Leitsatz (amtlich)

Ein buchführender Landwirt kann das ihm gesetzlich eingeräumte Bewertungswahlrecht (z. B. nach § 76 EStDV) in der Bilanz zum 30. Juni auch noch im Wege einer Bilanzänderung ausüben, wenn sich seine Gewinnerwartung für das folgende Wirtschaftsjahr durch eine überraschende Gewinnerhöhung als unrichtig erweist. Das Finanzamt muß einer solchen Bilanzänderung zustimmen.

 

Normenkette

EStG 1969 § 2 Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 1, § 4 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung für 1969, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) bei einem buchführenden Landwirt zu Recht die Zustimmung zu einer Änderung der Bilanz zum 30. Juni 1969 (in Form einer Vornahme bisher unterbliebener Sonderabschreibungen nach § 76 EStDV) versagt hat.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1969 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.

Der Kläger ist Inhaber eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs. Er führt Bücher und macht regelmäßig Abschlüsse. Im Dezember 1969 reichte der Kläger zusammen mit der Einkommensteuererklärung für 1968 die Bilanz seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs zum 30. Juni 1969 ein. In dieser war für das Wirtschaftsjahr 1968/69 ein Gewinn von 10 703 DM ausgewiesen. Ein im Wirtschaftsjahr 1966/67 mit einem Kostenaufwand von 106 735 DM erbautes Stallgebäude war in dieser Bilanz zum 30. Juni 1969 mit den Herstellungskosten abzüglich der AfA nach § 7 EStG angesetzt; die - letztmals im Wirtschaftsjahr 1968/69 zulässige - Sonderabschreibung nach § 76 EStDV war - ebenso wie in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren - nicht vorgenommen worden.

Das FA setzte im Einkommensteuerbescheid für 1968 die Einkommensteuer auf 0 DM fest.

Im Januar 1971 reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung für 1969 ein. Im Zusammenhang damit beantragte der Kläger die Zustimmung zu einer Änderung seiner Bilanz zum 30. Juni 1969 in der Weise, daß auf die Herstellungskosten des Stallgebäudes die bisher unterlassene Sonderabschreibung nach § 76 EStDV im Gesamtbetrag von 32 020 DM vorgenommen wird. Auf der Grundlage dieser Bilanzänderung wies der Kläger in der Einkommensteuererklärung für 1969 für das Wirtschaftsjahr 1968/69 nunmehr einen Verlust von 21 317 DM (bisheriger Gewinn 10 703 DM abzüglich Sonderabschreibung 32 020 DM) aus, der zusammen mit der Hälfte des für das Wirtschaftsjahr 1969/70 ausgewiesenen Gewinns von 45 483 DM zur Hälfte bei der Einkommensteuerveranlagung 1969 berücksichtigt werden sollte. Zur Begründung seines Antrags auf Bilanzänderung trug der Kläger vor, er habe den Betrieb bisher in herkömmlicher Weise bewirtschaftet und nur geringe Gewinne erzielt; er habe deshalb keinen Anlaß gehabt, Sonderabschreibungen vorzunehmen und einen Verlust auszuweisen. Erst im Wirtschaftsjahr 1969/70 habe er infolge des überraschenden Ausscheidens eines Mitarbeiters eine Betriebsumstellung durchführen müssen, die zur Realisierung stiller Reserven geführt habe; damit sei auch ein wirtschaftlicher Grund für Sonderabschreibungen eingetreten.

Das FA vertrat im Anschluß an eine Betriebsprüfung die Auffassung, daß dem Antrag auf Bilanzänderung nur insoweit entsprochen werden könne, als sich durch die Betriebsprüfung für das Wirtschaftsjahr 1968/69 eine Gewinnerhöhung ergeben habe, nämlich in Höhe von 1 590 DM. Demgemäß sah das FA von einer Berichtigung des Einkommensteuerbescheids für 1968 ab und erließ am 22. September 1971 einen Einkommensteuerbescheid für 1969, der die beantragte Bilanzänderung zum 30. Juni 1969 nicht berücksichtigte, sondern die Einkommensteuer auf der Grundlage eines durch die Betriebsprüfung ermittelten Gewinnes für das Wirtschaftsjahr 1969/70 in Höhe von 49 484 DM und des unveränderten Gewinnes für das Wirtschaftsjahr 1968/69 in Höhe von 10 702 DM festsetzte.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG war der Meinung, daß die Ablehnung einer Bilanzänderung nicht ermessensmißbräuchlich sei, weil eine wesentliche Veränderung der Grundlagen, auf denen ein gesetzliches Bewertungswahlrecht ausgeübt worden sei, nicht eingetreten sei.

Mit der Revision beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1969 in der Weise zu ändern, daß einer Bilanzänderung auf den 30. Juni 1969 in Höhe einer Sonderabschreibung von 32 020 DM zugestimmt und die Steuer entsprechend festgesetzt wird.

Die Revision macht geltend, die Verweigerung der Zustimmung zur Bilanzänderung sei ermessensmißbräuchlich.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Steuerbescheids zur Festsetzung der Einkommensteuer und Kirchensteuer für 1969 auf 0 DM, weil das FA nach den besonderen Umständen des Streitfalles die Zustimmung zu der beantragten Bilanzänderung nicht versagen durfte.

1. Nach § 4 Abs. 2 EStG darf der Steuerpflichtige die Bilanz nach ihrer Einreichung beim FA nur mit Zustimmung des FA ändern, d. h. einen (handelsrechtlich und) steuerrechtlich zulässigen Bilanzansatz nur mit Zustimmung des FA durch einen anderen ebenfalls (handelsrechtlich und) steuerrechtlich zulässigen Bilanzansatz ersetzen.

Die Entscheidung des FA, ob es einer Bilanzänderung zustimmt, ist eine Ermessensentscheidung, die nur dann fehlerhaft ist, wenn das FA die seinem Ermessen gesetzten Grenzen überschritten hat (vgl. § 2 StAnpG).

Zutreffend geht die Vorentscheidung davon aus, daß nach dem Urteil des BFH vom 29. Januar 1952 I 103/51 U (BFHE 56, 137, BStBl III 1952, 57) einer beantragten Bilanzänderung im allgemeinen dann zuzustimmen ist (und damit die Verweigerung der Zustimmung ermessensfehlerhaft ist), wenn sich die tatsächlichen Grundlagen, von denen der Steuerpflichtige bei der Ausübung seines gesetzlichen Bewertungswahlrechtes ausgegangen ist, nach Einreichung der Bilanz erheblich verändert haben, so z. B. wenn bei der Einkommensteuerveranlagung aufgrund einer zwischenzeitlich durchgeführten Betriebsprüfung der Gewinn wesentlich höher angesetzt wird als der Steuerpflichtige ihn in seiner Bilanz und seiner Einkommensteuererklärung ausgewiesen hat.

Der erkennende Senat kann offenlassen, ob, wie der I. Senat des BFH in seinem Urteil vom 29. Oktober 1975 I R 47/74 (BFHE 117, 239, BStBl II 1974, 212) ausführt, die Rechtsprechung des BFH in einer Weiterentwicklung des Urteils I 103/51 U den Ermessensspielraum des FA bei seiner Entscheidung nach § 4 Abs. 2 EStG weiter eingeengt hat, und zwar dahin, daß die Zustimmung stets dann zu erteilen ist, wenn der Steuerpflichtige triftige Gründe für die Bilanzänderung dargetan hat und das Verhalten des Steuerpflichtigen mithin nicht willkürlich ist. Denn bereits auf der Grundlage der im Urteil I 103/51 U entwickelten Rechtsgrundsätze über die Grenzen der Ermessensfreiheit des FA erscheint im Streitfall die Versagung der Zustimmung ermessensfehlerhaft, weil das FA bei seiner Entscheidung die Besonderheiten, die nach dem Einkommensteuergesetz für die Einkommensbesteuerung buchführender Landwirte gelten, nicht ausreichend berücksichtigt hat. Bei Beachtung dieser Besonderheiten, insbesondere der Vorschriften des § 2 Abs. 5 Nr. 1 und des § 2 Abs. 6 Nr. 1 EStG 1969, und der sachlichen Gegebenheiten des Streitfalles hätte das FA zu der Erkenntnis kommen müssen, daß der Bilanzänderung zuzustimmen ist.

2. Die Einkommensteuer bemißt sich nach dem Einkommen, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat (§ 2 Abs. 1 EStG 1969). Bei Land- und Forstwirten ist der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln; Wirtschaftsjahr ist der Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. Juni (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 EStG 1969). Der nach dem Wirtschaftsjahr zu ermittelnde Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft ist auf das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr beginnt, und auf das Kalenderjahr, in dem das Wirtschaftsjahr endet, entsprechend dem zeitlichen Anteil, d. h. je zur Hälfte aufzuteilen (§ 2 Abs. 6 Nr. 1 EStG 1969).

Aufgrund dieser Gewinnverteilung auf zwei Veranlagungszeiträume gehört zu den tatsächlichen Grundlagen für die Ausübung eines gesetzlich eingeräumten Bewertungswahlrechts in der Bilanz des buchführenden Landwirts zum 30. Juni, deren wesentliche Veränderung eine Bilanzänderung rechtfertigen kann, auch die Gewinnerwartung für das folgende Wirtschaftsjahr, und zwar jedenfalls dann, wenn, wie im Streitfall, in der Bilanz zum 30. Juni ein so niedriger Gewinn ausgewiesen war, daß die Einkommensteuer für das Kalenderjahr, in das die erste Hälfte des Wirtschaftsjahres fällt, auf 0 DM festzusetzen war.

Der Umstand, daß sich die Einkommensteuer des Landwirts z. B. für das Kalenderjahr 1969 nicht nur nach dem Ergebnis des Wirtschaftsjahres 1968/69, sondern auch nach dem Ergebnis des Wirtschaftsjahres 1969/70 bemißt, macht deutlich, daß die Gewinnerwartung für das Wirtschaftsjahr 1969/70 jedenfalls unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen zu den Grundlagen der Bilanzierung zum 30. Juni 1969 gehört. Denn es leuchtet ein, daß ein buchführender Landwirt, der nach den Erfahrungen der Vergangenheit bei gleichbleibenden Verhältnissen nicht mit der Festsetzung einer nennenswerten Einkommensteuer rechnet und zu rechnen braucht, keine Veranlassung sieht, Sonderabschreibungen vorzunehmen, und daß er, wenn er eine wesentliche und anhaltende Gewinnsteigerung vorausgesehen hätte, regelmäßig auch von den ihm gesetzlich eingeräumten Steuervergünstigungen Gebrauch gemacht hätte.

Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß auch der Zweck des § 4 Abs. 2 EStG, so wie er sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift erschließt (vgl. Begründung zum EStG 1934 zu § 5, RStBl 1935, 37 f.; dazu Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., EStG § 4 Anm. 81), nämlich ungebührliche Verzögerungen des Veranlagungsverfahrens tunlichst auszuschließen, nahelegt, bei der Erteilung der Zustimmung zu einer Bilanzänderung in den durch die Vorschriften des § 2 Abs. 5 Nr. 1 und des § 2 Abs. 6 Nr. 1 EStG berührten Fällen, nicht zu streng zu verfahren.

Für den Streitfall folgt hieraus, daß die Versagung der Zustimmung zur Bilanzänderung ermessensfehlerhaft war. Nach der Sachdarstellung der Kläger, der das FA nicht widersprochen hat, kann nicht zweifelhaft sein, daß der Kläger mit der tatsächlich eingetretenen Gewinnentwicklung im Wirtschaftsjahr 1969/70, die ihre Ursache in einer überraschend notwendig gewordenen Umstellung der bisherigen Bewirtschaftungsart findet, bei der Aufstellung der Bilanz zum 30. Juni 1969 nicht ohne weiteres rechnen konnte und mußte. Daß die Bilanz zum 30. Juni 1969 insofern bereits einer Veranlagung zugrunde lag, als die Hälfte des Gewinns des Wirtschaftsjahres 1968/69 bei der Einkommensteuerveranlagung für 1968 berücksichtigt wurde, ist unerheblich, weil die Steuerfestsetzung für 1968 auf 0 DM lautet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71839

BStBl II 1976, 417

BFHE 1976, 328

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