Entscheidungsstichwort (Thema)

(Lohnsteuerhaftung: Rechtsirrtum beim Lohnsteuerabzug, Vielzahl von Nacherhebungsfällen, Einwendungen des Arbeitgebers im Hinblick auf bereits erfolgte Versteuerung beim Arbeitnehmer, Ermessensentscheidung, Überprüfung der Höhe der Haftungsschuld durch das FG)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der als Haftungsschuldner in Anspruch genommene Arbeitgeber hat nachzuweisen, daß ein Rechtsirrtum beim Lohnsteuerabzug durch Handlungen des Lohnsteuerprüfers veranlaßt worden ist.

2. Sind von einer Lohnsteuernachforderung mehr als 40 Arbeitnehmer betroffen, so ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner vor den Arbeitnehmern regelmäßig gerechtfertigt.

3. Beruft sich ein Arbeitgeber darauf, daß die der Haftung zugrunde gelegten Löhne bereits bei den Jahressteuerfestsetzungen seiner Arbeitnehmer versteuert worden sind, so ist dies bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung konkret und unter Darlegung der Einzelheiten darzutun.

 

Orientierungssatz

1. Auch bei einer Vielzahl von Nacherhebungsfällen kann das FA gehalten sein, zunächst über Kontrollmitteilungen zu versuchen, die Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern zu erheben, wenn die Arbeitnehmer ohnehin zu veranlagen sind. Dazu ist aber erforderlich, daß der Arbeitgeber spätestens bis zum Abschluß des Einspruchsverfahrens konkrete Angaben zu den steuerlichen Verhältnissen derjenigen Arbeitnehmer macht, die aus der Vielzahl der Arbeitnehmer zunächst in Anspruch genommen werden sollen. Hierzu gehört die Bezeichnung der für die einzelnen Arbeitnehmer zuständigen FÄ; außerdem muß dargelegt werden, daß die Jahressteuerfestsetzungen der Arbeitnehmer noch bevorstehen.

2. Für die Frage, ob die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner für Lohnsteuer ermessensfehlerfrei ist oder nicht, kommt es entscheidend auf die Verhältnisse zur Zeit des Ergehens der Einspruchsentscheidung an (vgl. BFH-Urteil vom 26.3.1991 VII R 66/90)

3. Haben sich während des Klageverfahrens gegen einem Lohnsteuerhaftungsbescheid konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß vor Ergehen der Einspruchsentscheidung bereits Zahlungen auf die der Haftungsschuld zugrunde liegenden Steuerschuld geleistet worden sind, so muß das FG den Sachverhalt insoweit weiter aufklären. Die Überprüfung der Höhe der Haftungsschuld bedeutet nicht etwa die Überprüfung einer Ermessensentscheidung. Zahlungen, die erst während des Klageverfahrens auf die Steuerschuld geleistet worden sind, berühren den Bestand des Haftungsbescheids hingegen nicht.

 

Normenkette

EStG § 42d; FGO §§ 102, 76 Abs. 1; AO 1977 § 5

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, beschäftigt Montagetrupps für Instandhaltungsarbeiten an technischen Anlagen bei wechselnden Auftraggebern. Anläßlich einer Lohnsteueraußenprüfung für die Streitjahre 1979 bis 1981 stellte der Prüfer fest, daß der Lohnsteuereinbehalt hinsichtlich der gezahlten Auslösungen fehlerhaft erfolgt war. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm die Klägerin für der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitige Lohnsteuer als Haftende in Anspruch. Dabei beschränkte er die Inanspruchnahme der Klägerin auf die noch bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer. In dem Haftungsbescheid verneinte das FA einen entschuldbaren Rechtsirrtum der Klägerin, da diese über die zutreffende steuerrechtliche Behandlung der Auslösungen hätte Bescheid wissen können. Eine vorrangige Inanspruchnahme der Arbeitnehmer komme nicht in Betracht, da die unrichtige steuerliche Behandlung eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betreffe.

Im Verlauf des Klageverfahrens hat das FA die steuerlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer durch Anfrage bei deren Wohnsitz-FÄ überprüft. Dabei hat es festgestellt, daß bei sieben Arbeitnehmern beim Lohnsteuerabzug steuerfrei belassene Auslösungen im Rahmen der Jahressteuerfestsetzungen versteuert worden sind. Da die versteuerten Beträge bis auf einen Fall nicht mit den im Haftungsbescheid genannten Beträgen übereinstimmten, hat das FA angeregt, die Klägerin möge darlegen, wie sich die auf den Lohnsteuerkarten eingetragenen Auslösungen berechneten. Die Klägerin sah keine rechtlichen Möglichkeiten, irgendwelche Fakten bei ihren Arbeitnehmern oder bei den entsprechenden Veranlagungs-FÄ in Erfahrung zu bringen. Sie beantragte daher, die namentlich vom FA benannten Arbeitnehmer zu der Frage als Zeugen zu vernehmen, daß es sich bei den durch die Wohnsitz-FÄ versteuerten Auslösungen um im Lohnsteuerabzug steuerfrei belassene Zahlungen von Auslösungen gehandelt habe, für die sie nun als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden sei. Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin, sie habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden, weil bei der vorausgegangenen Lohnsteueraußenprüfung die steuerrechtliche Behandlung der Auslösungen nicht beanstandet worden sei, hat das Finanzgericht (FG) sowohl eine Angestellte der Klägerin als auch die beiden Vorprüfer als Zeugen vernommen. Es hat die Klage sodann mit folgenden Gründen abgewiesen: Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, daß sie sich in einem beachtlichen Rechtsirrtum befunden habe. Nach Würdigung der Zeugenaussagen sei es eher wahrscheinlich, daß die lohnsteuerrechtlichen Fragen der Auslösungen von den Vorprüfern nicht --zumindest nicht eingehend-- geprüft, und vor allem nicht mit der bei der Klägerin angestellten Zeugin erörtert worden seien. Aber selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen wolle, daß sich die Aussagen der Prüfer und die Aussage der Angestellten gleichgewichtig gegenüberstünden, komme man zu keinem anderen Ergebnis; denn die Klägerin trage die Beweislast dafür, daß sie sich in einem vom FA hervorgerufenen Rechtsirrtum über die lohnsteuerrechtliche Behandlung der Auslösungen befunden habe. Die Klägerin habe die Grundzüge des Lohnsteuerrechts und die in ihrem Tätigkeitsbereich auftretenden typischen lohnsteuerrechtlichen Fragen kennen müssen. Daher hätten ihr Zweifel kommen müssen, daß die Auslösungen zumindest nicht in voller Höhe lohnsteuerfrei gewesen seien. Diese Unsicherheit hätte sie durch Rücksprache bei ihrem Steuerberater oder durch eine Anrufungsauskunft beim FA beheben können und müssen. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch insoweit ermessensfehlerfrei, als das FA nicht zunächst die Arbeitnehmer in Anspruch genommen habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne das FA den Arbeitgeber in Anspruch nehmen, falls nach einer Lohnsteueraußenprüfung viele Lohnsteuerbeträge aufgrund von im wesentlichen gleichliegenden Sachverhalten nachzuzahlen seien. Im Streitfall habe es sich um die Auslösungen von mehr als 40 Arbeitnehmern über einen Zeitraum von drei Jahren gehandelt. In diesem Fall habe der Inanspruchnahme der Klägerin auch nicht entgegengestanden, daß zum Zeitpunkt der Lohnsteueraußenprüfung Einkommensteuerveranlagungen oder der Lohnsteuer-Jahresausgleich für die Arbeitnehmer noch nicht durchgeführt gewesen seien. Denn bei der Vielzahl der Arbeitnehmer sei unklar gewesen, ob überhaupt ein Lohnsteuer- Jahresausgleich oder eine Veranlagung in Betracht gekommen sei. Das FA habe auch die Interessen der Klägerin im Hinblick auf eine Abwälzung der Lohnsteuerbelastung auf die einzelnen Arbeitnehmer dadurch hinreichend berücksichtigt, daß es die Lohnsteuer der bereits bei der Klägerin ausgeschiedenen Arbeitnehmer von der Haftung ausgenommen und die Klägerin nur hinsichtlich der Lohnsteuer für die Arbeitnehmer in Anspruch genommen habe, die zum Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheides noch bei der Klägerin beschäftigt gewesen seien. Soweit die Klägerin beanstande, das FA habe nicht festgestellt, ob die Auslösungen bei den Arbeitnehmern versteuert worden seien, könne sie nicht gehört werden, weil es ihre Sache gewesen wäre, dies im einzelnen darzutun. Wenn auch das FA im Verlauf des Klageverfahrens entsprechende Erhebungen durchgeführt habe, so sei weiterhin unklar, ob und in welcher Höhe die im Haftungsbescheid genannten Beträge von den betreffenden Arbeitnehmern versteuert worden seien. Diese Unklarheiten hätte die Klägerin anhand ihrer Aufzeichnungen beseitigen müssen. Daher sei dem Beweisantrag der Klägerin nicht zu folgen. Denn die Klägerin habe nicht vorgetragen, daß die Zeugen etwas darüber bekunden könnten, ob und ggf. inwieweit die bei der Einkommensteuerveranlagung oder beim Lohnsteuer-Jahresausgleich erfaßten Auslösungen mit den im Haftungsbescheid aufgeführten Beträgen übereinstimmten.

Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung der Vorentscheidung und der Verwaltungsentscheidungen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus: Zwar habe das FG revisionsrechtlich bindend festgestellt, daß während der Vorprüfung über die lohnsteuerrechtliche Behandlung der Auslösungen nicht in dem Umfang und mit der Klarheit gesprochen worden sei, um einen Vertrauenstatbestand zu schaffen, der dem Erlaß des Haftungsbescheides endgültig entgegengestanden habe. Dennoch könne aus der Tatsache, daß in ihrem Betrieb ein individueller Kontenrahmen verwendet werde, geschlossen werden, daß die Vorprüfer das für die Auslösungen geführte Konto in Händen gehabt haben müßten. Allein hieraus ergebe sich ein gewisser Vertrauenstatbestand, der es rechtfertige, von einem entschuldbaren Rechtsirrtum auszugehen. Dies hätte im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt werden müssen. Das FA hätte auch zunächst die Arbeitnehmer in Anspruch nehmen müssen. Daran ändere vorliegend nichts, daß es sich um mehr als 40 Arbeitnehmer gehandelt habe. Wenn nämlich schon die ausgeschiedenen Arbeitnehmer unmittelbar als Steuerschuldner in Anspruch genommen worden seien, so hätte auch hinsichtlich der noch nicht ausgeschiedenen Arbeitnehmer ebenso verfahren werden müssen, zumal es sich bei den ausgeschiedenen Arbeitnehmern nicht nur um eine unwesentliche Zahl im Verhältnis zu den nicht ausgeschiedenen Arbeitnehmern gehandelt habe. Im übrigen bedeute ein Anschreiben an alle Wohnsitz-FÄ während des Klageverfahrens einen Mehraufwand gegenüber Kontrollmitteilungen im Verwaltungsverfahren. Zumindest hätte das FA bei seiner Ermessensentscheidung in Erwägung ziehen müssen, ob nicht die Arbeitnehmer, für die das beklagte FA zugleich das zuständige Wohnsitz-FA gewesen sei, vorrangig hätten in Anspruch genommen werden müssen. Das FG sei zu Unrecht dem Antrag auf Vernehmung der Zeugen zu der Frage, in welcher Höhe im Lohnsteuerabzug steuerfrei belassene Auslösungen bei der Veranlagung oder im Lohnsteuer-Jahresausgleich nachversteuert worden seien, nicht gefolgt. Nicht nachvollziehbar sei die Begründung des FG, die Unklarheiten seien anhand ihrer --der Klägerin-- Bücher zu beseitigen. Die Lohnkonten und Lohnabrechnungsunterlagen gäben keine weitergehenden Aufschlüsse als die Eintragungen auf der jeweiligen Lohnsteuerkarte. In welchem Umfang Auslösungen nachversteuert worden seien, hätte die Beweisaufnahme ergeben. Die Auffassung des FG habe eine doppelte Steuererhebung beim Steuerschuldner und beim Haftungsschuldner zur Konsequenz.

Das FA tritt der Revision entgegen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Die Sachverhaltsermittlung durch das FG habe nicht ergeben, daß die Klägerin durch die Vorprüfung in einem Rechtsirrtum bestärkt worden sei. Es sei weiterhin nicht zumutbar gewesen, bei über 40 Arbeitnehmern im Wege von Kontrollmitteilungen entsprechende Veranlagungen oder Nachforderungen von Lohnsteuer zu veranlassen. Ein solches Verfahren würde dem Sinn des Lohnsteuerabzugs, den Eingang der Lohnsteuer an der Quelle zu sichern, widersprechen. Auch aus den späteren Anschreiben an die Wohnsitz-FÄ könne nicht auf einen Ermessensfehler im Zeitpunkt des Ergehens des Haftungsbescheides geschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei es Sache des Arbeitgebers darzulegen, daß Beträge, derentwegen er als Haftender in Anspruch genommen werde, bereits versteuert worden seien. Solche Angaben habe die Klägerin gerade nicht gemacht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Entschließung des FA, die Klägerin als Haftende in Anspruch zu nehmen, war, wie das FG zutreffend entschieden hat, nicht ermessensfehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Inanspruchnahme des Arbeitgebers von vornherein ermessensfehlerhaft sein, wenn sich der Arbeitgeber bei Durchführung des Lohnsteuerabzugs in einem Rechtsirrtum befunden hat, der durch eine frühere Lohnsteueraußenprüfung hervorgerufen worden ist oder in welchem der Arbeitgeber durch Maßnahmen eines Lohnsteueraußenprüfers bestärkt worden ist (z.B. BFH-Urteile vom 20.Juli 1962 VI 167/61 U, BFHE 76, 64, BStBl III 1963, 23, und vom 18.September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801). Gleiches gilt, wenn das FA nach einer Lohnsteueraußenprüfung Kenntnis von einem fehlerhaften Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber erlangt und diesen nicht auf den Fehler aufmerksam macht (BFH-Urteil vom 6.September 1963 VI 80/62 U, BFHE 77, 697, BStBl III 1963, 574). Allerdings kann ein Arbeitgeber, wenn sein Verfahren bei einer Lohnsteueraußenprüfung nicht beanstandet wird, nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß der von ihm vorgenommene Lohnsteuerabzug einwandfrei ist (BFH- Urteil vom 5.März 1965 VI 259/63 U, BFHE 82, 301, BStBl III 1965, 355). Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn der nunmehr streitige Lohnsteuerabzug Gegenstand einer Vorprüfung gewesen und vom Vorprüfer nicht beanstandet worden ist. In einem solchen Fall muß sich ein Arbeitgeber grundsätzlich darauf verlassen können, daß die von ihm angewandte Lohnsteuerabzugsmethode zutreffend ist. Daß die Ursache für einen Rechtsirrtum in der Sphäre des FA liegt, hat der Arbeitgeber im Zweifelsfalle aber nachzuweisen.

Das FG hat nach ausführlicher Beweisaufnahme nicht feststellen können, daß bei der Vorprüfung die lohnsteuerrechtliche Behandlung der Auslösungen geprüft und zwischen der Vertreterin der Klägerin und den Vorprüfern erörtert worden ist. Diese den Senat bindende tatrichterliche Beweiswürdigung greift die Klägerin auch gar nicht an. Sie meint, aus der Tatsache, daß für die Auslösungen eine interne Buchhaltung vorliege und demzufolge ein individueller Kontenrahmen verwendet werde, habe sie schließen können, daß die Vorprüfer diese Unterlagen in Händen gehabt haben müßten, woraus sich für sie --die Klägerin-- ein Vertrauenstatbestand ergeben habe, der im Rahmen einer Ermessensprüfung hätte Berücksichtigung finden müssen. Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat zum einen schon aus Gründen der gebotenen Rechtsklarheit nicht zu folgen. Zum anderen hätten die Vorprüfer allein aus der Buchführung die unzutreffende lohnsteuerrechtliche Behandlung der Auslösungen nicht ohne weiteres ableiten können. Dazu wären Nachfragen über die tatsächliche Ausgestaltung der Reisetätigkeit der Arbeitnehmer erforderlich gewesen. Derartige Nachfragen hat die Beweisaufnahme jedoch nicht ergeben.

2. Die Vorentscheidung ist auch insoweit zutreffend, als sie die Inanspruchnahme der Klägerin vor den Arbeitnehmern im Grunde als ermessensfehlerfrei beurteilt hat. Das FA hat bei der Auswahl der Klägerin als Haftungsschuldnerin zutreffend die Rechtsprechung des Senats beachtet, nach der die Inanspruchnahme des Arbeitgebers zur Vereinfachung des Verfahrens zulässig ist, wenn nach einer Lohnsteueraußenprüfung viele Lohnsteuerbeträge aufgrund von im wesentlichen gleichliegenden Sachverhalten nachzuerheben sind (BFH-Urteil vom 6.März 1980 VI R 65/77, BFHE 129, 559, BStBl II 1980, 289, unter 4. der Entscheidungsgründe, m.w.N.). Im Streitfall sind von einer Lohnsteuernachforderung mehr als 40 Arbeitnehmer betroffen. Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl von Nacherhebungsfällen. Wären bei einer derartigen Zahl von Nacherhebungsfällen die FÄ regelmäßig verpflichtet, zunächst die Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen, so wäre das vom Gesetzgeber gewollte vereinfachte Verfahren der Lohnsteuererhebung an der Quelle erheblich beeinträchtigt.

Der Senat schließt nicht aus, daß auch bei einer Vielzahl von Nacherhebungsfällen das FA gehalten sein kann, zunächst über Kontrollmitteilungen zu versuchen, die Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern zu erheben, wenn die Arbeitnehmer ohnehin zu veranlagen sind. Dazu ist aber erforderlich, daß der Arbeitgeber spätestens bis zum Abschluß des Einspruchsverfahrens konkrete Angaben zu den steuerlichen Verhältnissen derjenigen Arbeitnehmer macht, die aus der Vielzahl der Arbeitnehmer zunächst in Anspruch genommen werden sollen. Hierzu gehört die Bezeichnung der für die einzelnen Arbeitnehmer zuständigen FÄ; außerdem muß dargelegt werden, daß die Jahressteuerfestsetzungen der Arbeitnehmer noch bevorstehen. Derartige Angaben hat die Klägerin dem FA jedoch nicht gemacht. Damit war die Inanspruchnahme der Klägerin zum Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung ermessensfehlerfrei.

Daran ändert nichts der Umstand, daß das FA, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein, während des Klageverfahrens weitere Ermittlungen über die steuerlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bei sämtlichen in Betracht kommenden Wohnsitz-FÄ angestellt hat. Denn für die Frage, ob die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner ermessensfehlerfrei ist oder nicht, kommt es entscheidend auf die Verhältnisse zur Zeit des Ergehens der Einspruchsentscheidung an (BFH-Urteil vom 26.März 1991 VII R 66/90, BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin war das FA auch nicht deshalb gehalten, die Lohnsteuer zunächst durch die Wohnsitz-FÄ von den Arbeitnehmern selbst erheben zu lassen, weil es in dieser Weise gegenüber den bei der Klägerin bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern vorgegangen ist. Das FA hat sich insoweit zutreffend an die Rechtsprechung des Senats gehalten, wonach die Inanspruchnahme des Arbeitgebers für Steuern von inzwischen aus dem Betrieb ausgeschiedenen Arbeitnehmern ermessensfehlerhaft sein kann (BFH-Urteil vom 14.April 1967 VI R 23/66, BFHE 88, 457, BStBl III 1967, 469 m.w.N.). Hieraus folgt aber keine Einschränkung der Inanspruchnahme des Arbeitgebers für die Lohnsteuer der noch bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer.

3. Wenn das FG und das FA die Haftung der Klägerin dem Grunde nach ohne Rechtsverstoß bejaht haben, so ist die Vorentscheidung aber dennoch aufzuheben, weil das FG nicht geprüft hat, ob sich die Haftung der Klägerin dadurch vermindert hat, daß vor Abschluß des Einspruchsverfahrens einige der Arbeitnehmer nach ihrer Veranlagung Zahlungen auf die Steuerschuld geleistet haben, für die die Klägerin in Anspruch genommen wird. Denn die Zahlung durch einen Gesamtschuldner (Arbeitnehmer) kommt auch dem anderen Gesamtschuldner (Klägerin als Haftungsschuldnerin) zugute (BFH-Urteile vom 10.Juni 1987 I R 152/83, BFH/NV 1988, 5, und vom 17.Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138, jeweils m.w.N.).

Zwar ist es grundsätzlich Sache des Arbeitgebers als Haftungsschuldner, dem FA gegenüber konkret und unter Darlegung der Einzelheiten darzutun, daß die der Haftung zugrunde gelegten Löhne ganz oder zum Teil von den Arbeitnehmern bereits versteuert worden sind. Daher hat das FA regelmäßig von sich aus keine Veranlassung zu prüfen, ob der einzelne Arbeitnehmer nach seiner Veranlagung und vor Ergehen der Einspruchsentscheidung gegen den Haftungsbescheid auf die der Haftung zugrunde gelegten Steuerschulden Zahlungen geleistet hat (BFH-Urteil vom 29.November 1978 I R 159/76, BFHE 126, 457, BStBl II 1979, 182, unter 3. der Entscheidungsgründe).

Haben sich jedoch während des Klageverfahrens konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß vor Ergehen der Einspruchsentscheidung bereits Zahlungen auf die der Haftungsschuld zugrunde liegenden Steuerschuld geleistet worden sind, so muß das FG den Sachverhalt insoweit weiter aufklären. Hierbei geht es um die Höhe der Haftungsschuld. Die Überprüfung der Höhe der Haftungsschuld bedeutet nicht etwa die Überprüfung einer Ermessensentscheidung. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine Rechtsentscheidung, die in vollem Umfang und nicht etwa nur im Rahmen des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingeschränkt überprüft werden kann.

Das FA hat durch seine weiteren Nachforschungen während des Klageverfahrens selbst festgestellt, daß bei sieben Arbeitnehmern im Rahmen von deren Veranlagungen zunächst im Lohnsteuerabzugsverfahren steuerfrei belassene Auslösungen der Versteuerung unterworfen worden sind. Damit haben sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, daß diese Arbeitnehmer Zahlungen auf die Steuerschulden geleistet haben, die zumindest teilweise der Haftungsschuld zugrunde gelegt worden sind. Das FG hätte dem Beweisantrag der Klägerin auf Vernehmung der namentlich bezeichneten sieben Arbeitnehmer nachkommen oder auf sonstige Weise aufklären müssen, in welchem Umfang die Auslösungen nachversteuert worden sind. Die Verweigerung der Zeugenvernehmung oder Sachverhaltsaufklärung auf sonstige Weise unter Hinweis darauf, daß die Klägerin anhand ihrer Bücher darzulegen habe, inwieweit die Auslösungen, derentwegen sie als Haftende in Anspruch genommen werde, mit den Auslösungen übereinstimmen, die die betreffenden Arbeitnehmer bei ihrer Jahressteuerfestsetzung der Einkommensteuer unterworfen hätten, ist rechtsfehlerhaft. Welche Auslösungen die Klägerin an ihre Arbeitnehmer steuerfrei belassen hat, war unstreitig. In welchem Umfang diese Auslösungen bei den Jahressteuerfestsetzungen der Arbeitnehmer versteuert worden sind, läßt sich den Büchern der Klägerin nicht entnehmen. Zur weiteren Aufklärung hätte sich die Vernehmung der Arbeitnehmer als Zeugen angeboten.

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, daß im vorliegenden Verfahren nur die bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung von den sieben Arbeitnehmern auf die Versteuerung der Auslösungen geleisteten Zahlungen zu einer Herabsetzung der Haftungsschuld führen können. Zahlungen, die erst während des Klageverfahrens auf die Steuerschuld geleistet worden sind, berühren den Bestand des Haftungsbescheides hingegen nicht (vgl. Urteil in BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138).

 

Fundstellen

Haufe-Index 64429

BFH/NV 1992, 50

BStBl II 1992, 696

BFHE 167, 359

BFHE 1992, 359

BB 1992, 2052

BB 1992, 2052-2054 (LT)

DB 1992, 2011 (L)

DStR 1992, 1016 (KT)

DStZ 1993, 605 (K)

HFR 1992, 537 (LT)

StE 1992, 369 (K)

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