Leitsatz (amtlich)

Eine Verpflichtung zu wiederkehrenden Barleistungen in einem Vermögensübertragungsvertrag ist als Leibrente zu beurteilen, wenn die Vertragsparteien eine Abänderbarkeit der Höhe der Rentenleistungen materiell-rechtlich von Voraussetzungen, die einer Wertsicherungsklausel entsprechen, abhängig gemacht haben, auch wenn sie in diesem Zusammenhang auf § 323 ZPO Bezug nehmen (Fortentwicklung von BFH-Urteil vom 30.Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).

 

Orientierungssatz

1. Vereinbarungen zwischen Familienangehörigen sind nur dann einkommensteuerrechtlich wie unter fremden Personen anzuerkennen, wenn die Gestaltung und die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen fremden Personen Üblichen entsprechen (BFH-Rechtsprechung).

2. Der BFH als Revisionsgericht kann die Auslegung eines Vertrags durch das FG nur darauf überprüfen, ob dieses die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 11.2.1981 I R 13/77).

 

Normenkette

EStG 1971 § 10 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1974 § 10 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1975 § 10 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 323; EStG § 12 Nr. 2; BGB §§ 133, 157; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 118 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt von ihren Eltern auf Grund notariellen "Ausstattungsvertrages" vom 9.März 1972 ein gemischtgenutztes Grundstück als Ausstattung übertragen. Sie verpflichtete sich, ihren Eltern lebenslängliche Barleistungen von 1 500 DM monatlich beginnend mit dem 1.April 1972 "aus dem Grundstück" zu erbringen. Außerdem versprach sie ihren Eltern ein lebenslängliches Wohnrecht und verpflichtete sich, sämtliche Lasten des Grundstücks zu tragen. Der Vertrag enthält bezüglich der Barleistungen folgende Abänderungsklausel:

"Schuldrechtlich vereinbaren die Beteiligten, daß sich die vereinbarten Renten in der Höhe des Betrages nach oben und unten so verändern, wie sich der Lebenshaltungskostenindex für die mittlere Verbrauchergruppe nach der Veröffentlichung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg verändert, ausgehend vom Punktestand 134,9 1. Februar 1972 auf der Basis 1962 *= 100. Eine Änderung der zu zahlenden Renten soll erst erfolgen, wenn sich die Punktezahl um 10 Punkte verändert hat. Die Änderungsmöglichkeit § 323 ZPO wird demgemäß nicht ausgeschlossen.

Wir beantragen die Genehmigung dieser Wertsicherungsklausel durch die Landeszentralbank Baden-Württemberg."

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte die Verpflichtung der Klägerin zu wiederkehrenden Barleistungen an ihre Eltern als Leibrentenversprechen und berücksichtigte von den tatsächlichen Zahlungen für die Streitjahre 1972 bis 1975 nur den Ertragsanteil als Sonderausgaben nach § 10 Abs.1 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes 1971/1974/1975(EStG).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Klägerin den Abzug der Barleistungen in voller Höhe als dauernde Last im Rahmen der Sonderausgaben begehrte, mit der Begründung ab, die Verpflichtung der Klägerin zu wiederkehrenden Barleistungen sei mangels einer Abänderbarkeit deren Höhe entsprechend der Bedürftigkeit der Berechtigten und der Leistungsfähigkeit der Verpflichteten als Leibrente zu beurteilen. Die vertragliche Abänderungsvereinbarung sei auf Grund der Voraussetzungen, von denen die Vertragsparteien eine Anpassung der Rentenhöhe abhängig gemacht hätten, trotz der Bezugnahme auf § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) als Wertsicherungsklausel auszulegen. Die Leistungen in einem Vermögensübertragungsvertrag ständen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander, so daß mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Vereinbarung von der Unabänderbarkeit ihrer Höhe auszugehen sei.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision Verletzung des § 10 Abs.1 Nr.1 EStG. Das FG habe die Abänderungsklausel fehlerhaft ausgelegt. Bei seiner Annahme einer Leibrente anstelle einer dauernden Last habe es die vertraglich vorgesehene Abänderungsmöglichkeit nach § 323 ZPO außer acht gelassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat die Verpflichtung der Klägerin zu wiederkehrenden Barleistungen an ihre Eltern auf Grund des "Ausstattungsvertrages" vom 9.März 1972 ohne Rechtsverstoß als Leibrente und nicht als dauernde Last nach § 10 Abs.1 Nr.1 EStG beurteilt.

1. Die Voraussetzungen einer Leibrente sind erfüllt, wenn regelmäßig wiederkehrende Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in bestimmter Höhe zu erbringen sind. Dauernden Lasten fehlt hingegen das Merkmal der Gleichmäßigkeit. Sie bestehen in wiederkehrenden Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger für längere Zeit einem anderen in Geld oder Sachwerten von unterschiedlicher Höhe auf Grund einer rechtlichen Verpflichtung zu leisten hat und die nicht zu bestimmten Einkünften nach § 2 Abs.3 Nr.1 bis 7 EStG 1971/1974, § 2 Abs.1 Nr.1 bis 7 EStG 1975 gehören (so der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30.Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).

Die Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen wird nach der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß die Vertragsparteien in dem Übertragungsvertrag eine Wertsicherungsklausel vereinbart haben. Dadurch bleibt die Voraussehbarkeit der Rentenleistungen erhalten. Die Gleichmäßigkeit des inneren Werts der Rente wird verstärkt. Die Gleichmäßigkeit der Rentenleistungen entfällt jedoch dann, wenn in der Vertragsurkunde eine Abänderbarkeit der Rentenhöhe bei Veränderung der Bedürftigkeit des Rentenberechtigten oder der Leistungsfähigkeit des Rentenverpflichteten entsprechend dem Rechtsgedanken des § 323 ZPO vorgesehen ist (im einzelnen Urteil des erkennenden Senats in BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610).

2. Nach den vorstehenden Grundsätzen handelt es sich bei den in dem "Ausstattungsvertrag" vom 9.März 1972 vereinbarten Barleistungen von 1 500 DM monatlich an die Eltern der Klägerin um gleichmäßige wiederkehrende Leistungen. Das FG hat die Abänderungsvereinbarung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als Wertsicherungsklausel ohne eine zusätzliche Anpassungsmöglichkeit im Falle einer Änderung der Bedürftigkeit der Berechtigten bzw. der Leistungsfähigkeit der Verpflichteten entsprechend den Rechtsgrundsätzen des § 323 ZPO ausgelegt. Der erkennende Senat kann die Auslegung durch die Vorinstanz nur daraufhin überprüfen, ob diese die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 11.Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475). Derartige Rechtsverstöße liegen nicht vor.

Allerdings wird in Vermögensübertragungsverträgen --wie dem vorliegenden-- nicht selten neben und zusätzlich zu einer Wertsicherungsklausel eine Abänderbarkeit der Rente bei einer Veränderung der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten entsprechend dem Rechtsgedanken des § 323 ZPO vereinbart. Dennoch konnte das FG bei seiner Auslegung der Vereinbarung vom 9.März 1972 im Hinblick auf die Voraussetzungen, von denen die Vertragsparteien materiell-rechtlich eine Änderung der Rentenhöhe abhängig gemacht haben, zu dem Ergebnis gelangen, diese Regelung allein als eine Wertsicherungsklausel zu beurteilen.

Die Vertragsparteien haben nämlich --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- vereinbart, daß die vertragliche Rente sich ihrer Höhe nach entsprechend einem bestimmten Lebenshaltungskostenindex erhöhen oder ermäßigen sollte. Für die Annahme einer Wertsicherungsklausel kann es dahinstehen, ob --wie die Klägerin vor dem FG behauptet hat-- bisher keine Genehmigung der Landeszentralbank eingeholt worden ist. Nach den Grundsätzen der Deutschen Bundesbank für die Genehmigung nach § 3 des Währungsgesetzes (WährG) vom 26.August 1964 (Bundesanzeiger --BAnz-- Nr.160 S.3, Deutsche Notar-Zeitschrift --DNotZ-- 1964, 643) und vom 9.Juni 1978 (BAnz Nr.109 S.4, DNotZ 1978, 449) kann bei einer Wertsicherungsklausel nach dem Lebenshaltungskostenindex im Zusammenhang mit wiederkehrenden Zahlungen auf Lebenszeit insbesondere bei Vermögensübertragungsverträgen mit der Genehmigung im allgemeinen gerechnet werden. Selbst wenn sie nicht genehmigungsfähig wäre, waren die Vertragsparteien einander verpflichtet, sie an eine den Genehmigungsgrundsätzen der Deutschen Bundesbank entsprechende Klausel anzupassen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.Juni 1973 VIII ZR 98/72, Neue Juristische Wochenschrift 1973, 1498).

Gegenüber dieser materiell-rechtlichen Voraussetzung für die Änderung der Rentenhöhe hat die Bezugnahme auf die Abänderungsmöglichkeit nach § 323 ZPO in dem Vertrag vom 9.März 1972 nur den Gehalt einer prozessualen Gestaltungsmöglichkeit entsprechend der eigentlichen Bedeutung dieser Vorschrift. Denn danach sind bei wiederkehrenden Leistungen der Berechtigte und der Verpflichtete im Falle einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse berechtigt, im Wege der Klage eine entsprechende Abänderung von Schuldtiteln zu verlangen. Der materiell-rechtliche Anspruch auf Abänderung muß dabei jedoch aus dem jeweiligen Schuldverhältnis entnehmbar sein. Nach den im vorliegenden Falle vereinbarten Voraussetzungen für eine Rentenanpassung ist der Satz am Ende der Abänderungsklausel: "Die Änderungsmöglichkeit § 323 ZPO wird demgemäß nicht ausgeschlossen", als Hinweis auf die Klagemöglichkeit nach § 323 ZPO für den Fall der angegebenen Änderung des Lebenshaltungskostenindexes zu verstehen.

Wenn die Klägerin demgegenüber den vorstehenden Satz aus dem Vertrag vom 9.März 1972 nicht nur prozessual, sondern auch materiell-rechtlich dahin ausgelegt wissen will, daß eine Abänderung der Rentenhöhe bei einer Änderung der Bedürftigkeit der Rentenberechtigten oder der Leistungsfähigkeit der Rentenverpflichteten zu beanspruchen sein soll, so hat das FG dem zutreffend entgegengehalten, daß sich die Leistungen in Vermögensübertragungsverträgen in einem, wenn auch nicht notwendig kongruenten Abhängigkeitsverhältnis mit der Folge gegenüberstehen, daß dieses durch eine Abänderung der Rentenhöhe bei einer gestiegenen Bedürftigkeit des Rentenberechtigten oder einer geminderten Leistungsfähigkeit des Rentenverpflichteten gestört würde. Diese Auffassung hat auch der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 143, 317, BStBl II 1985, 610 vertreten. Eine derartige Abänderbarkeit der Rentenhöhe bedarf daher einer ausdrücklichen und eindeutigen Regelung in der Vertragsurkunde (vgl. BFH-Urteil vom 19.September 1980 VI R 161/77, BFHE 131, 384, BStBl II 1981, 26).

Darüber hinaus müssen die gegenseitigen Rechte und Pflichten auch deswegen klar und eindeutig vereinbart sein, weil die Klägerin und ihre Eltern als Parteien des Ausstattungsvertrages vom 9.März 1972 nahe Angehörige sind. Vereinbarungen zwischen Familienangehörigen sind nur dann einkommensteuerrechtlich wie unter fremden Personen anzuerkennen, wenn die Gestaltung und Durchführung des Vereinbarten dem zwischen fremden Personen Üblichen entsprechen (BFH-Urteile vom 22.Mai 1984 VIII R 35/84, BFHE 142, 28, BStBl II 1985, 243, und vom 14.April 1983 IV R 198/80, BFHE 138, 359, BStBl II 1983, 555).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61225

BStBl II 1986, 348

BFHE 146, 68

BFHE 1986, 68

BB 1986, 786-787 (ST)

DB 1986, 1052-1053 (ST)

DStR 1986, 335-335 (ST)

DStZ, Beihefter zu Nr 21/1986 (S)

HFR 1986, 515-516 (ST)

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