Leitsatz (amtlich)

Die Auflösung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung infolge der Aufgabe oder Veräußerung eines Betriebes oder Teilbetriebes führt zur Erhöhung des tarifbegünstigten Aufgabe- oder Veräußerungsgewinns (Abweichung vom BFH-Urteil vom 20. August 1964 IV 40/62 U, BFHE 80, 83, BStBl III 1964, 504).

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 1, 3, § 34 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger zu 1. und der verstorbene G R der in der Vorentscheidung noch als Kläger zu 2. aufgeführt ist (Kläger), waren im Streitjahr zu je 50 % an der R-OHG (OHG) in K beteiligt, die ein Sägewerk in P und eine Holzhandlung in K unterhielt. Die Grundstükke, auf denen die Holzhandlung betrieben wurde, gehörten den Klägern zu je 1/2 Bruchteilseigentum.

Nachdem ein Brand am 23. September 1966 den größten Teil der Holzschuppen und die Vorräte der Holzhandlung vernichtet hatte, bildete die OHG zum 31. Dezember 1966 für die abgebrannten Schuppen eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe der erhaltenen Versicherungsentschädigung von 59 147 DM abzüglich des Buchwertes dieser Wirtschaftsgüter von 4 000 DM = 55 147 DM.

Im Jahre 1967 stellte die OHG den Betrieb der Holzhandlung ein. Die Grundstücke wurden zum Teil verpachtet, die Holzvorräte bis zum September 1967 veräußert. Weitere nennenswerte Wirtschaftsgüter des Holzhandelsbetriebes waren nicht vorhanden. Der gesamte Gewerbebetrieb (Holzhandlung und Sägewerk) wurde nach § 14 der Gewerbeordnung (GewO) zum 30. April 1967 abgemeldet.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah die Einstellung der Holzhandlung als Aufgabe eines Teilbetriebes an und stellte im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid 1967 vom 9. September 1969 einen laufenden Gewinn von 94 134 DM und einen nach § 34 EStG begünstigten Aufgabegewinn von 238 464 DM fest. Dabei löste es die Rücklage für Ersatzbeschaffung zugunsten des laufenden Gewinns auf. Mit dem Einspruch wurde beanstandet, daß das FA die Pachteinnahmen auch nach Überführung der Grundstücke ins Privatvermögen zum 30. April 1961 dem Gewerbegewinn zugerechnet hatte. Ferner wurde begehrt, die Rücklage für Ersatzbeschaffung zugunsten des steuerbegünstigten Aufgabegewinns aufzulösen. In der Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 1971 entsprach das FA dem Einspruch hinsichtlich der Pachteinnahmen und stellte den laufenden Gewinn auf 65 222 DM fest; im übrigen wies es den Einspruch zurück.

Auch die Klage blieb ohne Erfolg. In den Urteilsgründen stützte sich das FG auf das Urteil des BFH vom 20. August 1964 IV 40/62 U (BFHE 80, 83, BStBl III 1964, 504). Es führte aus, Bildung und Beibehaltung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung seien nur zulässig, solange der Steuerpflichtige an der Absicht, ein Ersatzwirtschaftsgut anzuschaffen, festhalte. Werde die Absicht der Ersatzbeschaffung infolge einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe aufgegeben, so sei die Rücklage aufzulösen. Der Steuerpflichtige müsse so gestellt werden, als ob ihm von vornherein die Ersatzbeschaffungsabsicht gefehlt habe; dabei sei jedoch nichts dagegen einzuwenden, daß die Auflösung zugunsten des laufenden Gewinns desjenigen Jahres erfolge, in dem die Ersatzbeschaffungsabsicht aufgegeben worden sei. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige durch höhere Gewalt oder durch behördliche Eingriffe gehindert gewesen sei, vor der Betriebsaufgabe eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen.

Im Streitfall hätten die Kläger die Ersatzbeschaffungsabsicht aufgegeben, weil sie ihr Gewerbe zum 30. April 1967 abgemeldet, den Holzhandelsbetrieb bis zum September 1967 seiner wesentlichen Grundlagen entkleidet und nicht mehr die Absicht gehabt hätten, ihn in absehbarer Zeit fortzusetzen. Das FA habe deshalb die Auflösung der Rücklage zutreffend im Streitjahr vorgenommen. Aus dem Vorstehenden folge zugleich, daß der Vortrag der Kläger, sie hätten im Jahre 1968 durch Zufall von einem Pächter eine Halle für 20 000 DM erwerben können, unerheblich sei. Der Holzhandelsbetrieb habe nicht mehr existiert, so daß die Halle nicht mehr die gleiche oder eine entsprechende Aufgabe wie die abgebrannten Schuppen habe erfüllen können. Die Kläger seien auch nicht gehindert gewesen, vor der Betriebsaufgabe eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen. Die von ihnen geltend gemachten Umstände - Strukturveränderungen in der Holzhandelsbranche, fortgeschrittenes Alter des Klägers zu 1. und Fehlen eines geeigneten Nachfolgers - hätten einer Ersatzbeschaffung nicht entgegengestanden. Gleiches gelte auch für die am 16. Februar 1968 mit Wirkung vom 9. März 1968 verhängte Veränderungssperre i. S. des BBauG, von der die Betriebsgrundstücke betroffen worden seien. Denn bis zur Betriebsaufgabe habe kein behördliches Hindernis für die Ersatzbeschaffung bestanden; dies sei durch Auskünfte der Bezirksregierung und des Bauamtes der Stadt K bestätigt worden, die das FA eingeholt habe.

Hiergegen wenden sich der Kläger zu 1. und die Erbin des Klägers zu 2. mit der Revision. Sie rügen Verletzung der §§ 16, 34 EStG und tragen vor, das FG habe sich zu Unrecht auf das BFH-Urteil IV 40/62 U gestützt. Von einer freien Gestaltungsmöglichkeit könne im Streitfall keine Rede sein. Dies ergebe sich daraus, daß ihnen zur Ersatzbeschaffung an sich ein Zeitraum bis zum Schluß des zweiten auf das Brandunglück folgenden Wirtschaftsjahres (31. Dezember 1968) zugestanden habe, die von der Stadt K verfügte Veränderungssperre jedoch am 16. Februar 1968 ergangen sei. Im übrigen müsse davon ausgegangen werden, daß sie selbst bei unverzüglicher Ingangsetzung eines Bauantrags keine Genehmigung mehr erhalten hätten. Denn die Veränderungssperre sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon am Tage des Brandes (23. September 1966) wie auch zu dem angenommenen Stillegungszeitpunkt (30. April 1967) in der Planung gewesen.

Die Revisionskläger beantragen, unter Abänderung der Einspruchsentscheidung und Aufhebung der Vorentscheidung den Gesamtgewinn der OHG für das Jahr 1967 von 303 686 DM in Höhe von 10 075 DM als laufenden Gewinn und in Höhe von 293 611 DM als Veräußerungsgewinn festzustellen und zu je 50 % auf die Gesellschafter aufzuteilen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA ist der Auffassung, nach den BFH-Urteilen IV 40/62 U und vom 30. März 1966 IV 237/63 (BFHE 86, 83, BStBl III 1966, 353) sei das FG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die Rücklage zugunsten des laufenden Gewinns aufzulösen sei. Die einzige in der Rechtsprechung des BFH zugelassene Ausnahme für den Fall, daß der Steuerpflichtige vor der Betriebsaufgabe gehindert gewesen sei, eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen, komme hier nicht in Betracht. Denn die Veränderungssperre sei erst am 9. März 1968 in Kraft getreten, ganz abgesehen davon, daß das Ersatzwirtschaftsgut nicht an demselben Ort wie das ausgeschiedene Wirtschaftsgut genutzt zu werden brauche. Der Hinweis der Revisionskläger auf die in Abschn. 35 Abs. 6 EStR genannte Frist von zwei Jahren gehe fehl. Denn ebenso wie die Frist im Einzelfall verlängert werden könne, verkürze sie sich, wenn der Steuerpflichtige bereits früher die Absicht, ein Ersatzwirtschaftsgut anzuschaffen, aufgegeben habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die zum 31. Dezember 1966 in Höhe von 55 147 DM gebildete Rücklage für Ersatzbeschaffung ist zugunsten des tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns (§§ 16 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 34 EStG) aufzulösen.

In Übereinstimmung mit den Beteiligten und der Vorinstanz geht der Senat davon aus, daß es sich bei der Holzhandlung um einen Teilbetrieb des aus Sägewerk und Holzhandlung bestehenden Gesamtbetriebes handelte und daß dieser Teilbetrieb im Zuge eines - aus Einstellung der werbenden Tätigkeit, gewerberechtlicher Abmeldung und Verkauf der Holzvorräte bestehenden - einheitlichen Vorganges zum 30. April 1967 aufgegeben wurde (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16. September 1966 VI 118, 119/65, BFHE 87, 134, BStBl III 1967, 70). Der Vorinstanz ist auch darin beizutreten, daß die Rücklage für Ersatzbeschaffung anläßlich der Betriebsaufgabe aufgelöst werden mußte. Dem FG kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit es den durch die Auflösung der Rücklage entstandenen Gewinn dem laufenden Gewinn hinzugerechnet hat.

Wie das FG bereits dargelegt hat, ist die Frage, ob der durch Auflösung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung entstandene Gewinn mit dem normalen Steuersatz zu versteuern oder dem tarifbegünstigten Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn hinzuzurechnen ist, streitig. Für die Annahme laufenden Gewinns haben sich insbesondere ausgesprochen die BFH-Urteile IV 40/62 U und IV 237/63, das Niedersächsische FG im Urteil vom 21. Dezember 1956 VII (VI) 350/54 (EFG 1957, 125), das FG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 31. Juli 1962 (inhaltlich wiedergegeben in FR 1962, 391, mit zustimmender Besprechung von Dürschke), Stockhausen (DStZ A 1961, 117) und Seithel (Rechts- und Wirtschaftspraxis, D Einkommensteuer II B 8, Einzelfragen). Die gegenteilige Auffassung wird namentlich vertreten vom RFH (Urteil vom 4. November 1942 VI 112/42, RStBl 1943, 58), von der OFD Hamburg (Verfügung vom 17. Januar 1961 S 2151/S 2158, DB 1961, 254; BB 1961, 163), Herrmann-Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 16 EStG Anm. 24), Littmann (Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 6 Rdnr. 580), Blümich-Falk (Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 13 Anm. 17), Theis (FR 1956, 524), Rau (DB 1956, 726) und Brockhoff (DStR 1958, 169). Der Senat schließt sich der letzteren Auffassung an.

Zu Unrecht nimmt das FG an, die Bildung einer Ersatzbeschaffungsrücklage zu Lasten des laufenden Gewinns müsse automatisch dazu führen, daß deren Auflösung den laufenden - tariflich besteuerten - Gewinn berühre. Der BFH hat bereits in seinem Urteil vom 4. Juni 1973 IV R 133/71 (BFHE 110, 330, BStBl II 1974, 27) entschieden, daß es einen allgemeinen Grundsatz dieses Inhalts nicht gibt. Wie der BFH in jenem Urteil weiter ausgeführt hat, geht vielmehr auch die Verwaltungspraxis in zahlreichen Fällen davon aus, daß unversteuerte stille Reserven, die durch erhöhte Absetzungen, durch Sonderabschreibungen oder durch Bewertungsabschläge und Bewertungsfreiheiten entstanden sind oder die auf objektbezogenen Wertberichtigungsposten beruhen, gleichgültig ob sie aktiv oder passiv gebildet worden sind, als Bestandteil des Veräußerungsgewinns anzusehen sind. Er hat ferner darauf hingewiesen, daß gemäß Abschn. 41 b Abs. 7 EStR eine Rücklage nach § 6 b EStG zugunsten des tarifbegünstigten Veräußerungs- oder Aufgabegewinns aufzulösen ist. Im Urteil IV R 133/71 hat der BFH deshalb die Auflösung einer Rücklage für Preissteigerung gemäß § 74 EStDV zugunsten des Veräußerungsgewinns vorgenommen. Im Urteil vom 12. Juli 1973 IV R 183/70 (BFHE 110, 257, BStBl II 1974, 3) entschied er, daß eine gemäß § 3 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr gebildete Ausfuhrförderungsrücklage ebenfalls zugunsten des tarifbegünstigten Veräußerungs- oder Aufgabegewinns aufzulösen ist. Die in den BFH-Urteilen IV 40/62 U und IV 237/63 für die Ersatzbeschaffungsrücklage gemachte Ausnahme wurde in den Urteilen IV R 133/71 und IV R 183/70 zwar wiederholt. Für die Entscheidungen kam es jedoch auf die vom IV. Senat vertretene Rechtsauffassung weder in dem Urteil IV 237/63 noch in den Urteilen IV R 133/71 und IV R 183/70 an.

Den BFH-Urteilen IV R 133/71 und IV R 183/70 liegt der Gedanke zugrunde, daß die steuerfreien Rücklagen gleichsam offen ausgewiesene "stille Reserven" seien, die im Rahmen des Veräußerungsgewinns ebenso realisiert werden müssen wie nicht offen ausgewiesene stille Reserven der Aktivseite (vgl. auch Seithel, a. a. O.). Der gleiche Gedanke muß aber auch für die Auflösung der Rücklage für Ersatzbeschaffung gelten, denn hier wie dort wird die Auflösung der Rücklage erst infolge der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes notwendig. Sinn und Zweck der §§ 16, 34 EStG, die dahin gehen, die zusammengedrängte Aufdeckung aller stillen Reserven steuerlich zu begünstigen, rechtfertigen auch bei der Rücklage für Ersatzbeschaffung die Anwendung des ermäßrgten Steuersatzes (Herrmann-Heuer, a. a. O.).

Wenn demgegenüber der IV. Senat in seinem Urteil IV 40/62 U die Auffassung vertritt, die Begünstigung sei zu versagen, weil die Absicht der Ersatzbeschaffung auch im Falle der Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe freiwillig aufgegeben werde, so vermag der Senat dem - jedenfalls für den Streitfall - nicht zu folgen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Genehmigung zur Errichtung neuer Holzschuppen im Zeitraum zwischen dem 23. September 1966 (Tag des Brandes) und dem 30. April 1967 (Datum der Betriebsaufgabe) noch zu erlangen war. Entscheidend ist vielmehr, daß die Absicht der Ersatzbeschaffung im zeitlichen Zusammenhang mit der vom Gesetz begünstigten Betriebsaufgabe aufgegeben und durch diese verursacht wurde. Der Senat ist nicht der Auffassung, daß der Entschluß, die Voraussetzungen der steuerfreien Rücklage nicht mehr zu erfüllen, der Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe in der Regel voraufgehe (so aber Urteil des IV. Senats IV 40/62 U). Er geht vielmehr davon aus, daß die Absicht der Ersatzbeschaffung in ihrem Fortbestehen regelmäßig von der grundsätzlichen unternehmerischen Entscheidung über Fortführung oder Veräußerung bzw. Aufgabe des Betriebes abhängt, also endgültig erst aufgegeben wird, wenn feststeht, daß der Steuerpflichtige den Betrieb nicht fortführt. Die Auflösung einer Ersatzbeschaffungsrücklage ist deshalb nur dann nicht dem tarifbegünstigten Aufgabegewinn hinzuzurechnen, wenn die Ersatzbeschaffungsabsicht unabhängig von der Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe, insbesondere wesentlich vor diesen Vorgängen, nach außen erkennbar aufgegeben wird. Das war hier nicht der Fall.

Ist danach im Streitfall die Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe von 55 147 DM zugunsten des tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns aufzulösen, so vermindert sich der laufende Gewinn von 65 222 DM auf 10 075 DM, während sich der Veräußerungsgewinn von 238 464 DM auf 293 611 DM erhöht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71551

BStBl II 1975, 848

BFHE 1976, 532

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