Entscheidungsstichwort (Thema)

Passivierungsverbot für mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erfüllender Verbindlichkeit

 

Leitsatz (NV)

Ein Sielbaubeitrag, der wegen zinsloser Stundung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gezahlt werden muß, darf in der Steuerbilanz nicht als Verbindlichkeit passiviert werden.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten, die im Streitjahr 1988 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger unterhält auf eigenem Grund und Boden einen Gartenbaubetrieb und ermittelt den Gewinn daraus nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Im November 1980 setzte die Freie und Hansestadt Hamburg gegen den Kläger Sielbau- und Sielanschlußbeiträge in Höhe von insgesamt ... DM fest. Auf Antrag des Klägers wurden hiervon insgesamt ... DM mit Bescheiden vom 8. Dezember 1980 nach § 8 Abs. 6 des Sielabgabengesetzes jederzeit widerruflich zinslos gestundet. Der Kläger aktivierte die Sielbau- und Sielanschlußkosten zunächst, schrieb den Gesamtbetrag im Jahre 1986 ab und verlegte diese Abschreibung im Wege der Bilanzberichtigung auf das Jahr 1984. Den gestundeten Betrag von ... DM führte er noch in der Bilanz zum 31. Dezember 1988 als Verbindlichkeit fort.

Nachdem der Kläger für das Streitjahr zunächst erklärungsgemäß veranlagt worden war, änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Steuerfestsetzung unter erfolgswirksamer Auflösung der Verbindlichkeit.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der Begründung statt, die Verbindlichkeit sei entstanden und habe daher nicht aufgelöst werden dürfen. Durch die Stundung sei eine betriebliche Inanspruchnahme nicht für alle Zeiten und nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Die Kläger sind der Auffassung, das FG habe im Streitfall zu dem Schluß kommen können, daß ein ein Passivierungsverbot rechtfertigender Ausnahmetatbestand nicht vorliege. Diese Sachverhaltswürdigung sei im Revisionsverfahren nur beschränkt nachprüfbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Auffassung des FG, daß die Verpflichtung zur Zahlung der Sielbaubeiträge passiviert werden mußte, ist unzutreffend, denn die Kläger müssen die Verbindlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen.

1. Nach den Grundsätzen ordnungmäßiger Bilanzierung, die insbesondere auch für die Passivierung beim Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG im Gartenbaubetrieb des Klägers gelten, ist eine am Bilanzstichtag dem Grund und der Höhe nach entstandene Verbindlichkeit auszuweisen, auch wenn sie noch nicht fällig ist (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Mai 1984 I R 166/78, BFHE 141, 176, 181, BStBl II 1984, 747). Zu einer gewinnerhöhenden Auflösung der Verbindlichkeit kommt es unter Beachtung des Grundsatzes der Vollständigkeit und des Vorsichtsprinzips (vgl. § 246 Abs. 1 und § 252 Abs. 1 Nr. 4 des Handelsgesetzbuches - HGB -), wenn sich ergibt, daß die Verbindlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden muß (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 10. Mai 1984 IV R 219/81, nicht veröffentlicht - NV -; vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359; vom 12. Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479, und vom 30. März 1993 IV R 57/91, BFHE 170, 449, BStBl II 1993, 502; s. auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 6 EStG Anm. 1500 Nichtgeltendmachung einer Forderung). Diese Voraussetzung liegt aufgrund der besonderen Umstände im Streitfall vor.

Nach den Feststellungen des FG sind die mit der Herstellung und Abnahme der öffentlichen Sielanlage entstandenen Sielbaubeiträge auf Antrag des Klägers in Höhe eines Teilbetrags von ... DM jederzeit wirderruflich zinslos gestundet worden. Diese Stundung erfolgte aufgrund von § 8 Abs. 6 des Sielabgabengesetzes i.d.F. vom 25. Oktober 1977 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt I 1977, 317), der einen Anspruch auf zinslose Stundung entstandener und fälliger Beiträge gewährt, wenn und solange ein Grundstück land- oder forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betriebszwecken dient. Ist das Grundstück, wie im Streitfall, mit einem Wohnhaus bebaut, so ist der Anteil des Sielbaubeitrags, der sich auf eine über 25 Meter hinausgehende Frontlänge bezieht, auf Antrag zinslos zu stunden (§ 8 Abs. 6 Satz 1 des Sielabgabengesetzes). Darüber hinaus ist für jedes weitere Wohnhaus auf dem Grundstück eine Front von 25 Metern von der Stundung ausgenommen (§ 8 Abs. 6 Satz 2 des Sielabgabengesetzes). Maßgebend für den Umfang der Beitragspflicht sind die Verhältnisse zur Zeit der Festsetzung unter Berücksichtigung der Beitragssätze, die bei Abnahme des Siels gegolten haben.

2. a) Für den erkennenden Senat folgt daraus, daß die aus der Festsetzung der Sielbau- und Sielanschlußbeiträge entstandene Verbindlichkeit vom Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden mußte. Dabei kann dahinstehen, ob der Stundungsregelung in § 8 des Sielabgabengesetzes, wie das FA meint, tatsächlich der Charakter einer Steuerbefreiung zukommt, von der man nur deshalb abgesehen habe, um bei schädlicher Grundstücksnutzung die entsprechenden Beiträge ohne Rücksicht auf Verjährungsvorschriften nacherheben zu können. Im Falle einer Nutzungsänderung des begünstigten Gartenbaugrundstücks käme es zwar zum Widerruf der Stundung. Dies würde jedoch, wie das FA zutreffend ausgeführt hat, entweder zu einer Zahlungsverpflichtung des Erwerbers im Falle der Betriebsveräußerung oder zur Belastung eines anderen Betriebs im Falle eines Strukturwandels der Gärtnerei führen. Eine Passivierungspflicht für den Gartenbaubetrieb des Klägers läßt sich daraus jedenfalls nicht herleiten.

b) Zu Unrecht hat das FG eine Passivierungspflicht aus verschiedenen denkbaren Möglichkeiten einer betrieblichen Inanspruchnahme aufgrund der Festsetzung der Sielbau- und Sielanschlußbeiträge hergeleitet. Nach den Feststellungen des FG waren aber im Zeitpunkt der Passivierung der Verbindlichkeit keine Anhaltspunkte für den beabsichtigten Bau eines weiteren Wohnhauses oder die Aufgabe des Betriebs gegeben. Selbst wenn jedoch künftig ein weiteres Wohnhaus auf dem Gartenbaugelände errichtet würde, das weiterhin als gewillkürtes Betriebsvermögen in der Bilanz des Gartenbaubetriebs ausgewiesen werden könnte, so handelt es sich bei dieser ungewissen Möglichkeit jedenfalls nicht um eine wirtschaftliche Belastung, die bereits im Streitjahr vorgelegen hätte. Dies gilt ebenso für den Fall der Betriebsaufgabe oder Liquidation. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind diese entfernten Möglichkeiten einer betrieblichen Inanspruchnahme aus dem Festsetzungsbescheid der Behörde vergleichbar mit der Behandlung aufschiebend bedingter Verbindlichkeiten, die grundsätzlich erst im Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung als Verbindlichkeit auszuweisen sind (Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, S. 112 m.w.N.), frühestens aber, wenn mit dem Eintritt der Bedingung zu rechnen ist (s. etwa Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 149 AktG Anm. 38).

c) Auch eine Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten, die sich auch aus öffentlichem Recht ergeben können, scheidet im Streitfall aus. Insoweit fehlt es bereits daran, daß eine Verbindlichkeit am Bilanzstichtag rechtlich entstanden oder wirtschaftlich im abgelaufenen oder in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren verursacht worden ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848, und Senatsurteil vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600). Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), hatte der Kläger eine Nutzungsänderung des betrieblichen Grundstücks oder von Teilen desselben weder ins Werk gesetzt noch geplant.

3. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und die Klage daher abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Zwar hätte die zu Unrecht passivierte Verbindlichkeit bereits zu einem frühren Bilanzstichtag, nach Bekanntgabe des Stundungsbescheids nämlich, im Wege der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG ausgebucht werden müssen. Ist die Berichtigung an der Fehlerquelle jedoch nicht möglich, so ist der Fehler in der Schlußbilanz des ersten Jahres, dessen Veranlagung noch berichtigt werden kann, zu korrigieren (BFH-Urteil vom 2. Mai 1984 VIII R 239/82, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695). Hiervon geht der Senat mangels gegenteiliger Feststellungen auch im Streitfall aus.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419795

BFH/NV 1994, 779

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