Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendiger Inhalt einer Klageschrift

 

Leitsatz (NV)

Eine Klage liegt nur vor, wenn der Schriftsatz erkennen läßt, daß die gerichtliche Nachprüfung eines Verwaltungsaktes begehrt wird.

 

Normenkette

FGO § 65

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Mit Bescheid vom 21. September 1983 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen Antrag der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) auf Erlaß von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen ab.

Die hiergegen rechtzeitig erhobene, von der Klägerin als Widerspruch bezeichnete Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) Münster mit Beschwerdeentscheidung vom 27. Dezember 1983, die der Klägerin am 28. Dezember 1983 zugestellt wurde, als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 27. Januar 1984, das an die OFD gerichtet war und dort am 30. Januar 1984 einging, legte die Klägerin unter dem Betreff ,,Beschwerdebescheinigung vom 28. Dezember 1983" nochmals ,,Widerspruch" ein. In diesem Schreiben führte die Klägerin u. a. wörtlich aus:

,,. . . Sobald ich die Abrechnungs-Bescheide vom FA . . . erhalten habe, werde ich in der Lage sein und Ihnen beweisen können, daß ich schon seit einigen Jahren geschäftlich und privat ein Härtefall habe . . . Deswegen werde ich den Beweis erbringen. Nur mit 100% Zusammenarbeit des FA! wo meine Guthaben und Umbuchungen sowie Einzahlungen geblieben sind. Sollte die Hilfe vom FA . . . ausbleiben, werde ich mein Recht woanders suchen . . ."

Nachdem die OFD mit Schreiben vom 2. Februar 1984 unter Bezugnahme auf die Rechtsbehelfsbelehrung die Klägerin auf die Möglichkeit, Klage zu erheben, hingewiesen hatte, erhob diese am 8. Februar 1984 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Finanzgerichts (FG) Klage und bat hierbei, das Schreiben vom 27. Januar 1984 als Klage gegen die Beschwerdeentscheidung aufzufassen.

Das FG wies die Klage wegen Fristversäumung als unzulässig ab. Aus dem Schreiben vom 27. Januar 1984 ergebe sich eindeutig, daß eine Klageerhebung nicht gewollt gewesen sei; vielmehr habe die Klägerin ausschließlich Rechtsschutz durch die Finanzbehörden begehrt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Verfahrensrecht und führt hierzu aus:

Das FG habe bei der Auslegung des Schreibens vom 27. Januar 1984 nicht den wirklichen Willen der Klägerin erforscht und nicht berücksichtigt, daß es sich bei ihr um eine ganz einfache Frau handele, die nichts von verfahrensrechtlichen Dingen verstehe und sich nicht deutlich ausdrücken könne. Das FG hätte die Klägerin mündlich hören müssen.

Da die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels nicht schade, hätte der Widerspruch in eine Klage umgedeutet werden müssen.

Schließlich habe das Gericht nicht genügend die Voraussetzungen des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geprüft. Die Klägerin habe sich seit Mai 1983 in ärztlicher Behandlung wegen Stirnhöhlenvereiterung befunden und habe sich einer Kiefer- und Nasenoperation unterziehen müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Das FG hat zu Recht das an die OFD gerichtete Schreiben der Klägerin vom 27. Januar 1984 nicht als Klage angesehen und das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO hinsichtlich der verspätet erhobenen Klage vom 8. Februar 1984 verneint.

1. Eine Klage liegt nur vor, wenn um gerichtlichen Rechtsschutz in Form eines Urteils nachgesucht wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Dezember 1977 II R 96/75, BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70), wobei sich dieses Begehren aus der Rechtsbehelfsschrift selbst ergeben muß (Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Auflage, § 65 FGO Anm. 1). Nach dem Wortlaut des Schreibens vom 27. Januar 1984 hat die Klägerin sich zwar mit der Entscheidung der OFD nicht einverstanden erklärt, jedoch um Prüfung dieser Entscheidung durch ein Gericht offenkundig nicht ersucht. Allerdings ist das Anbringen eines Rechtsbehelfs als Prozeßhandlung der Auslegung zugänglich, wobei nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374). Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und der obersten Bundesgerichte ist bei der hiernach gebotenen Auslegung grundsätzlich davon auszugehen, daß der Rechtsbehelfsführer den Rechtsbehelf einlegen wollte, der seinen Belangen entspricht und zu dem von ihm angestrebten Erfolg führen kann (vgl. u. a. RFH-Urteil vom 9. Dezember 1931 VI A 1721/31, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1932 Nr. 133; Urteile des BFH vom 12. Dezember 1957 IV 10/57 U, BFHE 66, 401, BStBl III 1958, 154, und in BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 5. Juli 1962 III ZR 214/61, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1962, 1820).

Auch unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze kann das Schreiben vom 27. Januar 1984 nicht als Klage gewertet werden. Zwar ist dieser Schriftsatz innerhalb der Klagefrist bei einer für die Anbringung der Klage zuständigen Stelle (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO) eingegangen und könnte trotz unrichtiger Bezeichnung des Rechtsbehelfs als Klage qualifiziert werden (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 65 FGO Anm. 1 b). Eine Wertung des Schreibens als Klage scheitert jedoch an dessen klarem Wortlaut und Erklärungsinhalt.

Trotz der erkennbar unbeholfenen Formulierungsweise hat die Klägerin in der entscheidenden Frage ihres Rechtsschutzbegehrens eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß sie gerichtliche Hilfe zunächst nicht in Anspruch nehmen wollte. Sie hat im Schreiben vom 27. Januar 1984 weitere rechtliche Schritte lediglich für den Fall angekündigt, daß die erbetene Hilfe der OFD und des FA ausbleiben sollte. Das FG hat die Erklärung der Klägerin zutreffend dahingehend gewürdigt, daß sie ausschließlich Rechtsschutz durch die Finanzbehörden begehrt hat.

Angesichts dieses eindeutigen Inhalts der Erklärung bleibt für eine - die verfahrensrechtlichen Belange der Klägerin berücksichtigende - Wertung kein Raum (vgl. hierzu Palandt/Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 44. Aufl., § 133 Anm. 3 b), so daß es auch keiner Anhörung der Klägerin bedrufte.

Auch im Hinblick auf die offenkundige Unerfahrenheit der Klägerin in verfahrensrechtlichen Dingen ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der Wortlaut des Schreibens nicht ihrem wirklichen Willen entsprochen hat. Vielmehr liegt es nahe, daß sie in Verkennung der Bedeutung der Rechtsbehelfsfrist von einer Klageerhebung abgesehen hat.

Eine Umdeutung der nichtförmlichen Gegenvorstellung im Schreiben vom 27. Januar 1984 in eine Klage kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn auch eine Umdeutung ist nur möglich, wenn der schriftlichen Erklärung zu entnehmen ist, daß der Verfasser etwas anderes will, als er erklärt hat (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/ Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Stand Juni 1985, Rdnr. 1006/5).

Selbst wenn man das Schreiben der Klägerin dahin auslegen wollte, daß eine Klage jedenfalls für den Fall gewollt war, daß die OFD zum dienstaufsichtlichen Eingreifen nicht bereit sein sollte, wäre diese Klage unzulässig. Denn aus prozessualen Gründen kann eine Klage nicht an eine Bedingung geknüpft und insbesondere nicht von Maßnahmen der Finanzbehörde abhängig gemacht werden (vgl. Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 64 Anm. 8).

2. Das FG hat auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu Recht abgelehnt. Denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist des § 47 FGO verhindert. Die geltend gemachte Unerfahrenheit in steuerlichen und verfahrensrechtlichen Dingen ist zumindest dann kein Wiedereinsetzungsgrund, wenn der Betroffene richtig belehrt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1963 III 158/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 118).

Ob eine krankheitsbedingte Verhinderung vorgelegen hat, für die sich aus dem eingereichten Attest, das für den entscheidungserheblichen Zeitraum keine Aussage enthält, keine Anhaltspunkte ergeben, kann schon deshalb dahinstehen, weil dieser Wiedereinsetzungsgrund nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses geltend gemacht worden ist (§ 56 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414325

BFH/NV 1986, 675

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