Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist ein änderungsbescheid nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO unrichtig, weil ein nach § 92 Abs. 3 AO berichtigungsfähiger Wertansatz des Erstbescheides ungeprüft übernommen worden ist, so kann der änderungsbescheid wegen der unterlassenen Nachprüfung nicht nach § 92 Abs. 3 AO berichtigt werden.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 3, § 92/2

 

Tatbestand

Der Bf. erwarb durch notariellen Kaufvertrag vom ... 1956 ein der Ehefrau A gehöriges Wohn- und Fabrikgebäude mit Betriebsinventar. Die Gegenleistung des Bf. bestand in einer Barzahlung in Höhe von 10.000 DM, der Einräumung eines lebenslänglichen Wohnrechts für die Verkäuferin und deren Ehemann im Jahreswert von 492 DM sowie in der übernahme der Verpflichtung zur Zahlung einer lebenslänglichen Rente an die Eheleute A in Höhe des Grundgehalts eines Obersekretärs in der VIII. Gehaltsstufe, das damals 504 DM monatlich betrug.

Das Finanzamt zog den Bf. zur Grunderwerbsteuer heran. Bei der Ermittlung des Wertes der Gegenleistung rechnete es dem Barkaufpreis von 10.000 DM den Wert des lebenslänglichen Wohnrechts mit 6 x 492 DM = 2.952 DM und den Wert der Rente mit 5 x 504 DM = 3.024 DM hinzu. Von der auf 15.976 DM errechneten Summe der Gegenleistungen zog das Finanzamt den auf das mitveräußerte Inventar entfallenden Teil des Kaufpreises mit dem im Kaufvertrag angegebenen Betrag von 10.000 DM ab.

Eine im Jahr 1957 beim Bf. durchgeführte Betriebsprüfung ergab, daß diese Wertangabe für das mitveräußerte Inventar zu hoch gegriffen war; der Prüfer schätzte den gemeinen Wert des vom Bf. übernommenen Inventars nur auf 3.000DM.

Auf Grund dieser Feststellungen berichtigte das Finanzamt am 1. August 1957 den Grunderwerbsteuerbescheid gemäß § 222 AO. Für das mitveräußerte Inventar zog es nur noch einen Betrag von 3.000 DM ab; demgemäß erhöhte es die in dem ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheid festgesetzte Grunderwerbsteuer von 418,25 DM auf 908,25 DM. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Nachdem das Finanzamt bemerkt hatte, daß es in beiden Bescheiden statt des Jahresbetrags der Rente von 6.048 DM nur den Monatsbetrag der Rente in Höhe von 504 DM mit dem sich unter Berücksichtigung des Lebensalters der Berechtigten nach § 16 Abs. 2 BewG ergebenden Vervielfacher 6 multipliziert hatte, erließ es am 18. April 1961 einen nach § 92 Abs. 3 AO berichtigten Grunderwerbsteuerbescheid. In diesem wurde die festgesetzte Steuer auf 3.236,80 DM erhöht.

Gegen den letztgenannten Bescheid hat der Bf. mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts Sprungberufung eingelegt und geltend gemacht, daß es sich bei dem zuletzt aufgedeckten Fehler nicht um einen Schreibfehler, Rechenfehler oder eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit handle, sondern um einen Fehler bei der Willensbildung des Beamten.

Das Finanzgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß sich die Berichtigung nach § 92 Abs. 3 AO nicht auf Fehler bei der Erklärung des Entscheidungswillens beschränke, sondern daß sie sich auch auf Fehler bei der Bildung des Entscheidungswillens erstrecke, sofern es sich um mechanische Versehen handle, bei denen die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen erscheine.

Mit der Rb. wendet sich der Bf. gegen die Annahme eines bloßen mechanischen Versehens; er ist der Ansicht, daß zumindest die Möglichkeit eines Rechtsirrtums nicht auszuschließen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des ihm zugrunde liegenden berichtigten Steuerbescheides vom 18. April 1961.

Allerdings mag der dem ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheid vom 18. Juli 1956 anhaftende Fehler bei der Errechnung des Jahreswerts der Rente nicht auf einem Rechtsirrtum des Veranlagungsbeamten beruhen. Denn der Berechnungsbogen enthält für die Berechnung des Wohnrechts und der Rente einen zutreffenden Hinweis auf § 16 BewG; das Wohnrecht ist auch unter Berücksichtigung des § 16 Abs. 2 BewG in der Weise richtig berechnet worden, daß der Jahreswert des Wohnrechts mit dem hier in Betracht kommenden Vervielfacher 6 multipliziert worden ist.

Indessen braucht nicht zu der Frage Stellung genommen zu werden, ob es sich insoweit um ein rein mechanisches Versehen des Veranlagungsbeamten handelt, das die Anwendung des § 92 Abs. 3 AO rechtfertigen könnte, wenn die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausscheidet (vgl. hierzu die Urteile des Bundesfinanzhofs I 270/60 U vom 17. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 144, Slg. Bd. 72 S. 392, und 61/61 U vom 4. September 1961, BStBl 1961 III S. 502, Slg. Bd. 73 S. 649). Denn in dem anhängigen Verfahren geht es nicht um die Berichtigung des ursprünglichen Veranlagungsbescheides vom 18. Juli 1956, sondern um die Berichtigung des nach § 222 AO geänderten Bescheides vom 1. August 1957. Wenn in diesem Bescheid die Rente wiederum mit dem zu niedrigen Wert von 3.024 DM angesetzt worden ist, so beruht dies nur mittelbar darauf, daß der Veranlagungsbeamte bei der Durchführung der ursprünglichen Grunderwerbsteuer-Veranlagung einem Irrtum unterlegen ist. Unmittelbar beruht der Fehler in dem nach § 222 AO berichtigten Bescheid darauf, daß der Veranlagungsbeamte die Wertansätze für die Gegenleistungen des Bf. unverändert und offenbar ohne erneute Prüfung aus dem bisherigen Grunderwerbsteuerbescheid übernommen hat, statt, wie es bei einer Neuaufrollung des Veranlagungsfalles geboten gewesen wäre, alle für die Besteuerung maßgeblichen Wertansätze auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Wäre eine solche überprüfung der gesamten Grunderwerbsteuer-Veranlagung anhand des vorliegenden Kaufvertrages schon bei der Berichtigung gemäß § 222 AO erfolgt, so hätte der Fehler schon damals entdeckt und zusammen mit dem Wertansatz für das mitveräußerte Inventar berichtigt werden können und müssen. Die aus der ungeprüften übernahme eines Teils der Berechnungsgrundlagen des ersten Bescheids resultierende Unrichtigkeit des angefochtenen Bescheids ist demnach das Ergebnis falscher Rechtsanwendung und somit nicht - wie es § 92 Abs. 3 AO voraussetzt - einem Schreibfehler oder Rechenfehler ähnlich.

Das angefochtene Urteil und der zugrunde liegende berichtigte Grunderwerbsteuerbescheid vom 18. April 1961 waren daher aufzuheben. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 309 AO, die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes gemäß § 320 Abs. 4 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411873

BStBl III 1966, 158

BFHE 1966, 438

BFHE 84, 438

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