Entscheidungsstichwort (Thema)

Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit

 

Leitsatz (NV)

1. Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO 1977 sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, wie z.B. Übertragungsfehler. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabewertbogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung stehen.

2. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht; allerdings muß sich die Möglichkeit eines Rechtsirrtums durch die vom Gericht festgestellten Tatsachen belegen lassen.

3. Für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist es nicht erforderlich, daß die Unrichtigkeit auch für den Steuerpflichtigen erkennbar ist. Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist.

4. Eine besondere Begründung der Ermessensausübung durch das FA ist nicht erforderlich, wenn sich das Ermessen des FA in einer Weise verdichtet hatte, die den Erlaß des Berichtigungsbescheides geradezu erforderte.

 

Normenkette

AO 1977 § 129

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in . . . Er hatte das (bebaute) Grundstück, das im Erwerbszeitpunkt zutreffend als Einfamilienhaus bewertet war, 1978 erworben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte auf den 1. Januar 1979 eine Zurechnungsfortschreibung auf den Kläger durch.

In den Jahren 1980 bis 1982 nahm der Kläger für knapp 300000 DM Baumaßnahmen vor. Er errichtete eine Doppelgarage und erweiterte das Wohnhaus um einen Anbau, der sich sowohl über das Erd- als auch das Obergeschoß erstreckte. Im Erdgeschoß wurden das Kaminzimmer, im Obergeschoß ein Kinderzimmer vergrößert sowie eine Loggia errichtet. Dadurch entstanden 38,52 qm neuer Wohnraum.

Am 25. Februar 1983 reichte der Kläger eine Erklärung zur Feststellung des Einheitswertes ein. In ihr waren die Größe des neu entstandenen Wohnraums sowie Zahl und Nutzungsart der einzelnen Zimmer des gesamten Hauses angegeben: ,,1 Küche, 2 Bäder . . .". Der Erklärung waren neben anderen Unterlagen Bauzeichnungen, eine Wohnflächenberechnung und ein Antrag auf Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigte Wohnungen nach den §§ 82 und 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II.WoBauG) beigefügt. Bei der Bearbeitung der Steuererklärung trug der Sachbearbeiter der Bewertungsstelle in Ziff.101E des Eingabebogens die Zahl ,,6" (= Kennziffer für Zweifamilienhaus) ein. Weiter füllte er einen Kontrollzettel aus, in dem er je einen Strich durch die Wortbestandteile ,,Art-" und ,,Zurechnungs-" machte und nur ,,Wertfortschreibung" offen ließ. Eingabewertbogen und Kontrollzettel tragen das gleiche Datum (19. Juli 1984) und wurden in der Einheitswertakte unmittelbar hintereinander abgeheftet. Entsprechend der Eintragung im Eingabewertbogen druckte das Rechenzentrum einen Einheitswertbescheid aus, der auf den 1. Januar 1983 eine Wert- und Artfortschreibung zum Zweifamilienhaus enthielt. Dieser Bescheid vom 18. Dezember 1984 wurde bestandskräftig. Mit Bescheid vom 11.Dezember 1985 berichtigte das FA den Einheitswertbescheid gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO 1977), wobei es die Grundstücksart entsprechend den unstreitigen tatsächlichen Verhältnissen in Einfamilienhaus abänderte.

Einspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos.

Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung der §§ 5, 121 und 129 Satz 1 AO 1977. Nach seiner Auffasung ist eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 nur möglich, wenn der Fehler auch für den Steuerpflichtigen erkennbar ist und die Möglichkeit eines Rechtsirrtums auch theoretisch ausgeschlossen werden kann. Lediglich völlig absurde und abwegige Überlegungen blieben hierbei unbeachtlich. Darüber hinaus sei § 129 AO 1977 eine Ermessensvorschrift. Das FA habe jedoch von seinem Ermessen in erkennbarer Weise überhaupt keinen Gebrauch gemacht und dieses demzufolge auch nicht im Berichtigungsbescheid dargelegt und begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zutreffend hat das FG den angefochtenen Berichtigungsbescheid betreffend Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1983 vom 11.Dezember 1985 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung bestätigt.

1. Nach § 129 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Die Vorschrift entspricht hinsichtlich des Begriffs der ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten dem früheren § 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO). Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können, wie z.B. Übertragungsfehler. Sie können auch in einem unbeabsichtigten unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf oder in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung bestehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3 m.w.N.). Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist ausgeschlossen, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eines Fehlers in der Tatsachenwürdigung oder bei der Anwendung einer Rechtsnorm besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH in BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3 m.w.N., sowie BFH-Urteil vom 18. Oktober 1989 I R 15/86, BFH/NV 1990, 752). Allerdings muß sich die Möglichkeit eines Rechtsirrtums durch die vom Gericht festgestellten Tatsachen belegen lassen (vgl. BFH-Urteile vom 2. August 1974 VI R 137/71, BFHE 113, 169, BSTBl II 1974, 727; vom 22.November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, und vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868). Deuten die gesamten Umstände des Falles demgegenüber auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann nach § 129 AO 1977 berichtigt werden. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu prüfen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 I R 104/85, BFH/NV 1990, 478 m.w.N.).

Für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist es nicht erforderlich, daß die Unrichtigkeit auch für den Steuerpflichtigen erkennbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 31. März 1987 VIII R 46/83, BFHE 149, 478, BStBl II 1987, 588, und vom 8. April 1987 II R 236/87, BFHE 149, 413, BStBl II 1988, 164). Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1987 IX R 156/84, BFH/NV 1988, 277 sowie BFH-Beschluß vom 9. Juni 1988 VI B 170/87, BFH/NV 1989, 6). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten im Hinblick auf das Massenverfahren der Besteuerung auch solche Fehler berichtigt werden können, die für den Steuerpflichtigen nicht aus dem Steuerbescheid erkennbar sind (vgl. BTDrucks 7/4292 S. 29). Dementsprechend stellt § 129 AO 1977 auf ,,ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die bei Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind", ab. Damit ist klargestellt, daß der gesamte Entstehungsprozeß und nicht nur der Bekanntgabevorgang gemeint ist. Kommt es aber auf das Erfordernis der augenfälligen Erkennbarkeit des Fehlers aus dem Bescheid nicht an, so muß insoweit auch das Vertrauen des Steuerpflichtigen hinter dem Grundgesetz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zurücktreten.

2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall durch das FG läßt keinen Rechts- oder Tatsachenirrtum erkennen.

Im Streitfall war nach den den erkennenden Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) die Möglichkeit eiens Rechtsirrtums ausgeschlossen.

Das FG hat seine Auffassung damit begründet, daß sich allenfalls aus der Höhe der Baukosten und der Tatsache, daß das Haus laut Erklärung zwei Bäder besaß, eine für den Sachbearbeiter erkennbare Änderung der bisherigen Nutzungart ergeben haben könnte. Alle übrigen Umstände - nämlich insbesondere die Tatsache, daß der Kläger selbst keine Artfortschreibung beantragt und in seinem Antrag vom 15. Februar 1983 auf Anerkennung steuerbegünstigten Wohnraums sein Haus ausdrücklich als ,,Einfamilienwohnhaus" bezeichnet hatte, daß aus den eingereichten Unterlagen (Bauzeichnung, Wohnflächenberechnung) keine zwei Küchen und auch keinerlei Hinweise auf eine zweite Wohnung ersichtlich waren und der Sachbearbeiter auf dem Kontrollzettel nur den Passus ,,Wertfortschreibung" offengelassen hatte -, sprächen jedoch dagegen. Das FG ist unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände zu dem Ergebnis gelangt, daß kein auch nur durchschnittlich befähigter, pflichtgemäß arbeitender Sachbearbeiter das Grundstück ernsthaft als Zweifamilienhaus ansehen würde. Es hat deshalb angenommen, daß der Sachbearbeiter des FA keine Artfortschreibung als ,,Zweifamilienhaus" vornehmen wollte. Diese Schlußfolgerung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442).

Zu Recht ist das FG aufgrund seiner Feststellungen weiter davon ausgegangen, daß der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist.

Der angefochtene Berichtigungsbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das FA in dem Bescheid die für die Ausübung des Ermessens maßgeblichen Gesichtspunkte nicht im einzelnen näher ausgeführt hat. Grundsätzlich sind Verwaltungsentscheidungen zwar insoweit zu begründen. Die Begründung braucht jedoch nicht alle Erwägungen zu enthalten, die für den Erlaß einer Verfügung maßgeblich sein können. Erforderlich ist vielmehr nur, daß der Betroffene durch die Begründung in die Lage versetzt wird, seine Rechte sachgemäß zu verteidigen. Bei der Durchführung einer Berichtigung nach § 129 AO 1977 genügt regelmäßig die Subsumtion unter den Tatbestand, da eine offenbare Unrichtigkeit in der Regel den Grund zur Korrektur in sich trägt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 129 AO 1977 Tz.10 am Ende). Im Bescheid vom 11.Dezember 1985 wurde erläutert, daß der ursprüngliche Bescheid gemäß § 129 AO 1977 geändert werden mußte, ,,weil bei der Übertragung der Bewertungsdaten auf den EDV-Eingabebogen ein Schreibfehler vorgekommen sei". Dies genügt, um sich sachgemäß verteidigen zu können.

Teilt das FA die Gründe dafür, warum es trotz der ,,Kann-Vorschrift" des § 129 AO 1977 gleichwohl eine Berichtigung vorgenommen hat, nicht im einzelnen mit, so kann daraus jedenfalls dann nicht auf einen Ermessensfehler geschlossen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine andere Entscheidung rechtsfehlerhaft wäre. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, daß den Finanzbehörden bei einer Berichtigung kein größerer Spielraum gewährt werden kann, als dies bei der ordnungsgemäßen Durchführung des Besteuerungsverfahrens der Fall ist. Die Finanzbehörden sind grundsätzlich verpflichtet, Steueransprüche, die sich aus den eine Steuerschuld begründenden Tatbeständen ergeben, gegenüber den Steuerpflichtigen geltend zu machen bzw. entsprechende Feststellungs- oder Meßbescheide zu erlassen, um dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu genügen. Mit der Berichtigungsvorschrift des § 129 AO 1977 hat der Gesetzgeber unter ganz bestimmten Voraussetzungen der materiellen Gerechtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) den Vorrang vor der Rechtssicherheit (Vertrauensschutz) eingeräumt. Da im Streitfall das Haus nur als Einfamilienhaus und nicht als ein Zweifamilienhaus zu bewerten war, hatte sich - wie das FG zu Recht angenommen hat - das Ermessen des FA in einer Weise verdichtet, die den Erlaß des Berichtigungsbescheides geradezu erforderte. Eine besondere Begründung der Ermessensausübung durch das FA war unter diesen Umständen nicht erforderlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418802

BFH/NV 1993, 637

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