Leitsatz

Eine formell und materiell wirksame tatsächliche Verständigung führt zu einem Einwendungsausschluss.

 

Sachverhalt

Die Kläger wandten sich gegen Bescheide des Finanzamts, die aufgrund einer tatsächlichen Verständigung erlassen wurden. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2002 war der Betriebsprüfer zur Auffassung gelangt, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Es erfolgte deshalb für Zwecke der Einkommen- und Umsatzbesteuerung eine tatsächliche Verständigung für die Jahre 1999 bis 2004. In dieser wurden unentgeltliche Wertentnahmen berücksichtigt und Umsätze hinzugeschätzt. Gegen diese Bescheide legten die Kläger Einspruch ein. Im Wesentlichen führten sie aus, dass die tatsächliche Verständigung zu annulieren sei, da sie nicht dem Sachverhalt entsprochen habe und zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führe. Die Buchführung sei ordnungsgemäß gewesen. Zudem habe der Betriebsprüfer die Kläger durch Täuschung zum Abschluss der tatsächlichen Verständigung veranlasst. Das beklagte Finanzamt verwies darauf, dass die tatsächliche Verständigung rechtmäßig zustande gekommen sei.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht wies die Klage als unbegründet ab. Es führte zunächst aus, dass die tatsächliche Verständigung durch den BFH grundsätzlich anerkannt ist. Dies setzt allerdings vor allem voraus, dass eine Sachverhaltsfrage und keine Rechtsfrage schwer zu ermitteln ist. Dies ist vor allem in Schätzungsfällen - wie hier - gegeben. Ist eine so formell und materiell bindende tatsächliche Verständigung erfolgt, können die Beteiligten sich nicht auf Einwendungen berufen, wenn sie im Nachhinein feststellen, dass die Verständigung für sie nachteilig ist. Etwas anderes gilt nur, wenn die tatsächliche Verständigung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt, was hier aber nicht der Fall war. Auch sah das Gericht keine Anhaltspunkt für eine Anfechtung i. S. v. §§ 119 ff. BGB.

 

Hinweis

Die Entscheidung behandelt einige wichtige Teilaspekte des Rechts der tatsächlichen Verständigung. Hierbei handelt es sich um ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut, das in der Zwischenzeit allgemein anerkannt ist [1]. Wesentliche Aspekte zur Sicht der Finanzverwaltung finden sich auch im BMF-Schreiben v. 30.7.2008, BStBl 2008 I S. 81. Ist die tatsächliche Verständigung rechtmäßig zustande gekommen, ist sie für Finanzamt und Steuerpflichtige bindend[2]. Nicht mit letzter Sicherheit geklärt ist indes, wie eine einseitige Auflösung einer tatsächlichen Verständigung erreicht werden kann. Einvernehmlich kann sie hingegen unstrittig aufgehoben werden. Das Finanzgericht prüfte hier eine Anfechtung, obwohl es ganz offensichtlich mit der Rechtsprechung des BFH die tatsächliche Verständigung als Ausfluss des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben ansah[3] und nicht mit der wohl überwiegenden Literaturansicht als Vertrag[4]. Eine Anwendung der §§ 119 ff. BGB bei direkter Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben erscheint fraglich[5]. Sofern eine Lösung von einer tatsächlichen Verständigung angestrebt wird, sind allerdings die Voraussetzungen für eine Anfechtung zu prüfen. Dabei ist vor allem auch auf die Einhaltung der Anfechtungsfristen der §§ 121 BGB bzw. 124 BGB zu achten.

 

Link zur Entscheidung

FG Nürnberg, Urteil vom 23.06.2009, 2 K 793/2008

[2] Vgl.Frotscher, in Schwarz, AO, § 162 AO Tz. 85.
[4] so etwa Frotscher, in Schwarz, AO, § 162 AO Tz. 87; Seer, in Tipke/Kruse, AO und FGO, vor § 118 AO Tz. 23
[5] S. auch Frotscher, in Schwarz, AO, § 162 AO Tz. 96.

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