Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff "Arbeitsstätte" bei einem Berufskraftfahrer.

 

Normenkette

EStG 1971 § 9 Abs. 1

 

Tatbestand

In den beiden, vom Senat nach § 121 i. V. m. § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Revisionsverfahren ist streitig, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) - ein als Arbeitnehmer tätiger Berufskraftfahrer - für die Streitjahre 1971 und 1972 ohne Einzelnachweis Mehraufwendungen für Verpflegung nach Maßgabe der in Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3a der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1970 bzw. Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3a LStR 1972 vorgesehenen Pauschbeträge als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend machen darf.

Der Kläger wohnt in A und fährt werktäglich mit seinem eigenen PKW zu seinem 10 km entfernt liegenden Kraftfahrzeug(Kfz)-Depot in B. Er erhält dort seine Aufträge, hat dort sein Lastfahrzeug auf seine Fahrtauglichkeit zu prüfen und ggf. zu warten. Mindestens einmal wöchentlich wird er dort zur Wartung (Abschmieren, Ölwechsel, kleine Reparaturen) des Kfz tätig. In den Streitjahren 1971 und 1972 fuhr er überwiegend Getreide, Düngemittel, Saatgut und Futtermittel von B im Nahverkehr. Über die Fahrten führte er Fahrtenbücher. Von seinem Arbeitgeber erhielt er pauschal 4 DM und während der Erntezeit im Sommer 10 bis 12 DM je Fahrtentag steuerfrei ausgezahlt.

Im Antrag auf den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1971 begehrte der Kläger den Ansatz von 4 447 DM Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten, die er unter Zugrundelegung der sich nach Abschn. 21 Abs. 4 Nr. 3 a LStR 1970 ergebenden Pauschbeträge ermittelt hatte. Hierbei war von ihm ein steuerfreier Zuschuß seines Arbeitgebers von 1 708 DM abgesetzt worden. Im Antrag auf den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1972 machte er den Ansatz eines ebenfalls an Hand der Reisekostenpauschbeträge (vgl. Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 a LStR 1972) ermittelten Verpflegungsmehraufwandes von 4 057 DM, der nach Abzug eines steuerfreien Arbeitgeberzuschusses von 1 555 DM verblieben war, als Werbungskosten geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte die geltend gemachten Aufwendungen für Mehrverpflegung in den Bescheiden über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1971 und 1972 nicht als Werbungskosten an.

Die dagegen erhobenen Einsprüche blieben ebenso wie die Klagen vor dem Finanzgericht (FG) erfolglos. Das FG begründete seine Urteile im wesentlichen wie folgt:

Die Aufwendungen für Mehrverpflegung seien vom Kläger weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Auf die in den genannten Bestimmungen der Lohnsteuer-Richtlinien festgelegten Pauschbeträge könne sich der Kläger nicht berufen, da deren Anwendung im Streitfalle zu einer unzutreffenden Besteuerung führen würde. Im Streitfalle spreche die Lebenserfahrung dagegen, daß der Kläger - zumindest über die ihm vom Arbeitgeber vergüteten Sätze hinaus - einen Aufwand für Mehrverpflegung, geschweige denn einen solchen in Höhe der geltend gemachten Pauschbeträge gehabt habe. Denn er habe seine Fahrten nach dem Inhalt der Fahrtenbücher morgens angetreten und in der Regel am selben Tage abends beendet.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinen Revisionen, die er wie folgt begründet:

Das FG habe zu Unrecht die Anerkennung des geltend gemachten Aufwands an beruflich bedingter Mehrverpflegung als Werbungskosten verweigert. Die Voraussetzungen, die Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1971/72 für das Vorliegen von Dienstreisen aufstelle, seien unstreitig erfüllt. Streitig sei allein, ob die dem Kläger auf seinen Dienstreisen erwachsenen Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe der genannten Pauschbeträge als Werbungskosten anzuerkennen seien. Diese Pauschbeträge ergäben sich zwar aus Verwaltungsanordnungen, die nicht in jedem Fall einen gerichtlich verfolgbaren Rechtsanspruch begründeten. Sie bildeten jedoch Richtsätze, die von den obersten Verwaltungsbehörden auf Grund ihrer Erfahrungen im Interesse der Vereinfachung und gleichmäßigen Handhabung im steuerlichen Massenverfahren festgesetzt worden seien. Aus Gründen der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen würden die Pauschbeträge auch von den Steuergerichten angewendet, solange sie im Einzelfall nicht zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führten. Ein Fall der unzutreffenden Besteuerung liege hier jedoch nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unbegründet, ohne daß es eines Eingehens auf die von den Beteiligten als streitig vorgetragenen Rechtsfragen bedarf.

Sowohl die Beteiligten als auch das FG gehen zu Unrecht davon aus, daß es sich bei den Fahrten des Klägers für seinen Arbeitgeber um "Dienstreisen" (Berufsreisen) i. S. des Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1970/72 gehandelt habe. Denn Dienstreisen liegen nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats lediglich dann vor, wenn der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen zeitweilig vom Ort seiner regelmäßigen (festen) Arbeitsstätte abwesend ist (vgl. für einen Pflasterer: Urteil vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130). Diese Voraussetzung ist dann nicht gegeben, wenn ein LKW-Fahrer - wie hier der Kläger - seine arbeitstäglichen Fahrten von einem bestimmten Betriebsgelände aus antritt. In einem solchen Falle hat der Arbeitnehmer keine regelmäßige Arbeitsstätte bei seiner Anstellungsfirma. Arbeitsstätte ist hier vielmehr der LKW, mit dem der Kläger unterwegs ist (wie z. B. bei einem Schlafwagenschaffner der von ihm jeweils betreute Schlafwagen, vgl. Urteil des Senats vom 11. August 1972 VI R 128/70, BFHE 107, 21, BStBl II 1972, 915).

Dem steht - wie das FG mit bindender Wirkung für den erkennenden Senat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) rechtsfehlerfrei festgestellt hat - im Streitfall nicht entgegen, daß der Kläger auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers vor Fahrtantritt bestimmte, regelmäßig nur kurze Zeit beanspruchende Wartungsarbeiten vorgenommen oder vom Gesetzgeber vorgeschriebene Kontrollmaßnahmen durchgeführt hat, die im wesentlichen der Sicherheit im Straßenverkehr dienen. Denn hierdurch wird der Ort des Arbeitsantritts für den Kläger nicht zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte bei seinem Arbeitgeber. Wer - wie hier der Kläger - keine grundstücksgebundene Arbeitsstätte hat, kann von dort aus keine Berufsreisen antreten und als Folge hiervon auch keinen reisebedingten Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten geltend machen.

Auch die Anerkennung eines Mehraufwands für Verpflegung wegen auswärtiger Tätigkeit des Klägers als Werbungskosten kommt hier nicht in Betracht. Denn die hierfür an den Kläger von seinem Arbeitgeber steuerfrei gezahlten Zuschüsse übersteigen die Erfahrungssätze, die die Verwaltung nach Abschn. 24 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abschn. 22 Abs. 2 Nr. 1 LStR 1972 als Werbungskosten anerkennt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73001

BStBl II 1979, 148

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