Leitsatz (amtlich)

1. Wird der Gewinn aus Gewerbebetrieb einheitlich und gesondert festgestellt, so ist über die Frage, ob die Nachversteuerung von Mehrentnahmen (§ 10 a Abs. 2 Satz 1 EStG) deshalb tarifbegünstigt ist, weil sich die Entnahmen durch eine Veräußerung des Betriebs (§ 16 EStG) ergeben haben (§ 10 a Abs. 2 Satz 3 EStG), im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung zu befinden.

2. Weist der Gewinnfeststellungsbescheid die von einem Mitunternehmer getätigten Entnahmen als "laufende" Entnahmen aus, so muß die Einwendung, die Entnahmen hätten sich durch eine Veräußerung des Betriebs ergeben (§ 10 a Abs. 2 Satz 3 EStG), im Rechtsbehelfsweg gegen den Gewinnfeststellungsbescheid geltend gemacht werden. Einem erst nach Eintritt der Bestandskraft des Gewinnfeststellungsbescheids gestellten Antrag auf eine entsprechende "Ergänzung" des Bescheids (§ 216 Abs. 2 AO) kann keine Folge gegeben werden.

 

Normenkette

EStG 1965 § 10a Abs. 2 Sätze 1, 3; AO § 215 Abs. 2, § 216 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) verpflichtet ist, nach Eintritt der Bestandskraft eines Bescheides über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung für das Streitjahr 1966 noch einen Ergänzungsbescheid zu erlassen, in dem die vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr getätigten Mehrentnahmen (§ 10 a Abs. 2 Satz 1 EStG) als tarifbegünstigt (§ 34 EStG) bezeichnet werden.

Der Kläger und A betrieben bis zum Jahre 1966 einen Steinbruch in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR). Im Frühjahr 1966 beschlossen die beiden Gesellschafter die Einstellung des Betriebs. Der Kläger entnahm hierauf einen Betrag in Höhe von 55 535 DM von seinem Kapitalkonto.

Das FA stellte mit Bescheid vom 4. Oktober 1968 den Gewinn der GdbR für 1966 erklärungsgemäß einheitlich und gesondert fest; in dem Bescheid wurden die Entnahmen des Klägers mit 55 535 DM beziffert. Der Bescheid ist bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 18. März 1970 beantragte der Kläger beim FA, den Gewinnfeststellungsbescheid vom 4. Oktober 1968 noch durch die Feststellung zu ergänzen, daß sich seine Entnahmen in Höhe von 55 535 DM als Folge einer Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) ergeben hätten und daher die nach § 10 a Abs. 2 Satz 2 EStG erforderliche Nachversteuerung der Mehrentnahmen gemäß § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt sei.

Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 21. April 1970 ab. Zur Begründung führte es aus, die Entnahmen des Klägers seien nicht im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe erfolgt; sie seien daher im Bescheid vom 4. Oktober 1968 zutreffend als laufende Entnahmen ausgewiesen.

Mit Schreiben vom 12. Mai 1970, das am 15. Mai 1970 beim FA einging, erhob der Kläger Sprungklage. Er beantragte zunächst, das FA zu verurteilen, den Bescheid vom 21. April 1970 aufzuheben und einen Ergänzungsbescheid zum Gewinnfeststellungsbescheid 1966 zu erlassen, in dem festgestellt wird, daß sich die Entnahmen aus einer Betriebsaufgabe i. S. des § 16 EStG ergeben haben.

Auf einen Hinweis des Berichterstatters am FG, daß er die Sprungklage für unzulässig halte, weil eine Verpflichtungsklage nicht ohne Vorverfahren erhoben werden könne, beschränkte der Kläger sein Klagebegehren auf den Antrag, den Bescheid vom 21. April 1970 aufzuheben.

Die Klage wies das FG als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger könne sein eigentliches Klagebegehren nur mit einer Verpflichtungsklage erreichen, die auf Verurteilung des FA zum Erlaß des begehrten Ergänzungsbescheids gerichtet sei. Der Kläger könne sich nicht darauf beschränken, nur die Aufhebung des - seinen Antrag ablehnenden - Bescheides vom 21. April 1970 zu verlangen. Ein solcher Antrag sei nicht geeignet, das Klagebegehren durchzusetzen; seine Klage sei deshalb unzulässig. - Eine Umdeutung in eine Verpflichtungsklage komme nicht in Betracht, da der Kläger seinen Klageantrag ausdrücklich auf die Aufhebung des Bescheids vom 21. April 1970 beschränkt habe. Im übrigen wäre eine solche Verpflichtungsklage unter den gegebenen Umständen ebenfalls unzulässig, da es an dem für diese Klageart zwingend vorgeschriebenen außergerichtlichen Vorverfahren fehle.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 45 Abs. 1 FGO und des § 229 Nr. 3 AO.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, hilfsweise, das FG-Urteil und den Bescheid des FA vom 21. April 1970 aufzuheben und zu erkennen, daß das FA den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden habe.

Das FA beantragt, "die Revision als unzulässig abzuweisen".

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen.

Unabhängig von der Form, in die der Kläger sein Rechtsschutzbegehren gekleidet hat, konnte seine Klage schon wegen der Bestandskraft des Bescheides vom 4. Oktober 1968 keinen Erfolg haben.

Die Beteiligten sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Feststellungen über die Höhe der Entnahmen im Rahmen des einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahrens zu treffen sind. Der Grund für diese verfahrensrechtliche Zuordnung (wie für die Schaffung des vom Veranlagungsverfahren getrennten Feststellungsverfahrens überhaupt) liegt in der Notwendigkeit, die die Mitunternehmer gemeinsam betreffenden Fragen auch gemeinsam, d. h. mit Wirkung für und gegen alle, zu lösen (Urteile des BFH vom 9. Dezember 1955 IV 442/54 U, BFHE 62, 180, BStBl III 1956, 67; vom 29. Mai 1956 I 299/55 U, BFHE 62, 504, BStBl III 1956, 188; vom 25. Juni 1970 IV 190/65, BFHE 99, 513, BStBl II 1970, 730).

Ebenso muß aber auch in einer für das Veranlagungsverfahren der Mitunternehmer bindenden Weise darüber befunden werden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sich die im Feststellungszeitraum vorgekommenen Entnahmen "durch die Veräußerung eines Betriebs" oder durch dessen Aufgabe (§ 10a Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 16 EStG) ergeben haben. Diese Feststellung ist für die im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung vorzunehmende Nachversteuerung der Mehrentnahmen (§ 10a Abs. 2 Satz 1 EStG) von Bedeutung; denn die durch Betriebsveräußerung entstehenden Entnahmen unterliegen einem günstigeren Steuersatz (vgl. § 34 EStG) als die "laufenden" Entnahmen. Ebenso wie die Feststellungen über die Höhe des auf die Betriebsveräußerung entfallenden Teils des Gewinns können auch die Feststellungen über die Höhe der durch die Betriebsveräußerung bedingten Entnahmen nur von dem für die Mitunternehmerschaft zuständigen Betriebs-FA getroffen werden, weil nur diesem FA die für die Anwendung des § 16 EStG maßgeblichen Verhältnisse vertraut sind (vgl. BFH-Beschluß vom 28. März 1974 IV B 58/73, BFHE 112, 171, BStBl II 1974, 459; BFH-Urteil vom 26. November 1975 I R 44/74, BFHE 117, 539, BStBl II 1976, 304). Aus diesem Grunde hat das Betriebs-FA in den Gewinnfeststellungsbescheid gegebenenfalls eine besondere Feststellung darüber aufzunehmen, daß sich die Entnahmen ganz oder teilweise durch die Veräußerung (oder Aufgabe) des Betriebs ergeben haben.

Enthält der Gewinnfeststellungsbescheid nur Feststellungen über die Höhe der Entnahmen, so wird dies in aller Regel dahin auszulegen sein, daß es sich bei dem festgestellten Betrag um laufende (nicht im Zusammenhang mit einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe stehende) Entnahmen gehandelt hat. Eine solche Auslegung ist insbesondere dann geboten, wenn - wie im Streitfall - auch der im Feststellungszeitraum erzielte Gewinn ausschließlich als "laufende Einkünfte" und nicht als "Veräußerungsgewinn" bezeichnet wurde. In diesem Fall können die betroffenen Steuerpflichtigen ihre Auffassung, die nachzuversteuernden Mehrentnahmen stünden im Zusammenhang mit einer Betriebsveräußerung(-aufgabe) und seien deshalb tarifbegünstigt, nur im Rechtsbehelfsweg gegen den Gewinnfeststellungsbescheid geltend machen. Nach Eintritt der Bestandskraft des Gewinnfeststellungsbescheids ist ein derartiges Vorbringen ausgeschlossen.

Begehrt ein Steuerpflichtiger dennoch nach Eintritt der Bestandskraft unter Berufung auf § 216 Abs. 2 AO die "Ergänzung" des Gewinnfeststellungsbescheids, so kann einem solchen Antrag keine Folge gegeben werden. Nach § 216 Abs. 2 AO sind nur solche Feststellungen durch einen Ergänzungsbescheid nachzuholen, die in dem vorausgegangenen Feststellungsbescheid "unterblieben" sind (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 4/72, BFHE 108, 315, BStBl II 1973, 387). Unterblieben können aber nur solche Feststellungen sein, die in dem vorausgegangenen Feststellungsbescheid zwar hätten getroffen werden müssen, aber nicht getroffen worden sind. Hat das FA dagegen bereits eine - wenn auch negative - Entscheidung über die betreffende Feststellung getroffen, so liegt insoweit kein unvollständiger Bescheid vor. Ein derartiger Bescheid kann also auch nicht mehr i. S. des § 216 Abs. 2 AO "ergänzt" werden.

Mit einem Rechtsbehelf gegen den die Ergänzung ablehnenden Bescheid können keine Einwendungen geltend gemacht werden, die bereits im Rechtsbehelfsverfahren gegen den ursprünglichen Bescheid hätten vorgebracht werden müssen. Da die Reichsabgabenordnung für die Entscheidung von Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit eines Steuer- (oder Feststellungs-)bescheids den Rechtsweg durch Anfechtung dieses Bescheids vorsieht, besteht keine Notwendigkeit, darüber hinaus noch einen weiteren Rechtsweg zu eröffnen. Gegen die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs in solchen Fällen spricht insbesondere, daß mit einem derartigen Rechtsbehelf die Bestandskraft eines Bescheids in einer gesetzlich nicht vorgesehenen Weise umgangen werden könnte. Einem solchen Rechtsbehelf fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1975 VIII R 123/70, BFHE 115, 409, BStBl II 1975, 725).

Wendet man diese Rechtsgrundsätze auf den Streitfall an, so ergibt sich, daß das FG im Ergebnis zu Recht die vom Kläger erhobene Sprungklage als unzulässig abgewiesen hat. Richtigerweise hätte der Kläger sein Begehren, die von ihm im Jahre 1966 getätigten Entnahmen als "Betriebsaufgabeentnahmen" anzuerkennen, bereits im Rechtsbehelfsweg gegen den Bescheid vom 4. Oktober 1968 geltend machen müssen. Der erst nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides erhobenen Klage fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis.

Ob unter den gegebenen Umständen das Klägervorbringen ausnahmsweise noch im Einkommensteuerveranlagungsverfahren berücksichtigt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1972 I R 224/70, BFHE 107, 343, BStBl II 1973, 87), hat der Senat nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72648

BStBl II 1978, 152

BFHE 1978, 467

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