Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtungsmöglichkeiten bei Nichtigkeit eines Bescheids

 

Leitsatz (NV)

1. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann entweder durch Feststellungsklage (§ 41 Abs. 1 FGO) oder durch Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) geltend gemacht werden.

2. Wird ein Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage angefochten, so kann er nur aufgehoben werden, wenn er nicht (durch Versäumung der Einspruchsfrist) bereits formell unanfechtbar geworden ist.

3. Zur Nichtigkeit eines Bescheids wegen inhaltlicher Unbestimmtheit.

 

Normenkette

AO 1977 § 119 Abs. 1, § 125 Abs. 1; FGO § 41 Abs. 1, § 40 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) A, B und C sind Mitglieder einer Erbengemeinschaft. Zum Nachlaß gehört ein landwirtschaftlicher Betrieb. Die Miterben veräußerten zum Betrieb gehörende Grundstücke. Ihr Steuerberater erklärte daraufhin für die Kalenderjahre 1978 und 1979 Veräußerungsgewinne der Kläger in Höhe der Verkaufserlöse.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berechnete die Veräußerungsgewinne in abweichender Höhe und erließ gegenüber den Klägern für die Jahre 1978 bis 1980 einheitliche Gewinnfeststellungsbescheide, die sich auf die Verkaufsgewinne beschränkten. Die Gewinnfeststellungen enthielten jeweils sogenannte Feststellungsbögen, in denen die Gewinne aus den landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahren auf die Kalenderjahre aufgeteilt wurden. Die Verkaufsgewinne wurden auf diesen Bögen in der Rubrik ,,Gewinn - ohne Veräußerungsgewinne im Sinne der §§ 14, 14 a Abs. 1 bis 3 EStG" ausgewiesen; die Rubrik ,,Veräußerungsgewinne im Sinne der §§ 14, 14 a Abs. 1 bis 3 EStG" blieb frei. Wegen der weiteren Feststellungen sowie der auf die Beteiligten entfallenden Anteile wurde jeweils auf eine Anlage verwiesen. In diesen Anlagen wurde den Klägern ihr Gewinnanteil in der Zeile ,,Anteile an Veräußerungsgewinnen einschließlich steuerfreier Veräußerungsgewinne" zugerechnet. Schließlich enthielten die Gewinnfeststellungen einen Berechnungsbogen, in dem die Gewinne für die einzelnen Wirtschaftsjahre gemäß § 13 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelt wurden. Hierin wurden die Grundstücksgewinne als Zuschläge für Erträge aus der Veräußerung von Grund und Boden ausgewiesen (1978 und 1979). Im Berechnungsbogen zur Gewinnfeststellung 1980 wurde der Grundstücksgewinn als Endgewinn für das Wirtschaftsjahr 1979/80 ausgewiesen. Die abschließende Rubrik ,,Veräußerungsgewinne im Sinne der §§ 14, 14 a Abs. 1 bis 3 EStG" blieb in allen Fällen unausgefüllt.

Die im Oktober 1981 erlassenen Feststellungen wurden zunächst nicht angefochten. Im Januar 1982 beantragten die Kläger, in den Feststellungsbescheiden eine Steuerbegünstigung nach § 6 c EStG zu berücksichtigen; der Veräußerungserlös sei zum Neubau eines landwirtschaftlichen Wohnhauses verwendet worden. Das FA wies den Antrag zurück. Danach legten die Kläger Einspruch gegen die Feststellungsbescheide ein und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das FA wies den Einspruch als verspätet zurück. Die Kläger erhoben daraufhin Klage zum Finanzgericht (FG) und verlangten die Aufhebung der Feststellungsbescheide. Zur Begründung führten sie an, sie hätten die Veräußerungserlöse als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn erklärt und seien davon ausgegangen, daß dieser Gewinn wegen Einstellung in eine Rücklage nach den §§ 6 b, 6 c EStG steuerfrei bleibe. Das FG gab der Klage statt, weil die Feststellungsbescheide in sich widersprüchlich und deswegen nichtig seien.

Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 119 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Das angefochtene Urteil kann aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben.

Das FG hat die angefochtenen Feststellungsbescheide 1978 bis 1980 als nichtig aufgehoben. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann gemäß § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden. Es kann jedoch auch Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung des nichtigen Verwaltungsakts erhoben werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1974 IV R 108/70 nicht veröffentlicht; vom 11. Oktober 1978 II R 31/74 nicht veröffentlicht); dies ist schon deshalb erforderlich, weil zweifelhaft sein kann, ob ein Verwaltungsakt nichtig oder lediglich anfechtbar ist (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Februar 1979 RiZ (R) 6/78, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 1710).

Ein mit der Klage angefochtener Verwaltungsakt kann vom Gericht aber nur aufgehoben werden, falls er nicht bereits formell unanfechtbar geworden ist; anderenfalls wird die Klage als unbegründet abgewiesen (BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kläger die Einspruchsfrist versäumt hat (BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, m.w.N.). Vorliegend hat das FA den Einspruch der Kläger gegen die Feststellungsbescheide als verspätet zurückgewiesen und gleichzeitig die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Das FG hat zur Rechtzeitigkeit des Einspruchs keine Feststellungen getroffen. Es konnte der Anfechtungsklage aber nur stattgeben, wenn die Einspruchsfrist nicht versäumt und der nach Auffassung des FG nichtige Verwaltungsakt dadurch nicht formell unanfechtbar geworden war.

Das FG wird diese Feststellungen nachholen müssen. Es wird dabei insbesondere aufklären, ob den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war (§ 110 Abs. 1 AO 1977). Hierfür kann von Bedeutung sein, ob die Kläger unverschuldet davon ausgehen durften, daß ihnen in den Feststellungsbescheiden steuerbegünstigte Veräußerungsgewinne zugerechnet wurden und ob sie von der gegenteiligen Beurteilung durch das FA erst anläßlich ihrer Veranlagungen zur Einkommensteuer Kenntnis erhalten haben. Bisher ist außerdem nicht erkennbar, aus welchem Anlaß die Erbengemeinschaft gegründet wurde, wem die laufenden Erträgnisse des landwirtschaftlichen Betriebs zugerechnet wurden und ob für die Veräußerung der Grundstücke eine Steuervergünstigung nach den §§ 34 Abs. 2 Nr. 1, 14 bzw. 14 a Abs. 1 EStG in Betracht kam.

2. Die Kläger haben sich in der Revisionsinstanz die Auffassung des FG zu eigen gemacht, die Feststellungsbescheide des FA seien inhaltlich unbestimmt und deshalb nichtig. Das FG wird deshalb erwägen müssen, ob sie nunmehr, zumindest hilfsweise, auch die Feststellung der Nichtigkeit der fraglichen Bescheide beantragen und ob hierin eine ggf. zuzulassende Klageänderung (§ 67 FGO) liegt.

Aus prozeßökonomischen Gründen, jedoch ohne Bindung für das FG, bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang, daß die angefochtenen Gewinnfeststellungen in der Tat widersprüchlich erscheinen. Bei der gesonderten Feststellung gemeinsamer Einkünfte gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 muß entsprechend den §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 neben der Art und Höhe der Einkünfte auch festgelegt werden, wem die Einkünfte zugerechnet werden. Im Streitfall weichen die Angaben zur Art der Einkünfte bei der Gesamtberechnung und bei der letztlich für die Folgebescheide maßgebenden Verteilung auf die Kläger voneinander ab. Welchen Inhalt der Verwaltungsakt angesichts dieser Divergenz hat, muß im Wege der Auslegung ermittelt werden. Dabei ist entscheidend, wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Beschluß vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34). Erst wenn sich hiernach kein eindeutiges Ergebnis gewinnen läßt, kann der Schluß gerechtfertigt sein, daß der Verwaltungsakt nicht hinreichend bestimmt und deswegen nichtig ist.

Das FG hat demgegenüber darauf abgestellt, ob der Verwaltungsakt hinsichtlich der Verteilung der Einkünfte offenbar unrichtig ist und gemäß § 129 AO 1977 berichtigt werden kann. Der durch Auslegung zu ermittelnde und der durch eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 zu gewinnende Inhalt eines Verwaltungsakts können jedoch voneinander abweichen. Im Wege der Berichtigung können ggf. auch den Beteiligten offenbare Umstände berücksichtigt werden, die in dem der Auslegung zugrunde zu legenden Inhalt des Verwaltungsakts keinen Anhaltspunkt finden. Dies ist jedoch nur von Bedeutung, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich berichtigt worden ist; daran fehlt es aber im Streitfall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414025

BFH/NV 1987, 19

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