Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit der Vorschrift des § 10 Abs.1 Satz 3 UStG 1980 - Leistungsaustausch bei Überlassung von beruflich genutzten Räumen im Interesse eines Dritten zwischen Grundstückseigentümern und Dritten

 

Leitsatz (amtlich)

Zahlt ein Apotheker einem Hauseigentümer dafür etwas, daß dieser Praxisräume einem Arzt (mietweise oder unentgeltlich) überläßt, kann zwischen dem Apotheker und dem Hauseigentümer ein eigener Leistungsaustausch vorliegen.

 

Orientierungssatz

1. Der Hauseigentümer erbringt dadurch, daß er im Interesse des Apothekers (Umsatzsicherung) Praxisräume an den vom Apotheker benannten Arzt zu einem geringen Mietpreis vermietet, auf gesonderter Vereinbarung mit dem Apotheker beruhende sonstige Leistungen an den Apotheker, der dafür ein Entgelt zuzüglich Umsatzsteuer an den Hauseigentümer zahlt. Der Apotheker kann somit die insoweit gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen. Bei den Zahlungen des Apothekers an den Hauseigentümer handelt es sich nicht um Entgelt für Leistungen des Hauseigentümers an den Arzt.

2. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980 kommt in der Regel nur dann zum Zuge, wenn ein unmittelbarer Leistungsaustausch zwischen dem Leistenden und dem Zahlenden zu verneinen ist.

 

Normenkette

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9, § 10 Abs. 1 S. 3, § 15 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb in I eine Apotheke. In unmittelbarer Nähe der Apotheke befand sich das Haus W. Eigentümer des Hauses W waren die Eheleute S, mit denen die Klägerin seit längerem bekannt war. Im Jahre 1981 erfuhr die Klägerin, daß dort Räume zu vermieten seien, die sich als Arztpraxen eigneten, daß die Eheleute Dres. H sich um die Räume bemühten, daß diese aber bis Ende 1982 anderweitig Praxisräume gemietet hätten und eine Doppelmietzahlung nicht in Frage komme. Die Klägerin zeigte sich daran interessiert, daß die Eheleute Dres. H ihre Arztpraxen in das Haus W verlegten. Dem zunächst vorgetragenen Wunsch der Eheleute S, daß die Klägerin die Räume im eigenen Namen anmiete und sodann an Ärzte ihrer Wahl untervermiete, wollte diese jedoch nicht entsprechen, da sie ihre Apotheke gepachtet hatte, der Pachtvertrag --falls er nicht verlängert werde-- zum 30.September 1983 endete und sie kein weitergehendes Risiko eingehen wollte. Man einigte sich deshalb dahin, daß die Eheleute Dres. H die Praxisräume von S anmieteten und die Klägerin an S zusätzliche Zahlungen leiste.

Die Eheleute Dres. H "mieteten" die Praxisräume mit Vertrag vom 26./28.September 1981 ab dem 1.Januar 1982 für die Dauer von elf Jahren. Mietzahlungen sollten erst ab dem 1.Dezember 1982 erfolgen. Die vereinbarte Miete (ohne Umsatzsteuer) betrug vom 1.Dezember 1982 an 1 792 DM und vom 1.Dezember 1984 an 2 644 DM.

Zusätzlich zahlte die Klägerin an S für die Zeit vom 1.Dezember 1981 bis 31.Dezember 1982 33 152 DM "Miete" und 4 309,76 DM Umsatzsteuer. Dem lag eine Vereinbarung zwischen der Klägerin und S zugrunde, die am 30.Oktober 1981 von den Vertragsparteien wie folgt schriftlich festgehalten wurde:

"Vereinbarung zum Mietvertrag

mit Frau Dr. H und Herrn H,

(nachfolgend auch mit --a-- bezeichnet),

Frau J,

(nachfolgend mit --b-- bezeichnet),

Frau S und Herr S,

(nachfolgend mit --c-- bezeichnet).

Die Parteien sind sich über folgende Punkte einig:

1. Für die Mieter (a) übernimmt (b) ab

bis zum 30.November 1982 die volle Monatsmiete für

224 qm a 12 DM/qm = 2 688 DM.

Wenn die Arztpraxis bis zum 15. eines Monats eröffnet

wird, übernimmt (b) für die unter (a) aufgeführten

Mieter die volle Miete für 224 qm a 12 DM/qm =

2 688 DM, vom 15. bis 31. eines Monats reduziert sich

die Miete auf die Hälfte.

2. Ab 1.Dezember 1982 ermäßigt sich der zu zahlende Anteil

für (b) auf 4 DM/qm = 896 DM monatlich.

Ab 1.Dezember 1984 zahlt (b) zur jeweils gültigen

Miete (ohne Nebenkosten) einen 10%igen Zuschuß. Der

Betrag für (b) wird, ausgehend von der von (a) zu

zahlenden Miete, zunächst 246,40 DM monatlich betragen.

Der Zuschuß erhöht sich um die jeweils gesetzliche

Mehrwertsteuer.

3. Der Mietvertrag zwischen (a) und (b) "(gemeint wohl: c)"

ist bis zum 30.Dezember 1992 fest abgeschlossen. Es ist

eine Kündigung von 12 Monaten vorgesehen, wobei ein

Optionsrecht von mindestens 5 Jahren fest vereinbart ist.

Der Inhalt des Mietvertrages ist (b) bekannt.

4. Auch der Inhalt der Mietgleitklausel im Vertrag

zwischen (a) und (c) ist (b) bekannt.

5. Diese Vereinbarung endet, sobald

a) im Umkreis von 50 m, bezogen auf die Praxisräume

Dres. H im Hause W,

eine neue Apotheke eröffnet wird

oder

b) die Arztpraxis Dres. H in den vorerwähnten

Räumen nicht mehr betrieben wird

oder

c) der Umsatz von (b) im Halbjahresdurchschnitt

gerechnet, um mehr als 15 % zurückgeht.

In den Fällen a) und b) endet die Vereinbarung mit

Ablauf des Monats, in den das fragliche Ereignis

fällt.

Im Fall c) endet die Vereinbarung mit Ablauf des

Monats, in dem (c) den Nachweis über den Umsatzrückgang

erbringt.

6. Sämtliche Zahlungen sind spätestens bis zum 3. eines

jeden Monats im voraus an (c) fällig.

7. Diese Vereinbarung ist auf eventuelle Rechtsnachfolger

aller Vertragspartner verbindlich.

.........."

Dieser Vertragsfassung war ein ähnlicher Entwurf vom 22.September 1981 vorausgegangen, den die Klägerin aber nicht unterschrieb, weil sie erst wegen Verlängerung ihres Pachtvertrages mit der Verpächterin verhandeln wollte.

Die Klägerin hat die an S gezahlte Umsatzsteuer von 4 309,76 DM als Vorsteuer abgezogen.

Nachdem der Revisionskläger und Beklagte (das Finanzamt --FA--) von dem Sachverhalt aufgrund einer Betriebsprüfung erfahren hatte, änderte er die Umsatzsteuer-Veranlagung für 1982, indem er die Vorsteuern um den Betrag von 4 309,76 DM kürzte. Das FA meinte, die Zahlungen der Klägerin seien das Entgelt dafür, daß die Eheleute Dres. H sich in unmittelbarer Nähe ihrer Apotheke niedergelassen hätten. Es liege also eine Leistung der Eheleute Dres. H vor und keine Leistung der Eheleute S an die Klägerin. Ihre Zahlungen seien "aus berufsethischen Gründen" im abgekürzten Zahlungsweg direkt an die Hauseigentümer S erfolgt.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah eine an die Klägerin erbrachte Leistung der Eheleute S darin, daß sie den Mietvertrag mit den Eheleuten Dres. H im September 1981 unter den dort vereinbarten Bedingungen abschlossen und damit auf den Abschluß eines Mietvertrages zu marktgerechten Bedingungen mit anderen Mietinteressenten verzichteten.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Es meint, zwischen den Leistungen aufgrund der Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag und den Leistungen aufgrund des Mietvertrages bestehe eine wirtschaftliche Verknüpfung. Keiner der beiden Verträge ergebe für sich betrachtet einen wirtschaftlichen Sinn. Die beiden Verträge seien in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Bei dieser Sachlage sei davon auszugehen, daß beide Verträge nur einen Leistungsaustausch regelten, und zwar den Leistungsaustausch zwischen den Vermietern S und den Ärzten Dres. H. Die Ärzte mieteten die Praxisräume, die Vermieter erhielten das hierfür zu zahlende Entgelt von zwei Parteien. Bei den Zahlungen der Klägerin handele es sich um Leistungen an die Ärzte Dres. H, die aus berufsethischen Gründen direkt an die Vermieter S entrichtet worden seien. Daß diese Zahlungsvereinbarungen mit den Ärzten Dres. H abgesprochen worden seien, ergebe sich aus den Regelungen der Zusatzvereinbarung. Nach alledem liege den in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträgen keine Leistung des Vermieters an die Klägerin zugrunde. Diese könne die Umsatzsteuer deshalb nicht als Vorsteuer abziehen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

Nach § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind in der Person der Klägerin erfüllt. Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß die Eheleute S an die Klägerin eine sonstige Leistung i.S. des § 1 Abs.1 Nr.1, § 3 Abs.9 UStG 1980 für deren Unternehmen erbracht haben und die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei der Klägerin nach § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 gegeben sind.

Nach § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 unterliegen Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Erhebungsgebiet gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind; sie können auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustandes bestehen (§ 3 Abs.9 UStG 1980).

Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen die Schlußfolgerung, daß die Eheleute S der Klägerin für ihr Unternehmen eine derartige Leistung erbracht haben, indem sie die Praxisräume den Eheleuten Dres. H für deren Arztpraxis zur Verfügung stellten.

1. Die Eheleute S haben gegenüber der Klägerin eine Leistung i.S. des § 1 Abs.1 Nr.1, § 3 Abs.9 UStG 1980 ausgeführt. Sie haben auf Bitten und im Interesse der Klägerin die Praxisräume den Eheleuten Dres. H zunächst ohne jede Mietzahlung und sodann gegen ein unterhalb der erzielbaren Miete liegendes Entgelt überlassen. Von dieser Überlassung versprach sich die Klägerin eine Sicherung der Umsätze ihrer Apotheke.

2. Die Leistung erfolgte auch gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 gegen Entgelt. Es lag ein Leistungsaustausch vor.

Ein Leistungsaustausch ist insbesondere dann anzunehmen, wenn das Verhalten des Leistenden auf den Erhalt der Gegenleistung im Austausch gegen die erbrachte Leistung abzielt. Dies ist bei gegenseitigen Verträgen der Fall. Darüber hinaus ist eine entgeltliche Leistung i.S. des § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 aber auch in sonstigen Fällen zu bejahen, in denen der Leistende eine Gegenleistung erwartet oder eine Leistung erbringt, die ihrer Art nach üblicherweise vergütet wird oder nach den Umständen eine Vergütung erwarten läßt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7.Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495).

Im Streitfall haben die Eheleute S ihre Leistung an die Klägerin erbracht, um das in der Vereinbarung vom 30.Oktober 1981 festgesetzte Entgelt zu erhalten. Ob in dieser Vereinbarung ein gegenseitiger Vertrag i.S. der §§ 320 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gesehen werden kann, ist nach den vorstehenden Grundsätzen unerheblich.

3. Die von der Klägerin geleisteten Zahlungen sind auch gemäß § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 das Entgelt für die an sie erbrachte Leistung und nicht gemäß § 10 Abs.1 Satz 3 UStG 1980 Entgelt für die an die Eheleute Dres. H erbrachte (Vermietungs-)Leistung. Nach § 10 Abs.1 Satz 2 UStG 1980 ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten (abzüglich der Umsatzsteuer). Nach § 10 Abs.1 Satz 3 UStG 1980 gehört zum Entgelt auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. Die letztgenannte Vorschrift kommt in der Regel nur dann zum Zuge, wenn ein unmittelbarer Leistungsaustausch zwischen dem Leistenden (hier den Eheleuten S) und dem Zahlenden (hier der Klägerin) zu verneinen ist. Er ist im Streitfall zu bejahen (vgl. oben unter II.1. und 2.).

Nach denselben Grundsätzen hat der BFH bereits im Urteil vom 24.Februar 1972 V R 90/68 (BFHE 105, 190, BStBl II 1972, 558) entschieden. Dort ging es um den Zuschuß einer "Firma" an einen Großhändler für den Vertrieb von Zündholzschachteln mit Werbeetiketten der Zuschußgeberin. Auch hier bejahte der BFH einen eigenen Leistungsaustausch zwischen dem Großhändler und der Zuschußgeberin neben den Umsätzen an die Käufer der Zündholzschachteln. Er führte dazu aus, die Frage, ob ein Zuschuß Einkaufsverbilligung oder Preisauffüllung sei, stelle sich erst, wenn ein unmittelbarer Leistungsaustausch zwischen dem bezuschußten Unternehmen und dem Zuschußgeber zu verneinen sei.

4. Entgegen der Auffassung des FA ist es unerheblich, daß der Mietvertrag mit den Eheleute Dres. H und die Vereinbarung mit der Klägerin aufeinander abgestimmt sind und wirtschaftlich miteinander zusammenhängen. Gleichwohl haben die Eheleute S sowohl an die Eheleute Dres. H eine Leistung erbracht (nämlich die Gebrauchsüberlassung der Räume) als auch an die Klägerin. Daß die Leistungen miteinander zusammenhängen, hindert die Annahme zweier Leistungen an verschiedene Leistungsempfänger nicht (vgl. BFH in BFHE 105, 190, BStBl II 1972, 558).

5. Dem FA ist auch nicht darin zu folgen, daß es sich bei den Zahlungen der Klägerin um Leistungen an die Eheleute Dres. H gehandelt habe. Rechtsgrund für die Zahlungen der Klägerin war nicht eine Vereinbarung der Klägerin mit den Eheleuten Dres. H, sondern die Vereinbarung mit den Eheleuten S. Sie begründet den Leistungsaustausch zwischen den Eheleuten S und der Klägerin.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64275

BFH/NV 1992, 63

BStBl II 1992, 705

BFHE 167, 567

BFHE 1992, 567

BB 1992, 1482 (L)

DB 1992, 1612 (L)

DStR 1992, 1283 (KT)

HFR 1992, 487 (LT)

StE 1992, 426 (K)

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