Leitsatz (amtlich)

Ist in einem Vermögensübergabevertrag, in dem sich der Sohn seiner Mutter gegenüber verpflichtet, sie durch laufende Zahlungen in bestimmter Höhe zu versorgen, ausdrücklich bestimmt, daß "eine Änderung nach § 323 ZPO nicht ausgeschlossen ist", so fehlt den Zahlungen i. d. R. das Merkmal der Gleichmäßigkeit. Es handelt sich dann nicht um Leibrenten, sondern um dauernde Lasten, und zwar unabhängig davon, ob die Parteien mit einer Änderung der Zahlungen konkret gerechnet haben.

 

Normenkette

EStG 1971 § 10 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Ehemann (Kläger) ist an einer Kommanditgesellschaft beteiligt. Ein Teil seines Kommanditanteils, nämlich ein Anteil von 110 000 DM, ist ihm durch notariellen Vertrag vom 1. Februar 1972 mit Wirkung vom 1. Januar 1972 von seiner Mutter übertragen worden. Er verpflichtete sich dafür in § 2 des Vertrages, ab 1. Januar 1972 seiner Mutter auf Lebensdauer eine monatliche Rente von 1 500 DM zu zahlen, außerdem sie von allen ab 1. Januar 1972 fällig werdenden Ertragsteuern freizustellen. Hinsichtlich dieser Leistungen unterwarf er sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Der Vertrag enthält ferner eine am Lebenshaltungskostenindex orientierte Wertsicherungsklausel und außerdem den Hinweis, daß bei der Berechnung der Rente nicht vom Wert des übertragenen Kommanditanteils ausgegangen worden sei, die Rente vielmehr Versorgungscharakter haben solle. Dazu wurde "ausdrücklich ... vereinbart, daß eine Änderung der Rente gemäß § 323 ZPO nicht ausgeschlossen ist".

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1972 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die vom Kläger für seine Mutter erbrachten Leistungen unterschiedlich. Einen Teil, nämlich Steuerzahlungen von 22 321 DM, ließ das FA als dauernde Last in voller Höhe zum Sonderausgabenabzug zu. Die monatlichen Zahlungen von 1 500 DM beurteilte es dagegen als Leibrente und erkannte insoweit nur Sonderausgaben in Höhe des Ertragsanteils von 12 v. H. an. Demgegenüber begehrten die Kläger den vollen Abzug als Sonderausgaben. Sie hatten insoweit jedoch weder mit ihrem Einspruch noch mit ihrer Klage Erfolg.

Auch das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 476 (EFG 1977, 476) veröffentlicht ist, nahm an, daß die monatlichen Zahlungen als Leibrente geleistet worden seien. Sie beruhten auf einem Rentenstammrecht und würden in bestimmten regelmäßig wiederkehrenden, gleichmäßigen Beträgen auf Lebenszeit der Berechtigten erbracht. Der Charakter als Leibrente werde weder durch die Wertsicherungsklausel noch durch den Umstand berührt, daß die Partner des Vertrages vom 1. Februar 1972 die Geltung des § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) im Hinblick auf die Rentenzahlungen ausdrücklich vereinbart hätten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 1. August 1975 VI R 48/73, BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881) sei bei der Abgrenzung von Leibrenten und dauernden Lasten darauf abzustellen, ob die Leistungen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und des Unterhaltsbedürfnisses des Berechtigten abänderbar seien. Diese Abänderbarkeit werde bei reinen Unterhaltsrenten unterstellt, wenn nicht das Gegenteil ausdrücklich vereinbart sei; bei Vermögensübergabeverträgen werde eine die Annahme einer dauernden Last rechtfertigende Abänderbarkeit jedoch nur angenommen, wenn sie eindeutig vereinbart sei. Im Streitfall handle es sich um einen solchen Übergabevertrag, in den auch eindeutig ein Abänderungsvorbehalt aufgenommen worden sei. Gleichwohl halte es das Gericht nach Würdigung der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen nicht für erwiesen, daß nach dem wirklichen Willen der Beteiligten die Abänderbarkeit ernstlich in Betracht komme. So spreche z. B. gerade die Wertsicherungsklausel für eine gewollte Gleichmäßigkeit der Leistungen. Da der Kläger erhebliches Vermögen übernommen habe, richte sich die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung nicht allein nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit. Die Leistungen könnten schon aus den Erträgnissen des übernommenen Vermögens erbracht werden, so daß mit einem Verfall der Leistungsfähigkeit nicht zu rechnen sei. Andererseits sei auch bei der Berechtigten angesichts der wertgesicherten Monatsbeträge eine Änderung der Bedürfnisse nicht zu erwarten. Bei dieser Sachlage könne mangels konkreter Anhaltspunkte dafür, unter welchen Umständen eine Anpassung der Zahlungen gewollt sei, der rein formale Hinweis auf § 323 ZPO nicht zu der Annahme führen, daß hier tatsächlich die Möglichkeit einer Abänderbarkeit der vereinbarten Rentenzahlungen ernsthaft in Betracht gezogen worden sei.

Mit der Revision wird Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 1971 (im folgenden nur: EStG) gerügt und ausgeführt, der ausdrückliche und eindeutige Hinweis auf § 323 ZPO, dessen Anwendung zwingend eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetze, müsse genügen.

Die Kläger beantragen, die laufenden Zahlungen von jährlich insgesamt 18 000 DM in voller Höhe als Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen.

Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

1. Das FG hat die Grundsätze, nach denen die Rechtsprechung des BFH laufende, auf die Lebenszeit des Berechtigten vereinbarte Leistungen je nach den Umständen des Falles mit unterschiedlicher steuerlicher Auswirkung beurteilt, zutreffend wiedergegeben. Da im Streitfall, worauf im Vertrag vom 1. Februar 1972 auch ausdrücklich hingewiesen wurde, die von den Vertragsparteien übernommenen Leistungen und Gegenleistungen sich nicht ausgewogen gegenüberstehen und daher eine Veräußerungsrente ausscheidet, ist das FG mit Recht von sogenannten Übergabevertragsleistungen ausgegangen, die zwar nicht eine kongruente Gegenleistung für überlassene Vermögensgegenstände darstellen, die aber, auch wenn die Versorgung des Übergebers eine Rolle spielt, im Gegensatz zu den reinen Unterhaltsleistungen nicht auf der gesetzlichen Unterhaltspflicht, sondern auf dem Übergabevertrag beruhen (vgl. Urteil in BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881). Da im Streitfall der Wert des übertragenen Vermögens im Vergleich zur übernommenen Versorgungsverpflichtung nicht unverhältnismäßig gering ist, steht damit die Regelung in § 12 Nr. 2 EStG einem Abzug der Leistungen beim Verpflichteten, dem Kläger, als Sonderausgaben dem Grunde nach nicht entgegen.

2. Bei der nun zu entscheidenden Frage, ob die auf einem besonderen Verpflichtungsgrund, nämlich dem notariellen Vertrag vom 1. Februar 1972, beruhenden Leistungen des Klägers als dauernde Last voll (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder als Leibrente nur mit dem Ertragsanteil (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) abzugsfähig sind, ist mit dem FG davon auszugehen, daß der Kläger sich im Vertrag vom 1. Februar 1972 zu verschiedenartigen Leistungen, nämlich neben den laufenden Monatszahlungen zur Übernahme der von seiner Mutter zu zahlenden Ertragsteuern verpflichtet hat und daß jedenfalls hinsichtlich der Steuerzahlungen eine dauernde Last gegeben ist. Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Leibrenten und dauernden Lasten ist der bürgerlich-rechtliche Begriff der Leibrente (§ 759 BGB), dessen Voraussetzungen nur erfüllt sind, wenn aufgrund eines dem Berechtigten eingeräumten Stammrechts regelmäßig wiederkehrende Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen in bestimmter Höhe erbracht werden. Keine Leibrenten, sondern dauernde Lasten liegen daher vor, wenn den Leistungen das Merkmal der Gleichmäßigkeit fehlt. Das ist auch dann der Fall, wenn die Leistungen von den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnissen des Gebers oder des Empfängers oder von variablen Bemessungsgrundlagen (z. B. Umsatz oder Gewinn) abhängig, also veränderbar sind (Urteile in BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881, und vom 3. Dezember 1964 IV 99/62 U, BFHE 81, 458, BStBl III 1965, 166).

Den vom Kläger übernommenen Steuerzahlungen fehlt das Merkmal der Gleichmäßigkeit. Sie sind daher als dauernde Last zu behandeln.

3. Bei den aufgrund des Übergabevertrages zu leistenden monatlichen Zahlungen fehlt jedoch entgegen der Auffassung der Vorinstanz dieses Merkmal der Gleichmäßigkeit ebenfalls. Dies folgt aus der Bezugnahme auf § 323 ZPO im Vertrag vom 1. Februar 1972.

Das FG hat zwar auch hier wiederum nicht verkannt, welche Bedeutung einer solchen Bezugnahme nach der Rechtsprechung bei der Abgrenzung von Renten und dauernden Lasten zukommen kann, und es hat auch ausdrücklich auf das Urteil des Senats in BFHE 116, 501, BStBl II 1975, 881, hingewiesen, wonach die Entscheidung, ob statt einer Rente eine dauernde Last gegeben ist, davon abhängt, daß sich aus dem Übergabevertrag eindeutig die Vereinbarung der Abänderbarkeit der Geldrente entsprechend dem Rechtsgedanken des § 323 ZPO ergibt. Es kann jedoch der Vorinstanz nicht darin gefolgt werden, daß diese Abänderbarkeit im Streitfall zu verneinen ist.

Dem FG ist hier schon im Ausgangspunkt nicht beizupflichten, wenn es annimmt, eine Abänderbarkeit im Sinne von § 323 ZPO sei nur gegeben oder jedenfalls nur relevant, wenn eine Abänderung der laufenden Zahlungen nach der Vorstellung der Vertragspartner des Übernahmevertrages auch ernsthaft in Betracht kommt. Wie die Revision mit Recht einwendet, genügt allein die Möglichkeit, daß die laufenden Zahlungen - von den lediglich wertstabilisierenden, durch eine Wertsicherungsklausel erfaßten Anpassungen abgesehen - den veränderten Verhältnissen beim Berechtigten oder Verpflichteten angepaßt werden können. Ob die Vertragspartner mit einer solchen Anpassung bei Vertragsabschluß schon konkret rechnen, rechnen können oder rechnen müssen, ist unerheblich. Die Gewinnentwicklung in der Kommanditgesellschaft vor und nach dem Erwerb des Kommanditanteils durch den Kläger spielt daher ebensowenig eine Rolle wie die Frage, ob damit zu rechnen war, daß der Kläger die laufenden Zahlungen an seine Mutter aus dem Ertrag des übernommenen Vermögens würde leisten können. Die Gewinnsituation bei der Kommanditgesellschaft zählt lediglich zu den die Leistungsfähigkeit des Klägers beeinflussenden Faktoren. Deren Gesamtheit ist ebenso wie die Gesamtheit der für die Verhältnisse der Berechtigten maßgebenden Faktoren zur Beurteilung seiner Bedürftigkeit, zu denen dann auch nicht nur die laufenden Zahlungen aufgrund des Übernahmevertrages gehören, entscheidend dafür, ob die Voraussetzungen einer Abänderbarkeit vorliegen oder nicht. - Das Institut der Abänderungsklage entspringt gerade der Erkenntnis, daß bei auf längere Dauer geschuldeten laufenden Zahlungen die Entwicklung der Verhältnisse nicht vorhersehbar ist. Dann sind aber eben auch die Umstände, die zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 323 ZPO führen, nicht vorhersehbar. Aus der Tatsache, daß im Streitfall die Vertragsparteien die Umstände, unter denen eine Anpassung der laufenden Zahlungen hätte eintreten sollen, nicht konkret bezeichnet haben, durfte das FG daher nicht folgern, daß eine Anpassung nicht gewollt gewesen sei. Die ausdrückliche Bezugnahme auf § 323 ZPO, noch dazu in einem Vertrag im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, auf den die Abänderungsklage sogar ausdrücklich nach dem Gesetz für anwendbar erklärt ist (§ 323 Abs. 4 ZPO), läßt die laufenden Zahlungen nicht mehr als unter dem für Leibrenten maßgeblichen Postulat der gleichmäßig wiederkehrenden Leistungen stehend erscheinen. Sie sind deshalb als dauernde Last voll nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig.

Daß dieses Ergebnis durch bloße Bezugnahme auf § 323 ZPO frei gestaltbar erscheint, muß, solange der Gesetzgeber keine befriedigendere und mehr der Steuervereinfachung dienende Lösung findet (vgl. hierzu Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Heft 17 der Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, II ESt, LSt, Rdnrn. 409f.; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 12. Aufl., § 10 Rdnr. 20; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 10 IV 3 am Ende; Biergans/v. Stotzingen, Raten, Renten, andere wiederkehrende Leistungen, S. 235f.), hingenommen werden, wenn - wie hier - von einem Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. § 6 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -) nicht die Rede sein kann.

4. Die Vorentscheidung, die von anderen rechtlichen Überlegungen ausgegangen ist, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Sonderausgabenabzug ist um den Betrag der laufenden Zahlungen von 18 000 DM abzüglich des bereits berücksichtigten Ertragsanteils von 12 v. H. (2 160 DM), somit um 15 840 DM, zu erhöhen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73576

BStBl II 1980, 573

BFHE 1980, 520

NJW 1980, 2488

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