Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Bescheid, der auf einer Schätzung des FA beruht, ohne Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 Abs. 1 AO 1977) ergangen und wird nach Klageerhebung die Steuererklärung eingereicht, so kann der daraufhin ergehende Änderungsbescheid nur mit Zustimmung des Steuerpflichtigen unter Nachprüfungsvorbehalt gestellt werden.

2. Eine Anfechtungsklage, mit der allein die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts erstrebt wird, ist unzulässig.

 

Normenkette

AO 1977 § 132 Abs. 1 S. 1, § 164 Abs. 1, § 172 Abs. 1 Nr. 2a, § 173 Abs. 1; FGO § 100 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie gaben für die Einkommensteuer 1974 und 1976, der Ehemann auch für die Umsatzsteuer 1974 und 1976 sowie für die Gewerbesteuermeßbetragsfestsetzung 1976, keine Erklärungen ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte daraufhin die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermeßbetrag für die genannten Jahre im Schätzungswege fest. Die Einsprüche wurden nicht begründet und vom FA zurückgewiesen. Erst nach Klageerhebung reichten die Kläger Steuererklärungen ein. Das FA erließ daraufhin entsprechende Änderungsbescheide; durch diese wurden die bisherigen Festsetzungen für das Jahr 1974 erhöht, während sich für 1976 Ermäßigungen ergaben. Die Änderungsbescheide enthielten einen Nachprüfungsvorbehalt (§ 164 der Abgabenordnung - AO 1977-). Die Kläger machten die Änderungsbescheide zum Gegenstand der Verfahren (§ 68 FGO) und beantragten, den Nachprüfungsvorbehalt aufzuheben. Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen ab. Seine Entscheidung zur Einkommensteuer 1974 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1979 S. 475 (EFG 1979, 475) veröffentlicht.

Hiergegen richten sie die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revisionen.

Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist dem Verfahren beigetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unbegründet. Die Änderungsbescheide durften zwar nicht unter Nachprüfungsvorbehalt gestellt werden; doch können die Kläger nicht die isolierte Aufhebung des Vorbehalts erreichen.

1. Der Erlaß der Änderungsbescheide war zulässig. Wie sich aus § 132 Satz 1 AO 1977 ergibt, gelten die Vorschriften über die Änderung von Verwaltungsakten durch das FA auch während eines finanzgerichtlichen Verfahrens. Auch in diesem Verfahrensstadium ist die Änderung unter den besonderen Voraussetzungen möglich, die die Abgabenordnung dafür vorsieht. Im Streitfall hätte die Änderung auf die Vorschriften des

§ 172 Abs. 1 Nr. 2a AO 1977 und des § 173 Abs. 1 AO 1977 gestützt werden können. Beide Bestimmungen erlaubten es dem FA jedoch nicht, die ergehenden Änderungsbescheide unter Nachprüfungsvorbehalt zu stellen.

a) Nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 können Steuerbescheide geändert werden, falls der Steuerpflichtige zustimmt oder soweit einem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird. Gleiches gilt für den Bescheid über den Gewerbesteuermeßbetrag (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Da im Streitfall die ursprünglichen Bescheide noch nicht unanfechtbar waren, hätte die Änderung zum Nachteil der Kläger (1974) wie zu ihrem Vorteil (1976) vorgenommen werden können.

Die Aufnahme des Nachprüfungsvorbehalts wird durch diese Vorschrift aber nicht gerechtfertigt. Die Kläger hatten dem nicht zugestimmt; das FA entsprach damit auch nicht einem Antrag der Kläger. Der vom BdF hierzu vertretenen Auffassung, das FA habe dem in der Einreichung der Steuererklärung liegenden Antrag auf Neufestsetzung der Steuern unter einer Einschränkung entsprochen, kann der Senat nicht folgen.

Da die ursprünglichen Steuerbescheide ohne Nachprüfungsvorbehalte ergangen waren, konnte der Änderungsantrag der Kläger nur dahin verstanden werden, wiederum vorbehaltlose Bescheide, wenn auch mit anderen Steuerbeträgen, zu erlassen. Ein vorbehaltloser Steuerbescheid genießt eine Bestandskraft, die lediglich durch die §§ 172 ff. AO 1977 eingeschränkt ist. Demgegenüber kann ein unter Nachprüfungsvorbehalt ergangener Steuerbescheid jederzeit aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 AO 1977). Im Hinblick auf diese unterschiedlichen Regelungsfolgen lag im Erlaß eines unter Nachprüfungsvorbehalt gestellten Bescheids anstelle des beantragten vorbehaltlosen Bescheids eine Regelung mit einem Inhalt, der vom Antrag des Steuerpflichtigen nicht mit umfaßt war. Eine solche Abweichung vom Änderungsantrag läßt § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 nicht zu. Daß sich die Einschränkung der Bestandskraft unter Umständen auch zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken kann, ist insoweit bedeutungslos. Will das FA unter den Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 einen unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Steuerbescheid an die Stelle eines vorbehaltlosen Bescheides setzen, muß es dazu die Zustimmung des Steuerpflichtigen einholen.

b) Auch aufgrund von § 173 Abs. 1 AO 1977 konnte kein Änderungsbescheid unter Nachprüfungsvorbehalt ergehen. Nach dieser Bestimmung sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer abweichenden Steuer führen; die Berichtigung ist mithin auf die steuerlichen Auswirkungen der nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen oder Beweismittel beschränkt. Die Vorschrift weicht darin vom früheren § 222 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) ab, der bei Bekanntwerden neuer Tatsachen von einigem Gewicht eine Gesamtaufrollung des Steuerfalles zuließ. Die Neuregelung bewirkt ein Verstärkung.der Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids. Dieser Gesetzeszweck würde unterlaufen werden, wenn das FA anläßlich einer Änderung des Erstbescheids aufgrund von § 173 Abs. 1 AO 1977 den Änderungsbescheid unter Nachprüfungsvorbehalt stellen könnte. Da der Änderungsbescheid an die Stelle des Erstbescheids tritt (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231), könnte das FA nunmehr den gesamten Steuerfall gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 neu überprüfen, und zwar auch hinsichtlich solcher Umstände, für die keine neuen Tatsachen bekanntgeworden sind. Damit würde im Ergebnis eine Wiederaufrollung des Steuerfalls erreicht, die durch die Gesetzesneufassung beseitigt werden sollte (ablehnend auch Koch, Kommentar zur Abgabenordnung, 2. Aufl., § 164 Anm. 8).

Die Auffassung des BdF, eine abweichende Beurteilung sei für die Fälle geboten, in denen die Besteuerungsgrundlagen für die ursprünglichen Bescheide in vollem Umfang geschätzt werden mußten, teilt der Senat nicht.

Die Beifügung des Nachprüfungsvorbehalts kann insbesondere nicht davon abhängig gemacht werden,

ob ursprünglich eine "Vollschätzung" oder nur eine "Teilschätzung" (z. B. hinsichtlich einzelner Besteuerungsgrundlagen wie etwa Betriebsausgaben oder Werbungskosten) vorlag. Beide Sachverhalte lassen sich nicht zuverlässig unterscheiden. Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO 1977) erstreckt sich zudem nur auf einen Teil der Tatbestandsmerkmale des Steuerschuldverhältnisses; zu den weiteren Tatbestandsmerkmalen gehören z. B. auch die Bestimmungen über die subjektive Steuerpflicht. Könnte ein Änderungsbescheid unter Nachprüfungsvorbehalt gestellt werden, wenn hinsichtlich aller oder einiger zu schätzender Besteuerungsgrundlagen neue Tatsachen vorliegen, so wäre die Steuerfestsetzung auch hinsichtlich der übrigen Besteuerungsmerkmale der erleichterten Abänderung gemäß § 164 AO zugänglich. Das entspricht nicht dem Sinn und Zweck des § 173 Abs. 1 AO.

c) Entgegen der Ansicht des FG und des BdF rechtfertigt auch die Verletzung von Mitwirkungs- und Erklärungspflichten durch die Kläger (§§ 90 Abs. 1, 149 AO 1977) nicht die Aufnahme von Nachprüfungsvorbehalten in die Änderungsbescheide. Das FA mag ein berücksichtigungswertes Interesse daran haben, sich die abschließende Prüfung des Steuerfalles nach Eingang der Steuererklärung in solchen Fällen ebenso vorzubehalten, wie bei einer rechtzeitigen Erfüllung der Erklärungspflicht. Das Verwaltungsinteresse kann jedoch nur innerhalb der gesetzlichen Verfahrensvorschriften verwirklicht werden. Wie der Senat in seinem Urteil vom 12. Juni 1980 IV R 23/79 (BFHE 130, 370, BStBl II 1980, 527) ausgeführt hat, kann das FA im Steuerfestsetzungsverfahren noch den Einspruchsbescheid unter Nachprüfungsvorbehalt stellen, wenn der angefochtene Bescheid vorbehaltlos ergangen war. Ist das Einspruchsverfahren - wie im Streitfall - jedoch abgeschlossen und macht das FA deshalb von den Änderungsmöglichkeiten des § 172 Abs. 2 Nr. 2 a und des § 173 Abs. 1 AO 1977 Gebrauch, besteht keine Möglichkeit, den Nachprüfungsvorbehalt nachträglich einzufügen.

2. Obwohl die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind, kann dem Revisionsbegehren nicht entsprochen werden. Die Anträge der Kläger lassen dies nicht zu.

Die Kläger haben bereits vor dem FG beantragt, allein den Nachprüfungsvorbehalt aufzuheben. Ihr Prozeßbevollmächtigter hat auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, daß er nur diesen Ausspruch, nicht aber die Aufhebung der Änderungsbescheide begehre. Da der Senat über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), kann er die rechtswidrigen Änderungsbescheide nicht aufheben. Er kann jedoch auch den Nachprüfungsvorbehalt nicht aufheben; die hierauf gerichtete Klage ist unzulässig.

Wie sich aus § 100 Abs. 1 FGO ergibt, können die Steuergerichte im Rahmen einer Anfechtungsklage einen rechtswidrigen Verwaltungsakt ganz oder teilweise aufheben, nicht aber in seinem Inhalt verändern. Das entspricht der verfassungsmäßigen Trennung zwischen vollziehender und rechtsprechender Gewalt (Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes). Lediglich bei den in § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichneten Verwaltungsakten, zu denen auch der angefochtene Bescheid gehört, kann das Gericht eine Änderung insoweit vornehmen, als es einen abweichenden Betrag festsetzen kann. Sonstige Änderungen sind ihm aber versagt.

Mit dem Antrag auf Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts erstreben die Kläger nicht eine teilweise Aufhebung, sondern eine inhaltliche Änderung der angefochtenen Bescheide. Durch die Beifügung des Nachprüfungsvorbehalts hat das FA die angefochtenen Bescheide mit einer Nebenbestimmung i. S. von § 120 Abs. 1 AO 1977 versehen. Da der Nachprüfungsvorbehalt untrennbar mit dem sonstigen Inhalt des Steuerbescheids verbunden ist, handelt es sich dabei um eine unselbständige Nebenbestimmung des Verwaltungsakts (Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 164 AO 1977 Anm. 6 a; Koch, a. a. O., § 164 Anm. 43). Eine solche unselbständige Nebenbestimmung kann wie ein anderer Bestandteil des Verwaltungsakts nicht selbständig, sondern nur mit der Anfechtungsklage gegen den gesamten Verwaltungsakt angegriffen werden (BFH-Beschluß vom 20. Juni 1979 IV B 20/79, BFHE 128, 306, BStBl II 1979, 666). Ist eine unselbständige Nebenbestimmung rechtswidrig, kann mit der Anfechtungsklage nur die Aufhebung des Verwaltungsakts samt Nebenbestimmung, nicht aber der Fortbestand des Verwaltungsakts ohne Nebenbestimmung erreicht werden (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. März 1968 IV C 27/67 BVerwGE 29, 261, 264 f.; bestätigend BVerwG-Urteil vom 21. Oktober 1970 IV C 165/65, BVerwGE 36, 145, 153 f.). So wie das FA durch Erlaß eines unter Nachprüfungsvorbehalt stehenden Steuerbescheids dem auf Änderung eines vorbehaltlosen Bescheides gerichteten Antrag des Steuerpflichtigen nicht teilweise entspricht, sondern inhaltlich von ihm abweicht, so würde auch das Gericht durch Aufhebung des Vorbehalts den angefochtenen Verwaltungsakt nicht teilweise beseitigen, sondern ihn inhaltlich verändern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413470

BStBl II 1981, 150

BFHE 1981, 5

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