Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Mehraufwendungen, die einem Steuerpflichtigen durch das Getrenntleben von seinem Ehegatten entstehen, können als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, auch wenn die Ehe nicht geschieden ist. Auf die Schuldfrage ist zum Nachweis der Zwangsläufigkeit in der Regel nicht einzugehen. Soweit in dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 616/53 U vom 22. September 1955, Slg. Bd. 61 S. 382, Bundessteuerblatt 1955 III S. 347, hinsichtlich der Aufwendungen vor der Scheidung und der Kosten des Scheidungsprozesses ein engerer Standpunkt vertreten wird, folgt ihm der erkennende Senat nicht.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1, § 33a/1

 

Tatbestand

Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen an die getrennt lebende Ehefrau vor und nach der Scheidung sowie der Kosten der Ehescheidung als außergewöhnliche Belastung im Veranlagungszeitraum 1950.

Der Steuerpflichtige ist Steuerberater und Buchprüfer. Seine Ehe ist am 12. Juni 1950 aus seinem alleinigen Verschulden geschieden worden. Der Ehe entstammt ein Kind. Der Steuerpflichtige hatte bereits im Februar 1949 die gemeinschaftliche Wohnung verlassen. Eine gerichtliche Entscheidung über die Unterhaltszahlungen an die Ehefrau liegt nicht vor. Der Steuerpflichtige zahlte im Streitjahr 1950 auf Grund einer mündlichen Vereinbarung monatlich 300 DM, insgesamt also 3.600 DM. An Ehescheidungskosten bezahlte er 251 DM.

Der Steuerausschuß des Finanzamts erkannte wegen der Unterhaltszahlungen lediglich eine zwangsläufige Belastung von 1.200 DM unter Anrechnung der Mehrbelastungsgrenze an. Ein Monatsbetrag von 100 DM sei als zusätzliche Belastung angemessen. Die Prozeßkosten über die selbstverschuldete Scheidung seien nicht zwangsläufig und könnten daher nicht berücksichtigt werden.

Das Finanzgericht erkannte nur die nach der Ehescheidung entrichteten Unterhaltszahlungen dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung an. Die vorher an die getrennt lebende Ehefrau geleisteten Zahlungen seien keine außergewöhnliche Belastung, wenn der Ehemann zur Zeit des Getrenntlebens die Familienermäßigung erhalte. Der Höhe nach hielt das Finanzgericht für die Zeit nach der Ehescheidung einen monatlichen Betrag von 200 DM für angemessen. Es berücksichtigte außerdem die Prozeßkosten von 215 DM als außergewöhnliche Belastung.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts. Er trägt vor: Da der Steuerpflichtige die alleinige Schuld an der Ehescheidung trage, seien die Kosten nicht zwangsläufig. Es liege bei diesem einmaligen Betrage auch keine Beeinträchtigung der steuerlichen Leistungsfähigkeit vor. Die Unterhaltszahlung an die Ehefrau dürfe ab Juni 1950 nur in Höhe von 100 DM monatlich steuerlich berücksichtigt werden. Dieser Betrag sei unter Würdigung der Lebens- und Einkommensverhältnisse des Steuerpflichtigen angemessen; die Höhe der außergerichtlichen Vereinbarung sei für die Berücksichtigung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht entscheidend.

Der Steuerpflichtige beantragt mit der Anschlußbeschwerde, die Unterhaltsleistungen in Höhe der insgesamt gezahlten 3.600 DM nach § 33 EStG zu berücksichtigen.

 

Entscheidungsgründe

Rb. und Anschlußbeschwerde führen wegen irriger Rechtsanwendung und mangelnder Sachaufklärung zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung an das Finanzamt.

Die laufenden Unterhaltskosten Die Vorentscheidung hat in übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (siehe Urteil IV 616/53 U vom 22. September 1955, Slg. Bd. 61 S. 382, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 437) die Unterhaltszahlungen des Steuerpflichtigen, die für die Zeit nach der Ehescheidung entrichtet wurden, zutreffend dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Bei den Zahlungen an den geschiedenen Ehegatten kommt es für die Frage einer außergewöhnlichen Belastung nicht darauf an, auf welchen rechtlichen Unterlagen sie beruhen und ob sie bürgerlich-rechtlich erzwungen werden könnten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 9/54 U vom 30. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 360, BStBl 1954 III S. 349). Auch bei vertraglicher Regelung der Unterhaltsleistung, insbesondere bei einem Vergleich, kann angenommen werden, daß andernfalls ein gerichtliches Urteil etwa in gleicher Weise ergehen würde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 42/51 U vom 10. Juni 1952, Slg. Bd. 56 S. 657, BStBl 1952 III S. 253, insbesondere S. 255). Die vom geschiedenen Ehegatten gezahlten Beträge stellen im Verhältnis zu einem unverheirateten Steuerpflichtigen eine zusätzliche Belastung dar, die allerdings nur im Rahmen der Angemessenheit als Mehrbelastung im Sinne des § 33 EStG zu berücksichtigen ist. Bei der Festsetzung der Höhe des Betrages, der steuerlich als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen ist, handelt es sich nicht um die Ausübung eines Ermessens, sondern um eine Schätzung, bei der alle Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen sind (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 9/54 U vom 30. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 360, BStBl 1954 III S. 349). Das Verwaltungsgericht ist nicht an die tatsächlichen Aufwendungen des Unterhaltsverpflichteten gebunden. Denn auch bezüglich der Höhe der nach § 33 Abs. 1 EStG anzuerkennenden Aufwendungen ist die Außergewöhnlichkeit und Zwangsläufigkeit zu prüfen. Es rechtfertigen daher nicht stets alle Aufwendungen des Unterhaltsverpflichteten eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG. Die Abgrenzung erfolgt im Wege der Schätzung (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 335/51 U vom 27. März 1952, Slg. Bd. 56 S. 346, BStBl 1952 III S. 135). Ein Betrag von 100 bis 200 DM monatlich, vermindert um die zumutbare Mehrbelastung, dürfte im allgemeinen als steuerlich anzuerkennende außergewöhnliche Belastung angemessen sein, sofern auch tatsächlich mindestens dieser Betrag allein für die Ehefrau, nicht etwa für die Kinder, gezahlt wird. Die Steuerklasse bleibt bei Ermittlung der Mehrbelastung eines geschiedenen unterhaltspflichtigen Ehegatten außer Betracht. Denn in der Regel fällt der Steuerpflichtige infolge der Ehescheidung in Steuerklasse I. Steht ihm infolge seines Alters die Steuerklasse II zu, so hat diese Einstufung mit der Ehescheidung und mit der daraus herrührenden zusätzlichen Belastung nichts zu tun. Soweit der geschiedene Ehegatte in der Steuerklasse III verbleibt, kann die darin zugleich enthaltene steuerliche Vergünstigung für die Ehefrau in der Regel unberücksichtigt bleiben, da der Steuerpflichtige diesen Betrag für eine anderweitige Betreuung der Kinder und seines Haushalts aufwenden wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich ein Kind beim Steuerpflichtigen befindet. Soweit ein Steuerpflichtiger im Jahr der Scheidung nach § 32 Abs. 3 Ziff. 1 EStG in Steuerklasse II verbleibt, erhält er für einige Monate nach der Scheidung eine Steuervergünstigung, die bei Berechnung der Höhe der außergewöhnlichen Belastung berücksichtigt werden kann, sofern sie von einiger Bedeutung ist.

Die Nichtanerkennung der Unterhaltszahlung für die Dauer der Trennung der Ehegatten vor der Scheidung als außergewöhnliche Belastung hat das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen der Zwangsläufigkeit begründet, weil der Steuerpflichtige die Trennung ohne zwingenden Grund selbst gewollt habe. Obwohl diese Auffassung in übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 616/53 U vom 22. September 1955 (Slg. Bd. 61 S. 382, BStBl 1955 III S. 347) steht, vermag ihr der jetzt für die Auslegung des § 33 EStG in erster Linie zuständige erkennende VI. Senat nicht zu folgen. Es muß vielmehr auch hier davon ausgegangen werden, daß der Steuerpflichtige kraft Gesetzes verpflichtet war, seiner Ehefrau den Unterhalt zu gewähren. Infolge der Trennung mußten statt des sonst bei Ehegatten in Natur zu gewährenden Unterhalts Geldleistungen gewährt werden. Soweit diese höher als die anteiligen Aufwendungen bei der sonst üblichen gemeinsamen Haushaltsführung sind, liegt eine zwangsläufige Mehrbelastung dem Grunde nach vor. Die Zwangsläufigkeit kann nach Auffassung des erkennenden Senats nicht deswegen verneint werden, weil das Getrenntleben auf einer freien Willensentscheidung beruhe. Das Getrenntleben ist vielmehr in der Regel eine zwangsläufige Folge des vorangegangenen Verhaltens eines oder beider Ehegatten, wobei vielleicht auch wieder dieses Verhalten auf anderen, noch weiter zurückliegenden Gründen beruht. Die Mehrbelastung durch das Getrenntleben ist außerdem außergewöhnlich, weil Ehegatten in der Regel zusammen wohnen. Damit sind die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Belastung, nämlich die Zwangsläufigkeit und die Außergewöhnlichkeit, dem Grunde nach gegeben, ohne daß die Ursachenreihe noch weiter nach rückwärts verfolgt werden braucht, um festzustellen, welchen Ehegatten die Schuld an der Trennung trifft. Derartige Ermittlungen durch die Finanzverwaltung würden in den Bereich des persönlichen Lebens der Ehegatten führen, was untunlich und auch wenig erfolgversprechend erscheint. Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, daß nicht die Tatsache des Getrenntlebens genügt. Es muß sich um eine nicht nur vorübergehende Trennung handeln, die erfolgt, weil die Ehe zerrüttet ist. In der Regel wird sich die Beweisführung dem Finanzamt gegenüber aus dem Scheidungsverfahren ergeben. Betreiben die Ehegatten nicht die Ehescheidung, so muß der Steuerpflichtige, der die Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung begehrt, in anderer Weise das Vorliegen einer ernsthaft gemeinten, dauernden Trennung wegen Zerrüttung der Ehe beweisen.

Bei den Unterhaltszahlungen an einen getrennt lebenden Ehegatten bei bestehender Ehe können nur die infolge des Getrenntlebens entstehenden zusätzlichen Leistungen, die sich für ihn im Vergleich zu einem verheirateten Steuerpflichtigen ergeben, als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden. Eine Mehrbelastung wegen doppelter Haushaltsführung kommt nicht in Frage, da infolge des dauernden Getrenntlebens im obigen Sinne die Wohnung des einen Ehegatten nicht gleichzeitig die Wohnung des anderen Ehegatten ist.

Bei der Festsetzung der Höhe des Betrages, der steuerlich als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG anzuerkennen ist, handelt es sich um eine Schätzung unter Berücksichtigung der Umstände des einzelnen Falles. Da der Steuerpflichtige bei Getrenntleben unter Aufrechterhaltung der Ehe in der Steuerklasse II verbleibt, ist er zur Ermittlung der durch das Getrenntleben verursachten Mehrbelastung, wie schon erwähnt, mit einem Verheirateten zu vergleichen. Wenn auf dieser Grundlage die Mehrbelastung ermittelt wird, sind die sich aus der Steuerklasse ergebenden steuerlichen Vergünstigungen von vornherein ausgeklammert. Zahlt der Steuerpflichtige seinem getrennt lebenden Ehegatten nicht mehr als er bei gemeinsamer Haushaltsführung aufwenden würde, so liegt keine Mehrbelastung vor.

Für die Unterhaltszahlungen, die seit dem 1. Januar 1955 an einen geschiedenen oder auch nur getrennt lebenden Ehegatten geleistet werden, findet § 33 a EStG 1955 Anwendung.

Prozeßkosten Die Ausführungen über die Zwangsläufigkeit der Unterhaltsleistungen bei getrennt lebenden Ehegatten gelten entsprechend für die Kosten des Ehescheidungsprozesses. Der Senat folgt auch insoweit nicht der Auffassung des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 616/53 U vom 22. September 1955, wonach stets die Zwangsläufigkeit der Prozeßkosten bei einem Steuerpflichtigen zu verneinen sei, dessen Ehe aus einem in seiner Person liegenden Grunde geschieden worden ist. Es erübrigt sich daher in der Regel, auch insoweit für die Frage der Zwangsläufigkeit auf die Schuldfrage bei der Ehescheidung einzugehen.

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist daher in diesem Punkte unbegründet.

Da die Sachlage bezüglich der Höhe der außergewöhnlichen Belastung für die Unterhaltszahlungen noch nicht spruchreif ist, erfolgt Zurückverweisung an das Finanzamt, das die Veranlagung unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen im Einspruchsverfahren durchzuführen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409057

BStBl III 1958, 329

BFHE 1959, 146

BFHE 67, 146

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