Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Erhebung von Tabaksteuerausgleich für Tabakrückstände

 

Leitsatz (NV)

1. § 27 TabStG 1972 verstößt nicht gegen das Übermaßverbot oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

2. Der Begriff ,,Tabakabfälle" umfaßt auch Waren, die Verunreinigungen oder Fremdkörper wie Staub, Pflanzenreste oder Spinnstoffasern enthalten.

3. Die zollamtliche Überwachung ist ihrem Wesen nach eine fortdauernde Maßnahme zur umfassenden Kontrolle über das der Überwachung unterliegende Gut. Mit der Entfernung von Tabakabfällen aus den Betriebsräumen sind diese der zollamtlichen Überwachung entzogen worden.

4. § 27 Abs. 1 TabStG 1972 kann nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, daß es sich bei dem der zollamtlichen Überwachung entzogenen Tabakabfall um solchen handeln muß, der noch für die Herstellung steuerpflichtiger Erzeugnisse in Frage kam oder nicht später vernichtet worden ist.

5. § 27 Abs. 4 TabStG 1972 kann nicht entsprechend auf Rohtabak angewendet werden, der der zollamtlichen Überwachung entzogen und danach ohne zollamtliche Überwachung vernichtet worden ist.

 

Normenkette

TabStG 1972 § 27

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt Zigaretten her. 1975 verlagerte sie die Tabakaufbereitung von ihrem Sitz in X zu ihrer Betriebsstätte in Y. Dort entnahm sie täglich nach der Aufbereitung der Rohtabake den nassen Tabakabfall der Soßentrommel und ließ ihn in Abfallcontainern von einer Mülltransportfirma abfahren. Die Abfälle wurden danach ohne zollamtliche Überwachung vernichtet. Mit Steuerbescheid vom . . . forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) nach § 27 Abs. 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) einen Tabaksteuerausgleich in Höhe von 7 DM je Kilogramm ,,Rohtabak" aus den der Soßentrommel entnommenen und abgefahrenen Rückständen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Im Laufe des Klageverfahrens erließ das HZA der Klägerin . . . DM aus Billigkeitsgründen. In dieser Höhe erklärten die Beteiligten vor dem Finanzgericht (FG) die Hauptsache für erledigt. In der Vorentscheidung stellte das FG das Verfahren in Höhe dieses Teilbetrages ein und wies im übrigen die Klage ab. Die Revision ließ es wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus:

Die Festsetzung des Tabaksteuerausgleichsbetrages in der verbliebenen Höhe sei nach § 27 Abs. 1 TabStG 1972 rechtmäßig. Die Vorschrift sei wortgetreu anzuwenden. Es komme nicht darauf an, ob der Rohtabak in den freien Verkehr gelangt sei. Das FG schließe sich den Ausführungen des erkennenden Senats im Urteil vom 10. Juli 1979 VII R 72/78 (BFHE 128, 429, BStBl II 1979, 698) an. In diesem Urteil habe der erkennende Senat jedoch auch die Frage aufgeworfen, ob § 27 TabStG 1972 mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sei. Das FG sehe keine Verletzung des Gebots der Verhältnismäßigkeit. Nur wenn die Zollbehörde in die Lage versetzt werde, auch die Vernichtung zu überwachen, könne generell wirksam sichergestellt werden, daß nicht noch verwertbarer Rohtabak unversteuert beiseite geschafft werde. Die Vorschrift des § 30 Abs. 2 Nr. 1 TabStG 1972 ginge ins Leere, wenn eine nachweisbare Vernichtung von Rohtabak ohne weiteres zu einer Nichterhebung des Tabaksteuerausgleichs führen müßte. Der beteiligte Steuerpflichtige könne die drohende Besteuerung mit verhältnismäßig geringer Mühe abwenden.

§ 27 Abs. 4 TabStG 1972 sei nicht analog anzuwenden. Nach dieser Vorschrift werde Tabaksteuerausgleich erlassen oder erstattet, wenn der Rohtabak der zollamtlichen Überwachung zugeführt sei. Dieser Tatbestand sei nicht vergleichbar mit einer außerhalb der zollamtlichen Überwachung nachgewiesenen Vernichtung. Voraussetzung einer Analogie sei eine Gesetzeslücke. Eine solche sei hier nicht feststellbar. Bei § 27 Abs. 4 TabStG 1972 handle es sich vielmehr um ein ,,beredtes Schweigen" des Gesetzgebers, mit dem eine Analogie ausgeschlossen werde.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin u. a. folgendes geltend:

Die streitbefangenen Rückstände hätten in ihrer Trockensubstanz mindestens 10 % Soßenfeststoffe und keramische Anteile enthalten. Das habe sie in der Vorinstanz auch vorgetragen. In der Vorentscheidung sei das nicht erwähnt worden. Da ihr Vortrag substantiiert und schlüssig gewesen sei, müsse im Revisionsverfahren unterstellt werden, daß die vom HZA errechnete Menge des als Rohtabak anzusehenden Tabakabfalls um 10 % zu hoch angesetzt worden sei. Bei Berücksichtigung dieses Umstandes ergebe sich ein Tabaksteuerausgleich in Höhe von nur . . . DM, so daß - da . . . DM des Tabaksteuerausgleichs aus Billigkeitsgründen erlassen worden seien - nur noch eine Steuererhebung in Höhe von . . . DM in Betracht komme.

Der Tatbestand des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 sei nicht erfüllt worden. Ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung liege nicht vor. Zur Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales bedürfe es eines vorsätzlichen Entfernens, wobei der Vorsatz das Bewußtsein umfassen müsse, daß hier Rohtabak der zollamtlichen Überwachung entzogen werde (vgl. §§ 88 Abs. 1, 136 Abs. 1, 133 Abs. 1, 170 b des Strafgesetzbuches - StGB -). Ein solches Bewußtsein habe ihren, der Klägerin, Arbeitern bei der Entfernung der Reste aus der Soßentrommel gefehlt.

Erst mit dem Übergang des Rohtabaks in den amtlich nicht überwachten Verkehr sei ein Entziehen im Sinne des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 gegeben. Das Vernichten von Tabakabfällen ohne zollamtliche Überwachung sei also kein Entziehen. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergebe sich aus der historischen Entwicklung der gesetzlichen Regelung und dem Sinn und Zweck des TabStG. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung müsse man zu diesem Ergebnis gelangen. Es sei unverhältnismäßig und willkürlich, wenn ausgerechnet im Falle einer unstreitigen Vernichtung des der zollamtlichen Überwachung entzogenen Rohtabaks der Tabaksteuerausgleich als Sanktion bestehen bleiben solle. Aus der Regelung des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 werde bei der vom HZA vorgenommenen Anwendung im vorliegenden Fall eine mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Schuldprinzips unvereinbare Sanktionsregelung.

Die verfassungsmäßig gebotene Abhilfe könne auch dadurch erfolgen, daß die Regelung des § 27 Abs. 4 TabStG 1972 auf den vorliegenden Fall analog angewendet werde. Eine Lücke im Gesetz liege vor. Die Erlaßregelung des § 27 Abs. 4 TabStG 1972 reiche nämlich nicht aus, wenn für die Entstehung des Tabaksteuerausgleichs nach § 27 Abs. 1 TabStG 1972 schon ein Entziehen im Sinne eines bloßen Unterlaufens der amtlichen Überwachung ausreiche. Das werde dadurch bestätigt, daß nach § 21 Abs. 2 TabStG 1980 die Steuer nicht mehr nur dann erlassen oder erstattet werde, wenn der Rohtabak wieder der Steueraufsicht zugeführt werde, sondern auch dann, wenn der Rohtabak durch ein für den Steuerschuldner zufälliges Ereignis vernichtet worden sei.

Dem Urteil des Senats in BFHE 128, 429, BStBl II 1979, 698 sei zu entnehmen, daß auch in materiell-steuerrechtlicher Hinsicht im vorliegenden Fall wegen der eindeutigen und unstreitigen Vernichtung der Tabakabfälle die Erhebung von Tabaksteuerausgleich rechtswidrig, nämlich nicht vereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewesen sei. Zumindest dieser verfassungsrechtliche Grundsatz, aber auch das Rechtsstaatsprinzip und das Willkürverbot zwinge dazu, § 27 Abs. 1 TabStG 1972 so auszulegen, daß eine mit der Vernichtung verbundene Entziehung Tabaksteuerausgleich nicht entstehen lasse. Dabei sei zu berücksichtigen, daß im vorliegenden Fall das Entziehen uno actu mit der Vernichtung der Tabakabfälle erfolgt sei. Die Abfälle seien nämlich sofort nach ihrer Entfernung aus der Soßentrommel in den Müllcontainer geworfen, mit dem dort befindlichen Müll vermischt und damit vernichtet worden.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen worden ist bzw. soweit der Tabaksteuerausgleich nicht mit Bescheid vom 7. Februar 1980 aus Billigkeitsgründen erlassen worden ist.

Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist unbegründet. Das HZA hat den angefochtenen Bescheid zu Recht auf § 27 Abs. 1 TabStG 1972 gestützt. Danach entsteht u. a. für Rohtabak, der erstmals der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, im Zeitpunkt des Entziehens eine Tabaksteuerausgleichsschuld. Das FG hat ohne Rechtsirrtum entschieden, daß die Merkmale dieses Tatbestands bei Zugrundelegung des von ihm festgestellten Sachverhalts erfüllt sind.

1. Die von der Klägerin aus der Soßentrommel entnommenen Tabakrückstände sind Rohtabak. Nach der Definition des § 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG 1972 sind Rohtabak u. a. Tabakabfälle der Nr. 24.01 des Zolltarifs. Zolltarif in diesem Sinn ist der Gemeinsame Zolltarif (GZT) in der damals geltenden Fassung (vgl. Senatsurteil in BFHE 128, 429, 432, BStBl II 1979, 698).

Die Tarifnr. 24.01 GZT umfaßte u. a. Tabakabfälle schlechthin. Um solche Tabakabfälle handelte es sich nach den Feststellungen des FG bei den genannten Rückständen, die in der Soßentrommel nach der Aufbereitung von Rohtabak zurückgeblieben waren.

Daran änderte sich auch nichts, wenn die Rückstände, wie die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung behauptet (entsprechende Feststellungen des FG fehlen), ,,10 % Soßenfeststoffe und keramische Anteile, z. B. Sand" enthalten haben sollten. Denn der Begriff ,,Tabakabfälle" im Sinne der Tarifnr. 24.01 GZT umfaßt auch Waren, die Verunreinigungen oder Fremdkörper wie Staub, Pflanzenreste oder Spinnstoffasern enthalten (vgl. die Erläuterungen zum Zolltarif Tarifnr. 24.01 Teil II Rdnr. 3).

2. Die danach als Rohtabak im Sinne des TabStG 1972 anzusehenden Rückstände aus der Soßentrommel sind durch das Entfernen aus der Betriebstätte der Klägerin der zollamtlichen Überwachung entzogen worden (vgl. Senatsurteil in BFHE 128, 429, 433, BStBl II 1979, 698).

Rohtabak auch des zollrechtlich freien Verkehrs ist im Erhebungsgebiet unter zollamtliche Überwachung zu stellen und in der zollamtlichen Überwachung zu erhalten, soweit das TabStG 1972 und seine Durchführungsbestimmungen das vorschreiben (§ 22 TabStG 1972). Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 TabStG 1972 unterliegt der Steueraufsicht, wer, wie die Klägerin, Tabakerzeugnisse herstellt. Rohtabak darf daher nur in Räumen gelagert, behandelt, bearbeitet, verarbeitet und verwendet werden, die der Zollstelle angemeldet sind (§ 29 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Tabaksteuergesetz 1972 - TabStDB 1972 - ). Es kann nach den Feststellungen der Vorinstanz davon ausgegangen werden, daß die Räume der Betriebstätte der Klägerin in B der Verwaltung in diesem Sinne angemeldet worden waren. Mit dem Entfernen aus diesen Räumen sind daher die streitbefangenen Rückstände der zollamtlichen Überwachung entzogen worden.

a) Die zollamtliche Überwachung ist ihrem Wesen nach eine fortdauernde Maßnahme zur umfassenden Kontrolle über das der Überwachung unterliegende Gut (so der Senat in ständiger Rechtsprechung zu dem gleichen Begriff des § 57 Abs. 1 des Zollgesetzes - ZG -; zuletzt Urteil vom 13. August 1985 VII R 93/81, BFHE 144, 311, 313). Sinn dieser Kontrolle ist sicherzustellen, daß alle aus dem der Überwachung unterliegenden Rohtabak hergestellten Tabakerzeugnisse auch der für sie nach § 1 Abs. 1 TabStG 1972 vorgesehenen Tabaksteuer unterworfen werden. Zur Aufrechterhaltung der Möglichkeit der Kontrolle über den Rohtabak ist es erforderlich, daß er in den der Verwaltung angemeldeten Räumlichkeiten verbleibt. Andernfalls würde der Verwaltung die Möglichkeit genommen, konkret das Vorhandensein, den Verbleib und die Verarbeitung des Rohtabaks zu prüfen. In bezug auf den aus den Räumlichkeiten entfernten Rohtabak können zollamtliche Überwachungsmaßnahmen praktisch nicht mehr durchgeführt werden, da der Verwaltung unbekannt ist, wo sich diese Ware befindet. Dieser Rohtabak ist damit als aus der zollamtlichen Überwachung entzogen anzusehen (vgl. auch Senatsurteil vom 30. Juni 1970 VII R 100/68, BFHE 99, 509, 511).

Nicht zu folgen ist der Auffassung der Klägerin, ein Entziehen im Sinne des TabStG 1972 liege nur vor, wenn der Handelnde um die Qualifizierung seines Handelns als einer Entnahme aus der zollamtlichen Überwachung mit der Folge der Entstehung einer Tabaksteuerausgleichsschuld wisse. Der Tatbestand des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 stellt eine solche subjektive Voraussetzung nicht auf. Für die Entstehung des Tabaksteuerausgleichs genügt die Tatsache des Entziehens. Das Entziehen ist eine Tathandlung, die zwar von einem entsprechenden Handlungswillen getragen sein muß (das Vorliegen dieser Voraussetzung ist hier zweifellos gegeben), aber das Wissen um die Rechtsfolgen dieser Handlung nicht voraussetzt. Diese treten vielmehr kraft Gesetzes ein (vgl. auch § 133 der Allgemeinen Zollordnung - AZO -). Diese Auffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats zur insoweit vergleichbaren Vorschrift des § 57 Abs. 1 und 2 ZG (vgl. BFHE 99, 509, 512 und Senats-Urteil vom 12. März 1985 VII R 94/82, BFHE 143, 477, 480; Schwarz / Wockenfoth, Zollgesetz, 2. Aufl., § 57 Anm. 1; Bail / Schädel / Hutter, Kommentar Zollrecht, B/57-58 Anm. 8; für § 27 Abs. 1 TabStG 1972 so auch Schröter, Der Tabaksteuerausgleich für Rohtabak, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1978, 34, 37). Auf strafrechtliche Vorschriften, in denen der Begriff des Entziehens verwendet wird, beruft sich die Klägerin für ihre Gegenauffassung zu Unrecht. § 27 Abs. 1 TabStG 1972 ist der Tatbestand für die Entstehung einer Steuerschuld und keine Straf- oder Sanktionsnorm (vgl. BFHE 143, 477, 480).

Die Klägerin meint, erst mit dem Übergang des Rohtabaks in den amtlich nicht überwachten freien Verkehr sei ein Entziehen gegeben, so daß ein Vernichten der Tabakabfälle ohne zollamtliche Überwachung kein Entziehen sei. Sie verkennt dabei, daß, wie ausgeführt, durch das Entfernen aus der Betriebstätte die Tabakabfälle in einen der zollamtlichen Überwachung konkret nicht mehr zugänglichen Bereich übergeführt worden sind und damit der Tatbestand des Entziehens erfüllt und der Tabaksteuerausgleich entstanden ist. Für ihre Gegenauffassung beruft sich die Klägerin auf Schröter (a.a.O.). Der Senat folgt dem nicht (vgl. auch BFHE 128, 429, 433). Es kann dahinstehen, ob der von Schröter vertretenen Auffassung zu folgen ist, daß nach § 27 Abs. 1 TabStG 1972 der Tabaksteuerausgleich nur entstehen könne, wenn der Rohtabak durch die Entziehungshandlung nicht zu bestehen aufhöre (d. h. z. B. vernichtet wird). Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht gegeben. Nach dem Entziehen (Entfernen aus der Betriebstätte) waren die Tabakabfälle noch vorhanden. Ihre zeitlich danach liegende Vernichtung konnte die einmal entstandene Steuerschuld mangels eines entsprechenden Erlaßtatbestandes nicht zum Erlöschen bringen (siehe auch die folgenden Ausführungen unter 3.).

Die Klägerin wendet zwar ein, Entziehen und Vernichten seien in ihrer Betriebstätte uno actu erfolgt. Dem widersprechen jedoch die von der Klägerin mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen (§ 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und damit für den Senat verbindlichen (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG. Danach ist davon auszugehen, daß die streitbefangenen Rückstände abgefahren und auf einer Müllkippe ,,vernichtet" worden sind. Damit steht fest, daß das Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung (= Abfahren) zeitlich vor der Vernichtung lag.

b) Auf Sinn und Zweck des TabStG 1972 und auf die notwendige verfassungskonforme Auslegung beruft sich die Klägerin zu Unrecht. Richtig ist, daß Ziel der Regelung des § 27 TabStG 1972 war, möglichen Steuerausfällen durch die ,,schwarze" Herstellung von Tabakerzeugnissen (d. h. Herstellung unter Umgehung der Besteuerung) vorzubeugen oder sie auszugleichen. Dieses allgemeine gesetzgeberische Ziel ist noch keine ausreichende Grundlage für die Auslegung des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 (vgl. auch Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 4 AO 1977 Anm. 95). Vielmehr kommt es darauf an, auf welche Weise der Gesetzgeber dieses Ziel zu erreichen trachtete. Die Regelung des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 macht das deutlich. Mögliche Steuerausfälle sollten dadurch verhindert werden, daß unter den genau bestimmten Voraussetzungen der Tabaksteuerausgleich entstand. Zu den Merkmalen dieses Tatbestandes zählt nicht, daß es sich bei dem der zollamtlichen Überwachung entzogenen Rohtabak um solchen handeln muß, der noch für die Herstellung steuerpflichtiger Erzeugnisse in Frage kam bzw. nicht später vernichtet worden ist.

Für eine teleologische Reduktion der Regelung des § 27 Abs. 1 TabStG 1972, d. h. für die Annahme, dieser Tatbestand enthalte ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, besteht keine rechtliche Grundlage. Es gibt keine verdeckte Lücke in der genannten Regelung, die durch Hinzufügung der von der Klägerin geforderten Einschränkung ausgefüllt werden müßte. Das belegt schon § 27 Abs. 4 TabStG 1972, wonach der Tabaksteuerausgleich erlassen oder erstattet wird, wenn der Rohtabak der zollamtlichen Überwachung zugeführt wird. Diese Regelung wäre weitgehend überflüssig, falls der Tatbestand des § 27 Abs. 1 TabStG 1972 in der von der Klägerin gewünschten Weise eingeschränkt werden müßte. Auch das Gebot der verfassungskonformen Auslegung ermöglicht es nicht, der genannten Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck eine andere Bedeutung beizumessen (siehe auch die Ausführungen unter Nr. 5).

3. Die Voraussetzungen des § 27 Abs. 4 TabStG 1972 sind hier nicht erfüllt. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Rohtabak, der der zollamtlichen Überwachung entzogen und danach ohne zollamtliche Überwachung vernichtet und daher der zollamtlichen Überwachung nicht (wieder) zuführbar ist, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht möglich.

Analogie setzt voraus, daß das Gesetz eine Lücke aufweist, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit, die durch die Anwendung einer Vorschrift geschlossen werden kann, die nicht den gleichen, aber einen ähnlichen Tatbestand regelt (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Juni 1983 II R 64/82, BFHE 138, 493). Es fehlt hier, wie das FG richtig entschieden hat, an einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes. Das belegt § 30 Abs. 2 Nr. 1 TabStG 1972, wonach der zollamtlichen Aufsicht u. a. das Vernichten von Rohtabak unterliegt. Diese Vorschrift wäre sinnlos und liefe im wesentlichen leer, wenn für ohne zollamtliche Überwachung vernichteten Rohtabak entstandener Tabaksteuerausgleich in jedem Falle zu erlassen oder zu erstatten wäre.

Diese Auffassung wird durch die Neuregelung im TabStG 1980 nicht widerlegt, sondern eher bestätigt. § 21 Abs. 2 TabStG 1980 weitet zwar den Tatbestand des § 27 Abs. 4 TabStG 1972 dadurch aus, daß auch Rohtabak in die Vergünstigung des Erlasses oder der Erstattung einbezogen wird, der ,,durch ein für den Steuerschuldner zufälliges Ereignis vernichtet worden" ist. Die Vernichtung ohne zollamtliche Überwachung durch Handeln des Steuerschuldners, wie sie hier gegeben ist, reicht also auch nach dieser Vorschrift für die Gewährung der Vergünstigung nicht aus. Damit hat jedenfalls der Gesetzgeber des TabStG 1980 klar gemacht, daß es für solche Fälle gerade bei der Entstehung der Steuerschuld (vgl. § 21 Abs. 1 TabStG 1980) bleiben sollte, also insoweit keine Gesetzeslücke vorliegt. Für eine solche Regelung gibt es auch plausible Gründe: Es steht den Beteiligten offen, in solchen Fällen die Vernichtung unter zollamtlicher Überwachung vorzunehmen und dadurch die Entstehung der Steuerschuld zu vermeiden. Nichts spricht dafür, daß die Regelungen des TabStG 1972 anders zu werten sind.

4. Die Berechnung der Steuer durch das HZA hält einer Nachprüfung stand. Nach § 27 Abs. 3 TabStG 1972 beträgt der Steuersatz 7 DM je Kilogramm Rohtabak. Zugrunde zu legen ist dabei das Gewicht des entzogenen Rohtabaks. Die streitbefangenen Rückstände sind, wie oben ausgeführt, in ihrer Gänze Rohtabak, ungeachtet der Tatsache, ob sie, wie die Klägerin behauptet, 10 % Sand oder sonstige Nichttabakanteile enthalten. Ihr gesamtes Gewicht ist daher zu Recht der Berechnung des Steuerbetrages zugrunde gelegt worden. Für die Berechnung der Steuer auf der Grundlage von nur 90 % dieses Gewichtes, wie sie die Klägerin für richtig hält, gibt es keine Rechtsgrundlage.

5. Die Klage könnte demnach nur dann Erfolg haben, wenn § 27 Abs. 1 und 4 TabStG 1972 in der Auslegung des Senats wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht als nichtig anzusehen wäre. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 128, 429, 433, BStBl II 1979, 698 dies bei der in jenem Verfahren - es ging um die Aussetzung der Vollziehung des im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Steuerbescheides - gebotenen summarischen Prüfung für möglich gehalten. Für ihn war es ernstlich zweifelhaft, ob die genannten Vorschriften mit dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind. Nach näherer Prüfung gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß § 27 TabStG 1972 weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch gegen andere Verfassungsgrundsätze verstößt.

a) Auch der Gesetzgeber unterliegt dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) abzuleitenden Übermaßverbot (vgl. Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Anm. VII Nrn. 51, 71 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -). Das Übermaßverbot (bzw. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) hat drei Teilaspekte, das Gebot der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und schließlich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, d. h. eine staatliche Maßnahme darf, selbst wenn sie zur Erreichung ihres Zieles geeignet und erforderlich ist, nicht außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zum gesellschaftlichen bzw. politischen Wert dieses Zieles stehen. § 27 TabStG 1972 verstößt nicht gegen diese Grundsätze.

b) Der Steuersatz in Höhe von 7 DM je Kilogramm Rohtabak, auch wenn dieser Tabakabfall ist, steht nicht außerhalb eines vernünftigen Verhältnisses zum Ziel der Regelung. Diese soll, wie ausgeführt, die ,,schwarze" Herstellung von Tabakerzeugnissen verhindern. Entsprechend diesem Zweck hatte sich der Gesetzgeber hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes im großen und ganzen zu orientieren an den normalen Steuersätzen für Tabakerzeugnisse. Diesen Anforderungen entspricht die Regelung über den Satz des Tabaksteuerausgleichs. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 TabStG 1972 betrug z. B. der durchschnittliche Steuersatz für 1 000 Zigaretten - für die im Durchschnitt weniger als 1 kg Rohtabak eingesetzt wird - damals 84,60 DM (5,152 Pfennig je Stück und 15,62 % des Kleinverkaufspreises). 7 DM Tabaksteuerausgleich für ein Kilogramm von der zollamtlichen Überwachung entzogenem Rohtabak steht dazu in einem nicht unvernünftigen Verhältnis. Das gilt um so mehr, als nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl. z. B. Urteil vom 24. Juli 1963 1 BvL 30/57, 11/61, BVerfGE 17, 1, 23) von Verfassungs wegen der Gesetzgeber nicht gehindert ist, typisierende Regelungen zu treffen. Der Gesetzgeber des TabStG 1972 war also nicht verpflichtet, für den offenbar selten zur Anwendung gelangenden Tatbestand des § 27 TabStG 1972 unterschiedliche Steuersätze je nach der Verarbeitungsgeeignetheit des jeweils der zollamtlichen Überwachung entzogenen Rohtabaks vorzusehen.

c) Auch im übrigen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß § 27 TabStG 1972 mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar ist. Die Regelung ist geeignet, mögliche Steuerausfälle durch die ,,schwarze" Herstellung von Tabakwaren zu vermeiden. Sie ist auch dazu erforderlich. Dem steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber die Regelung des Tabaksteuerausgleichs auch anders als in § 27 TabStG 1972 hätte ausgestalten können, d. h. z. B. auch für Fälle wie den der Klägerin, einen Erlaßtatbestand hätte vorsehen können. Denn dem Gesetzgeber steht von Verfassungs wegen eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu.

Das Ausmaß der potentiellen Belastung durch die grundsätzlich zulässige typisierende Regelung des § 27 TabStG 1972 für Steuerbürger in der Situation der Klägerin ist überdies verhältnismäßig gering. Das Gesetz sah die Möglichkeit vor, mit geringem Aufwand - Vernichtung des Rohtabaks nach den Vorschriften des Gesetzes unter zollamtlicher Überwachung oder nach vorherigem Verzicht durch die Verwaltung auf Durchführung der zollamtlichen Überwachung - die Entstehung des Tabaksteuerausgleichs zu vermeiden. Außerdem ergibt sich schon aus der gesetzlichen Ermächtigung zum Steuererlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 227 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -), daß eine gesetzliche Regelung nicht allein deswegen, weil sie in Einzelfällen zu unbilligen Steueranforderungen führt, die möglicherweise im Billigkeitswege aus sachlichen Gründen auszugleichen sind, wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ungültig sein kann.

d) Die Klägerin meint, die Regelung des § 27 TabStG 1972 in der Auslegung des Senats verstieße gegen das Willkürverbot. Sie will damit wohl eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG rügen. Nach ständiger Rechtsprechung liegt jedoch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nur vor, wenn es an einleuchtenden Gründen für eine gesetzliche Regelung fehlt. Das ist hier aber nicht der Fall, wie aus den obigen Ausführungen (insbesondere Nr. 3 a. E.) unschwer zu entnehmen ist.

Eine ,,Sanktionsregelung", wie die Klägerin meint, liegt jedenfalls nicht vor (vgl. auch BFHE 143, 477, 480). § 27 TabStG 1972 enthält vielmehr einen Steuerentstehungstatbestand, der wie viele andere auch die Entstehung der Steuerschuld abhängig macht von einem bestimmten objektiven Verhalten des Betroffenen (vgl. z. B. § 57 Abs. 2 ZG, § 23 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes - MinöStDV -). Das ist von Verfassungs wegen ebensowenig zu beanstanden wie der von der Klägerin gerügte Mangel eines Schuldprinzips. Ein solches Prinzip - was immer man darunter zu verstehen hat - ist dem Steuerrecht grundsätzlich fremd.

II. Ist somit die Vorentscheidung zu bestätigen, so bedarf es gleichwohl einer Korrektur im Kostenpunkt. Denn das FG hat zu Unrecht einen Teil der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem HZA auferlegt.

1. Die Kostenentscheidung der Vorinstanz ist, auch wenn sie, wie hier, von den Beteiligten nicht angegriffen worden ist, vom BFH vom Amts wegen nachzuprüfen (BFH-Urteil vom 23. Juni 1966 IV 424/62, BFHE 86, 561, BStBl III 1966, 594). Die Kostenentscheidung kann dabei auch zum Nachteil des Revisionsklägers berichtigt (,,verbösert") werden (BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, 310, BStBl II 1980, 229, 231).

2. Das FG hat die Kosten des Rechtsstreits in dem Maß dem HZA auferlegt, in dem dieses den Tabaksteuerausgleich der Klägerin durch einen Bescheid, der nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, aus Billigkeitsgründen erlassen hat. Es hat sich dabei auf § 138 Abs. 2 FGO gestützt. Nach dieser Vorschrift trägt die Verwaltung die Kosten eines (teilweise) erledigten Rechtsstreits, wenn sie dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes stattgegeben hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der streitbefangene Steuerbescheid ist durch den Bescheid des HZA über die Gewährung eines Billigkeitserweises nicht berührt worden.

Die Billigkeitsentscheidung des HZA wirkt allerdings dadurch auf den vorliegenden Rechtsstreit ein, daß sich die Streitfrage, ob der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig war, insoweit erledigte, als durch den Billigkeitserlaß klar geworden war, daß das HZA den Tabaksteuerausgleich nur noch in einer bestimmten Höhe beanspruchte. Entsprechend verringerte sich auch der Streitwert des Verfahrens, wie das FG zu Recht festgestellt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416075

BFH/NV 1989, 601

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