Leitsatz (amtlich)

Erwirbt ein Kaufmann mit einem einheitlichen Vertrag mehrere Wirtschaftsgüter zu einem für jedes von ihnen einzeln vereinbarten Kaufpreis, so sind die gezahlten (und verbuchten) Kaufpreise als Anschaffungskosten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG maßgeblich, sofern sie nach den Umständen, die der Kaufmann im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses kannte oder kennen mußte, sachlich gerechtfertigt waren - unbeschadet der Möglichkeit der Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Forderungserlaß im Zusammenhang mit der Übernahme neuer, durch eine Kapitalerhöhung geschaffener Stammanteile an einer vom Übernehmer völlig beherrschten Gesellschaft - einer GmbH - beim Übernehmer zu einem steuerpflichtigen Gewinn führt.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, erwarb im Jahre 1954 sämtliche Geschäftsanteile der T.-GmbH im Nennbetrag von 1 Mio DM sowie eine Forderung der Verkäuferin der Anteile gegen die T.-GmbH über 800 000 DM. Als Kaufpreis wurden 400 000 DM für die Geschäftsanteile und 600 000 DM für die Forderung vereinbart.

Am 2. Juli 1959 beschloß die Gesellschafterversammlung der T.-GmbH eine Erhöhung des Stammkapitals auf 1,6 Mio DM. Die auf das erhöhte Kapital zu leistende Stammeinlage übernahm die Klägerin in der Weise, daß sie von ihrer Darlehnsforderung gegen die T.-GmbH einen Teilbetrag von 600 000 DM in die T.-GmbH einbrachte und an diese abtrat. Mit Schreiben vom gleichen Tage erließ die Klägerin der T.-GmbH die Restforderung in Höhe von 200 000 DM zum Ausgleich des Darlehnskontos der T.-GmbH.

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) sah - nachdem er als Folge des Erlasses zunächst allein einen außerordentlichen Ertrag bei der T.-GmbH angenommen hatte - im Ergebnis den Erlaß unter Bezug auf das Urteil des BFH vom 29. Mai 1968 I 187/65 (BFHE 93, 62, BStBl II 1968, 722) als eine Gesellschaftereinlage der Klägerin an; wenn diese Einlage selbst auch steuerfrel sei, so erhöhe doch der Erlaß den Wert der neu erworbenen Gesellschaftsrechte um die streitigen 200 000 DM.

Das FG gab der nach erfolglosem Einspruch zu ihm erhobenen Klage statt. Es führte aus:

Das Vermögen der Klägerin, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittele, habe durch die Übernahme der neuen Stammanteile an der T.-GmbH und durch die mit ihr in Zusammenhang stehende Aufgabe ihrer Darlehnsforderung durch Aufrechnung und Erlaß keine Erhöhung seines Gesamtwertes erfahren. Der vorliegende Sachverhalt sei dem dem BFH-Urteil I 187/65 zugrunde liegenden nicht vergleichbar, da hier von der Klägerin keine von ihr gehaltene Beteiligung an ein Tochterunternehmen "veräußert" worden sei, sie vielmehr nur eine rein formelle Änderung ihrer Rechtsstellung gegenüber der T.-GmbH vorgenommen habe. Es liege mithin keine Wertabgabe an eine andere Rechtsperson, sondern lediglich eine rein interne Umstrukturierung vor. Eine Auflösung stiller Reserven komme deshalb nicht in Betracht. - Ausgangspunkt der Beurteilung seien die im Jahre 1954 aufgewendeten Anschaffungskosten von 1 Mio DM. Die Darlehnsforderung von 800 000 DM habe bereits damals neben den Geschäftsanteilen kein Eigenleben geführt, vielmehr selbst Beteiligungscharakter gehabt; beide Vermögenswerte hätten in unmittelbarer Wechselbeziehung zueinander gestanden (Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 9. Auflage Anm. 20b und c zu § 6; Urteile des RFH vom 6. Mai 1936 VI A 8/35, RStBl 1936, 861, und vom 1. Dezember 1937, VI 673/37, RStBl 1938, 182). Über diese Anschaffungskosten hinaus habe die Klägerin für ihre Beteiligung an der T.-GmbH im Zusammenhang mit der Übernahme der neuen Anteile nichts weiter aufgewendet. Die Kapitalerhöhung und die zu ihrer Durchführung getroffenen Maßnahmen einschließlich des Verzichts auf die Restforderung von 200 000 DM hätten an der gesellschaftsrechtlichen Verbindung der Klägerin zur T.-GmbH nichts geändert. Die absolute Abhängigkeit der T.-GmbH von der Klägerin werde nun nur nicht mehr wie früher durch eine gesellschaftsrechtliche und eine schuldrechtliche Komponente, sondern allein durch eine Beteiligung ausgewiesen. Die Auswechslung der Forderung mit Beteiligungscharakter durch gesellschaftsrechtliche Anteilsrechte sei ein gewinneutraler Vorgang, gleichgültig, ob unmittelbar die Gesamtforderung von 800 000 DM gegen die neuen Anteile ausgetauscht worden wäre oder ob - wie im Streitfall geschehen - eine Aufrechnung nur mit einer nominell den neuen Anteilen entsprechenden Teilforderung bei Erlaß der Restforderung vorgenommen worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben. Zur Begründung trägt das FA vor:

Das FG habe bei seiner Entscheidung die in § 6 Abs. 1 EStG zwingend vorgeschriebene Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens unberücksichtigt gelassen, die eine Zusammenfassung mehrerer Wirtschaftsgüter in einer Bilanzposition nicht erlaube. Es könne dahinstehen, ob die seinerzeit vorgenommene Aufteilung des Kaufpreises von 1 Mio DM den tatsächlich gegebenen Verhältnissen gerecht geworden sei. Jedenfalls habe die Klägerin gegen einen Verzicht auf 600 000 DM ihrer 800 000 DM betragenden Forderung neue Stammanteile an der T.-GmbH in Höhe von 600 000 DM erhalten. Die vom FG angeführten RFH-Urteile könnten seine Rechtsauffassung nicht stützen; vielmehr habe der RFH nur die wahlweise Vornahme einer Teilwertabschreibung bei der Beteiligung oder bei der Forderung freigestellt. Darüber hinaus mache die (theoretische) Annahme des Konkurses der T.-GmbH deutlich, daß die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und der Klägerin sich durch den in seiner Einordnung streitigen Vorgang sehr wohl gewandelt hätten, da der Klägerin aus einer Beteiligung andere Rechte zustünden als aus einer Forderung. Die Klägerin habe weder behauptet noch dargetan, daß die seinerzeit mit 600 000 DM bewertete Forderung am 2. Juli 1959 nicht in Höhe von 800 000 DM einbringbar gewesen sei. Es liege deshalb eine Realisierung der mit der Forderungsbewertung gelegten stillen Reserven in Höhe von 200 000 DM vor; bei einer Forderung von 800 000 DM, mit 75 v. H. (= 600 000 DM) bewertet, seien durch Hergabe von 75 v. H. (= 450 000 DM) gegen Erhalt von 600 000 DM neuer Geschäftsanteile 150 000 DM stille Reserven und durch den Erlaß der Restforderung von 25 v. H. (= 150 000 DM) weitere stille Reserven in Höhe von 50 000 DM freigesetzt worden.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie führt aus:

Sowohl die Auffassung des FG als auch die des FA führten zu dem gleichen Ergebnis, nämlich zur Erfolgsneutralität des in Rede stehenden Vorgangs. Gehe man mit dem FA vom Erwerb einer Beteiligung und einer Darlehnsforderung aus, so hätte das FA folgerichtig eine auf den Zeitpunkt des Erwerbs bezogene Einzelbewertung vornehmen müssen, um festzustellen, welche Werte den Anteilen und dem Darlehen nach den Bewertungsvorschriften des Einkommensteuergesetzes zuzumessen seien. Der Wert der Anteile habe 200 000 DM betragen (4 Mio DM aktiven Vermögenswerten hätten 3 Mio DM Fremdverbindlichkeiten und 800 000 DM Darlehnsforderung der damaligen Gesellschafterin gegenübergestanden); der Wert des Darlehns habe 800 000 DM betragen. Die tatsächlich gebuchten Wertansätze seien unrichtig, was für sie - die Klägerin - jedoch ohne Bedeutung gewesen sei, da sie stets die Anteile und die Darlehnsforderung in ihren Bilanzen als "Beteiligung T." mit 1 Mio DM geführt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG brauchte von seinem Rechtsstandpunkt aus die Frage der zutreffenden Bewertung der Anteile und der Darlehnsforderung nicht zu prüfen. Es hat jedoch - ebenso wie die Klägerin hinsichtlich des Ausweises der "Beteiligung T." in ihren Bilanzen - verkannt, daß die auf getrennten Konten gebuchten Wirtschaftsgüter (Anteile und Darlehnsforderung) in der Bilanz nicht in einer gemeinsamen Position ausgewiesen werden durften, weil der Saldo eines jeden Kontos der Buchführung für sich gesondert in der Bilanz auszuweisen ist. Seine Entscheidung konnte deshalb keinen Bestand haben.

2. Die Klägerin hat ausweislich des Kaufvertrages vom 18. Juni 1954 mit einem einheitlichen Vertrag sämtliche Geschäftsanteile der T.-GmbH sowie eine Darlehnsforderung ihrer damaligen Gesellschafterin - somit zwei sowohl im Wirtschaftsleben als auch rechtlich für sich selbst zu betrachtende und zu bewertende Wirtschaftsgüter - zu einem für jedes von ihnen einzeln vereinbarten Kaufpreis erworben und die gezahlten Kaufpreise in ihrer Buchführung auf zwei getrennten Konten verbucht. Die von ihr gezahlten und gebuchten Beträge (400 000 DM für die Anteile, 600 000 DM für die Darlehnsforderung) sind für Verbuchung und Bilanzierung als Anschaffungskosten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG maßgeblich, sofern sie nach den Umständen, die die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses kannte oder kennen mußte, sachlich gerechtfertigt waren - unbeschadet der Möglichkeit der Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert am ersten dem Erwerb folgenden Bilanzstichtag.

Danach ist auf den ersten Anschein von der sachlichen Richtigkeit der von der Klägerin für die erworbenen Wirtschaftsgüter gezahlten und gebuchten Kaufpreise als Anschaffungskosten auszugehen. Bestreiten die Klägerin oder das FA ihre sachliche Richtigkeit als Anschaffungskosten im steuerrechtlichen Sinne, so hat der Bestreitende die Tatsachen darzutun, die die sachliche Unrichtigkeit der gezahlten und gebuchten Kaufpreise als Anschaffungskosten erweisen.

a) Das FA hatte nach diesen Grundsätzen keinen Anlaß, von vornherein Zweifel in die sachliche Richtigkeit der von der Klägerin gebuchten Kaufpreise als Anschaffungskosten zu setzen. Der Pflicht des FA, zum einen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer wesentlich sind, von Amts wegen zu ermitteln, zum anderen die Angaben der Klägerin auch zu deren Gunsten zu prüfen (§ 204 AO), steht die Pflicht der Klägerin gegenüber, alle Erklärungen, die der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder der Festsetzung der Steuer dienen, ggf. unter Nachweis ihrer Richtigkeit (§§ 171, 172 AO), nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben (§ 166 Abs. 1 AO). Das FA durfte deshalb zunächst auf die Richtigkeit der Erklärungen der Klägerin vertrauen; es war nicht gehalten, die ihren Erklärungen zugrunde liegenden Buchansätze "argwöhnisch bis aufs letzte" zu prüfen (BFH-Urteil vom 28. Januar 1970 I R 123/67, BFHE 98, 171, BStBl II 1970, 296), sofern ihm nicht besondere Umstände hierzu Anlaß gaben.

b) Die Klägerin hat nunmehr im gerichtlichen Verfahren die sachliche Richtigkeit ihrer vom FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellten Buchansätze von 400 000 DM bzw. 600 000 DM als Anschaffungskosten in Frage gestellt. Das FG wird deshalb zu prüfen haben, ob Tatsachen dargetan werden können, die ihre sachliche Unrichtigkeit erweisen können. Der Umstand, daß bei Erwerb der Anteile und der Forderung 4 Mio DM aktiven Vermögenswerten der T.-GmbH 3 Mio DM Fremdverbindlichkeiten und 800 000 DM Darlehnsforderung der damaligen Gesellschafterin gegenüberstanden, bedeutet für sich allein noch nicht, daß die Darlehnsforderung mit 800 000 DM und die Anteile mit nur 200 000 DM sachlich richtig zu bewerten gewesen wären. Gegen eine solche Annahme sprächen außer ihrer Bewertung durch die Vertragschließenden des Kaufvertrages vom 18. Juni 1954 die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat, denen zufolge der Versuch, für die Darlehnsforderung alsbald nach deren Erwerb auf der Basis von 100 v. H. einen Interessenten zu finden, gescheitert sei.

c) Der Senat sieht in dem Erlaß der 200 000 DM, der bei einem Buchausweis der Forderung mit 600 000 DM (die gegen die Hergabe neuer Geschäftsanteile an die T.-GmbH abgetreten wurde) außerhalb der Buchführung erfolgt ist, eine verdeckte Einlage. Durch sie ist die T.-GmbH um 200 000 DM reicher und der Wert der Beteiligung der Klägerin an der T.-GmbH um 200 000 DM höher geworden. Der Senat kann jedoch anhand der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht erkennen, ob der nach der Verbuchung der Einlage auf dem Beteiligungskonto der Klägerin ausgewiesene Wert der Beteiligung mit 1,2 Mio DM dem Teilwert der Beteiligung am 31. Dezember 1959 entspricht. Dies wird deshalb das FG noch zu prüfen haben. Bejahendenfalls ist die Klage unbegründet; verneinendenfalls wird die vom FA vorgenommene Erhöhung des Gewinns für das Streitjahr um den Betrag zu ermäßigen sein, um den der Teilwert der alten und/oder der neuen Stammanteile hinter ihrem Buchausweis zurückbleibt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70373

BStBl II 1973, 391

BFHE 1973, 509

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