Leitsatz (amtlich)

Haben Miteigentümer von ihrem Recht auf erhöhte AfA nach § 7b EStG Gebrauch gemacht, so kann die Änderung des antragsgemäß ergangenen und bestandskräftig gewordenen Feststellungsbescheides (§ 215 AO) unter Berufung auf § 94 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 AO nicht unter Geltendmachung einer niedrigeren AfA nach § 7b EStG begehrt werden, weil sich die zunächst angesetzte AfA nicht voll ausgewirkt hatte.

 

Normenkette

EStG § 7b; AO § 94 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Kläger) sind Miteigentümer in ungeteilter Erbengemeinschaft von umfangreichem Grundbesitz, den sie im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues in den Jahren 1957 bis 1961 in drei Bauabschnitten bebauten. Die Gesamtherstellungskosten betrugen 13 530 590 DM.

Die Kläger nahmen für den Veranlagungszeitraum 1957 (wie auch in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis 1964) die erhöhte Abschreibung nach § 7b EStG in Anspruch, wobei sie die Abschreibungsmöglichkeit von 26 v. H. in den ersten vier Jahren voll ausschöpften. Die Feststellungsbescheide für 1957 bis 1964 sind sämtlich bestandskräftig geworden.

Nachträglich wurde festgestellt, daß sich durch ein Versehen des früheren Bevollmächtigten der Kläger von den einheitlich festgestellten Verlusten aus Vermietung und Verpachtung insgesamt 2 695 420 DM bei den Einkommensteuerveranlagungen nicht ausgewirkt hatten. Auf das Streitjahr 1957 entfällt ein Betrag von 7 810 DM.

Die Kläger begehrten nunmehr, die Feststellungsbescheide für 1957 bis 1964 gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 AO zu ändern, und zwar in der Form, daß die Verluste aus Vermietung und Verpachtung (soweit sie sich bei den Einkommensteuerveranlagungen nicht ausgewirkt haben) herabgesetzt werden sollten.

Für den Veranlagungszeitraum 1957 beantragten die Kläger, die bisher geltend gemachte und bei der einheitlichen Feststellung auch berücksichtigte Absetzung für Abnutzung (AfA) in Höhe von 32 716,80 DM um 7 810,40 DM auf 24 906,40 DM zu vermindern. Diesen Antrag lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) durch den von den Klägern angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 1968 ab mit der Begründung, daß § 94 AO nicht die Möglichkeit eröffne, Vorteile, die über den gesetzlich vorgeschriebenen Weg nicht erreicht werden könnten, nachträglich noch durchzusetzen (Hinweis auf das Urteil des BFH vom 7. Dezember 1960 VII 104/60 U, BFHE 72, 225, BStBl III 1961, 84).

Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG hob den ablehnenden Bescheid des FA auf. Es bejahte zunächst einmal die Zulässigkeit der Klage. Die Kläger seien durch den angefochtenen Bescheid beschwert, auch wenn die von ihnen begehrte Herabsetzung des Verlustes ohne Auswirkung auf die Einkommensteuer der Miteigentümer in dem Veranlagungszeitraum 1957 bleiben würde. Es genüge, wenn die Verringerung des Verlustes Auswirkungen in späteren Veranlagungszeiträumen haben werde. Die Rechtsprechung habe in solchen Fällen das Vorliegen einer Beschwer bejaht (Hinweis auf die BFH-Urteile vom 12. November 1964 IV 129/61, HFR 1965, 283, und vom 11. Januar 1967 I 49/64, BFHE 87, 431, BStBl III 1967, 215).

Zur Sache selbst vertrat das FG die Ansicht, daß das FA zu Unrecht die Änderung des Feststellungsbescheids für 1957 nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO abgelehnt habe. Diese Änderung sei trotz Bestandskraft des Bescheides möglich, weil es sich um eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen handele. Es komme nicht auf die Auswirkungen bei der Einkommensteuer in späteren Veranlagungszeiträumen an, es sei vielmehr der Feststellungsbescheid für sich zu sehen und zu werten.

Bei den Entscheidungen nach § 94 AO handele es sich um Entscheidungen, die die Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens nach Recht und Billigkeit zu treffen habe. Die Billigkeit verlange, daß die Entscheidung unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Hand und des Steuerpflichtigen den Grundsätzen der Billigkeit entsprechen müßten (Hinweis auf das BFHUrteil vom 13. März 1952 IV 350/51 U, BFHE 56, 264, BStBl III 1952, 104). Dabei könnten die Interessen des Steuerpflichtigen nicht von vornherein mit der Erwägung ausgeschlossen werden, daß er den Bescheid habe anfechten können. Die diese Auffassung für das Zollund Verbrauchsteuerrecht vertretende Rechtsprechung könne indessen nicht ohne weiteres auf die Berichtigung anderer Bescheide übertragen werden. Eine zutreffende Ermessensausübung verbiete, die Interessen der Verwaltung ohne Ansehung der Auswirkung für den Staatsbürger zu verfolgen. In diesem Zusammenhang bedeute die Anfechtungsmöglichkeit nur so viel, daß die Belange der öffentlichen Hand mit besonderer Sorgfalt geprüft werden müßten. Diese Prüfung habe jedoch das FA unterlassen. Das FA hätte nämlich prüfen müssen, ob die Aufrechterhaltung des Bescheids einschneidende wirtschaftliche Nachteile für den Steuerpflichtigen nach sich zöge, die den Steuergesetzen nicht entsprächen. Zwar könne das FA den Klägern entgegenhalten, daß sie den Verlust selbst verursacht haben, weil die Höhe der AfA durch sie bestimmt worden und der Rechtsirrtum nicht durch Einlegung eines Rechtsbehelfs beseitigt worden sei. Die Schwierigkeit der Berechnung der AfA bei Miteigentum lasse aber das Verhalten der Kläger an der entstandenen Rechtslage weniger schwer wiegen. Schließlich lasse es auch der mit § 7b EStG verfolgte Zweck nicht zu, daß die Kläger die Folgen eines Irrtums tragen müssen, während der Erfolg ihrer Tätigkeit der öffentlichen Hand zugute komme. Nach alledem sei bei dieser Sachlage nur die antragsgemäße Änderung des Feststellungsbescheides frei von Ermessensfehlern gewesen.

Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Die Kläger sind durch den angefochtenen Verwaltungsakt - wenn auch aus anderen als vom FG angenommenen Gründen - beschwert. Bei dem von den Klägern begehrten Bescheid handelt es sich um einen solchen, durch den ein bereits ergangener Feststellungsbescheid geändert werden soll (§ 229 Nr. 3 AO). Wird der Antrag auf Erlaß eines Änderungsbescheides abgelehnt, so beantwortet sich die Frage nach der Beschwer nicht nach der Fehlerhaftigkeit des Bescheids, dessen Änderung begehrt wird, sondern nur danach, ob die Kläger durch die Ablehnung des begehrten Änderungsbescheides in ihren Rechten verletzt worden sind. Dabei genügte es, daß die Kläger nur geltend machten, sie seien durch die Ablehnung in ihren Rechten verletzt worden. Mit ihrem Vortrag, das FA habe ihren Antrag auf Änderung des ursprünglichen Feststellungsbescheides gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ihrem Nachteil in ermessensfehlerhafter Weise abgelehnt, haben die Kläger ihre vermeintliche Rechtsverletzung in ausreichender Weise dargelegt. Daß die Rechtsverletzung auch tatsächlich vorliegt, ist nicht erforderlich.

Es bestehen auch keine Bedenken, daß die Kläger den ablehnenden Bescheid mit einer Anfechtungs(Sprung)klage angefochten haben, obwohl das von ihnen verfolgte Ziel an sich besser und wirkungsvoller mit einer Verpflichtungsklage erreicht worden wäre. Es muß dem Verfahrensbeteiligten überlassen bleiben, ob er lediglich die Aufhebung des Verwaltungsaktes begehrt, ohne den Ausspruch der Verpflichtung, wie die Behörde ihn zu bescheiden hat.

Das FG ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen des § 94 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 AO vorgelegen haben. Der Senat kann offenlassen, ob nicht diese Vorschrift schon deshalb keine Anwendung finden kann, weil die Kläger ihr Begehren im ordentlichen Rechtsbehelfsweg durch Anfechten des ursprünglichen Bescheids hätten geltend machen können (so für das Gebiet der Eingangsabgaben BFH-Urteil vom 29. September 1964 VII 245/63 U, BFHE 80, 492, BStBl III 1964, 651). Hierfür würde sprechen, daß der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 94 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 AO keinen zweiten Rechtsbehelfsweg hat schaffen wollen. Es spricht vieles dafür, daß die Vorschrift nur der geschäftlichen Vereinfachung in zweifelhaften Fällen dienen sollte, etwa bei Streit hinsichtlich der Voraussetzungen einer offenbaren Unrichtigkeit oder zur Vermeidung einer unbequemen Neuveranlagung (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 94 AO, Anm. 3a Abs. 3, und Enno Becker, Die Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., 1930, § 76 Anm. 2 Abs. 1 a. E.).

Der Anwendung des § 94 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 AO steht bereits entgegen, daß das den Steuerpflichtigen in § 7b EStG eingeräumte Wahlrecht ausgeübt und damit verbraucht ist. Daß es sich bei der Geltendmachung der erhöhten AfA nach § 7b EStG im Gegensatz zur Normal-AfA um ein gewisses Wahlrecht handelt, hat der BFH verschiedentlich ausgesprochen (Urteil vom 11. Januar 1963 VI 20/62 S, BFHE 76, 646, BStBl III 1963, 236). Wird die erhöhte AfA nach § 7b EStG für das begünstigte Grundstück von mehreren Miteigentümern geltend gemacht, so werden die Besteuerungsgrundlagen und damit auch die AfA nach §§ 7 und 7b EStG in einem besonderen Bescheid festgestellt (§ 215 AO). Wird dieser Bescheid nicht angefochten, so erwachsen diese Feststellungen in Bestandskraft. Unerheblich ist es dabei, ob sich die ausgenutzte erhöhte Abschreibung auch ausgewirkt hat (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1969 VI R 180/67, BFHE 97, 186, BStBl II 1970, 63). Das Wahlrecht auf erhöhte Abschreibung nach § 7b EStG ist dann insoweit verbraucht. Der Steuerpflichtige ist bei der Ausübung ihm offenstehender Wahlmöglichkeiten an seine Erklärung in der Regel auch gebunden (BFH-Urteil vom 10. Januar 1958 VI 46/55 U, BFHE 66, 188, BStBl III 1958, 74). Jedenfalls kann das Wahlrecht nicht zum Anlaß genommen werden, um eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheides nach § 94 AO auszulösen. Auch Herrmann-Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 7b EStG a. F., Anm. 19) und Steinberg-Längsfeld (Erhöhte Absetzung für Wohngebäude, 2. Aufl., S. 171) weisen zutreffend darauf hin, daß der Antrag auf Gewährung der erhöhten AfA nach § 7b EStG nur bis zur Rechtskraft der Veranlagung gestellt werden kann.

Die Vorentscheidung mußte hiernach mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO aufgehoben und die Klage abgewiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70826

BStBl II 1974, 319

BFHE 1974, 302

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