Normenkette

AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 16 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Erbin ihres verstorbenen Ehemannes. Dieser war Gesellschafter einer OHG. Zum 31. Dezember 1971 ist er aus der Gesellschaft ausgeschieden. Sein Abfindungsguthaben wurde zunächst nur vorläufig berechnet. Anschließend holten die OHG und der Erblasser im Jahre 1973 Gutachten ein, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führten; Einigung konnte zunächst nicht erzielt werden. Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1974 errechnete der Prüfer das Abfindungsguthaben und den Veräußerungsgewinn des Erblassers zum 31. Dezember 1971 anhand des von der OHG eingeholten Gutachtens; er empfahl, den Veräußerungsgewinn vorläufig festzustellen. Entgegen dieser Anregung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Jahre 1975 jedoch eine endgültige Gewinnfeststellung.

In einer weiteren, im Jahre 1978 durchgeführten Betriebsprüfung wurde bekannt, daß die Gesellschafter im Juli 1977 einen Vergleich über den Abfindungsanspruch geschlossen hatten. Danach erhöhte sich das Guthaben des Erblassers gegenüber dem vom FA zugrunde gelegten Betrag um 125 943 DM. Das FA berichtigte daraufhin im Jahre 1979 den Gewinnfeststellungsbescheid 1971 unter Hinweis auf § 175 Satz 1 (jetzt: Abs. 1) Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und erhöhte den Veräußerungsgewinn des Erblassers in diesem Umfang.

Die Klägerin wendet sich gegen diese Berichtigung. Ihr Einspruch und ihre Klage blieben jedoch erfolglos.

Mit der Revision wird fehlerhafte Anwendung der AO 1977 durch das Finanzgericht (FG) gerügt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet; wie vom FG entschieden, hat das FA den Gewinnfeststellungsbescheid der OHG für 1971 zu Recht gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 geändert.

1. Zu Unrecht meint die Klägerin, § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 finde keine Anwendung, weil der in Frage stehende Sachverhalt bereits durch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geregelt werde. Danach ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn nachträglich Tatsachen bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Hierbei wird vorausgesetzt, daß die Tatsachen bei Erlaß des ursprünglichen Bescheids vorhanden waren und vom FA bei umfassender Kenntnis des Sachverhalts hätten berücksichtigt werden können. Erst nachträglich eintretende Tatsachen führen nicht zu einer Berichtigung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394, zu § 222 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 173 AO 1977 Tz. 15). Bei der vergleichsweisen Regelung der dem Erblasser gebührenden Abfindung im Jahre 1977 handelt es sich aber um ein solches nachträglich eingetretenes Ereignis, das vom FA bei der Veranlagung im Jahre 1975 noch nicht berücksichtigt werden konnte.

2. Nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die Änderung hängt davon ab, ob der Vorgang eine bereits in der Vergangenheit entstandene und festgesetzte Steuerschuld beeinflußt. Dies ist, wie die Revision zutreffend hervorhebt, bei der vergleichsweisen Regelung eines in der Vergangenheit entstandenen Anspruchs nicht notwendig der Fall. So wird der Kaufmann einen ihm günstigen Vergleich hinsichtlich eines zurückliegenden laufenden Geschäftsvorfalls nach den auch steuerlich zu beachtenden Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) ohne Rückbeziehung auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung in der auf den Vergleichsabschluß folgenden Bilanz zu berücksichtigen haben (vgl. Leffson, Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 5. Aufl., S. 210, 213; s. auch Weber, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Beteiligungen, 1980 S. 158, 160); eine Berichtigung der gewinnabhängigen Steuern nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 auf einen früheren Zeitpunkt erscheint danach nicht möglich (Tipke/Kruse, a. a. O., § 175 AO 1977 Tz. 7, 12; Lauer, Betriebs-Berater 1981, 1517 ff.).

Anders verhält es sich jedoch bei der in § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG vorgesehenen Besteuerung der Veräußerungsgewinne aus der entgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen, zu der auch das Ausscheiden aus einer Personengesellschaft gegen Abfindung gehört. Ein solcher Veräußerungsgewinn ist steuerlich im Zeitpunkt der Übertragung des Gesellschaftsanteils bzw. des Ausscheidens aus der Gesellschaft realisiert (BFH-Urteil vom 2. Mai 1974 IV R 47/73, BFHE 113, 195, BStBl II 1974, 707; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 16 Anm. 79). Darum müssen nachträgliche Ereignisse, die die Höhe des Veräußerungsgewinns beeinflussen, auf den Zeitpunkt der Übertragung zurückbezogen werden; sie beeinflussen die Steuerschuld dieses Jahres. In dieser Weise sind die Wirkungen eines Urteils sowie eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs hinsichtlich eines in der Vergangenheit erzielten Veräußerungsgewinns bereits vor Inkrafttreten der AO 1977 beurteilt worden (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs vom 30. Oktober 1935 VI A 768/35, Steuer und Wirtschaft 1936, II Nr. 215; BFH-Urteile vom 9. März 1962 I 133/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962, 153, am Ende; vom 7. September 1972 IV 311/65, BFHE 107, 211, BStBl II 1973, 11). Hieran ist auch gegenwärtig festzuhalten.

3. Der Senat kann der Auffassung der Klägerin nicht folgen, der Abfindungsanspruch habe bereits im Zeitpunkt der Betriebsprüfung 1974 festgestanden, es sei daher kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung eingetreten. Das FG hat dazu in einer für den Senat verbindlichen Weise festgestellt, daß die Höhe der Abfindungssumme erst durch den Vergleich vom 16. Juli 1977 bestimmt worden sei. Dies ergibt sich auch aus dem Inhalt der Vereinbarung.

Ebenso ist die Auffassung unzutreffend, das FA habe anläßlich der Betriebsprüfung 1974 die Höhe des Abfindungsanspruchs abschließend schätzen und von der späteren Entwicklung unabhängig machen wollen. Das FA hat den Abfindungsanspruch zunächst in der geringstmöglichen Höhe nach dem von der OHG eingeholten Gutachten errechnet; daß damit der Vorgang steuerlich nicht abschließend geregelt sein sollte, ergibt sich schon aus der Anregung des Prüfers, den Veräußerungsgewinn nur vorläufig festzustellen. Welche Wirkung eine Schätzung der von der Klägerin bezeichneten Art hätte, braucht daher im Streitfall nicht geprüft zu werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 75099

BStBl II 1984, 786

BFHE 1985, 488

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