Leitsatz (amtlich)

1. Bei Vorliegen einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung ist eine Besuchsreise der Ehefrau zu ihrem dienstlich unabkömmlichen Ehemann nicht schon deshalb privat veranlaßt, weil der Ehemann im Ausland beschäftigt ist und der Aufenthalt der Ehefrau von längerer Dauer ist.

2. Neben den Reisekosten der Ehefrau sind bei einer Besuchsreise auch diejenigen der minderjährigen Kinder jedenfalls dann als Werbungskosten abziehbar, wenn sie insgesamt den Betrag nicht übersteigen, den der Arbeitnehmer bei Durchführung aller ihm steuerwirksam möglichen Familienheimfahrten hätte abziehen können.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 5, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Angestellter bei einer Schiffahrtsgesellschaft in A. Von Anfang Mai bis Mitte Dezember 1974 war er auf dem Fahrgastschiff "B" tätig, das in der Karibischen See wöchentlich zwischen mehreren Inseln verkehrte und sich in den jeweiligen Häfen nur stundenweise aufhielt. Nach einer Bescheinigung seines Arbeitgebers konnte der Kläger während dieser Zeit keinen Urlaub nehmen und auch nicht für kürzere Zeit abgelöst werden. Er ließ daher seine Ehefrau und seine beiden damals sechs und acht Jahre alten Kinder in den Sommerferien, nämlich vom 5. Juli bis zum 9. August, an Bord kommen. Der Kläger versah in dieser Zeit seinen Dienst. Durch die Reise der Angehörigen entstanden Flugkosten in Höhe von 3 445 DM, davon 1 728 DM für die beiden Kinder.

Im Verfahren über den Lohnsteuer-Jahresausgleich machten die Kläger Reisekosten in Höhe von 3 491 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu, weil er der Auffassung war, es handele sich hier teilweise um Kosten der allgemeinen Lebensführung; denn die Schiffsreise sei für die Angehörigen zugleich eine Urlaubsreise gewesen.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Reise der Angehörigen -- wegen der dienstlichen Unabkömmlichkeit des Klägers -- eine Besuchsreise gewesen sei. Die Abzugsfähigkeit könne nicht mit der Begründung versagt werden, daß es sich um eine Urlaubsreise gehandelt habe. Zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Behandlung von Besuchsreisen könne man nicht unterstellen, daß derartige Reisen, wenn der Ehemann an einem Ort oder in einer Umgebung mit besonders hohem Freizeitwert beschäftigt sei, von dem Wunsch mitbestimmt würden, zugleich fremde Länder kennenzulernen; insoweit lägen die Verhältnisse anders als bei Studienreisen. Vielmehr entspreche es der Natur der Sache, daß die Besuchsreise sich dann -- auch wegen ihrer meist längeren Dauer -- kaum von einer Urlaubsreise unterscheide. Allerdings seien Fälle denkbar, in denen der Urlaubscharakter der Reise überwiege und in denen die Reisekosten deshalb nicht abzugsfähig seien. Das sei z. B. anzunehmen, wenn die Ehefrau eine Urlaubsreise unternehme, die am Arbeitsort des Ehemannes vorbeiführe und dabei ein kurzes Zusammentreffen ermögliche, oder wenn der Ehemann während einer Besuchsreise der Ehefrau mehrere Tage Urlaub nehme. So sei es hier jedoch nicht gewesen, da sich die Ehefrau und die Kinder während der ganzen Zeit nur auf dem Schiff, der Arbeitsstätte des Klägers, aufgehalten hätten. Wären die Angehörigen eine oder mehrere Wochen lang an einem der Orte geblieben, die das Schiff auf seiner Fahrt berührt habe, so hätte man annehmen müssen, daß die Reise nicht nur dem Besuch des Klägers gedient habe. Anlaß für eine solche Annahme läge jedoch nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Revision, mit der das FA die Verletzung von § 9 Abs. 1 Nr. 5, § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1974 (EStG) rügt. Es macht geltend, daß auch bei Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung zu prüfen sei, ob Kosten der Lebenshaltung vorlägen. Deshalb seien auch bei Besuchsreisen die Rechtsprechungsgrundsätze für Auslandsreisen zu beachten. Tue man dies, so ergäben sich gerade bei Besuchsreisen zu Seeleuten Besonderheiten. Die Mitfahrt auf einem Schiff, im Streitfall ein sechswöchiger Aufenthalt auf einem "Musikdampfer", habe fast immer den Charakter einer Urlaubsreise. Bei Seeleuten könne die Anerkennung von Besuchsreisen aber auch noch aus einem anderen Grunde scheitern. Denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG seien nur notwendige Mehrausgaben wegen doppelter Haushaltsführung abzugsfähig. Für Seeleute sei jedoch typisch, daß sie längere Zeit vom Ort des eigenen Hausstands abwesend seien und nur selten Gelegenheit für Familienheimfahrten hätten. Zum Ausgleich stehe ihnen dann ein längerer Urlaub zu. Angesichts dieser Umstände könne man zweifeln, ob Besuchsreisen der Angehörigen bei Seeleuten unter dem Gesichtspunkt der doppelten Haushaltsführung abzugsfähig seien. Der einschränkende Regelungsinhalt des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG mache zugleich deutlich, wie eng die Grenzen zwischen den Kosten der privaten Lebensführung und den abziehbaren Aufwendungen der doppelten Haushaltsführung seien. Es sei deshalb davon auszugehen, daß Besuchsreisen in entfernte Länder eher privat als beruflich veranlaßt seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Zu Recht ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß die Fahrtaufwendungen der Ehefrau Werbungskosten des Klägers sind.

a) Bei dem Kläger lagen, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, im Streitjahr seit Beginn seiner Tätigkeit auf der "B" die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG vor; denn er unterhielt außerhalb seines Beschäftigungsorts, dem Fahrgastschiff, einen eigenen Haushalt und er wohnte außerdem an seinem Beschäftigungsort, nämlich auf dem Schiff (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. Dezember 1981 VI R 227/80, BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302). Sind aber die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung gegeben, ist der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen an einer Familienheimfahrt gehindert und besucht ihn deshalb seine Ehefrau am Arbeitsort, sieht die Rechtsprechung die Fahrtkosten der Ehefrau als abziehbar an, soweit diese beim Arbeitnehmer selbst, also bei einer Familienheimfahrt, Werbungskosten darstellen würden (BFH-Urteile vom 21. August 1974 VI R 201/72, BFHE 113, 444, BStBl II 1975, 64; vom 2. Juli 1971 VI R 35/68, BFHE 103, 333, BStBl II 1972, 67). Dabei ergibt sich die Abziehbarkeit nicht aus § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG, weil es sich eben nicht um eine Familienheimfahrt des Arbeitnehmers handelt. Vielmehr hat der BFH die lücke, die sich für Fälle der vorliegenden Art aus dem Begriff der Familienheimfahrt ergab, unter Heranziehung des allgemeinen Werbungskostenbegriffs des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG geschlossen.

Die von der Rechtsprechung zu Besuchsreisen entwickelten Grundsätze gelten allgemein. Die Auffassung des FA, bei Seeleuten müßten besondere Maßstäbe angewandt werden, weil sie nach längerer Unabkömmlichkeit an Bord mehr Urlaub als andere Arbeitnehmer erhielten, findet in der Rechtsprechung des BFH keine Grundlage und wird auch von der Verwaltung sonst nicht geteilt (vgl. Erlaß der Finanzbehörde Hamburg vom 13. März 1968 -- 54 -- S 2353 -- 32/67 --, Die Information A/1968, S. 323).

b) Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, daß eine private, die Abziehbarkeit ausschließende Mitveranlassung nicht vorliege.

Den Ausführungen der Vorinstanz liegt die Auffassung zugrunde, daß der bloße Aufenthalt der Ehefrau am Beschäftigungsort des Ehemannes im Ausland der Fahrt nicht den Charakter einer Urlaubsreise verleihe, sondern daß es dazu zusätzlicher Anhaltspunkte bedürfe, wie z. B. Verbindung der Besuchsreise mit einem anschließenden anderweitigen Urlaubsaufenthalt oder (teilweise) gleichzeitiger Urlaub des Ehemannes. Diese Rechtsauffassung ist nicht zu beanstanden. Eine Besuchsreise, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung ausgeführt wird, sieht die Rechtsprechung normalerweise (jedenfalls soweit sie sich im Rahmen des Notwendigen hält) als eindeutig beruflich veranlaßt an. Ebensowenig wie aber bei sonstigen Auslandsreisen eine einwandfreie berufliche Veranlassung wegen des mit jeder Auslandsreise notwendig verbundenen allgemeinen Erlebniswerts steuerlich in den Hintergrund tritt, kann man derartiges bei Besuchsreisen -- ohne Vorliegen zusätzlicher, auf einen besonderen privaten Erlebniswert hindeutender Umstände -- annehmen. Wollte man eine andere Auffassung vertreten, so wären Besuchsaufwendungen bei dienstlichem Aufenthalt des Mannes im "attraktiven Ausland" kaum je als Werbungskosten abziehbar. Das würde nicht nur der bisherigen Rechtsprechung des BFH widersprechen, worauf das FG unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 3. November 1965 VI 14/65 U (BFHE 84, 207, BStBl III 1966, 75) zu Recht hingewiesen hat, sondern auch eine ungerechtfertigte Schlechterbehandlung derjenigen Steuerpflichtigen bedeuten, die vielfach keinen Einfluß darauf haben, daß sie an einem Beschäftigungsort im Ausland tätig und dort unabkömmlich sind.

Nicht zu beanstanden sind auch die Ausführungen des FG, mit denen dieses im konkreten Fall das Vorliegen besonderer, für einen Urlaubscharakter sprechender Umstände verneint hat. Das FG hat sich vor allem darauf gestützt, daß der Kläger selbst keinen Urlaub gehabt habe und auch nicht -- wie dies sonst bei Auslandsreisen der Fall sei -- mit seiner Ehefrau gemeinsame Ausflüge haben machen können. Die lange Dauer des Aufenthalts hat es ohne Rechtsverstoß mit Rücksicht darauf für unerheblich erachtet, daß das Schiff die Reiseroute jede Woche wiederholte, so daß die Angehörigen während ihres Aufenthalts fünfmal dieselbe Strecke gefahren sind. Auch wenn man deshalb noch nicht unbedingt von einer "gewissen Stumpfsinnigkeit" der Reise wird sprechen müssen, wie dies die Kläger in ihrer Revisionserwiderung getan haben, liegt es doch auf der Hand, daß dieser Umstand den Erlebniswert des Aufenthalts nicht erhöhte. Mit der Hin- und Rückreise selbst brauchte sich das FG nicht zu befassen, da sich aus der Wahl des Verkehrsmittels und der gewählten Flugverbindung auch insoweit keine Anhaltspunkte für einen besonderen privaten Erlebniswert ergaben.

Der Streitfall bot auch keine Veranlassung zu der Annahme, daß der Kläger selbst keine Familienheimfahrt durchgeführt hätte, wie dies nach Auffassung des FG Bremen anzunehmen ist, wenn die -- sehr weite -- Hinreise verhältnismäßig kurz vor Beendigung der doppelten Haushaltsführung angetreten und die Rückreise gemeinsam mit dem Ehemann durchgeführt wird (vgl. Urteil vom 16. Februar 1979 I 47/78, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1979, 330; vgl. auch Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 13. Aufl., § 9 Anm. 66). Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob es der Anerkennung der Besuchsreise entgegenstände, wenn der Ehemann auch dann keine Familienheimfahrt durchgeführt hätte, obwohl er dienstlich abkömmlich gewesen wäre.

2. Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise auch für die Fahrtkosten der Kinder des Klägers. Sie sind ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Besuchsreise als Werbungskosten abziehbar.

Wie bereits ausgeführt, will die Rechtsprechung mit der Anerkennung der Besuchsreise die Lücke füllen, die sich daraus ergibt, daß der Begriff der Familienheimfahrt in § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG diese Fälle nicht umfaßt. Der Arbeitnehmer soll in etwa so gestellt werden, als führte er eine Familienheimfahrt durch. Würde er aber zu seiner Familie fahren, dann träfe er auch seine zum Familienhaushalt gehörenden Kinder wieder und sähe so gewährleistet, daß die Verbindung zu ihnen nicht abreißt. Bei minderjährigen Kindern ist es schon aus Erziehungsgründen notwendig, daß der Vater von Zeit zu Zeit anwesend ist. Ist dem Arbeitnehmer eine Familienheimfahrt nicht möglich, so ist die Kontaktpflege zu seinen minderjährigen Kindern nicht weniger notwendig. Gerade der Ersatzcharakter der Besuchtsreise spricht deshalb dafür, in diesen Fällen neben den Fahrtaufwendungen der Ehefrau auch die der minderjährigen Kinder als notwendige Kosten der doppelten Haushaltsführung anzusehen.

Berücksichtigt man aus den vorstehenden Gründen bei allen gesetzlich zulässigen Besuchsreisen auch die Reisekosten der minderjährigen Kinder, so führt dies allerdings dazu, daß insgesamt höhere Kosten abgezogen werden können, als wenn der Arbeitnehmer Familienheimfahrten durchgeführt hätte; denn deren Kosten sind nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG nur einmal wöchentlich für eine Person abziehbar. Dieser Gesichtspunkt könnte dafür sprechen, die Abziehbarkeit auf den Gesamtbetrag zu beschränken, der bei Inanspruchnahme aller gesetzlich zulässigen Familienheimfahrten durch den Arbeitnehmer abgezogen werden könnte. Im vorliegenden Fall kann diese Frage jedoch offenbleiben. Denn hier liegen die insgesamt entstandenen Fahrtaufwendungen offensichtlich unter den Kosten, die entstanden wären, wenn der Kläger die ihm steuerwirksam möglichen Familienheimfahrten in Anspruch genommen hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74575

BStBl II 1983, 313

BFHE 1982, 496

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