Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erfolgreich

 

Leitsatz (NV)

Hat während des Revisionsverfahrens eine Beschwerde wegen der Ablehnung eines Richters des FG Erfolg, so kann die Revision auch dann auf § 119 Nr. 2 FGO gestützt werden, wenn die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen ist.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2 S. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 2, § 119 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren (1978 bis 1982) gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen die für die Streitjahre ergangenen Einkommensteueränderungsbescheide, in denen die Verluste aus einer Abschreibungsgesellschaft nicht mehr anerkannt wurden, erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage.

Mit Schriftsatz vom 28. Mai 1993 lehnte der Bevollmächtigte der Klägerin den Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) ab. Mit Beschluß vom 1. Juni 1993 lehnte der Senat des FG das Befangenheitsgesuch ab. Anschließend entschied es durch zwei Urteile vom selben Tag unter Mitwirkung des abgelehnten Richters, daß die Klagen unbegründet seien.

Gegen diese Urteile legten die Kläger mit Schriftsätzen vom 13. und 14. Oktober 1993 Revisionen ein, die auf §§ 116 Abs. 1 Nr. 1, 119 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt waren.

Mit Beschluß vom 11. Januar 1995 gab der erkennende Senat der Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des FG vom 1. Juni 1993 statt und erklärte das Befangenheitsgesuch vom 28. Mai 1993 für begründet (Entscheidung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 11. Januar 1995 IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629). Der Beschluß wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 17. März 1995 zugestellt. Der Bevollmächtigte des Klägers erhielt seiner anwaltlichen Versicherung zufolge am 22. März 1995 Kenntnis von dem Beschluß vom 11. Januar 1995.

Mit Schriftsätzen vom 31. März 1995 beantragten die Bevollmächtigten der beiden Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und stützten die Revisionen nunmehr auch auf den "absoluten Revisionsgrund des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO". Der Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin ging am 31. März 1995, der des Bevollmächtigten des Klägers am 3. April 1995 beim BFH ein.

Ebenfalls unter dem Datum vom 31. März 1995 legten die Bevollmächtigten der Kläger beim FG "vorsorglich" erneut Revisionen ein und beantragten auch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat die Verfahren IV R 79/93 und IV R 80/93 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden (§ 73 Abs. 1 FGO).

Die Revisionen der Kläger sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die rechtzeitig eingelegten Revisionen vom 13./14. Oktober 1993 sind nicht durch die erneuten Revisionsschriftsätze vom 31. März 1995 unzulässig geworden. Steht einer Partei ein Rechtsmittel zu, kann sie wiederholt Rechtsmittelschriftsätze einreichen. Erfüllt eine der Rechtsmittelschriften die Zulässigkeitsvoraussetzungen, dann haben früher oder später eingereichte Rechtsmittelschriftsätze keine selbständige Bedeutung (BFH-Urteil vom 28. Februar 1978 VIII R 112/75, BFHE 124, 494, BStBl II 1978, 376 m. w. N.).

2. Aufgrund des Senatsbeschlusses vom 11. Januar 1995 hat das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Berichterstatter des FG Erfolg gehabt. Es liegt somit ein absoluter Revisionsgrund i. S. des § 119 Nr. 2 FGO vor, der auch die Zulassung der Revision durch das FG entbehrlich macht (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO).

Allerdings haben die Kläger diesen Revisionsgrund nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 120 Abs. 1 FGO ordnungsgemäß gerügt. Sie waren hierzu auch nicht in der Lage, weil bei Ablauf der Revisionsbegründungsfrist noch nicht feststand, ob das Ablehnungsgesuch Erfolg haben werde.

Gleichwohl ist dem Kläger in einem solchen Fall die Geltendmachung des Revisionsgrundes des § 119 Nr. 2 FGO (Mitwirkung eines mit Erfolg abgelehnten Richters) nicht versagt. Er kann insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist stellen und dann innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO) die entsprechende Verfahrensrüge nachholen (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).

Das ist im Streitfall geschehen. Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist am Freitag dem 31. März 1995 beim BFH ein gegangen -- mithin innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Senatsbeschlusses vom 11. Januar 1995 am Freitag dem 17. März 1995 (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 der Zivilprozeßordnung, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Im selben Schriftsatz wurde auch der Revisionsgrund des § 119 Nr. 2 FGO (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO) geltend gemacht.

Entsprechendes gilt für den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers. Er ging zwar erst am Montag dem 3. April 1995 beim BFH ein, der Bevollmächtigte des Klägers hat seiner glaubhaften Versicherung zufolge jedoch erst am Mittwoch dem 22. März 1995 Kenntnis vom Senatsbeschluß vom 11. Januar 1995 erhalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421002

BFH/NV 1996, 234

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