Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug durch Grundstückserwerber

 

Leitsatz (amtlich)

Der Vorsteuerabzug durch einen Grundstückserwerber ist grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn der insolvente Veräußerer die Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt, aber die geschuldete Umsatzsteuer nicht entrichtet.

 

Normenkette

UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Rechtsanwalt, erwarb mit notariellem Vertrag vom 3.November 1988 von einer KG mehrere Grundstücke sowie ein Erbbaurecht zu einem Gesamtkaufpreis von 9 885 964,91 DM zuzüglich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 1 384 035,09 DM. Der Grundbesitz war in erheblichem Umfang mit Grundpfandrechten belastet und stand seit 1985 unter Zwangsverwaltung; seit Februar 1988 betrieb ein Finanzamt die Zwangsversteigerung.

Der Kläger erwarb die Grundstücke und das Erbbaurecht im wesentlichen lastenfrei. Der Notar wurde angewiesen, zunächst die bestehenden Belastungen abzulösen. Für den Fall, daß der Kaufpreis hierzu nicht ausreiche, behielt sich der Kläger ein Rücktrittsrecht vor.

Der Kläger finanzierte den Kaufpreis durch Aufnahme von Darlehen. Dabei trat er seinen Anspruch auf Vorsteuererstattung in Höhe von 1 384 085,09 DM an eine Bank zur Sicherheit ab. Der Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) wurde vollständig zur Befriedigung der Grundpfandrechtsgläubiger der KG, zu denen der Kläger nicht gehörte, sowie zur Zahlung der Vertragskosten verwendet.

Die KG erfaßte den Umsatz in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung 11/1988, zahlte aber nach der Sachverhaltsdarstellung des Finanzgerichts (FG) auf die Steuerschuld lediglich 26 955,05 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) verweigerte im Umsatzsteuerbescheid 1988 den vom Kläger beantragten Vorsteuerabzug aus dem Kaufvertrag wegen rechtsmißbräuchlicher Gestaltung (§ 42 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG führte zur Begründung im wesentlichen aus: Die Option der KG zur Steuerpflicht des Grundstücksumsatzes (§§ 9, 4 Nr.9 Buchst.a des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1980) sei rechtsmißbräuchlich. Bei steuerfreier Veräußerung wäre ein Vorsteuerberichtigungsanspruch nach § 15a UStG 1980 in Höhe von lediglich ca. 150 000 DM entstanden. Die Option --zu Lasten des Fiskus-- habe den vom Forderungsausfall bedrohten Grundpfandrechtsgläubigern zugute kommen sollen. Die Folgen dieses Mißbrauchs der KG träfen auch den Kläger.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 9 Abs.1 Satz 1 UStG 1980 und von § 42 AO 1977. Zur Begründung trägt er vor: Eine Option zur Steuerpflicht durch einen illiquiden Grundstücksveräußerer sei niemals rechtsmißbräuchlich. Die Anwendung des § 42 AO 1977 scheide im Streitfall jedenfalls deshalb aus, weil er --der Kläger-- nicht Grundpfandrechtsgläubiger der KG gewesen sei und unstreitig den vollen Kaufpreis von 11 270 000 DM gezahlt habe. Im übrigen sei der Vorsteuerabzug mindestens in der Höhe anzuerkennen, in der die KG Umsatzsteuer gezahlt habe (26 955,05 DM).

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Einspruchsentscheidung und unter Änderung des Umsatzsteuer-Änderungsbescheides 1988 vom 14.Februar 1991 einen weiteren Vorsteuerbetrag von 1 384 035,09 DM, hilfsweise von 26 955,05 DM, zum Abzug zuzulassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Es tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer 1988 (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Dem Kläger steht der begehrte Vorsteuerabzug zu.

a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 für den Vorsteuerabzug sind im Streitfall erfüllt, wie zu Recht unter den Beteiligten außer Zweifel steht.

b) § 42 AO 1977 (Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts) schließt den Vorsteuerabzug nicht aus.

Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Für die Frage, ob dem Kläger eine mißbräuchliche Gestaltung mit der sich aus § 42 Satz 2 AO 1977 ergebenden Rechtsfolge entgegengehalten werden kann, ist auf die Verhältnisse in der Person des Klägers abzustellen; denn § 42 AO 1977 betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung (im Abschnitt Steuerschuldverhältnis, §§ 37 bis 50 AO 1977) den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis des einzelnen Steuerpflichtigen.

Der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber ist grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn der Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (vgl. Senatsurteile vom 6.Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 unter 4.; vom 16.März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736; vom 29.April 1993 V R 93/89, nicht veröffentlicht --NV--, und vom 18.Juni 1993 V R 6/91, BFHE 172, 172, BStBl II 1993, 854).

Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber allerdings für den Fall bejaht, daß dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen --infolge der wirtschaftlichen Situation des Veräußerers notleidenden-- Gegenforderungen verrechnet (vgl. Urteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; Urteil vom 23.September 1993 V R 3/93, NV). Bei einer derartigen Gestaltung wird der Fiskus in Höhe des geltend gemachten Vorsteueranspruchs im wirtschaftlichen Ergebnis vom Erwerber zur Erfüllung seiner wertlosen oder jedenfalls gegenwärtig nicht vollwertigen Forderung gegen den überschuldeten Veräußerer herangezogen. Der Grundstückserwerber will, wirtschaftlich gesehen, insoweit seine notleidende Forderung gegenüber dem Veräußerer gegen einen sicher realisierbaren Vorsteuerabzugsanspruch austauschen. Dies geschieht auf Kosten des Fiskus, der von einer Erhebung der entsprechenden Umsatzsteuer bei dem überschuldeten Leistenden infolge der Verrechnung des Kaufpreisanspruches seitens des Erwerbers praktisch ausgeschlossen ist (vgl. hierzu auch Reiß, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1992, 42; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 42 AO 1977 Tz.36; Weiß, UR 1991, 317, und die Urteilsanmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 20).

Ein derartiger Sachverhalt ist im Streitfall nicht gegeben. Vielmehr hat der Kläger den Kaufpreis in voller Höhe (einschließlich Umsatzsteuer) gezahlt, ohne daß ihm das Leistungsentgelt wieder selbst zugute gekommen ist. An diese vom FG getroffenen Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 118 Abs.2 FGO), selbst wenn sie dem Vortrag beider Parteien widersprechen. Der Vorteil des Vorsteuerabzugs, den der Kläger durch den Verzicht der KG auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung erlangt hat, wird durch den Nachteil einer entsprechenden Erhöhung der Kaufpreisschuld ausgeglichen. Ein verbleibender Vorteil des Klägers ist weder festgestellt noch erkennbar. Daß die Grundpfandrechtsgläubiger --zu denen der Kläger nicht gehörte-- begünstigt wurden, weil sich durch die Option der Kaufpreisanspruch der KG gegenüber dem Kläger erhöhte, begründet keinen Gestaltungsmißbrauch in der Person des Klägers, worauf es --wie bereits ausgeführt wurde-- allein ankommt.

2. Der Senat ist der Auffassung, daß in Fällen der vorliegenden Art Mißständen wirksam dadurch begegnet werden könnte, daß der Gesetzgeber zur Sicherung des Steueraufkommens das Abzugsverfahren (vgl. § 18 Abs.8 UStG 1993, §§ 51 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993) über die bisher geregelten Tatbestände hinaus auf Grundstückslieferungen erweitern würde. § 42 AO 1977 bietet dagegen bei Sachverhaltsgestaltungen, wie sie im Streitfall gegeben sind, keine Handhabe, den Fiskus vor Steuerausfällen zu schützen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65252

BFH/NV 1994, 46

BStBl II 1994, 487

BFHE 173, 468

BFHE 1994, 468

BB 1994, 2062

BB 1994, 2062-2063 (LT)

BB 1994, 853

DStR 1994, 653 (KT)

DStZ 1994, 348-349 (KT)

HFR 1994, 420-421 (LT)

StE 1994, 260 (K)

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