Leitsatz

1. Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstands sind zu bilden, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Anschluss an BFH, Urteile vom 28.7.2004, XI R 63/03, BFH/NV 2005, 109 und vom 9.12.2009, X R 41/07, BFH/NV 2010, 860).

2. Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Beschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen.

3. Für die Beurteilung der Wesentlichkeit ist nicht auf die künftigen Betreuungsaufwendungen für den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Steuerpflichtigen künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen.

4. Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen setzt voraus, dass der Steuerpflichtige zur Betreuung der Versicherungen rechtlich verpflichtet ist.

5. Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten und gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG abzuzinsen.

6. Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar.

7. Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung. Der (voraussichtliche) Zeitaufwand ist im Einzelnen darzulegen.

8. Die Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist. Die Aufzeichnungen sind "vertragsbezogen" zu führen.

9. Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision.

10. Der Steuerpflichtige trägt im Fall eines "non-liquet" die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die von ihm behaupteten Aufwendungen für nachträgliche Betreuungsleistungen.

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger betrieb eine Versicherungsagentur. Ab 2000 erhielt er von einem Versicherungsunternehmen eine erhöhte Abschlussprovision, anstelle einer Bestandspflegeprovision für die von ihm ­vermittelten Renten- und Lebensversicherungen. Für die Kosten der künftigen Betreuungsleistungen seiner Mitarbeiter passivierte der Kläger 2004 erstmals eine Rückstellung für Bestandspflege i.H.v. 165.060 EUR, die er wie folgt berechnete: Versicherungsbestand x durchschnittliche Laufzeit (25 Jahre) x geschätzter Betreuungsaufwand pro Jahr und Vertrag (1,5 Std.) x Abzinsungsfaktor (0,262 %) x 12 EUR Lohn/Stunde = 165.060 EUR.

Das FA lehnte die Bildung dieser Rückstellung ab; das FG gab der Klage teilweise statt (FG München, Außensenate Augsburg, Urteil vom 24.9.2009, 15 K 2764/07, Haufe-Index 2406178, EFG 2010, 2105). Die Rückstellung sei dem Grunde nach berechtigt; allerdings sei im Schätzungswege nur ein Aufwand von 0,5 Stunden pro Vertrag und pro Jahr anzusetzen. Gegen das Urteil legten sowohl das FA als auch der Kläger Revision ein, das BMF trat dem Verfahren bei.

 

Entscheidung

Weil die rechtliche Verpflichtung zur Nachbetreuung nicht festgestellt war, hat der BFH das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze an das FG zurückverwiesen.

 

Hinweis

Der außergewöhnlich umfangreiche Leitsatz enthält im Grunde bereits die wichtigsten Erkenntnisse dieses Urteils.

1. Seit der Entscheidung vom 28.7.2004, XI R 63/03 (BFH/NV 2005, 109) entspricht es der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstands zu bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält.

2. Damit besteht zwar in Bezug auf die Rückstellungsfähigkeit der Nachbetreuungsaufwendungen Klarheit. In der Praxis bereitet aber vor allem die Berechnung der Höhe der Rückstellung Probleme. Da in den meisten Fällen erst seit 2004 Rückstellungen gebildet wurden, hatte sich zudem eine Art "Rückstellungsstau" gebildet, der zu erheblichen Rückstellungsbeträgen führte, wie der Sachverhalt exemplarisch zeigt.

3. Der X. Senat zeigt in den Leitsätzen 5. bis 7. einige Leitlinien auf, wie die Rückstellung zu berechnen ist. In den Leitsätzen 8. bis 10. präzisiert er die Anforderungen an die Aufzeichnungs- und Nachweispflichten des Steuerpflichtigen sowie die bei ihm liegende Feststellungslast.

4. Da die Nachweispflichten sowie die damit korrespondierenden Prüfungspflichten der Finanzverwaltung nicht unerheblich sein dürften, wäre es für die Zukunft hilfreich und wünschenswert...

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