Entscheidungsstichwort (Thema)

Körperschaftsteuer Sonstiges Handelsrecht Gesellschaftsrecht Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die liquidationslose Verschmelzung von Genossenschaften nach §§ 93a ff. GenG führt in der Regel nicht zur Realisierung der bei der übertragenden Genossenschaft vorhandenen stillen Reserven.

 

Normenkette

KStG § 15 Abs. 2; KStDV § 34; GenG § 93a; EStG § 16

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der liquidationslosen Verschmelzung zweier Genossenschaften gleicher Haftart die stillen Reserven bei der übertragenden Genossenschaft aufgedeckt werden und sich in deren Höhe ein im Zeitpunkt der Verschmelzung zu versteuernder Fusionsgewinn ergibt.

Die beschwerdeführende Spar- und Darlehnskasse eGmbH übernahm auf Grund des Verschmelzungsvertrags vom 26. Mai 1954 das Vermögen einer Molkerei eGmbH nach Maßgabe der von dieser aufgestellten Bilanz vom 31. Dezember 1953. Sie schrieb den Mitgliedern die bilanzmäßig für sie ausgewiesenen Geschäftsguthaben gut. Das Finanzamt hielt § 16 Abs. 3 EStG 1953 für anwendbar und errechnete unter Zugrundelegung der gemeinen Werte des Betriebsgrundstücks, einer Viehwaage und einer Schrotmühle einen Veräußerungsgewinn der übertragenden Genossenschaft von 21 749 DM, mit dem es die Bfin. als Rechtsnachfolgerin der übertragenden Genossenschaft bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1954 zur Körperschaftsteuer heranzog. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht gab der Berufung insofern statt, als es den gemeinen Wert des Betriebsgrundstücks niedriger ansetzte; im übrigen folgte es der Auffassung des Finanzamts. Seine Entscheidung ist in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 S. 18 veröffentlicht.

Mit der Rb. begehrt die Bfin. wie in den Vorinstanzen eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 2 KStG. Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren nach § 287 Ziff. 2 AO beigetreten war, nahm zur Streitfrage im wesentlichen wie folgt Stellung: § 15 KStG gelte seinem Wortlaut nach nur für Kapitalgesellschaften im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziff. 1 KStG. § 15 Abs. 2 KStG könne daher auf den Streitfall höchstens analog angewendet werden. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift könne ihre Entstehungsgeschichte sprechen. § 15 Abs. 2 KStG sei auch § 18 Abs. 3 KStG 1925 hervorgegangen, der unter den dort genannten Voraussetzungen für alle Erwerbsgesellschaften, zu denen auch die Genossenschaften gehörten, Verschmelzungsgewinne von der Körperschaftsteuer freigestellt habe. Warum später in § 15 Abs. 2 KStG 1934 diese begünstigende Regelung auf Kapitalgesellschaften beschränkt worden sei, sei weder aus der amtlichen Begründung des Gesetzes noch aus dem Schrifttum der damaligen Zeit ersichtlich. Aus dem Fehlen einer Begründung könne wohl nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber sei wegen § 4 Abs. 2 Buchst. b KStG 1925 davon ausgegangen, daß steuerpflichtige Verschmelzungsgewinne praktisch nur bei Kapitalgesellschaften entstehen könnten; denn die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften seien gerade durch § 1 Abs. 1 Ziff. 2 KStG 1934 in den Katalog der unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften aufgenommen worden. Aus dem Fehlen einer Begründung zu § 15 Abs. 2 KStG 1934 könne kaum geschlossen werden, daß der Gesetzgeber entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift keine Beschränkung der Anwendung auf Kapitalgesellschaften gewollt habe. Diese Beschränkung könne darin ihren Sinn haben, daß bei Kapitalgesellschaften eine spätere Versteuerung der übernommenen stillen Reserven eher sichergestellt sei als bei Genossenschaften, von denen viele die Möglichkeit hätten, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 33 KStDV - ab 1955 § 31 KStDV - zu schaffen. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Wortlaut des § 15 KStG dem Willen des Gesetzgebers offensichtlich widerspreche oder die wortgetreue Anwendung der Vorschrift zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde. § 15 KStG enthalte deshalb ein auf Kapitalgesellschaften beschränktes, für Genossenschaften nicht anwendbares Sonderrecht.

Im Streitfalle seien die steuerlichen Folgen der Verschmelzung nach § 16 EStG zu beurteilen; denn bei der Verschmelzung zweier Genossenschaften handle es sich wie bei der Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften um eine Veräußerung eines Gewerbebetriebes im ganzen. Daß § 93 a des Genossenschaftsgesetzes (GenG) nicht von der Veräußerung, sondern von der übertragung des Vermögens spreche, stehe dieser Beurteilung nicht entgegen. Auch in § 233 Ziff. 2 des Aktiengesetzes (AktG) sei, obwohl es sich hier zweifellos um einen entgeltlichen Vorgang handle, vom übergang des Vermögens die Rede. Wie bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften der übernehmer als Entgelt Anteilsrechte gewähre, so gewähre bei der Verschmelzung von Genossenschaften der übernehmer als Entgelt Mitgliedsrechte. Auch die Stellung der Genossen der übertragenden Genossenschaft unterscheide sich nicht wesentlich von der der Aktionäre einer übertragenden Aktiengesellschaft. Auch bei der Verschmelzung von Genossenschaften bestehe die Möglichkeit, bei unterschiedlicher Vermögens- und Ertragslage der beteiligten Genossenschaften einen Interessenausgleich unter den Genossen durchzuführen, wie dies bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften durch das Umtauschverhältnis geschehe. Bei der übertragenden Genossenschaft bestehende Rücklagen könnten nämlich, wie sich aus § 93 m Abs. 1 Satz 3 GenG ergebe, bei der Verschmelzung den Geschäftsguthaben zugerechnet werden. Dies könne dadurch geschehen, daß der nach Auflösung stiller oder offener Rücklagen in der Schlußbilanz sich ergebende Gewinn durch Gewinnverwendungsbeschluß anteilsmäßig auf die Genossen der übertragenden Genossenschaft in der Weise verteilt werde, daß nach Erhöhung der Geschäftsanteile durch Satzungsänderung die zugeteilten Gewinnanteile zur Einzahlung auf den erhöhten Geschäftsanteil verwendet würden. Aus der ähnlichkeit der Vorgänge bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften und Genossenschaften ergebe sich, daß es sich in beiden Fällen um entgeltliche Vorgänge handle. Die Verschmelzung von Genossenschaften erfülle daher den Tatbestand des § 16 Abs. 1 Ziff. 1 EStG. Der Realisierung eines Verschmelzungsgewinns stehe auch § 93 g GenG, wonach die Werte der Schlußbilanz der übertragenden Genossenschaft von der übernehmenden Genossenschaft fortzuführen seien, nicht entgegen. Denn diese Vorschrift sei für die Steuerbilanz der übernehmenden Genossenschaft nicht bindend.

Die Bfin. macht demgegenüber im wesentlichen geltend: Aus der Entstehungsgeschichte des § 15 KStG könne entgegen der Ansicht des Bundesministers der Finanzen nicht entnommen werden, daß der Gesetzgeber die Grundsätze dieser Vorschrift bewußt auf Kapitalgesellschaften habe beschränken wollen. Zwar seien auch die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in § 1 Abs. 1 KStG 1934 grundsätzlich für unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig erklärt worden. Das KStG 1934 sei aber erst ab 1939 auf Genossenschaften angewendet worden. Eine Berücksichtigung der Genossenschaften in § 15 Abs. 2 KStG 1934 sei also zunächst überflüssig gewesen. Erst ab 1939 hätte man eine dem § 15 KStG entsprechende Regelung für Genossenschaften treffen müssen, was aber offensichtlich übersehen worden sei. Eine unterschiedliche Behandlung von Genossenschaften und Kapitalgesellschaften bei der Verschmelzung sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Die subjektive Steuerpflicht könne sowohl bei Kapitalgesellschaften als auch bei Genossenschaften wegfallen. Entscheidend für die Anwendung des § 15 KStG sei allein, daß die Versteuerung stiller Rücklagen auf Grund der Bilanzmäßigen Wertansätze gesichert bleibe. § 15 Abs. 2 KStG sei keine Ausnahmevorschrift, sondern trage nur dem allgemeinen Grundsatz Rechnung, daß dann, wenn bei der Fusion der übernehmer die Wertansätze des übergebers unverändert fortführe, eine Gewinnrealisierung nicht stattfinde. Das gelte bei Aktiengesellschaften wie bei Genossenschaften, wofür auch die Darlegungen des Bundesministers der Finanzen zur Gleichartigkeit der Verschmelzung bei beiden Arten von Körperschaften sprächen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und des angefochtenen Steuerbescheids.

Dem Bundesminister der Finanzen ist darin zuzustimmen, daß § 15 Abs. 2 KStG nicht unmittelbar auf die Verschmelzung solcher körperschaftsteuerpflichtiger Gebilde angewendet werden kann, die nicht Kapitalgesellschaften sind. Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, die sich nur mit der Liquidation, der Verschmelzung und der Umwandlung von Kapitalgesellschaften befaßt. Eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 2 KStG kann nicht schon damit gerechtfertigt werden, daß eine gleichartige Regelung der Gewinnrealisierung bei der Verschmelzung von Genossenschaften sinnvoll und zweckmäßig wäre (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs I 240/40 vom 11. Februar 1941, RStBl 1941 S. 380, Slg. Bd. 50 S. 39). Es bedürfte vielmehr wegen des klaren Wortlauts des Gesetzes des Nachweises, daß die Beschränkung der Vergünstigung in § 15 Abs. 2 KStG auf Kapitalgesellschaften zu einem der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis führen würde (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 10/57 U vom 12. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 154, Slg. Bd. 66 S. 401, und I 285/56 U vom 7. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 264, Slg. Bd. 65 S. 82). Dieser Nachweis kann nicht geführt werden.

Da es im Körperschaftsteuerrecht an einer die Gewinnrealisierung bei der Verschmelzung von Genossenschaften regelnden Vorschrift fehlt, muß geprüft werden, ob sich der von den Vorinstanzen bejahte Zwang zur Gewinnrealisierung aus den über § 6 KStG 1953 auch im Körperschaftsteuerrecht anwendbaren Vorschriften des § 16 Abs. 1 (Veräußerung eines Betriebes) oder des § 16 Abs. 3 EStG (Aufgabe eines Betriebs) oder aus den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen über die Gewinnrealisierung herleiten läßt. Ob ein bestimmter wirtschaftlicher Vorgang nach steuerlichen Grundsätzen zu einer Gewinnrealisierung führen muß, kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles entschieden werden, zu denen besonders die für den Vorgang maßgeblichen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften, der Gesichtspunkte der Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolge und die künftige Erfassung der stillen Reserven durch die gleiche Steuerart gehören (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 4/52 U vom 17. Mai 1952, BStBl 1952 III S. 208, Slg. Bd. 56 S. 536). Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die für und gegen eine Gewinnrealisierung sprechenden Gründe, so ergibt sich folgendes:

Die die Verschmelzung von Genossenschaften regelnden Vorschriften der §§ 93 a ff. GenG sind zum Teil wortgetreu den entsprechenden Vorschriften des ersten Teils des III. Buches des AktG nachgebildet. Hervorzuheben ist von diesen Vorschriften, daß das Vermögen der übertragenden Genossenschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Genossenschaft übergeht und daß die übernehmende Genossenschaft handelsrechtlich verpflichtet ist, die Werte der Schlußbilanz der übertragenden Genossenschaft fortzuführen (ß 93 g GenG). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese handelsrechtlichen Vorschriften über die Fortführung der Buchwerte für sich allein zwingend eine Gewinnrealisierung in der steuerlichen Schlußbilanz der übertragenden Genossenschaft ausschließen oder ob nicht vielmehr steuerliche Vorschriften und Grundsätze notwendig zu einer abweichenden Bilanzierung in den Steuerbilanzen führen könnten. Denn der Auffassung der Bfin. über die Bedeutung der handelsrechtlich vorgeschriebenen Höchstwerte für die Besteuerung ist jedenfalls darin zuzustimmen, daß die handelsrechtliche Regelung dafür spricht, von einer Gewinnrealisierung abzusehen und damit eine übereinstimmung der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Bilanz der übernehmenden Genossenschaft herbeizuführen. Die Tatsache, daß die übertragende Genossenschaft mit der Eintragung der Verschmelzung erlischt, spricht zwar für einen Zwang der Auflösung der stillen Reserven, weil grundsätzlich die von einem bestimmten Steuersubjekt zu Lasten seines Gewinns gebildeten stillen Rücklagen zu irgendeiner Zeit von demselben Steuersubjekt versteuert werden sollen und nicht auf ein anderes Steuersubjekt übertragen werden dürfen. Von diesem in § 16 Abs. 3 EStG zum Ausdruck kommenden Gedanken haben aber sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung besonders in Fällen der Gesamtrechtsnachfolge, bei der unentgeltlichen übertragung eines Betriebs und bei der Umwandlung einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft Ausnahmen gemacht.

Beim übergang eines Betriebs vom Erblasser auf den Erben oder bei der unentgeltlichen Betriebsübertragung können die durch die Fortführung der Buchwerte nicht aufgelösten stillen Reserven nicht mehr bei dem Steuersubjekt erfaßt werden, das sie gebildet hat. Trotzdem hält es der Gesetzgeber für nicht erforderlich, die Realisierung der stillen Reserven beim Erblasser oder bei dem übertragenden zu verlangen, weil er in dieser Betriebsübertragung keinen wirtschaftlich ausreichenden Grund für einen Zwang für die Gewinnrealisierung sieht (vgl. § 5 EStDV 1953). Aus ähnlichen Erwägungen verneinen der Reichsfinanzhof und der Bundesfinanzhof den Zwang zur Gewinnrealisierung bei der Umwandlung eines Einzelunternehmens oder einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, obwohl in diesen Fällen die Auflösung der zu Lasten eines einkommensteuerpflichtigen Gewinns gebildeten stillen Reserven zunächst nur zu einer der Körperschaftsteuer unterliegenden Gewinnerhöhung führt und die früher unterbliebene Einkommensbesteuerung erst dann nachgeholt wird, wenn die stillen Reserven an die Gesellschafter ausgeschüttet werden oder die Gesellschafter ihre Beteiligung veräußern (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 434/30 vom 9. Mai 1933, RStBl 1933 S. 999, Slg. Bd. 33 S. 276, und Urteil des Bundesfinanzhofs I 205/57 U vom 24. März 1959, BStBl 1959 III S. 289, Slg. Bd. 69 S. 72). Dabei ist unerheblich, ob das Vermögen auf Grund handelsrechtlicher Vorschriften im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Kapitalgesellschaft übergeht. Andererseits kann bei der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft oder in ein Einzelunternehmen auf eine Auflösung der stillen Rücklagen in dem übertragenen Vermögen unabhängig davon, ob eine Gesamtrechtsnachfolge eintritt, nicht verzichtet werden. Ein solcher Verzicht bedarf vielmehr einer ausdrücklichen steuergesetzlichen Regelung (Urteil des Bundesfinanzhofs I 39/56 S vom 29. Mai 1956, BStBl 1956 III S. 226, Slg. Bd. 63 S. 76). Der Grund für diese unterschiedliche Behandlung dieser Umwandlungsfälle liegt weniger in der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Tatbestände als in der unterschiedlichen steuerlichen Erfassung der stillen Reserven bei ihrer späteren Auflösung. Die für die Beurteilung der Gewinnrealisierung bedeutsame Sicherstellung der künftigen steuerlichen Erfassung der stillen Rücklagen ist nicht gewährleistet, wenn die stillen Rücklagen der bisher bestehenden Doppelbelastung mit der Körperschaftsteuer bei der Kapitalgesellschaft und der Einkommensteuer bei den Gesellschaftern entzogen werden. Bleiben indessen die bei einer Umwandlung oder bei einer der Umwandlung wirtschaftlich und rechtlich nahestehenden Verschmelzung vorhandenen stillen Rücklagen der übertragenden Gesellschaft im Bereich der Steuerart, zu deren Lasten sie gebildet wurden, was bei der Verschmelzung von Genossenschaften ebenso wie bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften der Fall ist, so kann in der Regel aus der Tatsache allein, daß das bisherige Steuersubjekt durch die Verschmelzung untergeht, kein Zwang zur Gewinnrealisierung hergeleitet werden. Der Senat sieht deshalb in § 15 Abs. 2 KStG den Ausdruck eines allgemeinen, die Gewinnrealisierung betreffenden Rechtsgedankens und hält es jedenfalls nicht für zulässig, aus dieser Vorschrift einen Umkehrschluß zu ziehen. Da die bei der übertragenden Genossenschaft vorhandenen stillen Rücklagen durch die Verschmelzung nicht aus dem Bereich der Körperschaftsteuer ausscheiden und keine zwingenden wirtschaftlichen und steuerlichen Gründe erkennbar sind, diese Verschmelzung nach den allgemeinen für die Gewinnrealisierung geltenden Grundsätzen anders zu behandeln als die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften oder die Umwandlung von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften, so kann der Zwang zur Auflösung der stillen Rücklagen nur dann bejaht werden, wenn er sich aus den für das Körperschaftsteuerrecht geltenden Vorschriften des EStG eindeutig ergibt. Das ist nicht der Fall.

Eine Aufgabe des Betriebs im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG liegt bei der Verschmelzung von Genossenschaften schon deshalb nicht vor, weil der wirtschaftliche Organismus der übertragenden Genossenschaft nicht untergeht, sondern in dem Betrieb der aufnehmenden Genossenschaft erhalten bleibt. Die Aufgabe eines Betriebs setzt in der Regel den Untergang des bisherigen wirtschaftlichen Organismus oder den übergang des bisherigen Betriebsvermögens ins Privatvermögen voraus (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 197/61 S vom 6. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 190). Auch aus § 16 Abs. 1 EStG (Veräußerung des Gewerbebetriebs) kann die Pflicht zur Realisierung der stillen Rücklagen der übertragenden Genossenschaft nicht hergeleitet werden. Denn selbst wenn man in der Verschmelzung grundsätzlich einen Veräußerungsvorgang oder einen der Betriebsveräußerung nahestehenden Vorgang sieht, so besteht doch die Bedeutung des § 16 Abs. 1 EStG nicht darin, eine Ausnahme von den sich aus den allgemeinen steuerlichen Vorschriften oder überlegungen ergebenden Grundsätzen über die Pflicht zur Gewinnrealisierung zu schaffen. Denn daß eine Betriebsveräußerung, die im Gegensatz zu den hier behandelten Vorgängen der Verschmelzung in aller Regel beim Erwerber zu einer von den Buchwerten des Veräußerers unabhängigen, nur vom Kaufpreis bestimmten Eröffnungsbilanz führt, ein zur Gewinnrealisierung führender Vorgang ist, ergibt sich schon aus § 15 EStG. § 16 Abs. 1 EStG will einen grundsätzlich zur Gewinnrealisierung führenden Vorgang abgrenzen, um die in § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG vorgesehene Tarifvergünstigung bestimmen zu können.

Bedenken gegen die Verneinung des Zwangs der Gewinnrealisierung könnten im vorliegenden Fall daraus hergeleitet werden, daß die aufnehmende Bfin. eine Spar- und Darlehnskasse ist und ihr Einkommen möglicherweise dem bei Kreditgenossenschaften begünstigten Steuersatz des § 34 KStDV 1953 unterliegt. Die für die Gewinnrealisierung bedeutsame Sicherstellung der künftigen Besteuerung der stillen Rücklagen beim Rechtsnachfolger bedeutet indessen nicht, daß die spätere Auflösung der stillen Rücklagen tatsächlich zu einer Erhöhung des steuerpflichtigen Einkommens führen muß. Denn die Auflösung kann z. B. auch in ein Verlustjahr fallen. Es ist auch nicht notwendig, daß der Auflösungsbetrag im Rahmen der Einkommensbesteuerung voraussichtlich demselben Steuersatz unterworfen wird, mit dem die stillen Rücklagen bei Bejahung der Gewinnrealisierung im Zeitpunkt der Verschmelzung zu versteuern gewesen wären. Der Fall kann hinsichtlich der Sicherstellung der künftigen Besteuerung nicht anders beurteilt werden als die Schaffung der Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung oder Steuervergünstigung durch eine bisher steuerpflichtige Genossenschaft. Entfallen bei einer bisher steuerfreien Genossenschaft die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung, so unterliegen die während der Zeit der Steuerbefreiung gebildeten stillen Rücklagen im Fall der Auflösung der Besteuerung, soweit nicht die Ausnahmevorschrift des § 32 EStDV 1953 zu einem anderen Ergebnis führt. Löst andererseits eine bisher steuerpflichtige Genossenschaft ihre stillen Reserven in einem Zeitraum auf, in dem sie die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung geschaffen hat, so entgehen die zu Lasten des steuerpflichtigen Ertrages gebildeten stillen Rücklagen der Besteuerung. Diese Auswirkung entspricht dem Gesetz. Die entsprechende Anwendung dieser sich aus dem Gesetz ergebenden Grundsätze führt bei der Verschmelzung zu dem Ergebnis, daß es für die Gewinnrealisierung nicht auf die Steuerbefreiung oder die Steuerbegünstigung der übertragenden oder der übernehmenden Genossenschaften ankommt.

Die Vorentscheidungen und der lediglich einen Verschmelzungsgewinn erfassende Körperschaftsteuerbescheid sind ersatzlos aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424113

BStBl III 1962, 351

BFHE 1963, 231

BFHE 75, 231

BB 1962, 1363

DB 1963, 293

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