertenrente ohne Kinderzuschuß zuzüglich Rententeilen aus der Höherversicherung beträgt. Die Begriffe "Halbwaise" und "Vollwaise" sind im Gesetz nicht näher umschrieben. Die Rechtsprechung hat ihre Bedeutung daher dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommen und unter Vollwaise ein Kind, das beide Eltern verloren hat, oder ein "elternloses Kind" verstanden (BSGE 10, 189, 191; 16, 110, 111 = SozR Nr. 3 zu § 1269 RVO); sie hat aber in die Auslegung auch den Sinn und Zweck der Norm sowie deren Entstehungsgeschichte einbezogen, derzufolge die durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze 1957 eingeführte unterschiedliche Höhe von Halb- und Vollwaisenrente damit begründet worden war, daß den Vollwaisen die höhere Rente gewährt werden sollte, weil sie den bei Halbwaisen gegebenen Unterhaltsanspruch gegen den überlebenden Elternteil nicht haben (BT-Drucks. 212437 S. 77 zu § 1273 des Regierungsentwurfs). Dementsprechend ist ein Kind, das beide leiblichen Eltern verloren hatte, dessen Adoptivmutter aber lebte, nicht als Vollwaise angesehen worden (BSGE 16, 110 f. SozR Nr. 3 zu § 1269 RVO). Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, daß der Kläger, als er nach seinem Vater am 28. Juli 1981 auch seine leibliche Mutter verlor, zunächst Vollweise i.S. des § 1269 RVO geworden war. Andererseits ist aber mit dem Wirksamwerden des amtsgerichtlichen Annahmebeschlusses (sogenanntes Adoptionsdekret) - nach den Feststellungen des LSG am 15. September 1982 - zugleich seine Vollwaiseneigenschaft erloschen. Dieses Ergebnis hätte die Rechtsprechung früher - wie dargelegt - aus dem Sinn und Zweck des § 1269 RVO gewonnen und dabei eine gewisse Diskrepanz zu den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über die Annahme an Kindes Statt (Hinweis auf § 1764 BGB) in Kauf nehmen müssen. Jetzt dagegen - seit der völligen Neugestaltung der §§ 1741 bis 1772 BGB durch das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 (BGBl. I 1749) und dem damit verwirklichten Grundsatz der Volladoption - ergibt sich dies unmittelbar aus dem Gesetz. Denn der Kläger hat mit dem Annahmebeschluß nicht nur die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen ehelichen Kindes der annehmenden Ehegatten erlangt (§ 1754 Abs. 1 i.V.m. § 1752 Abs. 1 BGB), sondern es sind gleichzeitig auch das Verwandtschaftverhältnis zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten erloschen (§ 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Hinsichtlich des Fortbestandes erworbener Rechtspositionen enthält § 1755 Abs. 1 Satz 2 BGB eine ergänzende Regelung, die für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs entscheidend ist. Danach werden Ansprüche des Kindes, die bis zur Annahme entstanden sind, insbesondere auf Renten, Waisengeld und andere entsprechende wiederkehrende Leistungen, durch die Annahme nicht berührt; dies gilt nicht für Unterhaltsansprüche. Das bedeutet für den konkreten Fall:

Ist der Anspruch des Klägers auf die - höhere - Vollwaisenrente bis zum 15. September 1982 entstanden gewesen, so bleibt er bestehen: die beantragte Rente muß also gewährt werden (vgl. den inzwischen durch das Adoptionsanpassungsgesetz angefügten Absatz 3 des § 1267 RVO: Durch die Annahme der Waise als Kind bleibt ein Anspruch auf Waisenrente, der bis zur Annahme entstanden ist, unberührt). Um das beantworten zu können, muß zunächst geklärt werden, was unter "Ansprüche (n) … auf Renten … und andere wiederkehrende Leistungen" i.S. des § 1755 Abs. 1 Satz 2 BGB zu verstehen ist. In Übereinstimmung mit dem bürgerlichen Recht, das die Leibrente (§§ 755 ff. BGB) u.a. als "Stammrecht, das den Anspruch auf Einzelleistungen hervorbringt" (RG in JW 1918 S. 37) definiert hat, ist auch in der gesetzlichen Rentenversicherung schon früh zwischen dem "Rentenanspruch als solchem" oder dem "Recht auf Rente an sich" auf der einen Seite und dem "Recht auf die einzelne fällige Leistung" andererseits (Entscheidung des Bayerischen Landesversicherungsamtes vom 27. März 1914 in EuM Bd 4 S. 9) unterschieden worden (weitere Nachweise und Einzelheiten vgl. Malkewitz, Zur Systematik des Rentenanspruches in den gesetzlichen Rentenversicherungen, DRV 1963, S. 10). Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Unterscheidung des Stammrechts (Grundanspruch, Gesamtanspruch) von dem Recht auf jeweils fällig werdende Einzelleistungen übernommen (vgl. für die Krankenversicherung, Anspruch auf Krankengeld, BSGE 5, 4, 6; zum Rentenanspruch 2.B. BSGE 23, 62 f. = SozR Nr. 8 zu § 29 RVO; BSGE 34, 1, 4, 13 = SozR Nr. 24 aaO; SozR 2200 § 1291 Nr. 14).

Diese Unterscheidung ist für den anhängigen Rechtsstreit deshalb von Bedeutung, weil der Grundanspruch bereits mit der Erfüllung sämtlicher gesetzlicher Voraussetzungen, und zwar - wie noch auszuführen sein wird - in der Regel unabhängig vom Antrag entsteht, der Anspruch auf die erste Einzelleistung jedoch regelmäßig erst später, nämlich wenn die Rente beginnt (§ 1290 RVO; VDR-Komm, Stand 1. Januar 1985, Anm. 2 zu § 40 SGB 1; Malkewitz aaO S. 15 f.; Bley in SGB - SozVers - GesKomm I, § 40 Anm. 4 d, bb und cc m.w.N.); außerdem entstehen die folgenden Einzelansprüche jeweils erneut mit dem Monatsersten (§ 1297 RVO; Malkewitz a.a.O.; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, Stand 1. Juni 1986, Anm. II und III zu § 40 SGB 1; Bley a.a.O.). Hiernach können mit den in § 1755 Abs. 1 Satz 2 BGB genannten "Ansprüchen auf Renten und andere entsprechende wiederkehrende Leistungen" nicht die Ansprüche auf jeweilige Einzelleistungen, sondern nur Grundansprüche gemeint sein. Denn wenn ein entstandener Anspruch durch die Adoption nicht berührt werden, also gleichwohl fortbestehen soll, dann kann es sich nur um ein "Dauerrecht" handeln, das nicht jeden Monat neu entsteht; es wäre sinnwidrig, den monatlichen Einzelanspruch als Rechtsposition schützen zu wollen. Die Entstehungsgeschichte zu § 1755 Abs. 1 Satz 2 BGB bestätigt diese Auffassung. Danach blieben zur Erleichterung der Adoption Rechte unangetastet, die Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen "vermitteln" (vgl. BT-Drucks. 7/3061 S 74 f.; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, § 62 IX S. 997).

Der Anspruch im Sinne des Stammrechts auf Vollwaisenrente nach dem Versicherten ist mit dem Tode der Mutter des Klägers (28. Juli 1981) entstanden. Denn mit dem Tod des zweiten, überlebenden Elternteils war die zusätzliche Voraussetzung eingetreten, an deren Erfüllung das Gesetz die Berechtigung auf die höhere Vollwaisenrente knüpft. Die hiergegen vorgetragene Argumentation der Beklagten, der Waisenrente liege ein einheitliches, schon nach dem Tode des Versicherten entstandenes Stammrecht zugrunde, der Eintritt der Vollwaiseneigenschaft beruhe auf keinem neuen Versicherungsfall und begründe deshalb kein neues Stammrecht, sondern entfalte nur Wirkungen hinsichtlich der Höhe der Einzelleistungen, überzeugt nicht; auch dem LSG kann insoweit nicht gefolgt werden, als es sich bei Halb - und Vollwaisenrente um eine "einheitliche Rente" mit lediglich unterschiedlicher Höhe handeln solle. Zwar mag es sein, daß dann, wenn aus derselben Versicherung - hier derjenigen des leiblichen Vaters - anstatt der - bisherigen - Halbwaisenrente Vollwaisenrente gewährt, die Rente also in diesem Sinne "erhöht" oder "umgewandelt" wird (so z.B. Zweng/ Scheerer/ Buschmann a.a.O. § 1290 RVO, Anm. V 5 S. 13), der Tod des zweiten Elternteils nicht, zumindest nicht ohne weiteres, als Versicherungsfall zu werten ist. Unbestreitbar hängt aber der Übergang von der Halb- zur Vollwaisenrente von der Erfüllung einer zusätzlichen Anspruchsvoraussetzung ab, und es entsteht hierdurch das Recht auf eine höhere, auf eine andere Rente. Wenn man die einzelnen monatlichen Rentenbeträge als Früchte eines Stammrechts versteht, nämlich als "Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt" (§ 99 Abs. 2 BGB), so wird man zwingend folgern müssen, daß die unterschiedlichen Beträge einmal der Halb- und zum anderen der Vollwaisenrente auf verschiedenen Grundansprüchen mit voneinander abweichenden Voraussetzungen beruhen (vgl. auch BSGE 53, 163, 166 - SozR 2200 § 1265 Nr. 62: "einfache" und "erhöhte" Witwenrente nach § 1268 Abs. 1 bzw. Abs. 2 RVO sind zwei der Höhe nach verschiedene Renten). Die vorbezeichneten Unterschiede wirken sich auch im Verwaltungsverfahrensrecht aus. Die genaue Feststellung der Rentenart im Rentenbescheid ist eine Voraussetzung für dessen Rechtmäßigkeit. Denn der Rentenbescheid muß nach § 33 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) vom 18. August 1980 (BGBl. I 1469, berichtigt 2218) wie alle Verwaltungsakte inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Aus dem Verfügungssatz muß für die Beteiligten unzweideutig zu erkennen sein, was die Behörde will. Das wäre jedoch nicht der Fall, beschränkte sich der Leistungsträger darauf, "Waisenrente" zu gewähren. Der Bescheid wäre dann wegen fehlender Bestimmtheit rechtswidrig, möglicherweise sogar nach § 40 Abs. 1 SGB 10 nichtig (zur Nichtigkeit wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit vgl. bereits BSG SozR 2200 § 1286 Nr. 2). Übereinstimmend hiermit hat die Beklagte im Verfügungssatz ihres Bescheides vom 17. Dezember 1975 dem Kläger "Halbwaisenrente" bewilligt. Dem gewonnenen Ergebnis kann die Beklagte nicht mit dem Einwand begegnen, der - im Oktober 1982 gestellte - Antrag auf die höhere Vollwaisenrente sei materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Leistungsanspruchs, so daß dieser Anspruch nicht mehr vor der Adoption habe entstehen können.

Im Gegensatz zu § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO, der als Verfahrensnorm u.a. für die gesetzliche Rentenversicherung allgemein bestimmt, daß Leistungen "auf Antrag" - also nicht, wie nach Nr. 1 a.a.O. in der Unfallversicherung, von Amts wegen - festzustellen sind, kommt dem Antrag materiell-rechtliche Bedeutung im Sinn einer Voraussetzung für die Entstehung des Rentenanspruchs nur dann zu, wenn die einzelne Bestimmung ausdrücklich vorschreibt, daß die Rente "auf Antrag" zu gewähren ist. Hierzu zählen in der gesetzlichen Rentenversicherung nach herrschender Meinung lediglich die Ansprüche auf Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1 bis 3 RVO, also nicht die Hinterbliebenenrenten (§ 1263 Abs. 1 RVO), zu denen die Vollwaisenrente rechnet (vgl. BSGE 23, 62, 64 f. SozR Nr. 8 zu § 29 RVO; BSGE 34, 1, 4 f. = SozR Nr. 24 zu § 29 RVO; Sozft Nr. 12 zu § 1290 RVO; Malkewitz aaO S. 13 f.; Söchting, SozVers 1963, S. 231; im Anschluß an 1963, S. 231; Wißmeyer, Mitt LVA Oberfr 1969, S. 11; siehe auch VDR - Komm, SGB I, Stand Juli 1985, § 40 Anm. 3).

Von den materiell-rechtlichen Normen, die als anspruchsbegründende Vorschriften einen Antrag verlangen, sind indessen die Regelungen über den "Rentenbeginn" zu trennen. Nach der für den Rentenbeginn maßgeblichen Grundregel des § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO i.d.F. des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (BGBl. I 1259) ist Rente vom Ablauf des Monats zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift gilt jedoch nur für die Fälle der erstmaligen Gewährung einer Rente; sonst bestimmt sich der Rentenbeginn nach § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO, wonach die Erhöhung oder Wiedergewährung der Rente nur vom Beginn des Antragsmonats an verlangt werden kann (vgl. BSG in SozR Nr. 12 zu § 1290 RVO; BSGE 39, 213, 217 SozR 2200 § 1290 Nr. 2; SozR a.a.O. Nr. 4). Zutreffend hat das LSG hier eine Erhöhung i.S. von § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO angenommen; denn darunter ist bereits nach natürlichem Sprachgebrauch jede Verbesserung des Rentenzahlbetrags einschließlich derjenigen aufgrund einer Rentenumwandlung zu verstehen (vgl. BSG SozR 2200 § 1290 Nr. 8). Für die - im Gesetz nicht ausdrücklich behandelte - Umwandlung in eine Vollwaisenrente kann nichts anderes gelten (Zweng/Scheerer/Buschmann, a.a.O., § 1290 RVO Anm. V 5 S. 13; Ludwig, RV 1977, 65; Schütz, Mitt LVA Oberfr 1982, S. 428). Mit ihrer Auffassung verkennt die Beklagte den Ordnungscharakter des § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO. Die Vorschrift enthält eine gegenüber dem Grundsatz des Abs. 1 Satz 1 a.a.O. verschärfende Ausnahmeregel, die den Rentenbeginn zuungunsten des Berechtigten hinausschiebt, wenn der Rentenantrag erst nach Erfüllung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen - "verspätet" - gestellt wird. Die Bestimmung setzt folglich einen bereits bestehenden Rentenanspruch im Sinne des Stammrechts voraus und legt dem Antrag nur insoweit und nur in dem Sinne auch materiell-rechtliche Bedeutung bei, als ein rückwirkender Rentenbezug ausgeschlossen wird; sie bewirkt demnach einen zeitlich und auf die monatlichen Einzelleistungen begrenzten Rechtsverlust (vgl. hierzu BSG SozR Nr. 12 zu § 1290 RVO; BSGE 21, 162 f. - SozR Nr. 4 zu § 29 RVO; BSGE 23, 62, 64 f. = SozR N r 8 zu § 29 RVO; BSGE 34, 2, 20 = SozR Nr. 24 zu § 29 RVO; BSGE 39, 213, 217 = SozR 2200 § 1290 Nr. 2; SozR a.a.O. Nr. 4; Malkewitz, a.a.O. S. 15 f.; Lohmann, Sgb 1964, S. 131; Bauer, DRV 1965, S. 90; Söchting, SozVers 1961, S. 135 und 1963, S. 231; ferner Ludwig, Sgb 1976, 356 f.; VDR-Komm, Stand Juli 1985, § 1290 RVO Anm. 5). Die aus dem Stammrecht fließenden Ansprüche auf die einzelnen monatlichen Rentenleistungen entstehen folgerichtig erst ab Antragstellung und werden damit zugleich fällig (vgl. §§ 40 Abs 1, 41, SGB 1). Darin erschöpft sich aber die Bedeutung des 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO; die Vorschrift hat keinen Aussagewert für die Begründung des Stammrechts (z.B. Lohmann aaO).

Das somit bereits vor der Adoption des Klägers entstandene Stammrecht auf Vollwaisenrente wird demzufolge von dem erst durch die Adoptiveltern gestellten Rentenantrag nicht berührt.

Nach alledem war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.4a RJ 73/85

BSG

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Haufe-Index 518910

BSGE, 108

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