Leitsatz

Die Zollbehörden des Einfuhrstaats sind nach dem Europa-Abkommen mit Ungarn verpflichtet, im Ausfuhrstaat ergangene Gerichtsentscheidungen über Rechtsbehelfe gegen die Ergebnisse der von den Zollbehörden des Ausfuhrstaats vorgenommenen Prüfung von Warenverkehrsbescheinigungen zu berücksichtigen.

Solange das endgültige Ergebnis der Überprüfung im Ausfuhrstaat nicht feststeht und die Warenverkehrsbescheinigung nicht zurückgenommen oder aufgehoben worden ist, darf der Einfuhrstaat nach diesem Abkommen weder Zölle erheben noch Geldbußen verhängen.

 

Normenkette

Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits; Zollkodex Art. 220 Abs. 2

 

Sachverhalt

Ein Exporteur führte Kraftfahrzeuge von Ungarn nach Griechenland ein und legte den griechischen Behörden dafür Warenverkehrsbescheinigungen über den Ursprung der Waren in Ungarn vor, um in den Genuss einer Präferenzbehandlung nach dem Europa-Abkommen der EG mit Ungarn zu gelangen. Diese wurde ihm gewährt.

Auf Betreiben von UCLAF wurden diese Warenverkehrsbescheinigungen von den ungarischen Behörden später überprüft. Den griechischen Zollbehörden wurde für einen Teil der Fahrzeuge mitgeteilt, deren Herkunft könne einstweilen nicht abschließend beurteilt werden; es sei darüber ein Rechtsstreit anhängig.

Der griechische Zoll erhob daraufhin für diese Fahrzeuge Einfuhrabgaben einschließlich der MwSt. und eines Zuschlags nach Maßgabe des griechischen Zollgesetzes.

Unterdessen hob das ungarische Gericht, das angerufen worden war, die von den ungarischen Behörden über den Ursprung der Fahrzeuge getroffenen Entscheidungen auf und verpflichtete diese, den Ursprung erneut zu prüfen.

Im Rahmen des gegen die griechischen Abgabenbescheide angestrengten Klageverfahrens hat das griechische Gericht eine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt.

 

Entscheidung

Der EuGH hat wie aus den Leitsätzen ersichtlich entschieden.

 

Hinweis

Das Assoziierungsabkommen, um das es hier geht, soll wie andere Europa-Abkommen sicherstellen, dass bestimmte Waren mit Ursprung in der Gemeinschaft beziehungsweise in Ungarn unter Gewährung einer zollrechtlichen Präferenzbehandlung in die Gemeinschaft beziehungsweise nach Ungarn eingeführt werden können. Um dies praktikabel und einfach zu gestalten, ist in solchen Abkommen vorgesehen, dass der Ausfuhrstaat über den Ursprung eine Bescheinigung (Warenverkehrsbescheinigung EUR.1) ausstellt; denn der Ausfuhrstaat kann den Ursprung i.d.R. einfacher und zuverlässiger feststellen als der Einfuhrstaat.

Dieses Verfahren der Erteilung von Warenverkehrsbescheinigungen stellt in erster Linie ein (im Abkommen formalisiertes geregeltes) Amtshilfeverfahren dar. Der EuGH ist jedoch darüber, obwohl das Abkommen dazu ausdrücklich nichts enthält, entscheidend hinausgegangen und hat um der Funktionsfähigkeit der Präferenzbehandlung willen eine gegenseitige Verpflichtung der Behörden der beteiligten Staaten gefolgert, nicht nur die Warenverkehrsbescheinigungen – vorbehaltlich eines Ersuchens um deren Überprüfung – anzuerkennen, sondern auch die von den Gerichten jedes Staats getroffenen Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit der in diesem Zusammenhang von den Zollbehörden erlassenen Entscheidungen.

Das gilt auch dann, wenn der Zoll des Einfuhrstaats selbst an den Entscheidungen der Behörden des Ausfuhrstaats keinen Zweifel hatte und folglich deren Überprüfung nicht begehrt hat.

Solange die Warenverkehrsbescheinigung des Ausfuhrstaats also in der Welt ist, sind die Behörden des Einfuhrstaats an sie gebunden! Sie dürfen deshalb Abgaben, die nach dem Abkommen für Ursprungswaren nicht erhoben werden dürfen, nicht erheben. Rechtsschutz muss folglich bei streitigem Ursprung in erster Linie im Ausfuhrstaat gesucht werden; im Einfuhrstaat kommt es solange zu einem (gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzenden) Stillstand des abgabenrechtlichen Verfahrens.

Vor diesem Hintergrund wird der BFH seine Rechtsansicht zu überprüfen haben, über das Ergebnis der Prüfung der Warenverkehrsbescheinigung dürfe kein anfechtbarer Bescheid erteilt werden.

Beachten Sie, dass das Abkommen – ähnlich wie zahlreiche vergleichbare Abkommen – einen Assoziationsausschuss vorsieht, der die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Zollbehörden der Vertragsparteien beilegen soll, wenn sie ihm nach dem Scheitern des Versuchs einer gütlichen Einigung vorgelegt werden.

Der EuGH hat aber mit Recht hervorgehoben, dass die Anrufung dieses Ausschusses nur ultima ratio ist; an der Bindung an die Warenverkehrsbescheinigung des Ausfuhrstaats ändere es daher nichts, wenn dieser Ausschuss mangels Meinungsverschiedenheiten zwischen den Behörden der Vertragsparteien gar nicht erst einberufen wird.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 9.2.2006, Rs. C-23 bis 25/04

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