Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Neuregelung der Pauschbeträge für Körperbehinderte in der Verordnung zur änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung vom 30. Dezember 1959 (BGBl 1960 I S. 1, BStBl 1960 I S. 26) hält sich grundsätzlich im Rahmen er Ermächtigung, die der Bundesregierung in § 33a Abs. 6 EStG 1955/l960 gegeben worden ist.

Die Gewährung der Pauschbeträge ist nur als Vereinfachungsmaßnahme gedacht. Steuerpflichtigen, denen ein Pauschbetrag gewährt wird, ist darum nicht verwehrt, statt des Pauschbetrags etwaige höhere Aufwendungen nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 EStG geltend zu machen. Dasselbe gilt für körperbehinderte Steuerpflichtige, für die ein Pauschsatz nicht vorgesehen ist.

Die Steuergerichte können nicht von sich aus den Kreis der Personen, die nach § 26 Abs. 1 und 2 LStDV 1960 Anspruch auf einen Pauschbetrag für Körperbehinderte haben, erweitern.

EStG 1955/1960 § 33 a Abs. 6; LStDV § 26 Abs. 1 und 2 in der Fassung der ändVO vom 30.

 

Normenkette

EStG § 33a Abs. 6; EStDV § 65; LStDV § 26 Abs. 1, § 26/2

 

Tatbestand

Der Bg. ist nach einer amtsärztlichen Bescheinigung in der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. auf Grund folgender Befunde gemindert:

alte inaktive Lungentuberkulose mit geringer Begleitbronchitis, geringer chronischer Magenschleimhautkatarrh sowie Neigung zur Verstopfung;

doppelseitiger Senk-Spreizfuß und Narbenbildung an der zweiten Zehe nach Hammerzehenoperation.

Nach der amtsärztlichen Feststellung mindern die Leiden unter b) die Erwerbsfähigkeit nicht, während die Leiden unter a) äußerlich nicht erkennbar sind. Das Finanzamt versagte dem Bg. im Lohnsteuerjahresausgleich für 1960 einen Pauschbetrag für Körperbehinderte gemäß § 26 LStDV in der Fassung der Verordnung zur änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (ändVO) vom 30. Dezember 1959 (BGBl 1960 I S. 1; BStBl 1960 I S. 26), weil die Körperbehinderung nicht zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt und gewährte dem Bg. einen Pauschbetrag von 480 DM mit der folgenden Begründung: Bei einer Erwerbsminderung von mindestens 50 v. H. werde nach § 26 Abs. 2 Ziff. 1 LStDV in der Fassung der ändVO eine äußerlich erkennbare dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit nicht gefordert, sondern nur bei Steuerpflichtigen ohne Anspruch auf Versorgungsbezüge, bei denen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf weniger als 50 v. H., aber mindestens von 25 v. H. festgestellt sei (ß 26 Abs. 2 Ziff. 2 Buchst. b LStDV). Diese Einschränkung der ändVO finde in der Ermächtigung des § 33 a Abs. 6 letzter Satz EStG 1955 keine Rechtsgrundlage. Das Merkmal der äußerlichen Erkennbarkeit der Einbuße der körperlichen Beweglichkeit lasse sich nicht aus dem allgemeinen Grundgedanken und dem Zweck der Ermächtigung ableiten. Es sei ein Gebot der Menschlichkeit und der Menschenwürde, allen körperlich Schwachen, Behinderten und Pflegebedürftigen zu helfen. Die steuerfreien Pauschbeträge sollten dazu dienen, Aufwendungen, die diesen Personen durch ihre Körperliche Beeinträchtigung erwüchsen, bei der Berechnung der Einkommensteuer (Lohnsteuer) pauschal abzugelten. Nach dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung müßten Körperbehinderte mit gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit auch steuerlich gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob eine Körperbehinderung äußerlich erkennbar sei oder nicht. Ein "ähnlicher Fall" im Sinne der Ermächtigung in § 33 a Abs. 6 letzter Satz liege vor, wenn der Betroffene durch seinen Körperschaden ebenso belastet sei wie ein Versorgungsberechtigter mit einem entsprechenden Körperschaden. Auch die weitere Voraussetzung des § 33 a Abs. 6 EStG, daß nämlich bei den Körperbeschädigten übersichtliche Verhältnisse gegeben sein müßten, die eine einheitliche Regelung ermöglichten, sei erfüllt, wenn man nur auf den Körperschaden als solchen abstelle. übersichtliche Verhältnisse setzen nicht voraus, daß ein Körperschaden äußerlich erkennbar sei. Sichtbare oder unsichtbare Körperschäden könnten nach Art und Schwere nur durch einen Arzt festgestellt werden.

Der Vorsteher des Finanzamts führt in seiner Rb. aus, die in der ändVO vorgenommene Unterscheidung widerspreche nicht der gesetzlichen Ermächtigung in § 33 a Abs. 6 EStG 1955. Der Gesetzgeber habe nicht etwa allen körperbeschädigten Personen wegen ihrer außergewöhnlichen Belastungen steuerfreie Pauschbeträge zubilligen wollen. Wenn die Zivilbeschädigten mit einer Erwerbsminderung von mindestens 50 v. H. den Körperbehinderten mit Beschädigtenversorgung gleichgestellt seien, so folge daraus nicht, daß auch die Zivilbeschädigten mit einer geringeren Minderung der Erwerbsfähigkeit den entsprechenden Körperbehinderten mit Beschädigtenversorgung hätten gleichgestellt werden müssen. Keinesfalls habe aber das Finanzgericht die vom Gesetzgeber dem Verordnungsgeber vorbehaltene Abgrenzung des zu begünstigenden Personenkreis selbst vornehmen dürfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.

Durch die ändVO sind die Pauschbeträge für Körperbehinderte neu geregelt worden. Damit hat die Bundesregierung den Bedenken Rechnung getragen, die der Senat in der Entscheidung VI 72/56 U vom 22. November 1957 (BStBl 1958 III S. 44, Slg. Bd. 66 S. 111) gegen die Abgrenzung des Kreises der Begünstigten durch die Verwaltungsanweisung des Abschn. 40 Abs. 1 Ziff. 2 LStR 1955 erhoben hatte.

Bei der rechtlichen Beurteilung der Neuregelung ist vor allem zu beachten, daß Körperbehinderte, wie schon bisher, nicht auf die Pauschbeträge angewiesen sind. Sie brauchen die Pauschbeträge nicht in Anspruch zu nehmen, sondern können eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG beantragen, wenn sie glaubhaft machen, daß ihnen durch ihr körperliches Leiden höhere Aufwendungen entstehen, als dem Pauschbetrag entspricht (ß 26 Abs. 1 Satz 1 LStDV 1960, § 65 Abs. 1 Satz 1 EStDV 1960). Das ist zwar in der Ermächtigungsvorschrift des § 33 a Abs. 6 EStG nicht ausdrücklich gesagt, ergibt sich aber aus dem Sinnzusammenhang mit der Grundvorschrift des § 33 Abs. 1 EStG. Tatsächlich hat dann auch die Bundesregierung in der ändVO (vgl. jetzt § 65 EStDV 1960, 26 Abs. 1 Satz 1 LStDV 1960) klar zum Ausdruck gebracht, daß durch die Pauschbeträge die Geltendmachung höherer Aufwendungen nicht ausgeschlossen wird. Die Neuregelung beeinträchtigt also die gesetzlichen Ansprüche des Steuerpflichtigen aus § 33 EStG nicht. Sie ist nur eine Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung und bedeutet auch eine Erleichterung für die Steuerpflichtigen, weil sie in weiterem Umfange als bisher auf einen Nachweis der Aufwendungen verzichtet, den Kreis der begünstigten Steuerpflichtigen großzügig abgrenzt und in weitem Umfange die Zivilbeschädigten den Kriegsbeschädigten gleichstellt. Grundsätzlich war es Sache des Gesetzgebers und des Verordnungsgebers, festzulegen, in welchem Umfang im Interesse der Vereinfachung Aufwendungen, die Steuerpflichtigen durch ihre Körperbehinderung entstehen, durch Pauschbeträge zu berücksichtigen sind. Zur Zeit erhalten alle Schwerkörperbehinderten, d. h. alle Personen mit einer Erwerbsminderung von 50 v. H. und mehr, einen Pauschbetrag. Die Erwerbsminderung kann bei nicht versorgungsberechtigten Zivilbeschädigten - im Gegensatz zu den EStR der Vorjahre - auch durch eine innere Krankheit verursacht sein. Körperbehinderte, deren Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 v. H., aber mindestens um 25 v. H. gemindert ist, können ohne Nachweis einen Pauschbetrag beantragen, wenn ihnen wegen ihrer Behinderung Renten oder andere laufende Bezüge zustehen (ß 26 Abs. 2 Ziff. 2 a LStDV 1960). Das gleiche gilt, wenn die Körperbehinderung zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hat oder auf einer typischen Berufskrankheit beruht (ß 26 Abs. 2 Ziff. 2 b LStDV 1960).

Beim Bg. liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Ihm steht nach der Neuregelung kein Pauschbetrag zu. Er kann darum nach der Gesetzeslage gemäß § 33 EStG nur bei Nachweis entsprechender Aufwendungen eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastungen, die ihm durch seine Körperbehinderung erwachsen, verlangen. Die ändVO hat die Rechtsstellung des Bg. nicht verschlechtert, wenngleich er nicht so günstig steht wie Körperbehinderte mit gleicher Erwerbsminderung in den Fällen des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 a und b LStDV 1960.

Die Ermächtigung in § 33 Abs. 6 EStG 1955/1960 gibt dem Bg. keinen Anspruch auf Verbesserung seiner Rechtsstellung, wie das Finanzgericht annimmt. Der Gesetzgeber wollte offenbar dem Ermessen des Verordnungsgebers bei der Ausführung der Vereinfachungs-Ermächtigung des § 33 Abs. 6 EStG 1955/1960 einen weiten Spielraum lassen, wenn er bestimmte, daß der Verordnungsgeber die Festsetzung von Pauschbeträgen auch auf andere Gruppen von "ähnlichen Fällen" ausdehnen könne, "soweit bei diesen übersichtliche Verhältnisse gegeben sind, die eine einheitliche Beurteilung ermöglichen" (ß 33 a Abs. 6 Satz 1 EStG 1955). Die Bundesregierung konnte im Rahmen dieser weiten Ermächtigung festlegen, daß nicht allen Körperbehinderten mit einer Erwerbsminderung zwischen 25 v. H. und 50 v. H. ein Pauschbetrag zu gewähren sei. Sie durfte und brauchte nicht, wie das Finanzgericht irrig annimmt, nur den Grad der Erwerbsminderung zu berücksichtigen, sondern konnte durchaus - wie geschehen - entsprechend dem Zweck der Pauschalierung auch in Betracht ziehen, ob nach der allgemeinen Lebenserfahrung bei bestimmten Gruppen von Körperbehinderten gewöhnlich mit dauernden finanziellen Belastungen in bestimmter Höhe zu rechnen sei. Bei der Vielfalt der Ursachen, die zu einer äußerlich nicht erkennbaren Beeinträchtigung der körperlichen Beweglichkeit führen können und bei den unterschiedlichen Folgen konnte die Bundesregierung bei sachgerechter Würdigung durchaus bestimmten Gruppen von Steuerpflichtigen einen Pauschbetrag versagen und ihnen überlassen, die ihnen tatsächlich entstehenden Aufwendungen dem Finanzamt glaubhaft zu machen und gegebenenfalls eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG zu beantragen. Der Verordnungsgeber ist jedenfalls bei der Abgrenzung nicht willkürlich verfahren.

Nach allem ist § 33a Abs. 6 EStG 1955/1960 und die darauf beruhende ändVO rechtsgültig. Die Steuergerichte haben sie darum zu beachten.

Selbst wenn man aber diese Frage mit dem Finanzgericht anders beurteilen wollte, könnten die Steuergerichte nicht den Kreis der Körperbehinderten Personen, die Anspruch auf einen Pauschbetrag haben, erweitern, wie es das Finanzgericht rechtsirrtümlich getan hat. Die Abgrenzung des Kreises der Personen, denen ein Pauschbetrag gewährt werden soll, hat der Gesetzgeber in § 33 Abs. 6 EStG der Bundesregierung, nicht aber den Steuergerichten übertragen.

Das Urteil des Finanzgerichts, das von anderen Erwägungen ausgeht, war aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen. Der Bg. kann dort seine Aufwendungen, die bei ihm zu einer außergewöhnlichen Belastung durch seine Körperbehinderung im Sinne des § 33 EStG geführt haben, dem Finanzamt nachweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411000

BStBl III 1964, 34

BFHE 1964, 92

BFHE 78, 92

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