Leitsatz (amtlich)

Eine Verböserung der Steuerfestsetzung im Einspruchsverfahren ist nur zulässig, wenn aus den mitgeteilten Gründen in Verbindung mit der Steuerfestsetzung objektiv und nachprüfbar erkennbar ist, in welcher Beziehung und in welchem Umfang das FA seine der Steuerfestsetzung zugrunde liegende Auffassung geändert hat.

 

Normenkette

AO 1977 § 367 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin, ein freies Wohnungsunternehmen, kaufte durch notariell beurkundeten Vertrag vom 5. September 1972 ein in A. belegenes unbebautes Grundstück. Sie beantragte Befreiung des Erwerbsvorganges von der Grunderwerbsteuer und versicherte, daß sie auf dem erworbenen Grundstück ein Gebäude mit 11 Eigentumswohnungen errichten wolle. Das beklagte Finanzamt (FA) stellte den Erwerbsvorgang gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Rheinland-Pfälzischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) - materiell vorläufig - von der Grunderwerbsteuer frei.

Die Klägerin errichtete auf dem Grundstück ein am 27. März 1974 bezugsfertiges Gebäude, das sieben Eigentumswohnungen und zwei Praxen in Teileigentum enthielt. Außerdem wurden 10 Garagen errichtet.

Das FA errechnete, daß von der Wohn- bzw. Nutzfläche 162,69 qm auf die beiden Praxen und 465,95 qm (= 74,12 %) auf die Eigentumswohnungen entfielen. Es stellte den Erwerb im Ausmaß von 74,12 % endgültig von der Grunderwerbsteuer frei und setzte durch Bescheid vom 21. Juni 1978 Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 465,20 DM fest.

Die Klägerin legte Einspruch ein, ohne ihn zu begründen.

Das FA teilte der Klägerin in einem Schreiben vom 11. Mai 1979 mit, daß eine endgültige Freistellung des Erwerbs von der Grunderwerbsteuer nur dann erfolgen könne, wenn in dem neu errichteten Haus der Anteil der neu geschaffenen steuerbegünstigten Wohnungen mindestens 2/3 betrage. Maßgebend für die Aufteilung sei nicht das Verhältnis der Grundflächen, sondern das Verhältnis der für die Aufteilung der neu geschaffenen Gebäude in einen grundsteuerfreien und einen grundsteuerpflichtigen Teil jeweils maßgebenden Jahresrohmieten. Dabei ergebe sich, daß auf die grundsteuerbegünstigten Wohnungen eine Jahresrohmiete von 15 344 DM (= 59,79 %) und auf die nicht begünstigten Gebäudeteile eine Jahresrohmiete von 10 320 DM (= 40,21 %) entfielen. Da somit auf steuerbegünstigte Wohnungen nicht 2/3 der errichteten Räume entfielen, sei die Grunderwerbsteuer in voller Höhe nachzuerheben. Der angefochtene Steuerbescheid müsse zum Nachteil der Klägerin geändert werden. Ihr werde nach § 367 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) Gelegenheit gegeben, sich bis zum 10. Juni 1979 zu äußern.

Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 13. Juni 1979 dahin gehend, daß sie die Jahresrohmieten brauche, wie sie vom FA im einzelnen für das Bauvorhaben zugrunde gelegt worden seien. Nach der Beantwortung werde sie sich umgehend mit der Angelegenheit befassen und dem FA wieder Nachricht zukommen lassen.

Das FA übersandte an die Klägerin mit Schreiben vom 27. Juni 1979 eine Aufstellung, in der die Jahresrohmieten für die neun Raumeinheiten des Gebäudes im einzelnen aufgegliedert waren. Das FA erbat eine Stellungnahme bis zum 25. Juli 1979 und erklärte, daß es nach Ablauf dieser Frist über den Einspruch entscheiden werde.

Im finanzgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin später erklärt, daß sie dieses Schreiben nicht erhalten habe.

Durch Einspruchsentscheidung vom 29. November 1979 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück und erhöhte die Grunderwerbsteuer nebst Nacherhebungszuschlag von 2 465,20 DM um 7 060,40 DM auf 9 525,60 DM.

Die Klägerin erhob Klage und beantragte in erster Linie die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, weil ihr das rechtliche Gehör versagt worden sei, hilfsweise, die Änderung des angefochtenen Steuerbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung dahin gehend, daß die Steuer nur aus dem Anteil der Gegenleistung erhoben werde, der bei einer Aufteilung nach den aktuellen Mieten auf den Anteil der gewerblichen Nutzung entfalle.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß das FA zu Recht verbösert habe. Die Klägerin habe ausreichendes rechtliches Gehör erhalten, insbesondere seien die Voraussetzungen des § 367 Abs. 2 AO 1977 erfüllt worden.

Für die Ermittlung des für die Steuerfreiheit maßgebenden Anteils der grundsteuerbegünstigten Wohnungen i. S. des § 10 Abs. 3 Satz 3 GrEStG komme es entgegen der Auffassung des FA in seinem ursprünglichen Steuerbescheid nicht auf das Verhältnis der Nutz- und Wohnflächen, sondern darauf an, wie das Gebäude in einen grundsteuerfreien und einen grundsteuerpflichtigen Teil aufzuteilen sei. Für diese Aufteilung sei nicht auf die aktuellen Jahresrohmieten, sondern auf das Verhältnis der Jahresrohmieten zum Bewertungsstichtag des 1. Januar 1964 abzustellen, wie sie in die Einheitsbewertung Eingang gefunden hätten.

Nach Zulassung der Revision durch den erkennenden Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Klägerin Revision eingelegt und ihren Klagantrag weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Entgegen der Auffassung der Klägerin unterliegt die Einspruchsentscheidung nicht etwa deshalb der Aufhebung, weil das FA die Einspruchsentscheidung erlassen hat, ohne daß der Klägerin i. S. des § 367 Abs. 2 AO 1977 ausreichend Gelegenheit gegeben worden wäre, sich auf die Verböserungsabsicht des FA einzustellen.

Nach § 367 Abs. 2 AO 1977 kann die Finanzbehörde auf den Einspruch gegen einen Steuerbescheid die Steuerfestsetzung auch zum Nachteil dessen ändern, der den Einspruch eingelegt hat. Voraussetzung ist, daß der Einspruchsführer auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen wird (a), daß ihm Gründe für die mögliche Verböserung angegeben werden (b) und daß er Gelegenheit erhält, sich hierzu zu äußern (c).

a) Das FA hat die Klägerin mit Schreiben vom 11. Mai 1979 darauf hingewiesen, daß seiner Ansicht nach bei der Steuerfestsetzung ein Fehler zugunsten der Klägerin unterlaufen sei. Es hat der Klägerin auch mitgeteilt, daß es nach Ablauf der gesetzten Äußerungsfrist die Steuerfestsetzung zum Nachteil der Klägerin ändern werde.

b) Das FA hat der Klägerin in diesem Schreiben auch die Gründe mitgeteilt, die nach seiner Auffassung zu einer Erhöhung der festgesetzten Steuer führen müßten. Diese Mitteilungen waren für eine Entscheidungsbildung der Klägerin ausreichend. Der Senat geht dabei davon aus, daß die Mitteilung der Gründe für eine mögliche Verböserung den Erfordernissen des § 367 Abs. 2 AO 1977 nur dann gerecht wird, wenn diese Gründe in Verbindung mit der Steuerfestsetzung für den Einspruchsführer objektiv und nachprüfbar erkennen lassen, in welcher Beziehung und in welchem Umfang das FA seine der Steuerfestsetzung zugrunde liegende Auffassung geändert hat.

Aus dem Schreiben des FA vom 11. Mai 1979 ergab sich deutlich die Auffassung des FA, ihm sei bei Anwendung des Maßstabes für die Aufteilung in begünstigte und nicht begünstigte Räume ein Rechtsfehler unterlaufen. Ferner ergab sich, welche Gesamtjahresrohmiete das FA den begünstigten und den nicht begünstigten Räumen zuordnen wollte. Der Klägerin war als Bauherrin des auf dem Grundstück errichteten Gebäudes die Größe der einzelnen Wohnungen bzw. der Praxen bekannt. Sie konnte durch Division der vom FA angegebenen Jahresrohmieten ohne weiteres ermitteln, von welcher Quadratmetermiete das FA für die begünstigten Wohnräume und für die nicht begünstigten Räume ausgegangen sei (2,75 DM bzw. 8 DM). Die Klägerin konnte sich dadurch die Überzeugung verschaffen, ob die vom FA angenommenen Jahresrohmieten erheblich von ihren eigenen Vorstellungen und Erfahrungen abwichen. Die Klägerin wußte nunmehr auch, daß das FA keine teilweise Steuerfreiheit gewähren wollte, wenn die Zwei-Drittel-Grenze unterschritten würde.

Der Senat teilt die in der Literatur vertretene Auffassung, daß eine verbösernde Entscheidung auch bei Mitteilung von Gründen für die Verböserung so lange nicht ergehen darf, als noch sachdienliche Rückfragen des Einspruchsführers unbeantwortet sind (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 367 AO 1977 Anm. 4 b). Er ist im vorliegenden Fall aber der Auffassung, daß das Verlangen der Klägerin in ihrem Schreiben vom 13. Juni 1979, eine Einzelaufstellung der Jahresrohmieten zu übersenden, keine sachdienliche Rückfrage war, ohne deren Beantwortung die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, sich über die Fortführung des Einspruches schlüssig zu werden.

c) Danach ist festzustellen, daß die Klägerin ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu der Verböserungsabsicht des FA zu äußern. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß das FA auf die Rückfrage der Klägerin einging und mit der Übersendung einer Einzelaufstellung eine neue Äußerungsfrist setzte. Denn die Klägerin behauptet, daß sie dieses Schreiben nicht erhalten habe.

Hätte die Klägerin allerdings dieses Schreiben erhalten, so würde das FA angesichts des Umstandes, daß es eine neue Äußerungsfrist gesetzt hatte, nicht vor Ablauf der neu gesetzten Äußerungsfrist über den Einspruch der Klägerin haben entscheiden dürfen, obwohl objektiv bereits vor Übersendung der Einzelaufstellung die Voraussetzungen des § 367 Abs. 2 AO 1977 erfüllt waren. Das FA würde sich in diesem Falle an seinem eigenen Verhalten festhalten lassen müssen.

Das Schreiben des FA vom 27. Juni 1979 mit den Einzelaufstellungen ist indessen nicht in die Hand der Klägerin gelangt. Die Nachfrist ist deshalb mangels Zugangs bei der Klägerin nicht wirksam geworden. Da die Voraussetzungen des § 367 Abs. 2 AO 1977 bereits vor Absendung des Schreibens vom 27. Juni 1979 erfüllt waren, konnte das FA unter diesen Umständen nach Ablauf der in diesem Falle nicht wirksam gewordenen Nachfrist ohne weiteres über den Einspruch entscheiden.

Die Revision der Klägerin ist auch insoweit unbegründet, als sie mit dem Hilfsantrag die Herabsetzung der Grunderwerbsteuer begehrt. ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 74879

BStBl II 1984, 177

BFHE 1984, 225

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