Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe eines Einheitswertbescheides an Eheleute als Miteigentümer

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Bekanntgabe eines Einheitswertbescheides gegenüber Miteigentümern ist erforderlich, daß jedem Beteiligten eine Ausfertigung des Einheitswertbescheides zugeht.

2. Die Beiladung eines Miteigentümers, dem der Einheitswertbescheid nicht wirksam bekanntgegeben worden ist, durch das FG kann den Mangel der nicht vorliegenden Bekanntgabe nicht heilen.

3. Feststellungen zur Bekanntgabe des Einheitswertbescheides gegenüber einem vom FG beigeladenen Miteigentümer sowie zu dessen fehlender Beteiligung am Einspruchsverfahren können vom BFH zu treffen sein, wenn die Feststellungen sich auf eine Sachurteilsvoraussetzung beziehen, die durch das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist.

4. Es widerspräche der Funktion der Finanzgerichtsbarkeit (Rechtsschutzgewährung), daß ein einem Miteigentümer nicht bekannt gegebener Einheitswertbescheid nach Beiladung des Miteigentümers durch ein rechtskräftiges Urteil zur Geltung gebracht würde.

5. Zu dem vom FG nach der Zurückverweisung anzuwendenden Verfahren.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1 S. 1, § 179 Abs. 1, 2 S. 2, § 180 Abs. 1 Nr. 1, § 183 Abs. 1 Nr. 5; FGO § 57 Nr. 3, § 60 Abs. 3, § 73 Abs. 2, §§ 74, 110 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kl. und seine Ehefrau, die ihren Hauptwohnsitz in . . . haben, sind je zur Hälfte Miteigentümer der Eigentumswohnung Nr. . . . in . . . Die im Jahre 1974 bezugsfertig gewordene Wohnung mit einer Wohnfläche von 42 qm ist nach ihrer baulichen Gestaltung ganzjährig nutzbar. Sie liegt im . . . Stock eines mehrgeschossigen Gebäudes in einem Ferienpark. Der Bereich dieses Ferienparks ist im Flächennutzungsplan der Gemeinde als Sondergebiet nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) ausgewiesen. Nach § 11 BauNVO ist die Art der Nutzung für dieses Sondergebiet im Bebauungsplan mit ,,Kur- und Ferienwohnungen" angegeben. Danach ist eine Dauernutzung der in dem genannten Bereich errichteten Eigentumswohnungen aus bauplanerischen Gesichtspunkten ausgeschlossen. Wie lange die Wohnung im Jahr als Ferienwohnung genutzt wird, ist satzungsmäßig nicht festgelegt und bleibt deshalb dem Eigentümer überlassen.

Das FA erließ 1980 einen Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1975, in dem es den Einheitswert auf . . . DM und die Grundstücksart Einfamilienhaus feststellte und den Einheitswert dem Kl. und seiner Ehefrau je hälftig zurechnete. Ausgehend vom Mietspiegel berechnete es dabei die Jahresrohmiete mit . . . DM/qm. Der Nachfeststellungsbescheid ist adressiert an den Kl. Er enthält keinen Hinweis gemäß § 183 Abs. 1 Satz 5 AO 1977, daß der Bescheid auch gegen seine Ehefrau wirkt.

Im Einspruchsverfahren machte der Kl. u. a. geltend, wegen der Nutzungsbeschränkung sei eine niedrigere Jahresrohmiete zugrunde zu legen.

1982 erließ das FA einen Änderungsbescheid, durch den es den Einheitswert aus anderen Gründen auf . . . DM herabsetzte. Auch dieser Bescheid ist an den Kl. adressiert und enthält keinen Hinweis gemäß § 183 Abs. 1 Satz 5 AO 1977.

Den Einspruch des Kl. wies das FA als unbegründet zurück. Die Ehefrau des Kl. hat es nicht zum Einspruchsverfahren hinzugezogen; auch wurde ihr die Einspruchsentscheidung nicht zugestellt.

Mit der Klage begehrt der Kl. Herabsetzung des Einheitswertes unter Zugrundelegung einer Jahresrohmiete von . . . DM. Anläßlich einer Augenscheinseinnahme durch das FG erklärte der Kläger, die Wohnung werde ausschließlich selbst genutzt und sei bisher noch nicht vermietet worden. Die Nutzung betrage etwa . . . Tage pro Jahr. In der Hauptsaison wären bei Vermietung der Wohnung etwa . . . DM täglich zu erzielen; in der Nebensaison liege der Preis niedriger. Das FG hat die Ehefrau des Kl. gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Verfahren beigeladen. Es hat die Klage abgewiesen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt der Kl. sein Klagebegehren weiter. Er rügt Verletzung von § 79 Abs. 2 Nr. 1 BewG.

Die Revisionsbegründung ist erst am 23. April 1986 und damit nach Ablauf der Begründungsfrist (21. April 1986) eingegangen. Von der Senatsgeschäftsstelle darauf hingewiesen sowie darüber unterrichtet, daß kein Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist eingegangen sei, wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Prozeßbevollmächtigte des Kl. trug zur Begründung unter Vorlage von Fotokopien des Postausgangsbuchs sowie ihres persönlichen Fristenkalenders vor, sie habe mit Schriftsatz vom 2. April 1986 - zur Post gegeben am 3. April 1986 - Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis 15. Mai 1986 beantragt. Die Tatsache, daß auch der Eingang der mit Anschreiben vom 1. April 1986 dem BFH übersandten Prozeßvollmacht von diesem nicht bestätigt worden sei, habe sie veranlaßt, keine Bedenken an der ordnungsmäßigen Postübermittlung auch des Fristverlängerungsantrags ohne Mitteilung über dessen Verbescheidung zu haben. Ein von der Prozeßbevollmächtigten gestellter Nachforschungsantrag bei der Bundespost blieb ergebnislos.

Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 1. Oktober 1986 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, daß der Senat möglicherweise davon ausgehen könnte, daß weder der Nachfeststellungsbescheid vom 3. Juli 1980 noch der Änderungsbescheid vom 22. März 1982 wirksam bekanntgegeben worden seien. Das FA hat daraufhin ausgeführt, aus der gemeinsamen Unterzeichnung und Abgabe der Einheitswerterklärung habe es unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BFH folgern können, daß die Eheleute sich gegenseitig bevollmächtigt hätten (Hinweis auf BFH-Urteil vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839).

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des Kl. ist zulässig. Hinsichtlich der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO).

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt aus anderen als vom Kl. vorgebrachten Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

Ist ein Grundstück mehreren Personen zuzurechnen, so ist die gesonderte Feststellung des Einheitswerts (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) diesen Personen gegenüber einheitlich vorzunehmen (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Die zu treffende Feststellung richtet sich in diesem Fall gegen mehrere Feststellungsbeteiligte. Um allen Feststellungsbeteiligten gegenüber wirksam zu werden, muß der Einheitswertbescheid ihnen allen bekanntgegeben werden (§ 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Dazu ist es - unbeschadet der Sonderregelung in § 183 AO 1977 - erforderlich, daß jedem der Beteiligten eine Ausfertigung des Einheitswertbescheids zugeht.

Der angefochtene Einheitswertbescheid, der gegenüber dem Kl. und seiner Ehefrau eine einheitliche Entscheidung trifft, ist zwar dem Kl. gegenüber, nicht aber gegenüber seiner Ehefrau wirksam geworden. Dieser ist weder eine für sie bestimmte Ausfertigung bekanntgegeben worden noch ist das FA nach § 183 Abs. 1 AO 1977 verfahren.

In der von beiden Eheleuten unterschriebenen Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts ist die Frage danach, wem der Einheitswertbescheid bekanntgegeben werden solle, beantwortet mit ,,Ehepaar . . .". Entgegen der Auffassung des FA kann aus der gemeinsamen Unterschrift in dieser Erklärung nicht gefolgert werden, die Ehegatten hätten sich dadurch gegenseitig zur Vornahme der im Feststellungsverfahren notwendigen Handlungen, z. B. zur Entgegennahme des Feststellungsbescheids mit Wirkung für und gegen den anderen bevollmächtigt. Denn aus den Angaben und der gemeinsamen Unterschrift in dieser Erklärung kann regelmäßig nicht auf gleichgerichtete Interessen der Eheleute als idelle Miteigentümer des Grundstücks geschlossen werden. Die Rechtsprechung, wonach es bei der Zusammenveranlagung etwa zur Einkommensteuer ausreichen kann, daß Eheleuten, die eine gemeinsam unterschriebene Steuererklärung abgegeben haben, nur eine Ausfertigung des Steuerbescheids zugeht (vgl. z. B. das vom FA genannte Urteil in BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839), ist wegen der unterschiedlichen Interessenlage auf die Einheitsbewertung nicht übertragbar (so schon BFH-Urteil vom 8. Oktober 1982 III R 32/80, nicht veröffentlicht - NV - angeführt bei Dettmer, DStZ 1983, 479, und im Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 7. Februar 1983 38/34 - S 3300 - 60/7 - 3292, DStR 1983, 299). Der Bekanntgabemangel ist auch nicht entsprechend der Entscheidung des erkennenden Senats vom 18. März 1986 II R 214/83 (BFHE 147, 99, BStBl II 1986, 778) geheilt, weil die Ehefrau des Kl. am Einspruchsverfahren nicht beteiligt wurde.

Zwar kann der BFH seine Entscheidung im Revisionsverfahren grundsätzlich nur auf solche Tatsachen stützen, die in dem angefochtenen Urteil festgestellt wurden (§ 118 Abs. 2 FGO). Zur Frage der Bekanntgabe an die Ehefrau des Kl. sowie zu deren Beteiligung am Einspruchsverfahren hat das FG keine Feststellungen getroffen; die entsprechenden Tatsachen ergeben sich aus den Akten des FA. Die Feststellungen waren aber durch den Senat selbst zu treffen, weil es sich bei dem Erfordernis eines (voll) wirksamen Bescheids durch entsprechende Bekanntgabe um eine Sachurteilsvoraussetzung handelt, die vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474).

Die vom FG durchgeführte Beiladung der Ehefrau des Kl. konnte den Mangel der wirksamen Bekanntgabe des Bescheides gegenüber dieser nicht heilen. Zwar würde ein rechtskräftiges Urteil auch die Klin. als Beteiligte (§ 57 Nr. 3 FGO) binden (§ 110 Abs. 1 Satz 1 FGO); jedoch widerspricht es der Funktion der Rechtsschutzgewährung durch die Finanzgerichtsbarkeit, durch die Rechtskraft eines Urteils einem Beteiligten gegenüber erstmals einen Verwaltungsakt zur Geltung zu bringen und damit den Rechtsschutz zu verkürzen, der dem Beteiligten bei Bekanntgabe des Verwaltungsakts an ihn zusteht (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. Juni 1966 III 47/63, BFHE 86, 394, BStBl III 1966, 520).

3. Das FG wird nunmehr dem FA Gelegenheit geben müssen, den Einheitswertbescheid auch der Klin. bekanntzugeben. Zu diesem Zweck hat es in entsprechender Anwendung von § 74 FGO das Verfahren auszusetzen. Das Verfahren ist wieder aufzunehmen, wenn die Ehefrau des Kl. keinen Rechtsbehelf einlegt; anderenfalls sind die Verfahren gemäß § 73 Abs. 2 FGO (unter gleichzeitiger Aufhebung des Beiladungsbeschlusses) zu verbinden (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 6. Mai 1977 III R 19/75, BFHE 122, 389, BStBl II 1977, 783, und vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415469

BFH/NV 1989, 208

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