Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug aus einer an eine Bauherrengemeinschaft gerichteten Rechnung - Anwendbarkeit der VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977

 

Leitsatz (amtlich)

Der in einer Rechnung an die Bauherren eines Gesamtobjekts (Wohnanlage mit Eigentumswohnungen) gesondert ausgewiesene Steuerbetrag kann gemäß § 1 Abs.2 der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs.2 AO 1977 auf die Beteiligten verteilt und ihnen zugerechnet werden. Die Bezeichnung der einzelnen Leistungsempfänger und der für sie abziehbare Steuerbetrag kann aus einer Abrechnung über das bezeichnete Gesamtobjekt abgeleitet werden.

 

Orientierungssatz

1. Die VO zu § 180 Abs. 2 AO 1977 ist auch auf Feststellungszeiträume vor ihrem Inkrafttreten anwendbar (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluß vom 9.8.1994, Az: 1 BvR 814/94).

 

Normenkette

UStG 1980 § 15 Abs. 1-2, § 15a Abs. 1; AO 1977 § 180 Abs. 2 V § 1 Abs. 2

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 09.08.1994; Aktenzeichen 1 BvR 814/94)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) --in Grundstücksgemeinschaft verbundene Ehegatten-- errichteten bis April 1980 in B, Weg 12 (Wohnung 1) und bis

September 1982 in B, Straße (Wohnung 2)

gemeinsam mit anderen Bauherren jeweils eine Wohnung. Sie vermieteten die Wohnungen an die Immobilien

GmbH. Diese vermietete sie an Endmieter. Die Kläger verzichteten auf die Steuerbefreiung für Mietumsätze und zogen in ihren Umsatzsteuererklärungen ab 1979 aus Rechnungen über die Herstellung der Wohnungen (anteilig) insgesamt 21 028,85 DM (Wohnung 1) und 19 388 DM (Wohnung 2) als Vorsteuerbeträge ab. Die Rechnungen über die Bauleistungen hinsichtlich der Wohnungen auf dem Grundstück für die Wohnung 2 waren von der Bauunternehmung an die Bauherren- gemeinschaft gerichtet worden. Aus ihnen war der auf die Kläger entfallende Vorsteuerbetrag --nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) im Büro des Treuhänders-- jeweils herausgerechnet worden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ den Abzug der geltend gemachten Vorsteuerbeträge zu. Mit Bescheid vom 16. Juni 1986 hob er den Vorbehalt der Nachprüfung auf, mit dem die Steuerfestsetzungen 1980 bis 1982 versehen waren.

Nachdem die Immobilien GmbH ab Dezember

1984 ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachgekommen und das Verfahren auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt worden war, trat die GmbH und Co.

ab Dezember 1984 in die Vermietung unter geänderten Bedingungen ein. Ab 1985 erklärten die Kläger für die Vermietung der Wohnung 1 steuerfreie Umsätze.

Nunmehr beurteilte das FA in Änderungsbescheiden für 1985 bis 1987 vom 7. April 1989 die Vermietung der Wohnungen als steuerfreie Umsätze und berücksichtigte bei den jeweiligen Steuerfestsetzungen anteilige Vorsteuerberichtigungsbeträge (§ 15a des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1980) wegen der Wohnungen 1 und 2 sowie einen Steuerabzugsbetrag (§ 19 Abs.3 UStG 1980). Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Das FG änderte die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1985 bis 1987 und setzte die Umsatzsteuer antragsgemäß auf 0 DM fest. Zur Begründung legte es u.a. dar, die Kläger führten seit dem Beginn der Wohnungsvermietung steuerfreie Umsätze aus. Ein Vorsteuerabzug hätte nicht gewährt werden dürfen. Die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 seien nicht gegeben, weil unter diesen Umständen keine Änderung der Verhältnisse vorliege. Für die Wohnung 2 seien die Kläger nicht im Besitz ordnungsmäßiger Rechnungen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung sachlichen Rechts. Zur Begründung führt es u.a. aus: Das FG habe § 15a UStG 1980 unzutreffend ausgelegt. § 15a UStG 1980 setze nicht voraus, daß der Vorsteuerabzug im Erstjahr zu Recht gewährt worden sei. Die Vorschrift lasse eine Korrektur stets zu, wenn die Verwendung des Wirtschaftsguts in den folgenden Kalenderjahren zu einer anderen Beurteilung --auch aufgrund geläuterter Rechtsauffassung-- führe als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Außerdem verstießen die Kläger gegen Treu und Glauben, wenn sie sich nunmehr auf die Steuerfreiheit der Vermietung beriefen.

Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Die Kläger sind der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die in den angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1985 bis 1987 enthaltene Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15a UStG 1980 ist rechtmäßig.

1. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung der im Zusammenhang mit der Errichtung der Wohnungen abgezogenen Vorsteuerbeträge gemäß § 15a Abs.1 UStG 1980 sind erfüllt. Der Senat hat in seiner neuen Rechtsprechung erkannt (Urteil vom 16. Dezember 1993 V R 65/92, BFHE 173, 270), daß eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge gemäß § 15a Abs.1 UStG 1980 wegen einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse auch dann vorzunehmen ist, wenn die Umsätze des Steuerpflichtigen im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung fehlerhaft, aber unabänderbar als steuerpflichtig beurteilt worden sind und er in einem Folgejahr steuerfreie Umsätze ausführt. Für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs.1 UStG 1980 ist die einer unanfechtbaren und nicht mehr änderbaren Steuerfestsetzung für das Erstjahr zugrunde liegende Beurteilung des Vorsteuerabzugs selbst dann maßgebend, wenn sie unzutreffend war. Führt die rechtlich richtige Würdigung des Verwendungsumsatzes in einem Folgejahr --gemessen an der "maßgebenden" Beurteilung für das Erstjahr-- zu einer anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs, ist eine Änderung der Verhältnisse i.S. von § 15a Abs.1 UStG 1980 gegeben. Dem entspricht die Vorentscheidung nicht, so daß sie aufzuheben war.

2. Der Berichtigung der im Zusammenhang mit der Errichtung der Wohnung 2 abgezogenen Vorsteuerbeträge steht nicht entgegen, daß das FA den Vorsteuerabzug aus einer an die Bauherrengemeinschaft gerichteten Rechnung in Höhe des auf die Kläger entfallenden Steuerbetrages zugelassen hat, der offenbar erst im Büro des Treuhänders aus dem insgesamt für die Bauherrengemeinschaft gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag herausgerechnet worden ist.

Nach seinem Wortlaut verlangt § 15a Abs.1 UStG 1980 u.a., daß sich die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse geändert haben. § 15a UStG 1980 nimmt damit auf die in § 15 Abs.2 UStG 1980 bezeichneten Verwendungsumsätze Bezug. Ob für die Anwendung des § 15a Abs.1 UStG 1980 in einem Folgejahr darüber wegen des systematischen Zusammenhanges vorausgesetzt werden muß, daß sämtliche Tatbestandsmerkmale für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 UStG 1980 im Abzugsjahr gegeben waren, braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Denn im Streitfall beurteilt der Senat die Vornahme des Vorsteuerabzugs der Kläger aus der bezeichneten Rechnung nicht als einen die Vorsteuerberichtigung ausschließenden Mangel i.S. von § 15 Abs.1 UStG 1980. Das FA kann den auf einzelne Bauherren entfallenden Vorsteuerbetrag aus einer Abrechnung über ein Gesamtobjekt (z.B. ein auf den Bau von Eigentumswohnungen gerichtetes Bauvorhaben einer Bauherrengemeinschaft) im Steuerfestsetzungsbescheid als geschätzte Besteuerungsgrundlage nach § 155 Abs.2, § 162 Abs.3 der Abgabenordnung (AO 1977) heranziehen, weil darüber eine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs.2 AO 1977 i.V.m. § 1 Abs.1, 2 der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs.2 der Abgabenordnung vom 19. Dezember 1986 (BGBl I 1986, 2663) --VO zu § 180 Abs.2 AO 1977-- möglich ist. Die VO zu § 180 Abs.2 AO 1977, die auch für Feststellungszeiträume vor ihrem Inkrafttreten anwendbar ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Dezember 1987 IX R 90/86, BFHE 152, 17, BStBl II 1988, 319, und vom 1. Dezember 1987 IX R 104/87, BFH/NV 1989, 99), ermöglicht es, die Höhe der Vorsteuer aus Umsätzen gesondert festzustellen, die mehrere Hersteller oder Erwerber im Rahmen eines Gesamtobjekts empfangen haben, soweit ein Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1980 oder eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980 in Betracht kommt (vgl. dazu Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 10. Mai 1989, BStBl I 1989, 146; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 180 AO 1977 Anm.316). Die Feststellung kann auf einzelne Beteiligte (die Kläger) beschränkt werden (§ 1 Abs.3 der VO zu § 180 Abs.2 AO 1977).

Der Verordnungsgeber geht in § 1 Abs.2 der VO zu § 180 Abs.2 AO 1977 erkennbar davon aus, daß der in einer Rechnung an die Bauherren eines Gesamtobjekts (Wohnanlage mit Eigentumswohnungen) gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf die Beteiligten verteilt und ihnen zugerechnet werden darf. Dieses Verfahren hat der Treuhänder vorweggenommen, und das FA hat die so ermittelten Beträge als geschätzte Besteuerungsgrundlagen übernommen. Die Bezeichnung der Leistungsempfänger und der für sie abziehbare Steuerbetrag kann aus einer Abrechnung über ein Gesamtobjekt abgeleitet werden und hindert die Vorsteuerberichtigung nicht. Damit ist der Streitfall anders zu beurteilen, als der dem BFH-Urteil vom 27. Juni 1991 V R 106/86 (BFHE 165, 304, BStBl II 1991, 860) zugrunde liegende Fall, in dem die Klägerin keine Leistungen für ihr Unternehmen (§ 15 Abs.1 UStG 1980) bezogen hatte, die sie in einer zur Änderung der Verhältnisse führenden Weise hätte verwenden (§ 15 Abs.2 UStG 1980) können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65254

BFH/NV 1994, 46

BStBl II 1994, 488

BFHE 173, 463

BFHE 1994, 463

BB 1994, 1412

BB 1994, 1412-1413 (LT)

BB 1994, 854

DB 1994, 1122 (L)

DStR 1994, 652-653 (KT)

DStZ 1994, 347-348 (KT)

HFR 1994, 416-417 (LT)

StE 1994, 261 (K)

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