Entscheidungsstichwort (Thema)

Einverständliche Lohnsteuerhinterziehung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Berechnung der Steuerverkürzung

 

Leitsatz (amtlich)

Wirken Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Zwecke der Lohnsteuerhinterziehung einverständlich zusammen, so liegt in der Vereinbarung, daß ein bestimmtes Arbeitsentgelt voll und ohne Abzüge ausgezahlt wird, in der Regel eine Nettolohnabrede, wenn das Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer mit der Auszahlung auf Dauer ungekürzt verbleiben soll.

 

Normenkette

AO 1977 § 370 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Entscheidung vom 28.11.1985; Aktenzeichen XVIII KLs 5 Js 310/81 16/83)

 

Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 28. November 1985 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten E wegen gemeinschaftlicher fortgesetzter Steuerhinterziehung in vier Fällen sowie die Angeklagten L, G und F wegen gemeinschaftlicher fortgesetzter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt, und zwar E und L zu je zwei Jahren, G zu einem Jahr und sechs Monaten und F zu einem Jahr. Die Vollstreckung der gegen den Angeklagten F verhängten Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat es gegen die Angeklagten E, L und G befristete Verbote für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Bau- und Baunebengewerbe ausgesprochen. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts. Der Angeklagte E erhebt darüber hinaus in allgemeiner Form die Verfahrensbeschwerde. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

A.

Die Verfahrensrüge ist nicht gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt und deshalb unzulässig.

B.

Die Sachrügen sind unbegründet.

I.

Die Schuldsprüche wegen Umsatz- und Lohnsteuerhinterziehung halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht die Tatbeteiligung des Angeklagten F im Fall 4 (F/ B) als Mittäterschaft würdigt (UA S. 50), sind rechtlich nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen (UA S. 14 bis 17) stellte dieser Angeklagte seinen Namen für die unerlaubte Geschäftstätigkeit zur Verfügung. Er meldete das Gewerbe an, war berechtigt, über das Geschäftskonto zu verfügen, beteiligte sich aktiv an der Geschäftsführung und unterschrieb insbesondere falsche Umsatz- und Lohnsteueranmeldungen. Als Entgelt erhielt er zunächst 3.000 DM, später 5.000 DM monatlich. Das Landgericht hebt bei der rechtlichen Beurteilung des Tatbeitrags zutreffend auf das wirtschaftliche Interesse des Angeklagten sowie auf Art und Maß seiner Beteiligung ab. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision erschöpfen sich weitgehend in einer eigenen tatsächlichen Würdigung des Geschehens. Damit kann die Verteidigung in diesem Rechtszug nicht gehört werden. Soweit das Landgericht den Angeklagten F bei der Strafzumessung im Verhältnis zu den Angeklagten L und G als „Randfigur” bezeichnet (UA S. 60), folgt daraus nicht, daß sein Tatbeitrag rechtlich nur Beihilfequalität hätte.

2. Das Landgericht hat die Höhe der verkürzten Lohnsteuern rechtsfehlerfrei durch Schätzung ermittelt.

a) Das gilt zunächst insofern, als es den Lohnaufwand, den die Angeklagten bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung hatten, mit zwei Dritteln der erzielten Nettoumsätze veranschlagt (UA S. 20). Diese Schätzung ist in tatsächlicher Hinsicht ausreichend belegt. Soweit sich das Landgericht dabei auf einschlägige Erfahrungen der Baubranche stützt, beruht dies ersichtlich auf den Aussagen der Zeugen P und S (UA S. 34). Dem Senat ist auch bekannt, daß in anderen vergleichbaren Fällen für den Bereich des Steuerrechts mit einem Lohnanteil von 66 2/3 % gerechnet wird (vgl. Urt. des Landgerichts Bochum vom 20. Dezember 1985 - 6 KLs 35 Js 196/80 in der Revisionssache 3 StR 196/86). Darüber hinaus hat der Angeklagte G im vorliegenden Strafverfahren einen entsprechenden Aufwand für den Fall W bestätigt (UA S. 20). Unter diesen Umständen kann seine Revision mit Erfolg rechtlich nichts daraus herleiten, daß ein anderer Tatrichter im Einzelfall eine Unterschreitung des bezeichneten Prozentsatzes für angebracht halten mag oder der Senat gelegentlich (Beschl. vom 2. Mai 1984 - 3 StR 159/84 = wistra 1984, 182) die Annahme eines Lohnanteils von 71 % des Nettoumsatzes wegen unzureichender Feststellungen als rechtsfehlerhaft beanstandet hat.

b) Das Landgericht ist in den Fällen 2 bis 4 (M - La, Mr, W und F/B) des weiteren rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die Lohnsteuer 28,2 % des Nettolohnanteils betrage. Die Ausführungen, mit denen sich die Angeklagten L und G gegen diese Berechnung wenden, verhelfen ihren Revisionen nicht zum Erfolg. Das Landgericht hält bei ordnungsgemäß angemeldeten Arbeitnehmern zwar 15 % des Bruttolohnaufkommens für zutreffend (UA S. 21); auch legt es der Berechnung in den Fällen 5 bis 7 (Wi, WB und Fi), die allein den Angeklagten E betreffen, ersichtlich aus Vereinfachungsgründen nur 15 % des Nettolohnaufkommens zugrunde (UA S. 33). Es begründet die verschiedenen Schätzungsmethoden in den Fällen 2 bis 4 einerseits und 5 bis 7 andererseits aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit den besonderen Gegebenheiten der ersten Fallgruppe, indem es feststellt (UA S. 8 f., 12, 21): Die Angeklagten E, L und G hatten ihre Geschäftstätigkeit darauf angelegt, Gewinne durch Steuerhinterziehungen zu erzielen. Dabei wurden in größerem Umfang auch Arbeitnehmer eingesetzt, die schuldhaft keine Lohnsteuerkarte abgaben. Diese Arbeitnehmer waren mit dem Vorhaben der Angeklagten einverstanden und an einer Besteuerung nicht interessiert. Keiner von ihnen veranlaßte später ein Lohnsteuerjahresausgleichs- oder Veranlagungsverfahren, um eine Besteuerung nach persönlichen Merkmalen zu erreichen. Diese Feststellungen hat das Landgericht aufgrund der Angaben des Angeklagten G getroffen. Er hat ausgesagt (UA S. 35): Jeder Arbeitnehmer sei anläßlich des Einstellungsgesprächs gefragt worden, ob er eine Lohnsteuerkarte vorlegen und bei der Krankenversicherung angemeldet werden wolle. Die Arbeitnehmer, deren Lohn nicht versteuert worden sei, hätten eine Lohnsteuerkarte willentlich nicht vorgelegt. Diese Praxis habe er – G – bei Aufnahme seiner Tätigkeit in der Firma Mr vorgefunden. Sie sei auch in den Firmen W und F beibehalten worden. Der Tatrichter hat daraus geschlossen, daß die Angeklagten E und L auch bei der Firma M-La. ebenso verfuhren.

aa) Unter diesen Umständen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landgericht bei der ersten Fallgruppe die Lohnsteuer, welche die Angeklagten gemäß § 41a Abs. 1 EStG monatlich anzumelden, einzubehalten und abzuführen hatten, mit 22 % des Bruttolohns ansetzt. Denn solange der unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte schuldhaft nicht vorlegt, hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach der Steuerklasse VI zu ermitteln (§ 39 c Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Steuersatz von 22 % entspricht dem Mindestsatz dieser Steuerklasse (§ 38 c Abs. 1 Satz 4 EStG). Die Lohnsteuer entsteht in der genannten Höhe in dem Augenblick, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG); ihre Verkürzung ist vollendet, sobald sie pflichtwidrig nicht angemeldet wird. Allerdings tritt die Verkürzung in der bezeichneten Höhe insofern lediglich vorübergehend ein, als die Lohnsteuer nach Ablauf des Kalenderjahres nur nach den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers erhoben werden darf (BFH BStBl II 1975, 297) und – für den Fall eines Abzugs nach der Steuerklasse VI – die dadurch eingetretenen Nachteile im Lohnsteuerjahresausgleich oder bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer wieder rückgängig gemacht würden. All dies ändert aber nichts daran, daß die Lohnsteuer zunächst nach der Steuerklasse VI geschuldet und durch ihre Hinterziehung in diesem Umfang auch der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt wird, wenn der Arbeitnehmer eine Lohnsteuerkarte schuldhaft nicht vorlegt und der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt ohne Abzüge auszahlt (vgl. Marschall, Bekämpfung illegaler Beschäftigung, S. 84; Hoffmann DStR 1967, 205; Franzheim JR 1982, 89, 90). Die Lohnsteuer entspricht einer Vorauszahlung auf die Einkommensteuer des Arbeitnehmers, die selbständig hinterzogen werden kann (vgl. § 38 a Abs. 2 und 3 EStG). Soweit in einem solchen Fall mögliche Vorteile bei der vorschriftsmäßigen Anwendung der Steuerklasse VI nicht auf Dauer beim Steuergläubiger verbleiben würden, mag dies im Einzelfall für den Strafausspruch erheblich sein (vgl. BGH wistra 1986, 23). Hier hat sich das Landgericht jedoch in richtiger Erkenntnis der Bedeutung des Lohnsteuerabzugs ohne Lohnsteuerkarte (§ 39 c EStG) rechtsfehlerfrei davon überzeugt, daß die Arbeitnehmer ihre steuerlichen Verhältnisse auch nachträglich nicht erklärt haben und insofern der Verkürzungserfolg „dem endgültigen Schaden” entspreche (UA S. 51 f.). Ein Rechtsfehler ist nicht schon darin zu sehen, daß es die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens nach § 39c EStG bei der Strafzumessung nicht schlechthin mildernd gewertet hat.

bb) Nach den Feststellungen ist es auch nicht rechtsfehlerhaft, daß das Landgericht den Anteil des Nettoumsatzes, der an die Arbeitnehmer gezahlt wurde, als Nettolohn wertet und demgemäß den Steuersatz von 22 % des Bruttolohns auf 28,2 % der Nettolohnsumme umrechnet. Allerdings handelt es sich bei den in Rede stehenden Absprachen nicht um Nettolohnvereinbarungen in dem Sinne, daß die Beteiligten einen festen Betrag vereinbaren und der Arbeitgeber die auf den Lohn oder Mehrlohn entfallenden Ausgaben ausdrücklich übernimmt (vgl. BFH BStBl III 1957, 116). Wie die Vorschriften über die Besteuerung bei unwirksamen Rechtsgeschäften und beim Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§§ 41, 42 AO) zeigen, kommt es sachlichrechtlich für die Besteuerung aber nicht in erster Linie darauf an, was die Beteiligten nach außen ausdrücklich erklären; maßgebend ist vielmehr, was sie nach ihrem Verhalten wirtschaftlich tatsächlich wollen. Demnach kann eine (stillschweigende) Nettolohnabrede auch in der Vereinbarung zu sehen sein, daß ein bestimmtes Arbeitsentgelt voll und ohne Abzüge ausgezahlt wird (vgl. Martens, Merkblatt für die Bearbeitung von Beitragsstrafsachen und Bußgeldsachen - Stand: 1. Juli 1984 - S. 12; Marschall aaO; Wank DB 1982, 645, 647, 651; a.M. Schäfer wistra 1982, 96, 97). Wirken Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Zwecke der Lohnsteuerhinterziehung einverständlich zusammen, so liegt in der Vereinbarung einer solchen Auszahlung in der Regel eine Nettolohnabrede, wenn das Entgelt dem Arbeitnehmer mit der Auszahlung auf Dauer ungekürzt verbleiben soll.

So ist es hier. Die Angeklagten und die Arbeitnehmer vereinbarten volle Lohnauszahlung „ohne Lohnsteuerkarte”. Nach dem darin zum Ausdruck kommenden einverständlichen Willen sollte der ausgezahlte Lohn den Arbeitnehmern ungekürzt auf Dauer verbleiben, obwohl sie Steuerschuldner waren. Der Sache nach war er damit Nettolohn, auch wenn er nicht so bezeichnet wurde. Die Arbeitnehmer sollten – bar in die Hand – das erhalten, was ihnen auf legale Weise nur bei einem entsprechend hohen Bruttolohn ausgezahlt werden konnte. Nach ihrem Verhalten „übernahmen” die Angeklagten damit die Lohnabzugsteile, auch wenn sie davon ausgingen, sie würden sie tatsächlich nicht abführen. Die gemeinschaftliche Lohnsteuerhinterziehung war nur das Motiv, das zu der vereinbarten Nettolohnauszahlung führte, ließ deren Charakter aber unberührt. Die Angeklagten waren überdies rechtlich und – wie der Zusammenhang der Urteilsgründe erkennen läßt – infolge eigenen Verschuldens auch tatsächlich nicht in der Lage, einen Teil der ausgezahlten Beträge etwa zum Zweck oder Ausgleich einer Lohnsteuerzahlung von den Arbeitnehmern zurückzuverlangen. Wenn ein Teil des Lohns gleichsam ein Entgelt für die gemeinschaftliche Lohnsteuerhinterziehung und die Vereinbarung insoweit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 370 AO) nichtig gewesen sein sollte (§ 134 BGB), so wäre es den Angeklagten nach § 817 Satz 2 BGB verwehrt, einen entsprechenden Betrag zurückzufordern; denn sie waren sich bei der Auszahlung bewußt, daß auch sie verbotswidrig handelten (vgl. BGHZ 75, 299, 302). Indem sie die „Lohnzahlungen ohne Lohnsteuerkarte” verschleierten, so daß das Landgericht auf Schätzungen angewiesen war, setzten sie sich außerdem von Anfang an bewußt und gewollt außerstande, später wegen ihnen abgeforderter Lohnsteuer Regreß beim einzelnen Arbeitnehmer zu nehmen. Wenn ein Arbeitgeber in dieser Weise auf den Regreß verzichtet, liegt darin bei der Lohnzahlung die Zuwendung eines Vorteils an den Arbeitnehmer, weshalb auf diesen Vorteil – im Zeitpunkt des Verzichts – Lohnsteuer, das heißt also „Steuer auf Steuer” zu erheben ist (vgl. BFH BStBl II 1985, 164, 169 f.; 1985, 170, 173; Schmidt/Drenseck EStG 5. Aufl. § 42 d Anm. 10). Wenn das Finanzamt den Arbeitnehmer in einem solchen Fall nachträglich in Anspruch nimmt, macht der Verlust des Vorteils dessen Zufluß (im Sinne des § 38 Abs. 2 EStG) lohnsteuerrechtlich nicht ungeschehen (Schmidt/ Heinicke aaO § 11 Anm. 3).

cc) Soweit der Senat mit seiner dargelegten Rechtsauffassung von dem Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 13. März 1984 - 1 StR 883/83 (wistra 1984, 145) abweichen sollte, ist er nicht verpflichtet, nach § 136 Abs. 1 GVG den Großen Senat für Strafsachen anzurufen; denn seit dem 1. Januar 1986 ist er für Steuerstrafsachen allein zuständig. Das Urteil des 2. Strafsenats vom 18. Dezember 1981 - 2 StR 526/81 (wistra 1982, 111) ist nicht einschlägig. Es betrifft die Anwendung des § 529 Abs. 1, § 1428 Abs. 1 RVO, § 225 Abs. 1 AFG. Der Bundesgerichtshof hat dort die Annahme abgelehnt, der Arbeitgeber habe die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung einbehalten. Darum geht es im vorliegenden Fall nicht.

II.

Auf die Sachrügen hat der Senat die Straf- und Maßnahmenaussprüche in vollem Umfang überprüft. Die Überprüfung hat Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben. Ihre Revisionen sind deshalb zu verwerfen.

 

Fundstellen

BGHSt 34, 166-170 (LT1)

BGHSt, 166

StRK AO 1977 § 370, R.93 (ST)

NJW 1987, 786

BR/Meuer SGB IV § 14, 24-09-86, 3 StR 336/86 (ST1)

NStZ 1987, 78

USK, 86243 (ST1)

NStE AO § 370 (ST), Nr. 5

StV 1987, 104

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