Entscheidungsstichwort (Thema)

Organschaft

 

Leitsatz (NV)

1. Die Wirkung der Organschaft ist nicht auf Innenleistungen beschränkt.

2. Die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 ist mit dem Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz vereinbar.

 

Normenkette

UStG 1980 § 2 Abs. 2 Nr. 2; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2; GG Art. 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb eine ... -Fabrik. Seit Anfang 1973 verpachtete sie ihr gesamtes Anlagevermögen (u. a. das Fabrikgebäude und sämtliche Maschinen) an die GmbH (Betriebsunternehmen).

Die Klägerin war an dem Betriebsunternehmen zu rd. 96 v. H. beteiligt; ihr Geschäftsführer führte auch die Geschäfte des Betriebsunternehmens.

Am 16. Mai 1984 beantragte das Betriebsunternehmen die Eröffnung des Konkursverfahrens. Das Amtsgericht ordnete noch am selben Tage die Sequestration über das Vermögen des Betriebsunternehmens an; der Anschlußkonkurs wurde im Juni 1984 eröffnet.

Nachdem die Klägerin in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen bis zum Voranmeldungszeitraum März 1984 vom Vorliegen einer Organschaft i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 ausgegangen war, gab sie in den Jahreserklärungen für 1983 und 1984 (Streitjahre) nur noch die sie selbst betreffenden Umsätze und Vorsteuern an.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ging dagegen weiterhin vom Bestehen einer Organschaft zwischen der Klägerin und dem Betriebsunternehmen aus und setzte dementsprechend die Umsatzsteuer unter Einbeziehung der Umsätze und Vorsteuern des Betriebsunternehmens fest.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im einzelnen aus, daß das Betriebsunternehmen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert gewesen sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin macht in erster Linie geltend, die Wirkungen der Organschaft seien auf die Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG 1980 i. d. F. von Art. 14 Nr. 2 des Steuerbereinigungsgesetzes -- StBereinG -- 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735). Deshalb könnten ihr, der Klägerin, die Außenumsätze der Tochtergesellschaft nicht zugerechnet werden. Die herrschende Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980, der das FG gefolgt sei, widerspreche dem Grundgedanken der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 67/228/EWG), der Formstrenge bei der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs und der Ausstellung von Rechnungen sowie der Regelung der Leistungsbeziehungen im Europäischen Binnenmarkt. Sie stehe auch im Widerspruch zu der Möglichkeit, im Falle der Organschaft jeder juristischen Person eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu erteilen (§ 27a Abs. 1 Satz 4 UStG 1993).

Im übrigen bezweifelt die Klägerin, daß die weite Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 Gegenstand des in Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2, Art. 29 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) vorgesehenen Konsultationsverfahrens gewesen sei.

Die Ausdehnung der Wirkungen der Organschaft über die Innenumsätze hinaus, so macht die Klägerin ferner geltend, verstoße auch gegen Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980). Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980).

1. Die Klägerin hatte ein Unternehmen, dem die Betriebsgesellschaft eingegliedert war. Sie hatte bereits aufgrund ihrer ehemaligen Tätigkeit als ... ein Unternehmen; dieses hat sie durch die Verpachtung ihres Anlagevermögens weitergeführt.

Die Eingliederung einer Organgesellschaft scheitert nicht daran, daß das beherrschende Unternehmen keine eigene gewerbliche Tätigkeit (mehr) ausübt und keine eigenen Außenumsätze (mehr) bewirkt (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Januar 1988 V B 115/87, BFH/NV 1988, 471; BFH-Urteil vom 9. September 1993 V R 124/89, BFHE 172, 541, BStBl II 1994, 129, Kommentierte Finanz-Rechtsprechung F.7 UStG § 2, 2/94, S. 77 (Clausnitzer). Die gegenteilige Rechtsansicht des FG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 12. März 1987 3 K 246/86 (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1987, 430) ist vom BFH ausdrücklich abgelehnt worden (BFH in BFH/NV 1988, 471). Die übrige von der Klägerin in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung der Finanzgerichte besagt hierzu nichts.

Das Betriebsunternehmen war eine Organgesellschaft i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980. Sie war eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH. Die finanzielle und organisatorische Eingliederung ergibt sich daraus, daß die Klägerin fast alle Geschäftsanteile am Betriebsunternehmen hielt und ihr Geschäftsführer zugleich auch alleiniger Geschäftsführer des Betriebsunternehmens war. Die wirtschaftliche Eingliederung folgt, wie das FG näher aus geführt hat, aus der Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen an die Organgesellschaft.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Wirkung der Organschaft nicht auf die Innenleistungen beschränkt. Auch die Leistungsbezüge der Organgesellschaft von Dritten und die Leistungen der Organgesellschaft an Dritte (Außenleistungen) sind von der Organschaft betroffen; sie werden dem Organträger zugerechnet.

Der auf § 27 Abs. 6 UStG 1980 i. d. F. des Art. 14 Nr. 7 StBereinG 1986 gestützte Antrag der Klägerin, die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG 1980 i. d. F. des Art. 14 Nr. 2 StBereinG 1986 anzuwenden, kann keinen Erfolg haben. Die letztgenannte Vorschrift betrifft nur die Innenleistungen zwischen Organträger und Organgesellschaften; durch sie wurde die Wirkung der Organschaft auf Innenleistungen zwischen den im Erhebungsgebiet (Inland) gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Die Wirkung der Organschaft wurde durch diese Vorschrift nicht schlechthin auf Innenleistungen beschränkt, sondern nur auf die Innenleistungen zwischen den im Erhebungsgebiet gelegenen Unternehmensteilen. Die Außenleistungen werden durch diese Vorschrift nicht betroffen. Für sie sind der Eingangssatz des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 und § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG 1980 i. d. F. des Art. 14 Nr. 2 StBereinG 1986 von Bedeutung. Nach dem Eingangssatz des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist. Demnach ist die Organgesellschaft -- mit ihren Innenleistungen und ihren Außenleistungen -- keine selbständige Unternehmerin.

Hieran hat das StBereinG 1986 nichts geändert. Erläuternd bestimmt § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG 1980 i. d. F. des Art. 14 Nr. 2 StBereinG 1986, daß die im Erhebungsgebiet gelegenen Unternehmensteile als ein Unternehmen zu behandeln sind. Dem entspricht auch die Gesetzesbegründung (BTDrucks 10/4513 vom 10. Dezember 1985). Dort heißt es:

"Durch die Änderung wird die Organschaft in ihren Wirkungen auf das Erhebungsgebiet beschränkt. Grenzüberschreitende Umsätze innerhalb eines Organkreises, die bisher als Innenumsätze nicht der Umsatzsteuer unterlagen, können dadurch steuerbar werden. Artikel 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern läßt nach Auffassung der EG-Kommission keine Regelung zu, die die Wirkungen der Organschaft über das Erhebungsgebiet hinaus erstreckt. Innenleistungen zwischen den im Erhebungsgebiet gelegenen Teilen eines Organkreises sind wie bisher nicht steuerbar. Die neuen Sätze 3 und 4 der Vorschrift schaffen für diese Unternehmensteile die Grundlage für die Anwendung der übrigen Vorschriften des Gesetzes, insbesondere der Vorschriften über das Verfahren und den Steuerschuldner."

Dementsprechend ist durch das StBereinG 1986 für inländische Organschaften an der bis dahin geltenden Rechtslage keine Änderung eingetreten.

3. Auf entgegenstehendes Gemeinschaftsrecht kann sich die Klägerin nicht berufen. Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG steht es vorbehaltlich der Konsultation nach Art. 29 jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Hierunter fällt auch die Regelung über die Organschaft nach deutschem Umsatzsteuerrecht (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Juni 1979 Rs. 181 und 229/78, Slg. 2063 zur Zulässigkeit der Organschaft niederländischen Rechts nach der Richtlinie 67/228/EWG). Die in Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Konsultationen haben auch stattgefunden und nicht zu einer grundsätzlichen Beanstandung der Organschaft geführt (vgl. Klezath, Deutsche Steuer-Zeitung -- DStZ -- 1986, 112; Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 6. Aufl., § 2 Abs. 1 und 2 Anm. 452.1).

Daß die Organschaft deutschen Rechts nicht nur für Innenleistungen, sondern auch für das Außenverhältnis von Bedeutung ist, mußte den am Konsultationsverfahren Beteiligten bekannt sein. Eine Beschränkung auf die Innenleistungen ist nicht möglich, wenn ein Mitgliedstaat davon Gebrauch macht, die in der Organschaft zusammengefaßten Personen "als einen Steuerpflichtigen zu behandeln". Nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG erscheint es zumindest fraglich, ob ein Mitgliedstaat sich darauf beschränken dürfte, bei einer Organschaft nur die Innenleistungen nicht zu besteuern.

Einzuräumen ist der Klägerin, daß in der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1967/1973/1980 eine "systemwidrige Ausnahme" gesehen werden kann (in diesem Sinne BFH-Urteil vom 8. Februar 1979 V R 101/78, BFHE 127, 267, BStBl II 1979, 362, unter 6; vgl. auch Steppert, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1994, 343, und Lieb, Internationales Steuerrecht 1993, 360). Dies kann aber nichts daran ändern, daß es der Bundesrepublik Deutschland freisteht, die in Art. 4 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG genannten Personen als einen Unternehmer zu behandeln.

4. Die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

Die Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf Art. 2 Abs. 1 GG. Nach dieser Vorschrift hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Die Vorschrift schützt zwar auch die Freiheit des Unternehmers (vgl. Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 43ff.). Diese wird aber nicht in verfassungswidriger Weise dadurch eingeschränkt, daß das UStG 1980 die Organgesellschaften als unselbständig behandelt, so daß der Organträger als selbständiger Unternehmer die Umsatzsteuer für die gesamte Organschaft schuldet.

Nach dem GG muß der einzelne diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit hinnehmen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des gemeinsamen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt Zumutbaren errichtet, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt wird (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 26. Januar 1982 1 BvR 1295/80, 201, 881, 1074, 1319/81, BVerfGE 59, 275, 279). Auch wenn Organträger und Organgesellschaft im Rahmen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 nur ein Unternehmen haben, bleibt ansonsten ihre Eigenständigkeit gewahrt; die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 für den Organträger ergebenden Steuerbelastungen, Steuerentlastungen und Steuererklärungspflichten halten sich im Rahmen des Zumutbaren.

Nach dem BVerfG-Urteil vom 20. Dezember 1966 1 BvR 320/57 und 1 BvR 70/63 (BVerfGE 21, 12, BStBl III 1967, 7) ist die Beibehaltung der Organschaft seit Einführung der Mehrwertsteuer verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit diesem Urteil hat das BVerfG zwei Verfassungsbeschwerden, die u. a. auch die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 i. d. F. des Art. 1 Ziff. 1 des Elften Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1330) betrafen, zurückgewiesen. Nach dem Urteil mußte die tendenzielle Bevorzugung der Organschaft im System der Allphasenbruttoumsatzsteuer bis zur damals bereits beabsichtigten Einführung der Mehrwertsteuer (Allphasennettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug) hingenommen werden. Für die Zeit nach Einführung der Mehrwertsteuer erschien dem BVerfG die Beibehaltung der Organschaft verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Nichtbesteuerung der Innenleistungen bei der Organschaft führt seither grundsätzlich nicht mehr zu einer Steuerentlastung und demzufolge nicht zu Wettbewerbsverzerrungen. Nur bei Organschaften mit vorsteuerabzugschädlichen Leistungen i. S. des § 15 Abs. 2 UStG 1967/1973/1980 kann die Organschaft noch erhebliche Steuerersparnisse mit sich bringen (vgl. Klezath, DStZ 1986, 112; Giesberts, a. a. O., § 2 Abs. 1 und 2 Anm. 452.1; Steppert, UR 1994, 343). Dadurch entstehende Wettbewerbsverzerrungen betreffen jedoch nur einen beschränkten Kreis von Steuerpflichtigen und müssen als Folge der vom Gesetzgeber für zweckmäßig erachteten Regelung hingenommen werden. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 ist deshalb von Verfassungswegen nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 273

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