Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozietätspraxiswert auf 6 bis 10 Jahre abschreibbar

 

Leitsatz (amtlich)

1. Seit Inkrafttreten des BiRiLiG stellt auch der anläßlich der Gründung einer Sozietät aufgedeckte Praxiswert ein abnutzbares Wirtschaftsgut dar (Änderung der Rechtsprechung).

2. Wegen der weiteren Mitwirkung des bisherigen Praxisinhabers ist typisierend davon auszugehen, daß die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines derivativ erworbenen "Sozietätspraxiswertes" doppelt so lang ist wie die Nutzungsdauer des Wertes einer Einzelpraxis.

 

Orientierungssatz

Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des derivativ erworbenen "Sozietätspraxiswerts" ist auf einen Zeitraum von 6 bis 10 Jahren zu schätzen.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 26.02.1993; Aktenzeichen 13 K 4046/92)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) schlossen sich im Jahre 1988 zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammen. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Tierarztpraxis mit ambulanter und stationärer Versorgung. Im Gesellschaftsvertrag verpflichtete sich jeder Gesellschafter, eine Bareinlage in Höhe von 55 000 DM zu erbringen.

Ausweislich einer Rechnung vom 3. Januar 1988 verkaufte der Gesellschafter Dr.A den "Firmenwert" seiner bisherigen Einzelpraxis an die GbR zum Preis von 60 000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Für die Streitjahre (1988 bis 1990) machte die GbR im Rahmen ihrer Gewinnermittlungen (Einnahmeüberschußrechnung) Abschreibungen auf den Praxiswert in Höhe von je 20 000 DM als Betriebsausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem zunächst.

Im Rahmen einer bei der GbR durchgeführten Außenprüfung stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, daß der Praxiswert gemäß Abschn.II des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 20. November 1986 IV B 2 -S 2172- 13/86 (BStBl I 1986, 532) unter Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von 15 Jahren abzuschreiben sei. Das FA schloß sich dieser Auffassung in den aufgrund der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheiden an.

Hiergegen erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage, mit der sie entsprechend der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung geltend machten, daß der Praxiswert auf der Grundlage einer Nutzungsdauer von 8 Jahren abzuschreiben sei.

Das FG gab der Klage mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 644 veröffentlichten Entscheidung statt.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Entscheidung des FG, daß der von der GbR erworbene Praxiswert unter Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von acht Jahren abzuschreiben ist, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und Bundesfinanzhofs (BFH) stellt der derivativ erworbene Praxiswert ein abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut dar (RFH-Urteile vom 30. Januar 1929 VI A 369/28, RStBl 1929, 326; vom 28. Juli 1938 IV 5/38, RFHE 44, 286, RStBl 1938, 955; vom 24. Februar 1944 IV 102/43, RStBl 1944, 582; BFH-Urteile vom 15. April 1958 I 61/57 U, BFHE 67, 151, BStBl III 1958, 330; vom 1. April 1982 IV R 2-3/79, BFHE 136, 83, BStBl II 1982, 620). Nach diesen Entscheidungen ist der personenbezogene Praxiswert als grundsätzlich verschieden vom unternehmensbezogenen Geschäftswert anzusehen, der nach § 6 Abs.1 Nr.2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bis zu dessen Änderung durch das Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) zu den nicht abnutzbaren Wirtschaftsgütern gehörte. Diese Unterscheidung hat die Rechtsprechung damit begründet, daß der Wert einer freiberuflichen Praxis im wesentlichen auf dem persönlichen Vertrauensverhältnis zum Praxisinhaber beruhe, das nach dessen Ausscheiden ende. Blieben die alten Klienten (Patienten etc.) dem Übernehmenden weiterhin treu, so werde dieser Umstand nach einiger Zeit nicht mehr auf die Übernahme der Praxis zurückgeführt werden können, sondern darauf, daß sich zwischen dem Übernehmenden und der Klientel (Patientenschaft) ein neues Vertrauensverhältnis entwickelt habe (RFH-Urteil in RStBl 1929, 326).

2. Allerdings hat der Senat entschieden, daß "die für die ausnahmsweise Zulassung einer Praxiswertabschreibung bestehenden Gründe gerade nicht bestehen", wenn sich derjenige, der den Praxiswert geschaffen hat, mit einem anderen zu einer Sozietät zusammenschließt. In diesem Fall bestehe das für den Praxiswert bestimmende persönliche Vertrauensverhältnis zum Praxisinhaber weiter fort. Der Umstand, daß der Mandatsträger einen Sozius erhalten habe, wirke sich in der Regel eher förderlich als nachteilig aus, so daß keine Veranlassung für die Annahme bestehe, daß sich der Praxiswert durch die Bildung der Sozietät verflüchtige (BFH-Urteile vom 23. Januar 1975 IV R 166/71, BFHE 115, 102, BStBl II 1975, 381; in BFHE 136, 83, BStBl II 1982, 620; vom 23. Mai 1985 IV R 81/83, BFH/NV 1985, 31).

3. Diese Rechtsprechung, die im Schrifttum überwiegend auf Kritik gestoßen ist (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Anm.869; Mittelbach, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1977, 594; ders. Der Betrieb --DB-- 1981, Beilage 27, 5; Schick, Anmerkung zur Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK-Anm.--, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 6 Abs.1 Nr.2, Rechtsspruch 300; Felix, StRK-Anm., Einkommensteuergesetz bis 1974 § 6 Abs.1 Nr.2, Rechtsspruch 300; Bordewin, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1980, 459, 462; Fasold, Betriebs-Berater -- BB-- 1984, 2053; ders., BB 1987, 100; Steuerberaterkammer, DStR 1987, 404; M. Söffing, DB 1987, 1753), ist seit Inkrafttreten des BiRiLiG überholt (ebenso Brandenberg, DB 1986, 1791; Korn, Kölner Steuerdialog --KÖSDI-- 1986, 6243, 6244; Hutter in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.132; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 18 Anm.30 a; Zeitler, DStR 1988, 303, 305; a.A.: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. März 1987 5 K 200/86, EFG 1987, 449). Durch das BiRiLiG wurde das früher in § 6 Abs.1 Nr.2 Satz 1 EStG enthaltene Verbot, regelmäßige Abschreibungen auf den erworbenen Geschäftswert vorzunehmen, aufgehoben. Gleichzeitig bestimmt § 7 Abs.1 Satz 3 EStG, daß die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines Geschäftswertes 15 Jahre beträgt. Mithin kann die Versagung der Abschreibung des "Sozietätspraxiswertes" nicht mehr --wie in den früheren Senatsurteilen-- damit begründet werden, daß die Abschreibbarkeit des Praxiswertes ohnehin als Ausnahme von dem Grundsatz der Nichtabschreibbarkeit des Geschäfts- oder Firmenwertes zu verstehen sei. Auch die Finanzverwaltung trägt dem Rechnung, indem sie es nicht beanstandet, wenn der "Sozietätspraxiswert" analog zu der Regelung in § 7 Abs.1 Satz 3 EStG unter Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von 15 Jahren abgeschrieben wird (BMF-Schreiben in BStBl I 1986, 532).

4. Der Senat vertritt für die Zeit nach Inkrafttreten des BiRiLiG die Auffassung, daß auch der anläßlich der Gründung einer Sozietät aufgedeckte Praxiswert ein abnutzbares Wirtschaftsgut darstellt. Ebenso wie der Übernehmer einer Einzelpraxis kann auch der neben den bisherigen Praxisinhaber tretende Sozius von dem vorhandenen Mandanten- oder Patienten stamm lediglich insoweit profitieren, als er die Chance erhält, ein Vertrauensverhältnis zwischen sich und den bei Gründung der Sozietät vorhandenen Mandanten oder Patienten aufzubauen. Diese Chance als solche verflüchtigt sich im Laufe der Zeit prinzipiell ebenso wie beim Erwerber einer Einzelpraxis. Gelingt es dem hinzutretenden Sozius innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit, zwischen sich und den "alten" Mandanten oder Patienten ein Vertrauensverhältnis herzustellen, so handelt es sich um ein selbstgeschaffenes immaterielles Wirtschaftsgut, das nach § 5 Abs.2 EStG nicht als Aktivposten ausgewiesen werden darf. Allerdings trägt die weitere Mitwirkung des bisherigen Inhabers der Einzelpraxis dazu bei, daß die Chance des Eintretenden, ein eigenes Vertrauensverhältnis zu den Mandanten oder Patienten aufzubauen, länger erhalten bleibt als im Falle des Inhaberwechsels (ebenso Korn, KÖSDI 1986, 6243, 6244; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 18 Anm.30 a; Zeitler, DStR 1988, 303). Der Senat geht typisierend davon aus, daß die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer eines derivativ erworbenen "Sozietätspraxiswertes" doppelt so lang ist, wie die Nutzungsdauer des Wertes einer erworbenen Einzelpraxis (Felix, StRK-Anm., Einkommensteuergesetz bis 1974, § 6 Abs.1 Nr.2 Rechtsspruch 300). Letztere beträgt zwischen drei und fünf Jahren (RFH-Urteile in RStBl 1929, 326; RFHE 44, 286, RStBl 1938, 955; Mittelbach, DStR 1977, 594; Steuerberaterkammer, DStR 1987, 404; Fasold, BB 1984, 2053; Zeitler, DStR 1988, 303, 305; weitere Nachweise bei Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 6 EStG Anm.869). Dagegen ist die in § 7 Abs.1 Satz 3 EStG normierte 15jährige betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer auf den Praxiswert nicht anwendbar. Durch das BiRiLiG hat sich an der Personenbezogenheit des Praxiswertes und seiner hierin begründeten Unterschiedlichkeit gegenüber dem Geschäfts- oder Firmenwert nichts geändert. § 7 Abs.1 Satz 3 EStG macht das dadurch deutlich, daß die 15jährige betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer ausdrücklich auf die Geschäfts- und Firmenwerte von Gewerbebetrieben oder Betrieben der Land- und Forstwirtschaft beschränkt wird.

5. Mithin war im Streitfall die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Praxiswertes auf einen Zeitraum von 6 bis 10 Jahren zu schätzen. Mangels entsprechender Anhaltspunkte ist die vom FG für richtig gehaltene Schätzung von 8 Jahren revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

6. Etwas anderes folgt nicht daraus, daß der von der GbR erworbene Praxiswert nach den Feststellungen des FG mit seinem vollen Teilwert also nicht nur mit dem auf die neu hinzutretenden Ärzte Dr.B und Dr.C entfallenden Anteile angesetzt worden ist. Die GbR räumt in solchen Fällen allen Mitgliedern die Möglichkeit ein, basierend auf den Vorarbeiten des bisherigen Praxisinhabers durch eigene Tüchtigkeit ein neues Vertrauensverhältnis aufzubauen. Daß auch dem bisherigen Praxisinhaber als Gesellschafter diese Möglichkeit eingeräumt wird, ändert nichts daran, daß die Möglichkeit zeitlich begrenzt ist. Ist der Praxiswert in voller Höhe realisiert, so unterliegt er einheitlich der Verflüchtigung (Mittelbach, DB 1981, Beilage 27, S.6; Fasold, BB 1984, 2053, 2055), die sich allerdings --wie oben (unter 4.) dargelegt-- durch die Mitarbeit des bisherigen Praxisinhabers verzögert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65195

BFH/NV 1994, 63

BStBl II 1994, 590

BFHE 174, 230

BFHE 1995, 230

BB 1994, 1390

BB 1994, 1390-1391 (LT)

DB 1994, 1448-1449 (LT)

DStR 1994, 1227-1228 (KT)

DStZ 1994, 535 (KT)

HFR 1994, 645-646 (LT)

StE 1994, 414 (K)

WPg 1994, 624-625 (ST)

StRK, R.4 (LT)

FR 1994, 566-567 (KT)

Information StW 1994, 603-604 (KT)

NJW 1994, 2311

NJW 1994, 2311-2312 (LT)

KFR, 4/94, S 275-276 (H 10/1994) (LT)

BRAK-Mitt 1994, 181-183 (LT)

BBK, Fach 17 1567-1568 (16/1994) KT)

Stbg 1994, 419-420 (KT)

WiB 1994, 782 (LT)

GI 1995, 90 (L)

ZAP, EN-Nr 709/94 (S)

ZAP, Fach 20 243 (L)

ZEV 1994, 379-380 (LT)

ArztR 1995, 329-330 (T)

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