Leitsatz (amtlich)

1. Für ein im Jahre 1965 hergestelltes Gebäude, das nicht ausschließlich Lagerzwecken, sondern darüber hinaus auch Wohnzwecken dient, kann die Steuervergünstigung nach § 7e EStG nicht gewährt werden, wenn die Baugenehmigung erst nach dem 9. Oktober 1962 beantragt wurde.

2. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) fordert nicht, daß das Vertrauen in den Fortbestand der in § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV 1961 enthaltenen Regelung geschützt wird.

 

Normenkette

EStG § 7e; EStDV § 22 Abs. 3; GG Art. 20 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für ein im Streitjahr 1965 fertiggestelltes Gebäude die Sonder-Absetzung für Abnutzung (Sonder-AfA) nach § 7e EStG in Anspruch nehmen können.

Die Kläger sind Eheleute. Sie wurden für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger, der auf Grund des Bundesvertriebenengesetzes vom 23. Oktober 1961 (BGBl I, 1882) zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen berechtigt war, betrieb auf eigenem Grundstück einen Getränkegroßhandel. Am 24. Juni 1964 beantragte er die Baugenehmigung zur Errichtung einer Lagerhalle, die zu etwa 1/6 auch Wohnzwecken dienen sollte. Das Gebäude wurde im Streitjahr fertiggestellt.

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr machten die Kläger für das Gebäude eine Sonder-AfA nach § 7e EStG (in Höhe von 10 v. H. der Herstellungskosten) geltend. Sie beriefen sich dabei auf die Vorschriften des § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV. Die Kläger sind der Ansicht, daß es auf Grund dieser Vorschriften zur Gewährung der Steuervergünstigung nach § 7e EStG genüge, wenn das Gebäude überwiegend Lagerzwecken und daneben zu einem geringeren Teil Wohnzwecken dient.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erkannte dagegen lediglich eine AfA nach § 7 Abs. 5 EStG in Höhe von 3,5 v. H. der Herstellungskosten an. Das FA bezog sich dabei auf die in die EStDV 1965 eingefügte Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV; hiernach kann eine Sonder-AfA für ein Gebäude, das außer Lager- und Fabrikationszwecken auch noch Wohnzwecken dient, nur gewährt werden, wenn der Antrag auf Baugenehmigung vor dem 10. Oktober 1962 gestellt wurde.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auf die Klage wurde die Einkommensteuer dem Antrag der Kläger entsprechend herabgesetzt. Zur Begründung seiner - in den EFG 1970, 275 veröffentlichten - Entscheidung vom 17. Dezember 1969 II 170/68 E führte das FG im wesentlichen aus: Dem Kläger stehe die Bewertungsfreiheit nach § 7e EStG für das von ihm errichtete Gebäude zu. Die Voraussetzungen des in § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV normierten Vergünstigungstatbestandes seien bereits erfüllt gewesen, bevor die neue Regelung des § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV die Vergünstigung davon abhängig gemacht habe, daß die Baugenehmigung vor dem 10. Oktober 1962 beantragt wurde. Die Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV enthalte eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkungsanordnung; sie könne daher nicht beachtet werden.

Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung des § 7e EStG sowie der §§ 22 Abs. 3 Satz 3 und 84 Abs. 6 EStDV 1965. Das FA führt zur Begründung sinngemäß aus, die Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV enthalte keine rückwirkende Änderung; sie habe vielmehr nur klarstellende Bedeutung. Der Einfügung des Satzes 3 in die Vorschrift des § 22 Abs. 3 EStDV 1965 seien grundlegende gesetzliche Änderungen des Abschreibungsrechts vorausgegangen. Nach diesen - u. a. die Abschreibung auf Wohngebäude nach § 7b EStG betreffenden - gesetzlichen Änderungen hätten erhöhte Absetzungen in Fällen, in denen die Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 beantragt worden sei, nur noch für Eigenheime, Kleinsiedlungen und Eigentumswohnungen vorgenommen werden dürfen. Damit sei für gemischt-genutzte Gebäude, die keine Eigenheime seien, eine erhöhte Absetzung nicht mehr in Betracht gekommen. Das betreffe auch Gebäude, die zu einem - geringeren - Teil Wohnzwecken, überwiegend aber den nach § 7e EStG begünstigten Fabrikations- und Lagerzwecken dienten. Denn die nach § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV für diese Fälle bisher bestehende Möglichkeit einer Begünstigung nach § 7e EStG sei von dem Zeitpunkt an entfallen, von dem an der Wohnzwecken dienende Teil nach § 7b EStG nicht mehr habe begünstigt werden können. Mit dem Wegfall der entsprechenden gesetzlichen Begünstigungsmöglichkeit für den Wohnzwecken dienenden Gebäudeteil sei auch die Grundlage für die Vorschrift des § 22 Abs. 3 EStDV entfallen. Die ausdrückliche Änderung dieser Vorschrift habe somit nur noch klarstellende Bedeutung gehabt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß die Voraussetzungen der Steuervergünstigung nach § 7e EStG vorgelegen haben.

1. Nach der Vorschrift des § 7e EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung vom 10. Dezember 1965 (BGBl I, 1901, BStBl I 1965, 686) können Steuerpflichtige, die auf Grund des Bundesvertriebenengesetzes zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen berechtigt sind, ihre frühere Erwerbsgrundlage verloren haben und den Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder nach § 5 EStG auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, u. a. bei Gebäuden, die im eigenen gewerblichen Betrieb unmittelbar der Fertigung oder ausschließlich der Lagerung von Waren dienen, neben der nach § 7 EStG von den Herstellungskosten zu bemessenden AfA im Wirtschaftsjahr der Herstellung des Gebäudes und in dem darauffolgenden Jahr bis zu je 10 v. H. der Herstellungskosten absetzen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht erfüllt.

Bei einem Gebäude, das nur überwiegend der Lagerung von Waren, darüber hinaus aber auch noch Wohnzwecken dient, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Gewährung der Vergünstigung nach § 7e EStG nicht vorgesehen (vgl. Urteil des BFH vom 8. Dezember 1967 VI R 114/66, BFHE 91, 157, BStBl II 1968, 270). Eine andere Auslegung würde dem klaren Wortsinn des Gesetzes, das nur die ausschließliche Verwendung zu Lagerzwecken begünstigt, widersprechen (BFH-Urteil VI R 114/66).

Hiernach können die Kläger ihr Begehren, für das vom Kläger erstellte Gebäude, das außer Lager- auch Wohnzwecken diente, die Abschreibungsfreiheit zu gewähren, nicht auf § 7e EStG stützen.

2. Die Kläger können sich zur Inanspruchnahme der Vergünstigung nach § 7e EStG auch nicht auf § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV berufen, da diese Vorschrift auf das vom Kläger errichtete Gebäude nicht anwendbar ist.

a) § 22 Abs. 3 EStDV hatte in seiner vor Inkrafttreten der EStDV 1965 geltenden Fassung (EStDV in der Fassung vom 30. April 1962, BGBl I, 293, BStBl I 1962, 551) folgenden Wortlaut:

"Dient ein nach dem 31. Dezember 1951 hergestelltes Gebäude zum Teil Fabrikationszwecken oder Lagerzwekken der in § 7e Abs. 1 des Gesetzes bezeichneten Art und zum Teil Wohnzwecken, so ist, wenn der Fabrikationszwecken oder Lagerzwecken dienende Teil überwiegt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Bewertungsfreiheit des § 7e des Gesetzes zu gewähren. Überwiegt der Wohnzwecken dienende Teil, so sind die erhöhten Absetzungen des § 7b des Gesetzes auch dann zuzubilligen, wenn der Fabrikationszwecken oder Lagerzwecken dienende Teil 33 1/3 vom Hundert, bei Gebäuden, die vor dem 1. Januar 1953 hergestellt worden sind, 20 vom Hundert übersteigt."

Diese Sonderregelung beruhte auf der Erwägung, daß bei Gebäuden, die sowohl Zwecken der in § 7e EStG bezeichneten Art als auch Wohnzwecken dienen, die Voraussetzungen des § 7e und des § 7b EStG (in seiner damaligen Fassung) in einer Weise zusammentreffen können, die ohne eine solche Sonderregelung zur Versagung der Bewertungsfreiheit führen würde, obschon die Errichtung beider Arten von Gebäuden begünstigt sein sollte. Deswegen sollte in diesen Fällen entweder die Vergünstigung nach § 7b oder nach § 7e EStG anwendbar sein. Diesen Erwägungen trägt § 22 Abs. 3 EStDV Rechnung (vgl. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., 1964, Bd. I, Anm. 7 zu § 7e EStG).

b) Die - ursprünglich in § 12 Abs. 6 EStDV (Fassung vom 16. September 1953 BGBl I, 1384, BStBl I 1953, 409), nunmehr - in § 22 Abs. 3 EStDV enthaltene Regelung beruht auf der Ermächtigung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Januar 1952 (BGBl I, 33, BStBl I 1952, 47). Entsprechende Ermächtigungen finden sich auch in den späteren Fassungen des Einkommensteuergesetzes (vgl. § 51 Abs. 1 EStG 1953 für die Veranlagungszeiträume 1952 bis 1955, § 51 Abs. 1 EStG 1955 für die Veranlagungszeiträume 1955 bis 1956, § 51 Abs. 1 EStG 1957 für die Veranlagungszeiträume 1957 bis 1960 und § 51 Abs. 1 EStG 1965 ohne Begrenzung auf bestimmte Veranlagungszeiträume).

Ob die Vorschrift des § 12 Abs. 6 EStDV 1953 sowie die in den späteren EStDV enthaltene Vorschrift des § 22 Abs. 3 durch die genannte Ermächtigung gedeckt waren und somit wirksam zustande gekommen sind, kann hier auf sich beruhen. Unterstellt man das wirksame Zustandekommen dieser Vorschriften, so ist jedenfalls ihr weiterer Bestand davon abhängig, daß die gesetzlichen Vorschriften, zu deren Durchführung sie ergangen sind (§§ 7b und 7e EStG), in ihrer bisherigen Form aufrechterhalten geblieben sind. Es liegt im Wesen von Durchführungsverordnungen, daß sie den Regelungsbereich des Gesetzes speziell ausformen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Oktober 1968 II 53/63, BFHE 94, 79, 82, BStBl II 1969, 86; vom 12. April 1972 I R 190/69, BFHE 105, 239, 243, BStBl II 1972, 552) und den durch das Gesetz geschaffenen Rahmen ausfüllen (BFH-Urteil vom 5. November 1964 IV 11/64 S, BFHE 80, 356, 363, BStBl III 1964, 602). Bei Fortfall der gesetzlichen Grundlage kann auch die Durchführungsverordnung keinen Bestand mehr haben.

c) Durch das Gesetz zur Einschränkung des § 7b EStG vom 16. Mai 1963 (BGBl I, 319, BStBl I 1963, 476) ist ein Teil der gesetzlichen Vorschriften, zu deren Durchführung § 22 Abs. 3 EStDV ergangen ist, geändert worden. Nach dieser zwecks Dämpfung der Baukonjunktur vorgenommenen Änderung (§ 7b Abs. 7 EStG) sind bei Gebäuden, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 und vor dem 1. April 1964 gestellt worden ist, an Stelle der bisherigen Absätze 1 bis 6 des § 7b EStG die Vorschriften des § 54 EStG anzuwenden. Das bedeutet, daß die Begünstigung für Gebäude, für die die Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 beantragt worden ist, nunmehr beschränkt wurde auf Eigenheime, Eigensiedlungen und Eigentumswohnungen sowie auf Kaufeigenheime, Trägerkleinsiedlungen und Kaufeigentumswohnungen. Mietwohngrundstücke und andere Wohngebäude, die nicht die Voraussetzungen eines Eigenheims oder einer Eigensiedlung erfüllten, sollten hiernach fortan nicht mehr begünstigt sein (Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., Anm. 1 zu § 7b EStG a. F.; zur Motivierung des Gesetzes vgl. amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, Bundestags-Drucksache IV/738 [1962]). Das bedeutete, daß die Begünstigung auch entfallen sollte bei gemischt-genutzten Gebäuden, die außer Wohnzwekken teilweise den nach § 7e EStG begünstigten Zwecken dienten (vgl. die BFH-Urteile vom 3. Februar 1956 III 206/55 U, BFHE 62, 205, BStBl III 1956, 78, und vom 20. Oktober 1965 VI 201/65 U, BFHE 84, 51, BStBl III 1966, 18).

Der zeitliche Anwendungsbereich dieser einschränkenden Regelung wurde mehrfach ausgedehnt (vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des EStG vom 25. März 1964 BGBl I, 217, BStBl I 1964, 251: Erstreckung auf Bauobjekte, für die die Baugenehmigung vor dem 1. Juli 1964 beantragt wurde; vgl. außerdem § 7b Abs. 7 Satz 3 und § 54 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Art. 1 Nrn. 2 und 7 des Gesetzes zur Neuregelung der Absetzungen für Abnutzung bei Gebäuden vom 16. Juni 1964, BGBl I, 353, BStBl I 1964, 384: Ausdehnung auf Bauobjekte, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung vor dem 1. Januar 1965 gestellt wurde).

Da die Einschränkung der Vergünstigung nach § 7b EStG hiernach auch für Gebäude von Bedeutung ist, die sowohl Wohnzwecken als auch den in § 7e EStG bezeichneten gewerblichen Zwecken dienen, konnte mit Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung die bisher in § 22 Abs. 3 EStDV enthaltene Vorschrift nicht mehr dem Gesetz entsprechen; sie stellte keine "Durchführung" des Gesetzes mehr dar. Das hat die Bundesregierung veranlaßt, in die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1965 eine entsprechende Klarstellung aufzunehmen (vgl. Begründung des Verordnungsentwurfs in Bundesrats-Drucksache 29/66 S. 8; Nissen, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1966, S. 113 [115 f.]). Um der Rechtsentwicklung Rechnung zu tragen, schreibt § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV nunmehr vor, daß die Sätze 1 und 2 des § 22 Abs. 3 EStDV, nach denen das teilweise Dienen des Gebäudes zu eigenen Wohnzwecken die Vergünstigung des § 7e EStG nicht ausschließt, nur noch anzuwenden sind, wenn der Bauantrag vor dem 10. Oktober 1962 gestellt wurde; diese in § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV enthaltene Einschränkung ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 9. Oktober 1962 enden (§ 84 Abs. 6 EStDV).

d) Die weitere Anwendung der nunmehr auch förmlich außer Kraft gesetzten Vorschrift des § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV in Fällen, in denen die Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 beantragt wurde, läßt sich auch nicht damit begründen, daß der einzelne Steuerpflichtige auf den Fortbestand der Vorschrift vertraut hat.

Zwar sind belastende Gesetze, insbesondere Steuergesetze, die in bereits abgeschlossene Tatbestände eingreifen und dadurch die Rechtsposition des Bürgers mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, grundsätzlich mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) unvereinbar (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -; vgl. Beschluß vom 10. März 1971 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272, 285, mit weiteren Rechtsprechungszitaten). Der Staatsbürger kann grundsätzlich davon ausgehen, daß die an abgeschlossene Tatbestände geknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen anerkannt bleiben. Deshalb dürfen ihm nicht rückwirkend zusätzliche Leistungspflichten gegenüber dem Staat auferlegt werden. Entsprechendes gilt auch für die Beibehaltung einer Steuervergünstigung. Gegen den rückwirkenden Wegfall einer Steuervergünstigung verdient der Bürger den gleichen Schutz wie gegen die rückwirkende Belastung mit einem neu begründeten Steueranspruch.

Andererseits ergibt sich jedoch aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes zugleich die Beschränkung des Rückwirkungsverbots; auch ein gesetzlicher Eingriff mit echter Rückwirkung ist ausnahmsweise zulässig, wenn das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig ist (BVerfG-Beschluß vom 20. Oktober 1971 1 BvR 757/66, BVerfGE 32, 111, 123, mit weiteren Rechtsprechungszitaten). Ob ein solcher die Rückwirkung rechtfertigender Grund vorliegt, ist unter Würdigung aller Umstände der konkreten Regelung zu beurteilen. Dabei kommt es für die Frage, ob der Bürger mit einer Änderung der Rechtslage rechnen mußte, nicht auf die subjektiven Vorstellungen der einzelnen Betroffenen und ihre individuelle Situation an, sondern darauf, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (BVerfG-Beschluß 1 BvR 757/66).

Eine solche Würdigung führt im Streitfall zu dem Ergebnis, daß die Einfügung des Satzes 3 in § 22 Abs. 3 EStDV durch den Verordnungsgeber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Wenn sich das Vertrauen des Bürgers auf eine ungültige Norm bezieht, die nur einen Rechtsschein erzeugt hat, ist es dem Gesetzgeber (Verordnungsgeber) grundsätzlich nicht verwehrt, die Rechtslage rückwirkend zu ändern oder klarzustellen (BVerfG-Beschluß vom 16. November 1965 2 BvL 8/64, BVerfGE 19, 187, 197). Er wird das in der Regel gerade deshalb tun, um damit die Rechtssicherheit wiederherzustellen.

Das Vertrauen in den Fortbestand der in § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV enthaltenen Regelung ist nicht besonders schutzbedürftig gewesen. Daß für Fälle, in denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 gestellt wurde, die Abschreibungsvergünstigung nach § 7b EStG eingeschränkt werde, ist bereits durch das Gesetz vom 16. Mai 1963 (BGBl I, 319, BStBl I 1963, 476) beschlossen worden. Dieses Gesetz ist, wie in den BFH-Urteilen vom 28. März 1966 VI 281/64 (BFHE 85, 425, BStBl III 1966, 454) und vom 20. November 1973 VIII R 86/69 (BFHE 110, 559, BStBl II 1974, 69) mit überzeugenden Gründen ausgeführt, verfassungsmäßig. Wer nach dem 9. Oktober 1962 eine Baugenehmigung für ein nach bisherigem Recht abschreibungsbegünstigtes gemischt-genutztes Gebäude beantragte, konnte nicht darauf vertrauen, daß die - auch auf § 7b EStG beruhende - Abschreibungsvergünstigung nach § 22 Abs. 3 EStDV in ihrer bisherigen Form weiterbestehen bleiben werde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71012

BStBl II 1974, 674

BFHE 1975, 98

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