Leitsatz (amtlich)

Der bei abschließender Zeichnung einer Aktenverfügung zu einem Steuerbescheid vorhandene Bekanntgabewille kann wieder aufgegeben werden. Zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe und damit des Steuerbescheids führt die Aufgabe des Bekanntgabewillens nur, wenn diese klar und eindeutig dokumentiert worden ist.

 

Orientierungssatz

1. Ein ohne Bekanntgabewille zur Kenntnis gebrachter Verwaltungsakt erlangt keine Wirksamkeit. Dieser Bekanntgabewille muß von einem Bediensteten (Amtsträger im Sinn des § 7 AO 1977), der nach seiner Stellung zum Erlaß eines Verwaltungsakts (hier: eines Steuerbescheids: Sachbearbeiter und Sachgebietsleiter) befugt ist, bei abschließender Zeichnung der Aktenverfügung gebildet und muß auch noch "im maßgebenden Zeitpunkt" (in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wird) fortbestehen (Anschluß an BFH-Urteil vom 27.6.1986 VI R 23/83).

2. Ein Fehler bei der Beachtung der verwaltungsinternen Befugnisse (hier: Erteilung der Zustimmung gemäß § 168 AO 1977) berührt nicht die Wirksamkeit des Steuerbescheids (vgl. BFH-Urteil vom 29.1.1981 V R 47/77).

3. Wenn auch nur die Möglichkeit fehlerhafter Sachaufklärung, Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung besteht, ist die Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 28.11.1985 IV R 178/83). Das Fehlen eines Bekanntgabewillens für einen Steuerbescheid kann eine offenbare Unrichtigkeit sein.

 

Normenkette

AO 1977 § 124 Abs. 1, §§ 122, 7, 168, 129

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 04.05.1983; Aktenzeichen III 19/79 U)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) berechnete in seiner Umsatzsteuererklärung für 1969 zu seinen Gunsten einen Überschuß in Höhe von 5 251,40 DM. Der Amtsprüfer des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) vermerkte am 16.August 1977 auf der Umsatzsteuererklärung: "Zustimmung nach § 168 Satz 2 AO wird erteilt". Zugleich verfügte der Amtsprüfer auf dem Eingabewertbogen die maschinelle Fertigung eines Bescheids des Inhalts: "Die Umsatzsteuerfestsetzung 1969 erfolgte entsprechend der von Ihnen abgegebenen Umsatzsteuererklärung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs.1, 168 AO). Der Vorbehalt der Nachprüfung wird nach § 164 Abs.3 AO aufgehoben". Des weiteren verfügte er auf dem Eingabewertbogen, daß nach Durchführung der maschinellen Bearbeitung die Verfügung auf der Durchschrift des Bescheides zu beachten sei. An dieser Stelle hieß es, der Steuerbescheid sei der Finanzkasse zur Sollstellung und Absendung zuzuleiten. Den Eingabewertbogen mit der Verfügung gab der Amtsprüfer zur weiteren Bearbeitung in den Geschäftsgang.

Vor Absendung des Bescheids durch die Finanzkasse bemerkte der Amtsprüfer, daß er nach einer Anweisung der Oberfinanzdirektion (OFD) wegen der Höhe des Überschusses die Zustimmung gemäß § 168 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht hätte erteilen dürfen. Er vermerkte auf der Umsatzsteuererklärung: "Die Zustimmung muß der SL erteilen" und leitete die Umsatzsteuererklärung dem Sachgebietsleiter zu. Der Sachgebietsleiter erteilte die Zustimmung nicht. Unter dem 23.August 1977 schrieb er dem Bevollmächtigten des Klägers, "hinsichtlich der ... Baumaßnahme (sei) Selbstverbrauchsteuerpflicht gemäß § 30 UStG a.F. gegeben". Nach Berechnung der Höhe der Selbstverbrauchsteuer schrieb er weiter: "Sollte mein Schreiben ... ohne Rückäußerung bleiben, gehe ich davon aus, daß Sie der o.a. Sachbehandlung zustimmen". Sodann gab er die Umsatzsteuererklärung mit einer Durchschrift seines Schreibens an den Amtsprüfer zurück. Dieser vermerkte auf der Durchschrift: "Wv. 15.9.1977. 1969 - SVSt 6 067,46 anrechnen".

Der vom Amtsprüfer am 16.August 1977 verfügte Bescheid wurde am 26.August 1977 maschinell erstellt und am 12.September 1977 von der Finanzkasse zur Post gegeben.

Am 28.September 1977 verfügte der Amtsprüfer die Ausfertigung eines Umsatzsteuerbescheids für 1969, durch den unter Berücksichtigung von Selbstverbrauchsteuer eine Umsatzsteuer in Höhe von 816,09 DM festgesetzt wurde (Bescheid vom 3.Oktober 1977). Er bemerkte zur Begründung, der Bescheid vom 12.September 1977 über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung sei gegenstandslos, weil die erforderliche Zustimmung gemäß § 168 AO 1977 nicht erfolgt sei.

Der Einspruch des Klägers blieb im wesentlichen erfolglos. Das FA stützte in der Einspruchsentscheidung den Erlaß des Bescheids vom 3.Oktober 1977 nunmehr auf § 129 AO 1977. Zur Begründung führte es aus, es liege eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 vor, wenn ein Bescheid bekanntgegeben werde, obwohl der Bekanntgabewille zuvor wieder aufgegeben worden sei.

Das Finanzgericht (FG) hob den Bescheid vom 3.Oktober 1977 auf. Es verneinte die Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 AO 1977 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1984, 326). Bei der Bearbeitung der Verfügung des Amtsprüfers sei dem FA kein Fehler unterlaufen. Es sei lediglich der Bearbeitungsvorgang versehentlich nicht unterbrochen worden.

Das FA hat Revision eingelegt. Es rügt Verletzung der §§ 124, 129 AO 1977. In erster Linie macht das FA geltend, der Bescheid vom 12.September 1977 sei nicht wirksam geworden, weil der zuständige Amtsprüfer bei seiner Bekanntgabe nicht mehr den Willen gehabt habe, einen Bescheid zu erlassen. Hinsichtlich des Bekanntgabewillens dürfe nicht auf die Bearbeiter der Veranlagungsverwaltungsstelle oder der Finanzkasse abgestellt werden. Maßgeblich sei der Wille des zuständigen Amtsprüfers bzw. Sachgebietsleiters. Hilfsweise stützt das FA den Bescheid vom 3.Oktober 1977 auf § 129 AO 1977. Entgegen der Ansicht des FG brauche die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar zu sein.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht den Umsatzsteuerbescheid vom 3.Oktober 1977 aufgehoben. Dieser Bescheid durfte nicht ergehen, weil ihm der Bescheid vom 12.September 1977 verfahrensrechtlich entgegenstand und nicht gemäß § 129 AO 1977 berichtigt werden konnte.

1. Der Umsatzsteuerbescheid vom 12.September 1977 ist wirksam geworden. Gemäß § 124 Abs.1 AO 1977 ist für die Wirksamkeit eines Steuerbescheides die Bekanntgabe notwendige Voraussetzung. Wie der VI.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 27.Juni 1986 VI R 23/83 (BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832 m.w.N.) ausgeführt hat, muß die Bekanntgabe vom Willen der den Steuerbescheid erlassenden Behörde getragen werden. Ein ohne Bekanntgabewille zur Kenntnis gebrachter Verwaltungsakt erlangt daher keine Wirksamkeit. Der Bekanntgabewille muß von einem Bediensteten (Amtsträger) i.S. des § 7 AO 1977 gebildet werden, der nach seiner Stellung zum Erlaß eines Verwaltungsakts befugt ist. Bei Erlaß eines Steuerbescheids sind regelmäßig die Sachbearbeiter und Sachgebietsleiter die befugten Amtsträger. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des VI.Senats an. Der VI.Senat ist in der genannten Entscheidung ferner zu Recht davon ausgegangen, daß der Bekanntgabewille auch noch "im maßgebenden Zeitpunkt" fortbestehen muß. Damit ist der Zeitpunkt gemeint, in dem der Bescheid bekanntgegeben wird (wobei offenbleiben kann, ob es bei der Übermittlung des Bescheids durch die Post auf den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post oder auf den Zeitpunkt der fiktiven Bekanntgabe gemäß § 122 Abs.2 AO 1977 ankommt). Der Bekanntgabewille wird bei abschließender Zeichnung der Aktenverfügung durch den zuständigen Amtsträger gebildet. Er wirkt auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe fort, wenn der zuständige Amtsträger nicht mehr mit der Sache befaßt wird. Der Bekanntgabewille kann aufgegeben werden. Ein trotz Aufgabe des Bekanntgabewillens bekanntgewordener Verwaltungsakt erlangt ebensowenig Wirksamkeit wie ein Bescheid, bei dem der Bekanntgabewille nie gebildet worden ist (zu diesem Fall vgl. BFH-Urteil vom 28.September 1984 III R 58/83, BFHE 142, 204, BStBl II 1985, 42). Die Aufgabe des Bekanntgabewillens ist jedoch nur beachtlich, wenn sie sich in der ausdrücklichen Aufhebung der Verfügung des Verwaltungsakts niederschlägt. Der Umstand, daß die Bekanntmachung nicht mehr vom Willen des zuständigen Amtsträgers gedeckt wird, darf keine innere Tatsache bleiben, sondern muß klar und eindeutig, z.B. durch einen Vermerk in den Akten, dokumentiert werden. Diese Forderung fließt aus dem Gebot der Rechtssicherheit. Der Steuerpflichtige, der einen Steuerbescheid erhält, verdient Vertrauensschutz. Auf den Wegfall eines zunächst vorhanden gewesenen Bekanntgabewillens darf sich eine Behörde nur berufen, wenn die Willensänderung klar und eindeutig dokumentiert ist.

2. Der bei abschließender Zeichnung gebildete Bekanntgabewille des Amtsprüfers wirkte auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids fort. Weder der Amtsprüfer noch der Sachgebietsleiter haben eindeutig und klar zum Ausdruck gebracht, daß der am 16.August 1977 verfügte Bescheid nicht bekanntgegeben werden solle. Im Schreiben vom 23.August 1977 hat der Sachgebietsleiter lediglich angefragt, ob der Kläger der Berücksichtigung von Selbstverbrauchsteuer zustimme; die Aktenverfügung oder ein zu erwartender Bescheid sind nicht erwähnt. Es wurde nicht etwa darauf hingewiesen, im zu erwartenden Steuerbescheid werde die Selbstverbrauchsteuer berücksichtigt werden oder ein demnächst zugehender Bescheid, der keine Selbstverbrauchsteuer enthalte, sei nicht zu beachten. Auch der Aktenvermerk des Amtsprüfers machte nicht die evtl. Aufgabe des Bekanntgabewillens mit der notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit ersichtlich. Es blieb offen, in welcher Form die Selbstverbrauchsteuer berücksichtigt werden sollte. Nicht völlig auszuschließen ist, daß der Amtsprüfer von der Möglichkeit, die Ausfertigung des Bescheids zu verhindern, absah und (rechtsirrtümlich) einen neuen Bescheid unter Anwendung von Änderungsvorschriften (§§ 164, 172 ff. AO 1977) ins Auge faßte.

3. Der Bescheid vom 12.September 1977 ist nicht deshalb unwirksam, weil der Amtsprüfer seine verwaltungsinterne Befugnis zur Erteilung der Zustimmung gemäß § 168 AO 1977 überschritten hat. Der Amtsprüfer war generell für die Steuerfestsetzung zuständig. Ein Fehler bei der Beachtung der verwaltungsinternen Befugnisse berührt nicht die Wirksamkeit des Steuerbescheids (vgl. BFH-Urteil vom 29.Januar 1981 V R 47/77, BFHE 132, 219, BStBl II 1981, 404).

4. Der Bescheid vom 12.September 1977 konnte nicht gemäß § 129 AO 1977 berichtigt werden. § 129 AO 1977 gestattet der Finanzbehörde, Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit zu berichtigen. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind --gleichsam mechanische-- Versehen, die ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Wenn auch nur die Möglichkeit fehlerhafter Sachaufklärung, Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung besteht, ist die Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 28.November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293 m.w.N.).

Der Bescheid vom 12.September 1977 enthielt keine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977. Die Nichtberücksichtigung der Selbstverbrauchsteuer ist hierfür ohne Bedeutung, da insoweit ein Rechtsirrtum nicht ausgeschlossen werden kann. Im übrigen ist der Bescheid inhaltlich richtig und gemäß der Aktenverfügung ausgefertigt und bekanntgegeben worden. Als offenbare Unrichtigkeit des Bescheides käme nur das Fehlen eines Bekanntgabewillens in Betracht. Dieser Fehler wäre dadurch entstanden, daß die Aktenverfügung zur Ausfertigung und Bekanntgabe des Bescheids nicht aufgehoben und der Verwaltungsvorgang nicht abgebrochen worden ist. Es kann offenbleiben, ob hierin überhaupt eine offenbare Unrichtigkeit, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen ist, erblickt werden kann. Denn selbst wenn das Fehlen eines Bekanntgabewillens eine offenbare Unrichtigkeit darstellen könnte, wären die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 im Streitfall nicht gegeben. Nach den Ausführungen oben unter Nr.2 ist es gerade unklar geblieben, ob der Amtsprüfer oder der Sachgebietsleiter des beklagten FA den Willen hatten, den bereits verfügten Bescheid nicht zu erlassen. Auch hier ist entscheidend, daß die Aufgabe des Bekanntgabewillens nicht klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62189

BFH/NV 1989, 13

BStBl II 1989, 344

BFHE 155, 466

BFHE 1989, 466

BB 1989, 769-769 (L1)

DB 1989, 964 (LT)

HFR 1989, 343 (LT)

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