Leitsatz (amtlich)

1. Der VIII. Senat tritt der Auffassung des I. Senats in dem Urteil I 266/65 vom 16. Juli 1969 (BFH 97, 342, BStBl II 1970, 175) bei, daß die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem inländischen Betrieb eines Steuerpflichtigen in seine ausländische Betriebstätte eine mit dem Teilwert zu bewertende Entnahme ist, wenn der Gewinn der ausländischen Betriebstätte auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht der inländischen Besteuerung unterliegt.

2. Die Annahme einer Entnahme ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil stille Reserven in den überführten Wirtschaftsgütern nicht enthalten sind.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 4, § 10a

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtiger), der zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nach den Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes berechtigt ist, betreibt als Alleinunternehmer eine Fabrik in der Bundesrepublik bei Gewinnermittlung nach § 5 EStG, außerdem die Herstellung von ... in einem 1960 erworbenen Betrieb in Österreich, für den eine getrennte Buchführung mit gesonderten Bilanzen und Verlust- und Gewinnrechnungen besteht.

Im Streitjahr führte der Steuerpflichtige aus seiner inländischen Fabrik dem österreichischen Betrieb drei Maschinen in unstreitig übereinstimmenden Buch- und Teilwerten zu, ferner Gelder in Höhe von ... DM. Diese Werte wies er in der Bilanz zum 31. Dezember 1962 der inländischen Betriebe als sonstige Forderungen aus. Bei einer im Jahre 1964 vorgenommenen Prüfung der Fabrik beanstandete der Prüfer den Ansatz dieser Beträge als Forderungen mit der Begründung, die Überführungen der Wirtschaftsgüter in die österreichische Betriebstätte stellten Entnahmen dar. Er erhöhte deshalb die ausgewiesenen Entnahmen entsprechend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) versagte daraufhin bei der im Einklang mit den Prüfungsergebnissen durchgeführten Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO des Streitjahres die beanspruchte Steuervergünstigung für nichtentnommenen Gewinn nach § 10a EStG, weil die ermittelten Entnahmen den Gewerbegewinn überschritten, und unterwarf die Mehrentnahmen bis zur Höhe der nach § 45 Abs. 3 EStDV bei den Veranlagungen 1959 bis 1961 besonders festgestellten Beträge der Nachversteuerung gemäß § 10a Abs. 2 EStG.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG sah in den Überführungen der Maschinen und Gelder aus dem inländischen Betrieb in die österreichische Betriebstätte Entnahmen im Sinne von § 4 und § 10a EStG. Es hielt den Verbleib der Wirtschaftsgüter im betrieblichen Bereich für unerheblich. Die Rechtslage, so führte es aus, werde durch das DBA-Österreich vom 4. Oktober 1954 (BGBl II 1955, 749 ff., BStBl I 1955, 369 ff.) bestimmt, das als völkerrechtlicher Vertrag den Vorrang vor innerdeutschen Bestimmungen habe und nach dessen Art. 4 Abs. 1 Gewinne und Verluste aus in Österreich belegenen Betrieben und Betriebstätten nicht zur Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer gehörten. Art. 4 enthalte eine sachliche Steuerbefreiung, die ausländische Quelle scheide bei der Steuerbemessung im Inland aus. Bei einem einheitlichen Betriebe, der sich sowohl auf das Inland als auch auf das Ausland erstrecke, werde jede Betriebstätte als selbständiges Unternehmen angesehen. Die Finanzierung der ausländischen Betriebstätte durch den inländischen Betrieb sei deshalb als Entnahme beim inländischen Unternehmen zu behandeln (Urteil des RFH VI A 473/35 vom 21. Oktober 1936, RStBl 1937, 424). Das Ausscheiden von Wirtschaftsgütern aus der inländischen Gewinnermittlung und aus der inländischen Besteuerung stehe ihrer Abgabe in die Privatsphäre gleich. Die erfolgte Überführung der Maschinen und Gelder nach Österreich sei damit in der Frage des nichtentnommenen Gewinnes und der Nachversteuerung als schädliche Entnahmehandlung zu beurteilen. Dieser Beurteilung stehe das Fehlen stiller Reserven in den überführten Wirtschaftsgütern nicht entgegen, da letztere substanzmäßig der deutschen Besteuerung durch das DBA/Österreich entzogen worden seien. Der Umstand, daß den nach § 10a EStG begünstigten Steuerpflichtigen die Errichtung von Betrieben im Auslande gesetzlich nicht verwehrt sei, rechtfertige keine andere Wertung. Die Beachtung von § 2 EStG führe zu keinem abweichenden Schluß, da das DBA/Österreich den innerdeutschen Vorschriften vorgehe. Der Einwand, daß bei einer Kündigung des DBA/Österreich der für die Nachversteuerung geltende Dreijahresraum in Abschnitte vorhandener oder fehlender Geltung des DBA/Österreich fallen könne, gehe fehl, weil das DBA/Österreich jedenfalls im Streitjahr und in den vorangegangenen drei Jahren in Kraft gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Auch die Revision ist unbegründet.

Die Vorentscheidung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Steuerpflichtige, die auf Grund des Bundesvertriebenengesetzes zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen berechtigt sind, ihre frühere Erwerbsgrundlage verloren haben und ihre Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung nach § 4 Abs. 1 oder nach § 5 EStG ermitteln, können für die Veranlagungszeiträume 1952 bis 1963 auf Antrag bis zu 50 v. H. der Summe der nichtentnommenen Gewinne, höchstens aber 20 000 DM, als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehen (§ 10a Abs. 1 Satz 1 EStG 1962). Der als steuerbegünstigt in Anspruch genommene Teil der Summe der Gewinne ist bei der Veranlagung besonders festzustellen (§ 10a Abs. 1 Satz 3 EStG). Übersteigen in einem der auf die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung (Abs. 1) folgenden drei Jahre bei dem Steuerpflichtigen oder seinem Gesamtrechtsnachfolger die Entnahmen aus dem Betrieb die Summe der bei der Veranlagung zu berücksichtigenden Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb, so ist der übersteigende Betrag (Mehrentnahme) bis zur Höhe des besonders festgestellten Betrages (Abs. 1 letzter Satz) dem Einkommen im Jahr der Mehrentnahme zum Zweck der Nachversteuerung hinzuzurechnen (§ 10a Abs. 2 Satz 1 EStG). Die Anknüpfung der Steuervergünstigung einschließlich der Nachversteuerung an die Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4 f. EStG, insbesondere an die Begriffe Gewinn und Entnahme, rechtfertigt mangels entgegenstehender Umstände die Annahme, daß der Gesetzgeber u. a. dem Ausdruck Entnahme im § 10a EStG einen von der Entnahmedefinition des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG abweichenden Inhalt nicht beilegen wollte. Davon gehen die Beteiligten ebenfalls aus.

Entnahmen sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG (§ 5 Satz 2 EStG) alle Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige dem Betriebe für sich, seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke im Laufe des Wirtschaftsjahres entnommen hat. Sie sind mit dem Teilwert anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Den Entnahmevorschriften kommt als Teiler der für einen Betrieb innerhalb der jeweiligen Einkunftsart geltenden Gewinnermittlungsregelung u. a. die Bedeutung zu, daß gewerbliche Wirtschaftsgüter, die in eine betriebsfremde Sphäre überführt werden, bei ihrem Ausscheiden nach den für den jeweiligen Betrieb maßgebenden Berechnungsgrundsätzen zur Besteuerung herangezogen werden sollen, und zwar nach den Verhältnissen ihrer Buch- und Teilwerte mit gewinnerhöhender, gewinnneutraler oder gewinnmindernder Wirkung. Entsprechend diesen vom Gesetzgeber mit seiner Entnahmeregelung verfolgten Zwecken hat die höchstrichterliche Rechtsprechung einen Entnahmevorgang im Sinne des Gesetzes, nämlich die Herauslösung eines Wirtschaftsgutes aus einem konkreten Betrieb für einen diesem Betrieb fremden Zweck bejaht, wenn die Überführung in einen anderen Betrieb die bisher gebotene gewinnmäßige Behandlung ausschließen würde (vgl. insbesondere Urteile des BFH IV 72/65 vom 16. März 1967, BFH 88, 129, BStBl III 1967, 318; IV 31/65 vom 22. Mai 1969, BFH 96, 176, BStBl II 1969, 584; IV 27/65 vom 22. Mai 1969, BFH 96, 180, BStBl II 1969, 586; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Rdnr. 42b [7] zu § 4, Lieferung 93, Dezember 1970). Sie hat deshalb bei Bestehen eines DBA, welches das Besteuerungsrecht für den anderen Betrieb einem fremden Staat zuweist und dadurch die Erfassung des in den anderen Betrieb überführten Wirtschaftsgutes nach den bisherigen Gewinnermittlungsvorschriften ausschließt, ebenfalls eine Entnahme im Sinne von § 4 EStG im bisherigen Betrieb angenommen (vgl. BFH-Urteil I 266/65 vom 16. Juli 1969, BFH 97, 342, BStBl II 1970, 175). Entsprechend hat der BFH in seiner Entscheidung I R 55/66 vom 28. April 1971 (BFH 102, 374, BStBl II 1971, 630) eine Betriebsaufgabe im Sinne von § 16 Abs. 3 EStG bejaht, falls alle Wirtschaftsgüter eines Betriebes wegen dessen Verlegung ins Ausland aus der inländischen Besteuerung auf Grund eines DBA ausscheiden.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an, da die vom Gesetzgeber mit den Gewinnermittlungsvorschriften des EStG verfolgten Zwecke diese Auslegung erfordern. Steht die Besteuerung eines Betriebes einem anderen Staat zu, so handelt es sich um das Ausscheiden des dorthin aus dem inländischen Betrieb überführten Wirtschaftsgutes aus den Bereichen aller Gewinnermittlungsordnungen des EStG, so daß eine Entnahme zu bejahen ist. Dabei ist es unerheblich, ob diese Entnahme wegen Fehlens oder Vorhandenseins stiller Reserven im entnommenen Wirtschaftsgut sich im Ergebnis - je nach Verhältnis von Buch- und Teilwert - als erfolgsneutral oder erfolgswirksam herausstellt, da nicht schon die eine oder die andere Auswirkung den Charakter als Entnahme in Frage stellt. Es genügt vielmehr im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Bejahung einer Entnahmehandlung bei Ausscheiden von Wirtschaftsgütern aus der inländischen Einkommensbesteuerung durch Überführung in einen ausländischen Betrieb rechtlich die Möglichkeit, daß stille Reserven durch Ausscheiden aus der inländischen Besteuerung dieser entzogen werden, ohne daß es auf ihr tatsächliches Vorhandensein ankommt.

Wendet man diese Grundsätze im Streitfall an, so begegnet die Behandlung der Überführung der betroffenen Wirtschaftsgüter des Steuerpflichtigen aus seinem inländischen Betrieb in seine österreichische Betriebstätte als Entnahmevorgang rechtlich keinen Bedenken. Denn die überführten Maschinen und Gelder sind in ihren dem österreichischen Betrieb hinfort zuzurechnenden Werten aus den Bemessungsgrundlagen der Einkommensteuer, wie sie das EStG vorsieht, ausgeschieden. Ihr Ausscheiden nach Art. 4 DBA/Österreich ist anzunehmen, da hiernach, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne und Verluste aus dem österreichischen Betriebe der Republik Österreich eingeräumt worden ist. Daß das DBA/Österreich auch im Falle des Steuerpflichtigen Anwendung findet, ist nicht zweifelhaft, da das DBA/Österreich als völkerrechtlicher Vertrag zufolge seiner förmlichen Transformation durch die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland in innerdeutsches Recht, die durch vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossenes Gesetz vom 27. Juli 1955 über das in Rede stehende Abkommen (BGBl II 1955, 749 vom 1. August 1955, BStBl I 1955, 369) geschehen ist, seit dem 2. August 1955 Gesetzeskraft hat (Art. 2 Abs. 1, Art. 4 des Gesetzes vom 27. Juli 1955; Art. 59 Abs. 2 GG; vgl. Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1964, Teil I Kap. 8 Abschn. III S. 69). Da dieses Gesetz entgegen einer etwa abweichenden Auffassung des Steuerpflichtigen als sachgerechte Regelung eine Willkür des Gesetzgebers nicht erkennen läßt und sich auch sonst in den vom GG gezogenen Grenzen hält, ist es als bindendes Steuerrecht zu betrachten. Es steht zugleich im Einklang mit den Bestimmungen des EStG insofern, als dieses in §§ 1 ff. in Verbindung mit § 3 Nr. 41 EStG dem Ausscheiden von Besteuerungsgrundlagen aus der innerdeutschen Besteuerung auf Grund von DBA Rechnung trägt. Das ergibt sich daraus, daß unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen, die gemäß §§ 1 f. EStG mit ihrem gesamten Einkommen der Einkommensteuerpflicht unterliegen, hinsichtlich der Einkünfte aus dem Ausland gemäß § 3 Nr. 41 EStG dann und insoweit steuerbefreit sind, als für sie ein Anspruch auf Befreiung nach einem DBA besteht, wie das hier nach Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 DBA/Österreich der Fall ist. Der Steuerpflichtige verkennt in diesem Zusammenhang, daß § 1 EStG und § 2 EStG eine sachliche Einschränkung in § 3 Nr. 41 EStG finden. Dafür, daß die Einräumung des Besteuerungsrechtes an die Republik Österreich als Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben aufzufassen wäre, ist nichts vorgetragen worden und nichts zu ersehen. Die Annahme einer etwa den Steuerpflichtigen belastenden Rückwirkung oder nachträglicher Einschränkung seiner Rechte scheidet schon deshalb aus, weil das DBA/Österreich in den hier zu beurteilendenden Zeiträumen unverändert in Kraft gewesen ist. Der Steuerpflichtige konnte und mußte sich auf den Inhalt des DBA/Österreich und seine Auswirkungen einstellen. Der Umstand, daß die Möglichkeit einer Außerkraftsetzung bestand, ist unerheblich, da es auf die Geltung ankommt. Auch das Vertrauen auf die Fortdauer einer einmal geschaffenen Rechtslage ist nicht verletzt. Richtig ist zwar, daß das DBA/Österreich keinen unmittelbaren Bezug zur Steuervergünstigung nach § 10a EStG hat, jedoch ist es für die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer Entnahme im Sinne der von § 10a in Bezug genommenen Gewinnermittlungsvorschriften des EStG maßgebend. Aus dem Fehlen zusätzlicher Vorschriften für die Anwendung des § 10a EStG ist nichts anderes zu schließen, da diese Vorschrift hinreichend klar und in ihrem Inhalt bestimmt ist. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob bei unklarer Fassung oder unklarem Geltungsbereich eine andere Beurteilung gerechtfertigt wäre, wie sie für den Fall einer zweifelhaften Rechtslage der Steuerpflichtige aus den Grundsätzen von Treu und Glauben für eine ihm günstige Gesetzesauslegung hergeleitet wissen will. Der Zweck des § 10a EStG, die Kapitalbildung aus nichtentnommenen Gewinnen zu fördern, steht der erfolgten Beurteilung nicht entgegen, da für die Annahme, der Gesetzgeber habe durch diese Bestimmung einen Anreiz für die Kapitalbildung im Ausland aus dort nicht entnommenen Gewinnen geben wollen, hinreichende Anhaltspunkte nicht zu ersehen sind. Der Einwand des Steuerpflichtigen, das FG habe bei Annahme eines dem inländischen Unternehmen fremden österreichischen Betriebes den bilanzmäßigen Ausweis von Forderungen aus der Überführung zulassen müssen, geht insofern fehl, als nach dem Erörterten die Überführung der Wirtschaftsgüter wegen ihres Ausscheidens aus der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer infolge Eintritts in einen fremdstaatlichen Besteuerungskreis aus der Sicht des inländischen Betriebes als für "betriebsfremde Zwecke" im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG erfolgt zu betrachten ist. Auf das weitere Vorbringen des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413259

BStBl II 1972, 760

BFHE 1972, 198

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