Leitsatz (amtlich)

1. Hat das FA einen Grunderwerbsteuerbescheid vor dem Entstehen der Steuer erlassen, ist die Steuer aber bis zum Erlaß der Einspruchsentscheidung entstanden, so ist der den Gegenstand der Klage bildende Steuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung nicht aus diesem Grunde rechtswidrig.

2. Wird eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt, bevor der Erwerbsvorgang (z. B. durch Genehmigung des Kaufvertrages) wirksam geworden ist, so beginnt die Nachversteuerungsfrist gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG Hessen erst mit dem Wirksamwerden des Erwerbsvorganges.

 

Normenkette

FGO § 44 Abs. 2; AO § 367 Abs. 2 S. 1; GrEStG Hessen § 4 Abs. 3 Nr. 1; GrEStG Hessen § 4 Abs. 11 S. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) kauften durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23. Juni 1972 ein unbebautes Grundstück; und zwar die Kläger zu 1. und 2. je zu 2/5, die Klägerin zu 3. zu 1/5. Sie beabsichtigten, auf dem Grundstück Wohnraum im Sinne des § 2 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) zu schaffen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah (materiell vorläufig) von der Erhebung der Grunderwerbsteuer ab und erteilte am 3. Juli 1972 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Das FA hat durch drei Grunderwerbsteuerbescheide vom 26. August 1977 gegen die Kläger Grunderwerbsteuer festgesetzt, weil innerhalb der maßgebenden fünfjährigen Nachversteuerungsfrist Wohnungen nicht errichtet worden seien.

Die Einsprüche der Kläger wurden durch Einspruchsentscheidungen vom 6. März 1978 zurückgewiesen. Das FA ging dabei davon aus, daß die Kläger ihre Bebauungsabsicht aufgegeben hätten.

Mit ihren Klagen haben die Kläger beantragt, die Grunderwerbsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidungen aufzuheben. Sie haben vorgetragen, daß sie ihre Bebauungsabsichten nicht aufgegeben hätten. Sie seien weiter bemüht, die Voraussetzungen für eine Bebauung ihres Grundstücks zu schaffen. Die Nachversteuerung verstieße im übrigen gegen § 4 Abs. 11 Satz 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der in Hessen geltenden Fassung (GrEStG). Sie hätten im Zeitpunkt des Erwerbs darauf vertraut, das Bauvorhaben werde rechtzeitig verwirklicht werden können.

Das FG hat die verbundenen Klagen abgewiesen. Die Steuer sei mit Ablauf der Nachversteuerungsfrist entstanden, da keine Wohnungen bezugsfertig errichtet worden seien. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 11 Satz 1 GrEStG für eine Unterbrechung der Nachversteuerungsfrist lägen nicht vor.

Mit ihrer Revision haben die Kläger ihre Klaganträge weiter verfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Das angefochtene Urteil unterliegt - wenn auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen (§ 118 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - der Aufhebung. Mangels Spruchreife ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung, weil nach den bisherigen Feststellungen des FG nicht völlig ausgeschlossen werden kann, daß der Nachversteuerungstatbestand möglicherweise bei Erlaß der Einspruchsentscheidungen noch nicht verwirklicht war und deshalb die Steuerbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen aufzuheben sind. Dieser Fall ist dann gegeben, wenn der Kaufvertrag vom 23. Juni 1972 der Genehmigung bedurfte, womit nach § 2 dieses Vertrages zu rechnen war, und wenn bei Erlaß der Einspruchsentscheidungen noch nicht fünf Jahre seit Wirksamwerden des Kaufvertrages verstrichen waren.

Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG beginnt zwar die Nachversteuerungsfrist mit dem Tag der Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung. Dieser Tag ist jedoch dann nicht maßgebend, wenn die Unbedenklichkeitsbescheinigung entgegen dem Sinn der Regelung des § 9 der Grunderwerbsteuer-Durchführungsverordnung - GrEStDV - (vgl. Boruttau-Klein-Egly-Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., § 9 GrEStDV Tz. 35b) bereits erteilt worden sein sollte, bevor ein genehmigungspflichtiger Kaufvertrag genehmigt worden ist. In diesem Falle hätte die Nachversteuerungsfrist erst mit Erteilung der Genehmigung begonnen. Die zivilrechtliche Rückwirkung der Genehmigung ist dabei unbeachtlich. Eine andere Auslegung des § 4 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG würde dem mit der Nachversteuerungsregelung verfolgten Zweck nicht entsprechen.

Durch die Nachversteuerungsfrist soll dem Erwerber eines Grundstückes eine ausreichende Frist nach dem Wirksamwerden des Erwerbsvorganges eingeräumt werden, innerhalb derer er den steuerbegünstigten Zweck zu verwirklichen hat, will er die Steuerfreiheit nicht verlieren. Die Nachversteuerungsfrist beginnt deshalb in den Fällen des § 4 Abs. 2 GrEStG 1940 mit dem grunderwerbsteuerrechtlichen Wirksamwerden des Erwerbsvorganges (vgl. das Urteil des Senates vom 18. Mai 1966 II 114/64, BFHE 86, 262, BStBl III 1966, 399). Wenn in Hessen für den Fristbeginn gegenüber der früher geltenden Regelung auf den Tag der Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Fristbeginn abgestellt wird, so ist aus dieser Rechtsänderung zu folgern, daß damit der Fristbeginn gegenüber der zuvor geltenden Regelung des § 4 Abs. 2 GrEStG 1940 hinausgeschoben werden sollte (vgl. hierzu auch das Urteil des Senates vom 27. August 1975 II R 40/73, BFHE 117, 99, 104, BStBl II 1976, 32). Es entspricht aber nicht diesem Zweck, auch dann auf den Tag der Unbedenklichkeitsbescheinigung abzustellen, wenn die Unbedenklichkeitsbescheinigung ausnahmsweise vor dem grunderwerbsteuerrechtlichen Wirksamwerden des Erwerbsvorganges erteilt wird.

Die Sache geht an das FG zurück, weil bisher nicht feststeht, wann der Kaufvertrag vom 23. Juni 1972 genehmigt worden ist und wann demgemäß der Lauf der Nachversteuerungsfrist begonnen hat. Der erkennende Senat vermag diese Feststellungen nicht nachzuholen, obwohl das FA in der Revisionsinstanz Angaben über die Erteilung der Bodenverkehrsgenehmigung durch die Landwirtschaftsbehörde gemacht hat.

Sollten die weiteren Feststellungen des FG ergeben, daß der Kaufvertrag mehr als fünf Jahre vor Erlaß der Einspruchsentscheidungen genehmigt worden ist, so könnten die Klagen allerdings keinen Erfolg haben. Denn die Steuerbescheide wären trotz ihrer ursprünglichen Rechtswidrigkeit jedenfalls in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen (vgl. § 44 Abs. 2 FGO) rechtmäßig. Das FA war auf Grund der eingelegten Einsprüche berechtigt und verpflichtet, die Sache in vollem Umfang erneut zu überprüfen ( § 367 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung). Es mußte deshalb ggf. in den Einspruchsentscheidungen auch berücksichtigen, daß der Steuertatbestand inzwischen verwirklicht worden ist (vgl. auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 1975 IV C 73.73, BVerwGE 48, 248). Dies hätte allerdings der Rechtsklarheit wegen in den Einspruchsentscheidungen zum Ausdruck gebracht werden müssen. Ggf. wird das FG diese Klarstellung in seiner Entscheidung vornehmen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413657

BStBl II 1981, 737

BFHE 1981, 54

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