Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugehörigkeit eines Pflichtteilsanspruchs zur Insolvenzmasse. Nachtragsverteilung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der vom Schuldner durch einen Erbfall während des Insolvenzverfahrens erworbene Pflichtteilsanspruch gehört zur Insolvenzmasse.

b) Wird der während des Insolvenzverfahrens entstandene Pflichtteilsanspruch erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens anerkannt oder rechtshängig gemacht, unterliegt er der Nachtragsverteilung.

 

Normenkette

InsO §§ 35, 36 Abs. 1 S. 1, § 203; BGB § 2317 Abs. 1; ZPO § 852 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Münster (Beschluss vom 13.07.2009; Aktenzeichen 5 T 296/09)

AG Münster (Beschluss vom 02.04.2009; Aktenzeichen 75 IK 56/02)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Münster vom 13.7.2009 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 33.485,38 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde auf ihren eigenen Antrag am 30.12.2002 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Am 8.7.2003 verstarb der Vater der Schuldnerin, der ihren Bruder zum Alleinerben eingesetzt hatte. Mit Beschluss vom 17.6.2004 hob das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren nach Ankündigung der Restschuldbefreiung auf. Eine Verteilung hatte mangels Masse nicht stattgefunden. Am 6.7.2004 erhob die Schuldnerin gegen ihren Bruder Klage wegen ihres Pflichtteilsanspruchs. Durch rechtskräftiges Urteil vom 16.1.2009 wurde entschieden, dass der Bruder an die Schuldnerin 33.485,38 EUR nebst Zinsen zu zahlen hat. Zuvor hatte am 30.12.2008 die Laufzeit der Abtretungserklärung geendet. Das Insolvenzgericht hat mit Beschluss vom 2.4.2009 die Nachtragsverteilung hinsichtlich des zugesprochenen Betrags angeordnet. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt sie die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6, 204 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 574 Abs. 2 Nr. 1, 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Rz. 3

1. Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen der Anordnung einer Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO bejaht und dazu ausgeführt: Der Pflichtteilsanspruch sei mit dem Erbfall am 8.7.2003 und damit während des laufenden Insolvenzverfahrens entstanden. Er gehöre zur Insolvenzmasse, weil er der Zwangsvollstreckung nicht entzogen sei. Nach der Rechtsprechung des BGH stehe § 852 ZPO der Pfändung eines Pflichtteilsanspruchs vor seiner Anerkennung oder Rechtshängigkeit als eines in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingten Anspruchs nicht entgegen. Der Einwand der Schuldnerin, der Tod ihres Vaters sei dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder schon vor dem Schlusstermin bekannt gewesen, greife nicht durch, weil eine "nachträgliche Ermittlung" i.S.v. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO selbst dann vorliege, wenn der Verwalter Ansprüche vergessen oder fälschlich als nicht werthaltig oder als nicht zur Insolvenzmasse gehörig gewertet habe. Der Halbteilungsgrundsatz des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei nicht anzuwenden, weil der Pflichtteilsanspruch schon im laufenden Insolvenzverfahren zur Masse gehört habe und kein in der Wohlverhaltensperiode neu erworbenes Vermögen darstelle. Das Interesse der Schuldnerin, durch ein Hinauszögern der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs diesen dem Zugriff der Gläubiger ganz oder zumindest zur Hälfte seines Wertes zu entziehen, sei nicht schutzwürdig.

Rz. 4

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

Rz. 5

a) Die Anordnung einer Nachtragsverteilung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren möglich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Schlusstermin nach § 197 InsO stattgefunden hat (BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143), sei es auch - wie hier - im schriftlichen Verfahren (§ 312 Abs. 2 InsO a.F., § 5 Abs. 2 InsO n.F.). Zu Unrecht wendet die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang ein, die Bestimmung des Schlusstermins sei nur der Schuldnerin und dem Treuhänder, nicht aber den sonstigen Verfahrensbeteiligten zugestellt worden. Bloße Verfahrensfehler stellen die Zäsurwirkung des Schlusstermins, an die § 203 InsO anknüpft, nicht in Frage. Im Übrigen liegt der gerügte Zustellungsmangel nicht vor. Eine unmittelbare Ladung aller Verfahrensbeteiligten zum Schlusstermin verlangt das Gesetz nicht. Es genügt die öffentliche Bekanntmachung des Termins, die hier erfolgt ist (§§ 197 Abs. 2, 74 Abs. 1 Satz 1, 9 InsO; vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 197 Rz. 3; HmbKomm-InsO/Preß, 3. Aufl., § 197 Rz. 3; BK-InsO/Breutigam, § 197 Rz. 26).

Rz. 6

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war die Anordnung der Nachtragsverteilung auch nicht wegen Verfristung des darauf gerichteten Antrags des Treuhänders unzulässig. Nach § 203 Abs. 1 InsO ist der Antrag des Insolvenzverwalters an keine Frist gebunden. Die für Restitutions- und Nichtigkeitsklagen geltende Notfrist von einem Monat, beginnend mit der Erlangung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund (§ 586 ZPO, § 4 InsO), ist auf die Anordnung einer Nachtragsverteilung schon deshalb nicht anzuwenden, weil eine Nachtragsverteilung auch von Amts wegen angeordnet werden kann (a.A. Zimmer, KTS 2009, 199, 207 f.).

Rz. 7

c) Mit Recht hat das Beschwerdegericht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO bejaht. Nach dieser Bestimmung ist die Anordnung einer Nachtragsverteilung möglich, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände der Masse ermittelt werden.

Rz. 8

aa) Der Pflichtteilsanspruch der Schuldnerin entstand mit dem Erbfall am 8.7.2003 (§§ 2317 Abs. 1, 1922 Abs. 1 BGB). Von diesem Zeitpunkt an gehörte er zum Vermögen der Schuldnerin und damit auch zur Insolvenzmasse, denn er unterlag der Zwangsvollstreckung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Zwar ist ein Pflichtteilsanspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Diese Vorschrift steht einer Pfändung jedoch nicht entgegen. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH kann der Pflichtteilsanspruch bereits vor der vertraglichen Anerkennung oder Rechtshängigkeit als in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden (BGH, Urt. v. 8.7.1993 - IX ZR 116/92, BGHZ 123, 183, 185 ff.; v. 6.5.1997 - IX ZR 147/96, ZIP 1997, 1302; Beschl. v. 18.12.2008 - IX ZB 249/07, ZInsO 2009, 299 Rz. 14; v. 25.6.2009 - IX ZB 196/08, ZInsO 2009, 1461 Rz. 8). Maßgeblich für die Zuordnung des Pflichtteilsanspruchs zur Insolvenzmasse oder zum Neuerwerb während der Wohlverhaltensphase ist, ob der Erbfall vor oder nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat (BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - IX ZB 249/07, a.a.O., Rz. 15; v. 25.6.2009 - IX ZB 196/08, a.a.O., Rz. 9; vgl. auch BGH, Beschl. v. 16.7.2009 - IX ZB 72/09, ZInsO 2009, 1831, Rz. 9; v. 15.7.2010 - IX ZB 229/07, NZI 2010, 741 Rz. 4; MünchKomm/InsO/Siegmann, 2. Aufl., § 315 Anh. Rz. 27; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl., § 83 Rz. 3; Jaeger/Windel, InsO § 83 Rz. 15; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 3. Aufl., § 83 Rz. 8).

Rz. 9

Offen gelassen hat der Senat bisher, ob dann, wenn der Schuldner einen während des Insolvenzverfahrens erworbenen Pflichtteilsanspruch nach dessen Aufhebung gerichtlich geltend macht, eine Nachtragsverteilung nach § 203 InsO zu erfolgen hat, ob der Halbteilungsgrundsatz des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO gilt oder ob es sich nunmehr um dem Schuldner insgesamt zustehendes Vermögen handelt (BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - IX ZB 249/07, a.a.O., Rz. 15 a.E.). Nach richtiger Ansicht hat eine Nachtragsverteilung zu erfolgen, weil der nachträglich eingeklagte Anspruch bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens zur Masse gehörte. Die Bedingtheit des Anspruchs ändert daran nichts. Der Pflichtteilsanspruch selbst ist mit dem Erbfall unbedingt entstanden. Damit hat der Schuldner den Anspruch i.S.v. § 35 Abs. 1 InsO erlangt. Aufschiebend bedingt ist lediglich die zwangsweise Verwertbarkeit. Diese Wirkung tritt erst mit der vertraglichen Anerkennung des Anspruchs oder mit Rechtshängigkeit ein (§ 852 Abs. 1 ZPO, § 158 Abs. 1 BGB). Die uneingeschränkte, sofortige Verwertbarkeit ist aber keine Voraussetzung der Zugehörigkeit eines Vermögensgegenstands zur Masse (vgl. für den Fall der Testamentsvollstreckung BGH, Urt. v. 11.5.2006 - IX ZR 42/05, ZIP 2006, 1258 Rz. 12).

Rz. 10

Die Zuordnung eines Pflichtteilsanspruchs zur Masse schon vor seiner Anerkennung oder Rechtshängigkeit entspricht auch dem Zweck der gesetzlichen Regelung. Gemäß dem Charakter des Insolvenzverfahrens als Zwangsvollstreckungsverfahren sind Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nach § 36 Abs. 1 InsO von der Insolvenzmasse ausgenommen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass dem Schuldner auch im Insolvenzverfahren die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendigen Mittel verbleiben und er nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist (BGH, Urt. v. 11.5.2006, a.a.O., Rz. 16; MünchKomm/InsO/Peters, 2. Aufl., § 36 Rz. 1). Die beschränkte Pfändbarkeit des Pflichtteilsanspruchs nach § 852 Abs. 1 ZPO hingegen dient nicht der Sicherung des Existenzminimums des Schuldners, sondern soll vermeiden, dass der Anspruch gegen den Willen des Berechtigten geltend gemacht wird; die Entscheidung darüber, ob dieser Anspruch ggü. dem Erben durchgesetzt wird, soll mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem allein diesem überlassen bleiben (BGH, Urt. v. 8.7.1993 - IX ZR 116/92, BGHZ 123, 183, 186 m.w.N.). Dieses Bestimmungsrecht des Schuldners wird nicht in Frage gestellt, wenn ein während des Insolvenzverfahrens erworbener, nach Aufhebung des Verfahrens von ihm rechtshängig gemachter Pflichtteilsanspruch der Nachtragsverteilung unterstellt wird. Der Schuldner bleibt in seiner Entscheidung, ob der Anspruch realisiert werden soll, frei. Entscheidet er sich gegen die Geltendmachung, kann der Anspruch nicht für die Masse verwertet werden. Entscheidet er sich für die Geltendmachung, unterliegt das erworbene Vermögen aber als Neuerwerb während des Insolvenzverfahrens der Nachtragsverteilung.

Rz. 11

bb) Der Pflichtteilsanspruch der Schuldnerin wurde i.S.v. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachträglich ermittelt. Der Begriff der Ermittlung in dieser Norm ist weit auszulegen. Er setzt nicht voraus, dass die Existenz oder der Aufenthaltsort eines Massegegenstands dem Verwalter während der Dauer des Insolvenzverfahrens unbekannt war. Die Vorschrift erfasst vielmehr auch Gegenstände, von deren Existenz der Verwalter wusste, die er aber irrtümlich für nicht verwertbar hielt und deswegen nicht zur Masse zog (BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143, 144 m.w.N.). Gleiches muss gelten, wenn Gegenstände während der Verfahrensdauer tatsächlich (noch) nicht verwertbar waren. Für solche Gegenstände kann die Nachtragsverteilung bereits im Schlusstermin vorbehalten werden (FK-InsO/Kießner, 5. Aufl., § 203 Rz. 4). Aber auch ohne einen Vorbehalt kann die Nachtragsverteilung angeordnet werden.

Rz. 12

Im vorliegenden Fall wären die Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO indes auch bei einem engeren Verständnis des "Ermittelns" erfüllt. Denn die Schuldnerin hat ihren Pflichtteilsanspruch entgegen der Behauptung der Rechtsbeschwerde während des gesamten Insolvenzverfahrens dem Treuhänder und dem Insolvenzgericht verschwiegen und erst im September 2008, also lange nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, den Treuhänder vom Erbfall, dem Pflichtteilsanspruch und der zwischenzeitlich erhobenen Klage in Kenntnis gesetzt.

Rz. 13

d) Der Anordnung der Nachtragsverteilung stand nicht entgegen, dass die Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO bereits abgelaufen war. Mit der Abtretung der pfändbaren Forderungen auf Bezüge für die Dauer von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die Nachtragsverteilung nichts zu tun. Letztere betrifft Vermögensgegenstände, die während des Insolvenzverfahrens zur Masse gehörten, die Abtretung hingegen erfasst Forderungen, die erst nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und dem damit verbundenen Ende des Insolvenzbeschlages entstehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2590615

DB 2011, 413

NJW 2011, 1448

NJW 2011, 8

NWB 2011, 1136

EBE/BGH 2011

FamRZ 2011, 1399

DNotI-Report 2011, 12

EWiR 2011, 157

JR 2012, 301

NZG 2011, 260

StuB 2011, 436

WM 2011, 79

WuB 2011, 223

ZAP 2011, 235

ZEV 2011, 87

ZIP 2011, 135

DZWir 2011, 119

MDR 2011, 131

NZI 2011, 369

Rpfleger 2011, 231

ZInsO 2011, 45

ErbR 2011, 222

FamRB 2011, 64

InsbürO 2011, 71

NJW-Spezial 2011, 247

NWB direkt 2011, 346

NotBZ 2011, 89

RENOpraxis 2011, 81

ZErb 2011, 166

ZFE 2011, 196

ZVI 2011, 26

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge