Leitsatz (amtlich)

Die Fautfracht kann auch dann nicht zur Bemessung der Umsatzsteuer herangezogen werden, wenn sie auf Grund eines Chartervertrags über zusammengesetzte Reisen und nur für den letzten Reiseabschnitt vereinnahmt wurde (Ergänzung des BFH-Urteils V R 118/66 vom 22. Januar 1970, BFH 98, 225, BStBl II 1970, 363).

 

Normenkette

UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1; UStDB 1951 § 10; HGB §§ 580, 584

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) betreibt ... das Reedereigeschäft. Am 18. August 1955 vercharterte sie ein Tankschiff gegen eine Tagesmiete von ... DM zu zusammengesetzten Reisen bis zum 12. Juni 1961 an die Firma X.

Ende August 1960 hatte diese Firma für das Tankschiff keine Verwendung mehr. Sie traf deshalb gemäß ihrem schriftlichen Angebot vom 19. August 1960 mit der Steuerpflichtigen - die dabei für die Zukunft von einer anderweitigen Vercharterung des Tankers zu einem Preis von ... DM täglich ausging - folgende Vereinbarung: "Der ... (Name des Tankschiffs) geht nach Beendigung dieser Reise (voraussichtlich 23.8.1960) aus der Charter und die ... (Firma X) zahlt der ... (Steuerpflichtige) ... DM pro Tag statt der Chartermiete ab Löschende in ... bis zum 12.6.1961 (Charterende)." Der genannte Betrag entspricht der Differenz zwischen der vereinbarten und der künftig erwarteten Miete.

Auf Grund dieser Absprache vereinnahmte die Steuerpflichtige am 1. November 1960 ... DM und am 15. März 1961 ... DM. Das FA zog diese Beträge zur Berechnung der Umsatzsteuer (4 v. H.) heran. Es berichtigte dementsprechend und abweichend von den Steuererklärungen den Steuerbescheid für 1960 nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO und veranlagte die Steuerpflichtige für 1961 unter Berücksichtigung der zweiten Zahlung. Nach erfolglosem Einspruch legte die Steuerpflichtige im Umfang dieser Mehrforderungen ... Berufung (jetzt als Anfechtungsklage zu bezeichnen) ein.

Das FG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung des Urteils ist ausgeführt: Die X habe die strittigen Beträge nach Lösung des Chartervertrags gemäß § 584 HGB als Fautfracht bezahlt. Eine die Umsatzsteuer auslösende Leistung der Steuerpflichtigen sei nicht erkennbar. Von einem entgeltlichen Verzicht der Steuerpflichtigen auf Vertragserfüllung könne nicht gesprochen werden, weil der Steuerpflichtigen nur zugebilligt worden sei, was ihr beim "Rücktritt" der X ohnehin kraft Gesetzes zugestanden habe. Die Steuerpflichtige habe das Geld auch nicht für eine fortdauernde Leistungsbereitschaft erhalten; denn die Steuerpflichtige sei nach Rückgabe des Schiffs zu keinen Leistungen mehr verpflichtet gewesen.

Gegen diese Entscheidung hat das FA Revision eingelegt und das Rechtsmittel auf die Verletzung der §§ 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 UStG 1951 und §§ 7 Abs. 1, 10 UStDB 1951 gestützt. Im einzelnen führt es dazu aus: Die Zahlungen hätten ihren Ursprung in der Vercharterung. Die Steuerpflichtige habe deshalb die Vercharterung gegenüber dem Befrachter für die Dauer der Charterzeit zwei nebeneinander stehende Entgeltansprüche erworben, nämlich das Frachtgeld im Falle der Inanspruchnahme und die Fautfracht im Falle des "Rücktritts". Die Vereinbarung nach dem Vertragsangebot vom 19. August 1960 sei nur ein Nachtrag zum Chartervertrag, der die Festlegung der Höhe des Fautfrachtanspruchs bezweckt habe. Die Meinung des FG, durch diesen Nachtrag sei der Chartervertrag aufgehoben worden, sei irrig. Vielmehr werde die Fautfracht auf Grund eines Erfüllungsanspruchs gezahlt; sie stehe in unmittelbarem und ursächlichem Zusammenhang mit der ursprünglichen Leistungsbereitschaft der Steuerpflichtigen und sei damit wie das Frachtentgelt von der Steuerpflichtigen für sonstige Leistungen vereinnahmt worden. Die Befrachterin habe die strittigen Zahlungen aufwenden müssen, um die Leistung der Steuerpflichtigen zu erhalten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG ist mit dem FA davon ausgegangen, daß die strittigen Zahlungen gemäß §§ 580, 584 HGB als Fautfracht bezahlt wurden. Nach diesen Vorschriften erhält der Verfrachter (Steuerpflichtiger), wenn der Befrachter (X) wie hier bei zusammengesetzten, auf Grund eines Chartervertrags auszuführenden Reisen vor Antritt des letzten Reiseabschnitts den "Rücktritt" vom Vertrag erklärt, als Fautfracht zwar die volle Fracht, muß sich aber, insbesondere wenn er Gelegenheit zu anderweitigem Frachtverdienst hat, einen angemessenen Bruchteil der Fracht, jedoch nicht weniger als die Hälfte, abziehen lassen.

Nach dem in den Akten in Abschrift enthaltenen Angebot der X vom 19. August 1960, das nach den Feststellungen des FG von der Steuerpflichtigen angenommen wurde, hat auch der Senat keinen Zweifel, daß die Vertragsparteien eine Regelung nach § 584 HGB treffen wollten. Dies bedeutet, daß diese Parteien nach der Kündigung des Chartervertrags durch die X - der vom Gesetz verwendete Begriff des Rücktritts (= Auflösung des Vertrags mit rückwirkender Kraft) ist nicht sachgerecht (vgl. Prüssmann, Seehandelsrecht, Anm. B 1 zu § 580 HGB) - lediglich die Regelung der angemessenen Höhe des dem Grunde nach kraft Gesetzes für die Steuerpflichtige angefallenen Anspruchs auf Fautfracht getroffen haben. Damit steht, wie das FG im Ergebnis richtig erkannt hat, fest, daß ein entgeltlicher Rechtsverzicht der Steuerpflichtigen im Sinne einer sonstigen Leistung nach § 1 Nr. 1 UStG nicht stattgefunden hat.

Zutreffend hat das FG auch das Vorliegen einer durch die strittigen Zahlungen abgegoltenen Leistungsbereitschaft der Steuerpflichtigen verneint. Der Fortbestand einer solchen Pflicht stünde im Widerspruch zum Wesen und zu den Wirkungen der Kündigung. Im übrigen ist den Feststellungen des FG und dem dem Senat vorliegenden Vertragsangebot vom 19. August 1960 eindeutig zu entnehmen, daß die Befrachterin nach Rückgabe des Schiffs an die Steuerpflichtige dieser gegenüber keine Rechte aus dem Chartervertrag, insbesondere keine Ansprüche auf Verfrachtungsdienste mehr sollte geltend machen können.

Es ist auch im übrigen keine Leistung der Steuerpflichtigen denkbar, durch die die strittigen Entgelte bedingt gewesen sein könnten. Fautfrachten sind in der Regel Entgelte, die umsatzsteuerrechtlich nicht erfaßbar sind (vgl. das Urteil des Senats V R 118/66 vom 22. Januar 1970, BFH 98, 225, BStBl II 1970, 363). Gleichwohl sind sie - im Gegensatz zur Meinung des FA - keine Geschenke. Sie sind vielmehr ihrem Wesen nach eine schematisch geregelte Entschädigung dafür, daß der Befrachter die Dienste des Verfrachters ohne besondere Voraussetzungen lösen und ihn der vertraglich zugesicherten Verdienstmöglichkeiten berauben kann; im übrigen begrenzt die Regelung zugleich das Risiko des kündigenden Befrachters (vgl. hierzu Prüssmann, a. a. O., Anm. B 3 und D 1 zu § 580). Die Fautfracht ist also ein Ausgleich zur Abwendung eines Verlusts und kein Ausgleich für eine Leistung. Ihre kausale Verknüpfung mit dem obligatorischen Chartervertrag - auf die das FG zur Stützung seiner Rechtsauffassung besonders hinweist - ist umsatzsteuerrechtlich unbeachtlich. Denn bei dieser Steuer zählt nur das Entgelt, das durch eine vom Unternehmer ausgeführte Leistung aufgewogen wird.

Ein unmittelbarer Zusammenhang der Fautfrachtzahlung mit den etwa geleisteten Frachtdiensten liegt nicht vor; denn diese Leistungen sind durch die Frachten abgegolten. Insbesondere hat das Gesetz die Fautfracht nicht etwa als eine Art Entgeltauffüllung für die geleisteten Frachtdienste ausgestaltet. Die gegenteilige Auffassung muß schon aus dem Gesichtspunkt abgelehnt werden, daß das Gesetz in § 580 HGB Fautfrachtzahlungen für den Fall vorsieht, daß der Verfrachter überhaupt keine Leistung erbracht hat.

Die Abreden zwischen den Vertragsparteien, die hier wie stets nur Aufschluß über die Natur der steuerrechtlich zu beurteilenden Handlungen geben können, stellen - wie das FA selbst ausführt - darauf ab, daß "im Falle der Inanspruchnahme der vom Verfrachter versprochenen Leistung das dafür vereinnahmte Entgelt, im Fall der Nichtinanspruchnahme, also auch des Rücktritts, die vertragliche oder gesetzliche Garantiesumme ... im HGB als Fautfracht bezeichnet" gezahlt wird. Damit kommt zum Ausdruck, daß die Fautfracht nach dem Willen der Parteien eine Zahlung ist, die der Verfrachter bei Eintritt der vorgesehenen Umstände ohne jede Gegenleistung dem Befrachter (Steuerpflichtigen) zu erbringen hatte.

Das FG hat mit Recht die Veranlagung 1960 und 1961 unter Berücksichtigung der Bestandskraft des ursprünglichen Umsatzsteuerbescheids 1960 (§ 234 AO a. F., jetzt § 42 Abs. 1 FGO) um den Steuerbetrag herabgesetzt, der sich aus den strittigen Fautfrachten ergibt. Die Revision des FG war deshalb mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69166

BStBl II 1970, 856

BFHE 1971, 150

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