Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Vorräten, deren Absatz und Preis durch Behörden geregelt sind, kann wegen Sonderkosten, die durch Lagerung entstehen, ein unter den Herstellungskosten liegender Teilwert nicht anerkannt werden, solange bei der späteren Veräußerung der Vorräte die Selbstkosten (Herstellungskosten zuzüglich der Vertriebskosten) noch erzielt werden können.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Ziff. 2

 

Tatbestand

Streitig ist die Bewertung von Weißzucker in der Bilanz der Zuckerfabrik K. (Bfin.) für das Geschäftsjahr 1958. Die Bfin. hatte für einen Vorrat von 23 465 dz Zucker einen Wertabschlag von 9,70 DM/dz von den Herstellungskosten (70,70 ./. 9,70 = 61 DM/dz) gemacht, den sie wie folgt begründete:

Der Verkauf des Zuckers richte sich nach den vom Bundesernährungsministerium nach Maßgabe des Inlandsverbrauchs gesteuerten Freigabequoten. Die Quote für das Zuckerwirtschaftsjahr 1958/1959 (1. Oktober 1958 bis 30. September 1959) habe das Ministerium mit Verfügung vom 23. Januar 1959 auf 85 v. H. der Erzeugung festgesetzt (= dz 132 971 von dz 156 437 erzeugten Zuckers der Kampagne 1958). Mit der gleichen Absatzmenge (dz 132 971) habe sie auch für das Zuckerwirtschaftsjahr 1959/1960 rechnen müssen, so daß bei einer normalen Ernte 1959 der Zuckervorrat weiter angestiegen wäre. Sie - die Bfin. - habe deshalb damit rechnen müssen, daß sie den sogenannten übervorratszucker in absehbarer Zeit nicht werde verkaufen können, ihn mit Rücksicht auf die Freimachung ihrer Läger für die kommende Kampagne werde auslagern müssen, was Frachten, Ein- und Ausgangskosten, Versicherungen, Qualitätseinbußen und Schwund bedeute, und außerdem Zinsverluste hinzunehmen habe. Eine Einschränkung der Erzeugung im Zuckerwirtschaftsjahr 1958/1959 hätte dem übervorrat nicht wirksam begegnen können, vielmehr nur die fixen Kosten je Erzeugereinheit für mehrere Jahre erhöht und den Betrieb unrentabel gemacht. Sie habe angesichts eines durchschnittlichen Verkaufspreises von 84,98 DM/dz für diesen Teil ihrer Vorräte infolge der Verkaufssperre mit 10,46 DM direkten Belastungen je dz zu rechnen. Dazu komme für die erneute Aufarbeitung des Lagerzuckers 1 DM/dz sowie - bei entsprechender Einschränkung der Erzeugung in der Folgezeit zwecks Abbau des übervorrats - ein allgemeiner Mehrkostenanteil von 28 DM/dz. Nach handelsrechtlichen Grundsätzen habe sie danach bei der Bewertung des übervorrats um 39 DM unter dem Verkaufspreis (85 DM/dz) zu bleiben, während sie mit ihrer Bewertung (61 DM/dz) diesen nur um 24 DM je dz unterschritten habe.

Das Finanzamt hat den Abschlag nicht anerkannt; im Einspruchsverfahren wurde eine Kürzung von 5 v. H. der Herstellungskosten zugelassen. Das Finanzgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt, der durch § 6 Abs. 1 Ziff. 2 EStG für das Umlaufvermögen zugelassene niedrigere Teilwert finde seinen Platz zwischen den Anschaffungs- oder Herstellungskosten einerseits und dem Einzelverkaufspreis (Verkehrswert, gemeiner Wert) andererseits. Für die Frage, ob und wann sich der Teilwert von Waren mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten deckt, habe der Reichsfinanzhof im Urteil III 74/39 vom 4. Juni 1940 (RStBl 1940 S. 1067, Slg. Bd. 48 S. 330) auch heute noch gültige Richtlinien aufgestellt. Die Bfin. dürfe aber nicht gleich gute Erträge für die späteren Jahre im Voraus kalkulieren, da man als Faustregel auf je drei Jahre eine Mißernte in Rechnung stellen müsse. In der Zeit von etwa Anfang Dezember 1958 bis Ende Januar 1959 sei mangels eines Börsen- oder Marktpreises für Zucker nichts erkennbar gewesen, was bei der Ermittlung des Teilwerts als unter den Herstellungskosten gelegen berücksichtigt werden müßte oder könnte. Auch bei vorsichtigster Bewertung habe die Bfin. nicht mehr als die auf zunächst ein Jahr berechneten direkten Belastungen, d. h. 11,46 DM/dz als Abschlag vom Erlös in Abzug bringen können.

Mit der Rb. wird u. a. vorgetragen, bei Warenvorräten sei das in § 6 Abs. 1 Ziff. 2 EStG vorgesehene Wahlrecht zwischen den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und dem niedrigeren Teilwert nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuüben; die Bfin. dürfe darum statt der Herstellungskosten den Teilwert oder einen zwischen diesen Werten liegenden Betrag in ihre Bilanz einsetzen. Das Finanzgericht verkenne, daß der Teilwert im Bewertungsrecht und Einkommensteuerrecht - unabhängig von der gleichartigen Begriffsbestimmung - ein anderer sei. Es sei unrichtig, die Herstellungskosten auch für den übervorratszucker (Zucker ohne Inlandsabsatzrecht) anzusetzen. Der Wert des übervorratszuckers müsse unter den Herstellungskosten von 70,70 DM/dz liegen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Bfin. zur Frage des Teilwerts u. a. auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 137/59 U vom 29. November 1960 (BStBl 1961 III S. 154, Slg. Bd. 72 S. 416) hingewiesen und betont, bei der Errechnung des Teilwerts müsse dem fiktiven Erwerber eine Gewinnspanne zugebilligt werden. Man müsse sich den fiktiven Erwerber als einen kapitalkräftigen Mann vorstellen, der nicht gezwungen sei, eine Zuckerfabrik zu kaufen, sondern sein Kapital nach freiem Ermessen anlege. Das werde er nur tun, wenn er sich von der Kapitalanlage auch einen Gewinn verspreche. Der Vorsteher des Finanzamts hat u. a. ausgeführt, die den Zuckerfabriken entstandenen Mehrkosten für die Finanzierung und die Auslagerung der am 1. Oktober 1959 nicht freigegebenen Bestände seien nach den "Richtlinien für die Erstattung von Lager- und Finanzierungskosten im Zuckerwirtschaftsjahr 1959/1960 für nicht freigegebene Bestände an Zucker aus inländischen Zuckerrüben der Ernte 1958/59 am 1. Oktober 1959" erstattet worden. Die hier geltend gemachten Lager- und Finanzierungskosten verminderten nur die Gewinnspanne und könnten sich nur im Geschäftswert niederschlagen; sie beeinflußten aber nicht den Wert der einzelnen Gegenstände des Betriebsvermögens.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß nach § 6 Abs. 1 Ziff. 2 EStG der Zucker als Umlaufvermögen mit den Herstellungskosten oder mit dem niedrigeren Teilwert anzusetzen ist. Der Begriff "Teilwert" ist in § 6 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 3 EStG mit den gleichen Worten umschrieben wie im § 12 BewG. Es besteht kein Anlaß, dem Begriff für die Einkommensteuer eine andere Bedeutung beizulegen als im BewG; die Bfin. rügt darum zu Unrecht, das Finanzgericht habe Rechtssprüche, die zum BewG ergangen sind, zur Grundlage seiner Rechtsfindung gemacht.

Der Teilwert ist ein objektiver Wert, der auf der allgemeinen Auffassung beruht, die in der Marktlage am Bilanzstichtag ihren Ausdruck findet; er muß einer Nachprüfung aller Umstände nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung standhalten (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 556/54 U vom 26. Januar 1956, BStBl 1956 III S. 113, Slg. Bd. 62 S. 305).

Die Herstellungskosten bilden handels- und dadurch auch steuerrechtlich den Höchstwert, der zur Vermeidung eines nichtrealisierten Gewinnes nicht überschritten werden darf. Es ist dem Finanzgericht darin beizutreten, daß ein niedrigerer Wert als der Herstellungspreis angesetzt werden muß, wenn der Börsen- oder Marktpreis oder der Einzelveräußerungspreis niedriger wird als der Herstellungspreis. Der Börsen- oder Marktpreis kann hier nicht herangezogen werden, weil Zucker nur zu einem Festpreis gehandelt werden darf, also ein marktmäßig entwickelter Preis nicht besteht. Auch der Einzelveräußerungspreis zur Zeit der Bilanzaufstellung kann hier den Teilwert nicht bestimmen, weil es sich um Vorratszucker handelt, der wegen der Bewirtschaftung nicht verkauft werden durfte. Der Teilwert muß darum hier im Schätzungswege gefunden werden, wobei der künftig voraussichtlich erzielbare Preis im Rahmen des Verkaufs des ganzen Unternehmens berücksichtigt werden kann. Auch bei Zugrundelegung des Grundsatzes der Einzelbewertung darf bei Ermittlung des Teilwerts nicht unbeachtet bleiben, daß die Ware nur einen Teil des Gesamtbestandes des Vorratsvermögens des Betriebes darstellt.

Der Reichsfinanzhof hat im Urteil III 74/39 vom 4. Juni 1940 (RStBl 1940 S. 1067, Slg. Bd. 48 S. 330) ausgeführt, daß der Teilwert über die Herstellungskosten zu ermitteln ist, indem nach Feststellung der Herstellungskosten geprüft wird, ob der Teilwert den Herstellungskosten zuzüglich der Vertriebskosten (Selbstkosten) noch entspricht. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, kann dieser auch von künftigen Ereignissen beeinflußt werden, sofern diese in einem bereits am Bilanzstichtag vorliegenden Sachverhalt ihre Grundlage finden, nicht dagegen auch von solchen, die wegen der dem Geschäftsbetrieb eigentümlichen, mit ihm untrennbar verbundenen Risiken möglicherweise eintreten werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 99/56 U vom 4. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 16, Slg. Bd. 64 S. 43). In übereinstimmung mit dem III., IV. und VI. Senat ist an diesen Grundsätzen festzuhalten.

Die Herstellung und der Absatz von Zucker sind durch das Gesetz über den Verkehr mit Zucker (Zuckergesetz) vom 5. Januar 1951 (BGBl 1951 I S. 47) mit dem Zweiten Gesetz zur Ergänzung des Zuckergesetzes vom 9. August 1954 (BGBl 1954 I S. 255) geregelt. Danach dürfen u. a. Zuckerfabriken nur auf Grund von Freigaben Zucker abgeben. Die Abgabepreise werden von der Bundesregierung festgesetzt, um eine angemessene Preisgestaltung sicherzustellen (§§ 5, 6 des Zuckergesetzes). Der Bundesminister kann auch Auflagen zur Einlagerung von Zucker erteilen; die Kosten der Lagerhaltung sind in einem bestimmten Rahmen zu erstatten, soweit diese nicht bereits bei der Preisfestsetzung berücksichtigt sind (ß 5 Abs. 1 a des Zuckergesetzes). Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten des vorliegenden Falles kann der Bfin. nicht in der Ansicht gefolgt werden, daß durch die zusätzlichen Kosten der Lagerhaltung, des Transports, der Zinsverluste usw. ein unter den Selbstkosten liegender Teilwert gerechtfertigt ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Bfin. die tatsächliche Erstattung der Lager- und Finanzierungskosten für den hier in Rede stehenden Zuckerüberhang bei der Bilanzierung berücksichtigen konnte; denn die hierfür maßgeblichen Richtlinien sind erst im Jahre 1960, also erst nach Aufstellung der Bilanz 1958, ergangen, und es steht nicht fest, daß die Bfin. mit der Erstattung gerechnet hat, obwohl das Gesetz eine Erstattung vorsieht. Unabhängig von dieser Frage liegt der Teilwert des Vorratszuckers durch die späteren Kosten der Lagerhaltung usw. nicht unter den Selbstkosten. Durch das Zuckergesetz werden die Preise so festgesetzt, daß sie volkswirtschaftlich angemessen sind und den allgemeinen Marktverhältnissen entsprechen. Die aufzuwendenden Sonderkosten wirken sich darum auf die Gewinnspanne aus, die dem Unternehmen verbleibt. Diese Höhe der Gewinnspanne beeinflußt aber nicht den Teilwert der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens. Dem widerspricht nicht das von der Bfin. angeführte Urteil I 137/59 U (a. a. O.), das zur Ermittlung der Anschaffungskosten gestattet, von den ausgezeichneten Verkaufspreisen auszugehen und von diesen den feststellbaren Rohgewinnabschlag zu machen. Hier geht es nicht um die Ermittlung der Anschaffungskosten. Die Abhängigkeit des Gewinns von dem Umfang und der Qualität der Rübenernte ist ein den Zuckerfabriken eigentümliches Risiko und muß auch von einem gedachten Erwerber, der den Teilwert der Vorräte bestimmen soll, in Kauf genommen werden. Abgesehen davon, daß die in der Legaldefinition des Teilwerts zum Ausdruck gebrachte Erwerberfiktion nicht überspannt werden soll (vgl. Falkenroth in "Der Betriebs-Berater" 1957 S. 249; Hartz in "Der Betrieb" 1956 S. 780), müßte der Erwerber die gleichen Vorschriften des Zuckergesetzes beachten. Er müßte ebenfalls die Blockade des überhangs als eine in diesem Geschäftszweig normale Erscheinung betrachten und könnte in der Schaffung des übervorrats keine Fehlmaßnahme der Bfin. sehen. Teilwertabschreibung könnte demnach nur anerkannt werden, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag feststände, daß bei der späteren Veräußerung des Zuckers die Selbstkosten nicht mehr erreicht werden können. Durch eine Teilwertabschreibung oder durch die Bildung einer Rückstellung kann nur ein Verlust, nicht schon eine eintretende Minderung des Gewinns berücksichtigt werden.

Auch im übrigen bestehen gegen die Vorentscheidung keine Bedenken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411033

BStBl III 1964, 358

BFHE 1964, 346

BFHE 79, 346

BB 1964, 673

DB 1964, 938

DStR 1964, 357

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